Spagyrik: Heilmittel oder Hokuspokus?
Essenzen von Heilpflanzen sollen den Körper bei Beschwerden wieder ins Gleichgewicht bringen. Einen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit der Spagyrik gibt es allerdings nicht.
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Mit dem Begriff Spagyrik können die wenigsten etwas anfangen. Dabei handelt es sich um ein altes Naturheilverfahren, das auf den Schweizer Arzt Paracelsus (1493–1541) zurückgeht. Andreas Krüger, Leiter der Samuel Hahnemann Heilpraktikerschule in Berlin, verschreibt spagyrische Mittel seit bald 30 Jahren zum Beispiel gegen Rheuma, Leberleiden, Schlaflosigkeit und Grippe. "Gerade bei Erkältungskrankheiten ist die Spagyrik eine Alternative zur Schulmedizin, die Mittel kosten wenig (um 10 Euro) und sind nebenwirkungsfrei", sagt Krüger. In den meisten Fällen setzt er Spagyrik begleitend zu homöopathischer Behandlung ein.
Grundlage der Spagyrik sind Essenzen von Heilpflanzen
Arzneimittelrechtlich zählen Spagyrika zu den Homöopathika. Der Grundgedanke ist bei beiden ganzheitlich: Körper, Geist und Seele sollen angesprochen werden. Auch werden bei beiden vornehmlich Essenzen von traditionellen Heilpflanzen verwendet. Was die Herstellung betrifft, gibt es allerdings wenig Gemeinsamkeiten. Während die Homöopathen die Substanzen mit Weingeist ausziehen, zur Urtinktur pressen, verdünnen und verschütteln, werden Spagyrika nach einer aufwendigeren Methode hergestellt. Der Begriff kommt aus dem Griechischen und meint trennen und vereinen.
Spagyrik als Ergänzung zur Schulmedizin
Die Zieten Apotheke in Berlin beispielsweise hält 23 Mittel parat, mischt aber auch individuell. Besonders gefragt, so Apothekerin Ulrike Zimmermann, seien Mittel gegen Schlaflosigkeit, Halsschmerzen, Infektanfälligkeit und Heuschnupfen. Das Besondere an dieser Therapie ist für Zimmermann, dass Spagyrik den aus dem Gleichgewicht geratenen Körper wieder in einen gesunden Zustand führen kann: "Spagyrik ergänzt wie alle komplementären Therapieansätze die schulmedizinischen Behandlungen und lässt sich unkompliziert mit anderen Therapieansätzen wie Phytotherapie und Homöopathie kombinieren."
Dieser Meinung ist auch der Gesundheitsökonom Dr. Marius Beyersdorff: "Forschungsergebnisse zeigen, dass viele Infekte beispielsweise im Bereich Nasennebenhöhlen oder Harnwege gut mit Alternativmedizin, zum Beispiel homöopathisch-spagyrischen Arzneimitteln, behandelt werden können. Darüber hinaus können sie ergänzend zu konventionellen, also schulmedizinischen Verfahren eingesetzt werden und beispielsweise Nebenwirkungen mindern."
Spagyrik: Alles dreht sich um Selbstheilungskräfte
Denn, so sagen Befürworter der Heilmethode, die spagyrischen Mittel erhielten durch die besondere Art der Herstellung eine Dynamik, die im Körper nachhaltige Heilungsprozesse anstoßen könne. Die Essenzen regten Selbstheilungskräfte an, unterstützten und stärkten sie. Wie bei der Homöopathie sollen natürliche Abwehrreaktionen des Körpers (Fieber etc.) nicht unterdrückt werden. Wer sich mit Begriffen wie Energie und Feinstofflichkeit nicht anfreunden kann, wird diese Methoden sicher belächeln.
Spagyrik: Wirksamkeit wissenschaftlich nicht nachgewiesen
Der Bund Deutscher Heilpraktiker verweist darauf, dass ein wissenschaftlicher Nachweis für die Wirksamkeit spagyrischer Mittel in Studien nicht erbracht wurde. Die Spagyrik sei als alleinige Therapie nicht geeignet, schwere organisch bedingte oder ernsthafte psychische Erkrankungen (z. B. Depression) zu behandeln.
Vielleicht liegt es an der alchemistischen Herstellung, die nach Hexenküche, Hokuspokus und mittelalterlichen Wunderheilern klingt, dass Spagyrik bei Schulmedizinern wenig wahrgenommen wird oder gar nicht bekannt ist. Anders Dr. Christian W. Engelbert, in Berlin Facharzt für Allgemeinmedizin, Akupunktur und Naturheilverfahren und Traditionelle Europäische Medizin: "Ich verwende sie sehr oft als begleitende Therapie, vor allem zur Organstärkung und Entgiftung, bei Allergien, Gelenk- und Gefäßerkrankungen, Stoffwechselstörungen und Darmerkrankungen." Er schränkt aber auch ein: "Wenn man sich verantwortungsvoll mit Medizin befasst, sollte man bei schweren bakteriellen Infekten zum Antibiotikum greifen. Aber auch dann können zusätzliche spagyrische Mittel helfen und Nebenwirklungen deutlich mindern."
So werden Spagyrik-Mittel hergestellt
Alchemie Das älteste noch praktizierte Herstellungsverfahren ist das nach Carl-Friedrich Zimpel. Er entwickelte auf der Suche nach einem Universalheilmittel im 19. Jahrhundert auf der Basis der alchemistischen Methoden von Paracelsus die Aufbereitung pflanzlicher, mineralischer, aber auch tierischer Substanzen durch Gärung, Wasserdampf-Destillation, Veraschung, Extraktion und Filtration. So werden ätherische Öle und pflanzeneigene Mineralstoffe und Spurenelemente gewonnen. Die entstehenden Urtinkturen enthalten nach Ansicht von Spagyrikern sozusagen die kräftigsten Pflanzensubstanzen in veredelter Form und sollen heilkräftiger sein als der Ausgangsstoff.
Spagyrik-Mittel werden in Form von Tropfen, Tabletten, Salben, Sprays als fertige Einzelpräparate oder Komplexmittel verkauft.
Gespräch mit Andreas Krüger, Leiter der Samuel Hahnemann Heilpraktikerschule in Berlin, September 2015
Gespräch mit Ulrike Zimmermann, Apothekerin in Berlin, September 2015
Gespräch mit Dr. Christian W. Engelbert, Facharzt für Allgemeinmedizin, Akupunktur und Naturheilverfahren und Traditionelle Europäische Medizin in Berlin, September 2015
Letzte inhaltliche Prüfung: 25.09.2015
Letzte Änderung: 18.12.2019