Rote Blutkörperchen im Blut
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Polyglobulie – zu viele rote Blutkörperchen

Von: Dr. rer. nat. Brit Neuhaus (Medizinautorin und Biologin)
Letzte Aktualisierung: 06.04.2023

Bei einer Polyglobulie enthält das Blut zu viele rote Blutkörperchen. Dadurch fließt es langsamer durch die Gefäße und es besteht ein erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel und Durchblutungsstörungen.

Zusammenfassung Polyglobulie

  • Definition: Bei der Polyglobulie ist die Zahl der roten Blutkörperchen im Blut erhöht, es kommt zu einer Bluteindickung.
  • Symptome: Zu den Hauptsymptomen zählen Müdigkeit, Aufmerksamkeits- und Bewusstseinsstörungen, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Ohrgeräusche, Missempfindungen und Muskelschwäche.
  • Ursachen: Wichtige Ursachen sind Veränderungen im Erbmaterial, die sich auf die Blutbildung auswirken, sowie Erkrankungen, die zu einem Sauerstoffmangel führen.
  • Diagnose: Die Diagnose erfordert eine Blutabnahme. Weitere Untersuchungen wie Herzultraschall oder Lungenfunktionstest sind wichtig, um die Ursache abzuklären.
  • Behandlung: Die Behandlung ist von der Ursache abhängig. Häufig kommen Aderlässe und Blutverdünner zum Einsatz. Liegt eine andere Erkrankung zugrunde, wird diese therapiert.
  • Verlauf: Da die Polyglobulie das Blut dickflüssiger macht und das Risiko für Blutgerinnsel erhöht, kann es zu Komplikationen wie Thrombose, Schlaganfall oder Herzinfarkt kommen.

Was ist Polyglobulie?

Das menschliche Blut besteht aus mehreren Komponenten: Dem Blutplasma, also dem flüssigen Teil des Blutes, der vor allem aus Wasser, Salzen und Proteinen besteht, sowie drei verschiedenen Arten von Blutzellen:

  • Die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) transportieren den Sauerstoff von der Lunge zu den Organen und Geweben.
  • Die weißen Blutkörperchen (Leukozyten) sind für die Immunabwehr verantwortlich.
  • Die Blutplättchen (Thrombozyten) sind bei Verletzungen wichtig für die Blutgerinnung.

Bei einer Polyglobulie, auch Polyzythämie oder Erythrozytose genannt, enthält das Blut zu viele rote Blutkörperchen. Infolgedessen sind bei den Betroffenen auch der Wert für den in den roten Blutkörperchen enthaltenen Blutfarbstoff (Hämoglobin-Wert) sowie der prozentuale Anteil der roten Blutkörperchen am gesamten Blutvolumen (Hämatokrit) erhöht.

Probleme bereitet der erhöhte Erythrozyten-Gehalt vor allem, weil das Blut "verdickt" und sich seine Fließeigenschaften verändern. Es bewegt sich langsamer durch die Blutgefäße, wodurch sich leichter Blutgerinnsel bilden. Betroffene haben dadurch ein erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen wie Thrombose oder Herzinfarkt. Zudem wird der Organismus nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, was weitere gesundheitliche Probleme nach sich ziehen kann.

Verschiedene Formen der Polyglobulie

Fachleute unterscheiden verschiedene Formen der Polyglobulie:

  • Bei der absoluten Polyglobulie ist die Menge der roten Blutkörperchen erhöht.
  • Bei der relativen Polyglobulie ist die Menge des Blutplasmas zu niedrig, beispielsweise aufgrund von starken Flüssigkeitsverlusten. Dadurch erhöht sich die Konzentration der roten Blutkörperchen, obwohl ihre Gesamtzahl normal ist.

Außerdem wird zwischen der einer primären und einer sekundären Polyglobulie unterschieden:

  • Bei der primären Polyglobulie ist die Bildung der roten Blutkörperchen aus ihren Blutvorläuferzellen im Knochenmark gestört. Das ist beispielsweise bei Menschen mit Polyzythämia vera der Fall, einer sehr seltenen und langsam fortschreitenden Form von Blutkrebs.
  • Bei der sekundären Polyglobulie liegt der Defekt hingegen nicht in den blutbildenden Zellen selbst. Stattdessen ist bei den Betroffenen die Konzentration des Hormons Erythropoetin (EPO) erhöht, das die Bildung der roten Blutkörperchen reguliert.

Welche Symptome treten bei Polyglobulie auf?

Die mit der Polyglobulie einhergehenden Beschwerden sind auf die veränderten Fließeigenschaften des Blutes zurückzuführen. Sie beeinträchtigen die Durchblutung und führen zum sogenannten Hyperviskositätssyndrom ("dickes Blut"), das mit den folgenden Symptomen einhergeht:

  • Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schwäche
  • Beeinträchtigte Konzentration und Aufmerksamkeit
  • Kopfschmerzen
  • Bewusstseinsstörungen bis hin zur Ohnmacht
  • Schwindel
  • Sehstörungen (zum Beispiel verschwommenes Sehen oder eingeschränktes Sehfeld)
  • Ohrensausen (Tinnitus)
  • Muskelschmerzen
  • Missempfindungen, insbesondere in Fingern und Zehen

Zudem steigt infolge des verlangsamten Blutflusses das Risiko, dass sich in den Gefäßen Blutgerinnsel bilden. Verstopfen diese ein Blutgefäß, kommt es je nach Lage des Verschlusses zu Folgeerkrankungen wie einer Beinvenenthrombose, einem Herzinfarkt, einem Schlaganfall oder einer Lungenembolie.

Besonders bei jüngeren Personen kann die Polyglobulie zum sogenannten Budd-Chiari-Syndrom führen. Dabei wird der Blutfluss in den Lebervenen durch Blutgerinnsel blockiert. Betroffene haben häufig Bauchschmerzen und Wasseransammlungen im Bauchraum. Zudem können sich Krampfadern in der Speiseröhre bilden und zu Blutungen führen.

Bei Menschen, die mit Polyzythämia vera leben, geht die Polyglobulie häufig mit einem Mangel an Blutplättchen einher, wodurch es zu einer verstärkten Blutungsneigung kommt.

Was verursacht Polyglobulie?

Die verschiedenen Formen der Polyglobulie haben unterschiedliche Ursachen.

Ursachen der primären Polyglobulien

Bei den primären Formen liegt die Ursache in erworbenen oder angeborenen genetischen Defekten in den für die Blutbildung verantwortlichen Knochenmarkzellen. Bei der Polyzythämia vera, der einzigen erworbenen Form der primären Polyglobulie, betreffen diese Veränderungen alle drei Arten von Blutzellen, also auch die weißen Blutkörperchen und die Blutplättchen.

Bei Menschen mit angeborenen Formen der primären Polyglobulie ist die Funktion des sogenannten Erythropoetin-Rezeptors gestört. Er befindet sich auf der Oberfläche der Vorläuferzellen, aus denen die roten Blutkörperchen entstehen. Bindet das Hormon Erythropoetin an den Rezeptor, beginnen die Vorläuferzellen sich zu teilen und zu roten Blutkörperchen heranzureifen.

Erythropoetin wird deshalb vom Organismus nur ausgeschüttet, wenn nicht genügend rote Blutkörperchen vorhanden sind, um den Organismus ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. Bei Menschen mit einer angeborenen primären Polyglobulie ist der EPO-Rezeptor jedoch genetisch verändert und dauerhaft aktiv, also auch, ohne dass das EPO-Hormon daran gebunden ist. Somit entstehen auch in Abwesenheit des Hormons und ohne tatsächlichen Bedarf permanent neue rote Blutkörperchen.

Ursachen der sekundären Polyglobulien

Auch bei den sekundären Polyglobulien unterscheiden Fachleute zwischen erworbenen und angeborenen Formen. Ursache für die erworbenen Formen sind meist Erkrankungen, die mit einer verringerten Sauerstoffkonzentration im Körper (Hypoxie) einhergehen. Dazu zählen zum Beispiel verschiedene Herz- oder Lungenerkrankungen. Der Sauerstoffmangel regt dabei die Bildung des Hormons EPO an, das wiederum im Knochenmark die Produktion roter Blutkörperchen aktiviert. Der Organismus versucht dadurch, die mangelnde Sauerstoffversorgung wieder zu normalisieren.

Auch Nierenerkrankungen können zu einer Polyglobulie führen, da Erythropoetin überwiegend in der Niere gebildet wird. Bei einigen Krebserkrankungen kommt es ebenfalls zu einer sekundären Polyglobulie, weil manche Tumorzellen unkontrolliert EPO produzieren.

Ursache für die angeborenen Formen der sekundären Polyglobulie sind meist genetisch bedingte Veränderungen des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Er bindet normalerweise den Sauerstoff für den Transport durch den Organismus und gibt ihn schließlich in die Gewebe ab. Durch die genetischen Veränderungen ist dieser Prozess gestört: Der Sauerstoff ist so fest an das Hämoglobin gebunden, dass er nur sehr schlecht in das Gewebe gelangt. Es kommt zu einer Sauerstoffunterversorgung, die wiederum die EPO-Produktion anregt – und damit die Bildung roter Blutkörperchen.

Wie erfolgt bei Polyglobulie die Diagnose?

Bei der Diagnose liefern typische Polyglobulie-Symptome wie Müdigkeit, Schwäche, Konzentrationsstörungen und Schwindel bereits erste Hinweise auf eine mögliche Bluterkrankung. Um eine Polyglobulie sicher zu diagnostizieren, ist eine Blutuntersuchung erforderlich. Dabei werden neben der Anzahl der einzelnen Blutzellen auch die Konzentration des roten Blutfarbstoffs und der Hämatokrit bestimmt. Alle drei Werte sind bei Menschen mit Polyglobulie erhöht.

Steht die Diagnose fest, gilt es noch, die Ursache der Polygobulie ausfindig zu machen. Neben der Blutprobe, mit der sich beispielsweise auch erhöhte Erythropoetin-Spiegel sowie Veränderungen am roten Blutfarbstoff nachweisen lassen, sind dafür oft weitere Untersuchungen erforderlich. Dazu zählen zum Beispiel eine Lungenfunktionsprüfung oder ein Herzultraschall zum Ausschluss von Lungen- und Herzerkrankungen, die infolge einer mangelnden Sauerstoffversorgung zu einer Polyglobulie führen. Unter Umständen erfolgt zudem eine Untersuchung auf bestimmte genetische Veränderungen, die zu einer Polyglobulie führen.

Bei Menschen, die an der seltenen Krebserkrankung Polyzythämia vera leiden, wird im Rahmen der Diagnostik zudem das Knochenmark mikroskopisch untersucht. Dafür wird unter lokaler Betäubung mithilfe einer Biopsienadel eine Gewebeprobe aus einem Knochen entnommen.

Wie sieht die Behandlung bei Polyglobulie aus?

Die Behandlung der Polyglobulie richtet sich nach der Ursache. Ist die Polyglobulie Folge einer anderen Erkrankung, beispielsweise einer Lungen- oder Herzerkrankung, steht die Therapie der Grunderkrankung im Vordergrund. Ist sie gut unter Kontrolle, normalisieren sich die Blutwerte in der Regel von allein.

In anderen Fällen, insbesondere bei der Polyzythämia vera, besteht die Behandlung in regelmäßigen Aderlässen. Dabei wird über eine Vene eine größere Menge Blut entnommen, wodurch sich das im Körper verbleibende Blut verdünnt. Menschen mit einer Polyzythämia vera erhalten zudem Medikamente, welche die Blutgerinnung hemmen sowie Wirkstoffe, welche die Zahl der Blutzellen verringern sollen (zytoreduktive Therapie).

Ist die Polyglobulie auf eine zu feste Bindung des Sauerstoffs an den roten Blutfarbstoff zurückzuführen, ist ein Aderlass nicht hilfreich, da er die Sauerstoffversorgung noch weiter verschlechtern würde. Betroffene erhalten stattdessen bei Bedarf Bluttransfusionen von gesunden Spender*innen.

Wie verläuft Polyglobulie?

Wie Polyglobulie verläuft, lässt sich nicht pauschal beantworten und hängt unter anderem von der Krankheitsursache ab. Hauptrisikofaktor ist die Entstehung von Blutgerinnseln infolge der Bluteindickung. Sie können zum Teil schwere Folgeerkrankungen auslösen. Mit einer geeigneten Therapie lassen sich solche Komplikationen aber oftmals verhindern.

Liegt eine andere körperliche Erkrankung zugrunde, beispielsweise eine Herz- oder Lungenerkrankung, steht die Therapie der Grunderkrankung im Vordergrund. Ist diese gut kontrolliert, verschwindet die Polyglobulie in der Regel von allein.

Auch bei Menschen mit Polyzythämia vera lässt sich die Polyglobulie meist wirksam mit Aderlässen und Blutverdünnern behandeln. Die Krebserkrankung selbst verläuft meistens langsam und hat eine verhältnismäßig gute Prognose. Die Patienten und Patientinnen können häufig ein nahezu normales Leben führen, die mittlere Überlebenszeit beträgt mit Behandlung fast 20  Jahre.