Porphyrie
Unter Porphyrie versteht man eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, bei denen der Körper ein eisenhaltiges Eiweiß namens "Häm" nicht richtig herstellen kann. Als Folge können sich Vorstufen davon im Körper ansammeln und zu Beschwerden führen.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Überblick
Das sogenannte Häm ist ein wichtiger Bestandteil des roten Blutfarbstoffs (Hämoglobin). Der Körper stellt das Eiweiß in mehreren Schritten her. Für jeden Schritt benötigt er ein spezielles Enzym. Bei Betroffenen mit Porphyrie ist jedoch mindestens eines der Enzyme defekt – dadurch kann die Produktion nicht korrekt bis zum Ende ablaufen und Vorstufen von Häm sammeln sich an: die sogenannten Porphyrine.
Der Enzymdefekt, der die Porphyrie verursacht, ist erblich. Das heißt, bei den meisten Betroffenen liegt die Erkrankung bereits von Geburt an vor. Allerdings wird sie oft erst viel später bemerkt, in der Regel erst nach dem 30. Lebensjahr.
Bestimmte Faktoren können dazu führen, dass die Porphyrie Beschwerden bereitet. Mögliche Auslöser sind zum Beispiel bestimmte Medikamente, Hungerzustände (z.B. durch Diäten mit stark gedrosselter Kalorienzufuhr) oder Alkoholmissbrauch.
Es gibt verschiedene Porphyrie-Arten. Medizinisch relevant sind jedoch vor allem die beiden häufigsten Formen, nämlich die akute intermittierende Porphyrie und die chronische hepatische Porphyrie (auch Porphyria cutanea tarda genannt). Sie werden in diesem Text daher näher beschrieben. Die beiden Arten treten bei Männern und Frauen in unterschiedlichem Verhältnis auf. Während von der akuten intermittierenden Porphyrie Frauen häufiger betroffen sind, erkranken an der chronischen hepatischen Porphyrie überwiegend Männer.
Welche Symptome genau auftreten, hängt davon ab, welche Form der Porphyrie beim Betroffenen vorliegt:
- Bei der akuten intermittierenden Porphyrie kann es etwa zu kolikartigen Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen kommen.
- Bei der chronisch-hepatischen Porphyrie reagieren Betroffene dagegen in der Regel sehr empfindlich auf Sonnenlicht. Wenn die Haut mit UV-Strahlung in Kontakt kommt, bildet sie an den entsprechenden Stellen flüssigkeitsgefüllte Bläschen, die Narben hinterlassen.
- Bei beiden Formen scheidet der Körper die überschüssigen Porphyrine wieder aus, wodurch sich Stuhl und Urin rot färben können.
Zwar lässt sich die Ursache der Porphyrie nicht heilen, mit der richtigen Therapie und unter Beachtung vorbeugender Maßnahmen verläuft die Erkrankung jedoch normalerweise ohne Komplikationen.
Was ist das?
Bei einer Porphyrie liegen Enzymdefekte vor. Der Körper kann einen speziellen Teil des eisenhaltigen roten Blutfarbstoffs Hämoglobin – das sogenannte Häm – nicht vollständig oder nur vermindert herstellen, weil der Syntheseweg gestört ist. Als Folge sammeln sich sogenannte Porphyrine – Vorstufen von Häm – in großen Mengen an, die der Körper über Stuhl und Urin wieder ausscheidet. Je nachdem, bei welchem Enzym der Defekt vorliegt, häufen sich unterschiedliche Vorstufen von Häm an. In der Regel ist eine Porphyrie angeboren, hat also genetische Ursachen.
Medizinische Bedeutung haben vor allem zwei Porphyrie-Formen:
- die akute intermittierende Porphyrie (AIP) – auch akute hepatische Porphyrie genannt – und
- die chronische hepatische Porphyrie (Porphyria cutanea tarda).
Häufigkeit
Von einer akuten intermittierenden Porphyrie sind etwa 5 bis 10 von 100.000 Einwohnern betroffen, wobei im Durchschnitt mehr Frauen als Männer daran erkranken (Verhältnis 3:1). Meist macht sich die Erkrankung erst nach dem 30. Lebensjahr bemerkbar.
Die chronische hepatische Porphyrie ist die häufigste Porphyrie-Form: An ihr erkranken etwa 20 bis 50 von 100.000 Einwohnern und davon deutlich mehr Männer als Frauen (Verhältnis 5:1). Die Erkrankung macht sich dabei meist erst nach dem 40. Lebensjahr mit Beschwerden bemerkbar.
Ursachen
Als Porphyrie bezeichnet man eine Stoffwechselerkrankung, durch die ein Teil des roten Blutfarbstoffs, das Häm, nicht hergestellt werden kann. Als Folge sammeln sich die Vorstufen der Häm-Produktion im Körper an beziehungsweise werden vermehrt über Urin und Stuhl ausgeschieden.
Häm
Häm ist der eisenhaltige Bestandteil des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Dank des Hämoglobins können die roten Blutkörperchen Sauerstoff binden und über den Blutkreislauf im ganzen Körper verteilen. Gleichzeitig dient es dem Abtransport von Kohlendioxid.
Die Herstellung von Häm erfolgt in acht Schritten, wobei jeder Schritt ein eigenes Enzym benötigt. Bei Betroffenen mit Porphyrie ist eines dieser Enzyme defekt, sodass die Synthese nicht bis zum Endprodukt Häm durchlaufen werden kann. Auf diese Weise sammeln sich immer mehr Vorstufen der Häm-Synthese an, die sogenannten Porphyrine.
Welche Porphyrine sich genau anhäufen, hängt davon ab, bei welchem Enzym der Defekt vorliegt. Ursache für den Enzymdefekt ist dabei eine Veränderung (Mutation) im Erbmaterial (Gen) des Enzyms. Manchmal sind auch mehrere Enzyme der Häm-Synthese defekt.
Herstellung von Häm: Produktionskette mit 8 Schritten
Glycin + Succinyl-Coa →(Enzym 1) → delta-Aminolävulinsäure →(Enzym 2) → Porphobilinogen →(Enzym 3) → Hydroxmethylbilan →(Enzym 4) → Uroporphyrinogen III →(Enzym 5) → Koproporphyrinogen III →(Enzym 6) → Protoporphyrinogen IX →(Enzym 7) → Protoporphyrin IX →(Enzym 8) → Häm
Bei der akuten intermittierenden Porphyrie ist das dritte Enzym im Häm-Syntheseweg defekt, das heißt, hier bricht die Produktion ab. Die chronisch-hepatische Porphyrie beruht dagegen auf einem Defekt beim fünften Enzym.
Vererbter Enzymdefekt
In den meisten Fällen entsteht eine Porphyrie als Folge eines vererbten Gendefekts, der zu mindestens einem nicht funktionsfähigen Enzym führt. Tatsächlich treten jedoch bei den meisten Trägern dieses Gendefekts gar keine Beschwerden auf. Manchmal bleiben sie ein Leben lang ohne Symptome oder sie sind nur latent, also kaum spürbar erkrankt. Statistisch gesehen bricht zum Beispiel die akute intermittierende Porphyrie nur bei jedem zehnten Träger des Enzymdefekts aus.
Bestimmte Faktoren können dazu führen, dass der bislang unbemerkte Enzymdefekt plötzlich Symptome hervorruft. In der Regel sind das Faktoren, die bewirken, dass der Häm-Bedarf steigt, wodurch der Körper die Häm-Synthese ankurbelt. Zu den möglichen Auslösern zählen zum Beispiel:
- Medikamente (z.B. Barbiturate, Sulfonamide, Beruhigungsmittel)
- Östrogene (z.B. Antibabypille)
- Hungerzustände, z.B. durch Diäten oder Fastenkuren, die mit einer stark gedrosselten Kalorienzufuhr einhergehen
- Rauchen
- körperlicher Stress (z.B. Operationen, Infektionen)
- psychischer Stress
- Alkoholmissbrauch
- Menstruation
- erhöhte Eisenwerte
Die Erkrankung kann sich jedoch manchmal auch ohne genetische Ursachen entwickeln (sog. erworbene oder sekundäre Porphyrie), z.B. als Folge einer Bleivergiftung.
Symptome
Je nachdem, welche Art der Porphyrie beim Betroffenen vorliegt, können die Symptome variieren.
Akute intermittierende Porphyrie (AIP)
Bei einer akuten intermittierenden Porphyrie (AIP) sind zum Beispiel folgende Symptome möglich:
- sehr starke, kolikartige Bauchschmerzen
- Übelkeit
- Erbrechen
- Verstopfung
- Missempfindungen
- Muskelschwäche, Schwächegefühl in den Beinen
- beschleunigter Puls
- Bluthochdruck
- Schlafprobleme
- depressive Beschwerden
Die Beschwerden treten dabei oft schubartig in unregelmäßigen Abständen und unterschiedlich oft auf, bei Frauen häufig kurz vor der Regelblutung.
Bestimmte Faktoren können bei Betroffenen mit akuter intermittierender Porphyrie einen Krankheitsschub auslösen, so etwa:
- Einnahme von bestimmten Medikamenten, wie:
- Barbiturate
- orale Verhütungsmittel (Antibabypille)
- bestimmte Antiepileptika
- Sulfonamide
- hoher Alkoholkonsum
- Infektionen
Chronische hepatische Porphyrie
Daneben treten weitere Symptome auf, wie etwa:
- zu Verletzungen neigende Haut
- starke Hautpigmentierung
- vermehrte Körperbehaarung, v.a. im Bereich der Schläfe und des Jochbeins
Die chronisch-hepatische Porphyrie geht außerdem häufig mit anderen Erkrankungen einher, wie zum Beispiel:
- Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
- Morbus Dupuytren
- wiederkehrende Magengeschwüre (peptische Ulzera)
... sowie seltener auch mit:
- Kollagenosen (Erkrankungen, die mit einer Degeneration des Bindegewebes einhergehen)
- Leberkrebs
- chronischer Nierenschwäche
Diagnose
Ob eine Porphyrie vorliegt, lässt sich neben den Symptomen vor allem anhand einer Urinprobe erkennen. Im Unterschied zu gesundem Urin, ist die Urinprobe eher dunkel oder rötlich und dunkelt noch nach. Im Urin lassen sich außerdem Vorstufen des roten Blutfarbstoffs nachweisen. Eine Gewebeprobe der Leber (Leberbiopsie) kann Porphyrin-Einlagerungen zeigen.
Um sicherzugehen, dass eine genetisch bedingte Form der Porphyrie vorliegt, muss der Arzt Erkrankungen, die sich mit ähnlichen Symptomen äußern können, ausschließen. Zu solchen Erkrankungen zählen zum Beispiel:
- sog. akutes Abdomen (in schweren Fällen lebensbedrohlicher Symptomkomplex mit sehr starken Bauchschmerzen und schockähnlichem Zustand)
- neurologische Erkrankungen
- Panarteriitis nodosa (Entzündung der Blutgefäße)
- Hauterkrankungen
- chronische Lebererkrankungen
- Bleivergiftung
Therapie
Welche Therapie bei einer Porphyrie infrage kommt, hängt davon ab, welche Form der Erkrankung beim Betroffenen vorliegt. Da normalerweise genetische Veränderungen hinter der Porphyrie stecken, ist die eigentliche Ursache zwar nicht heilbar, die Symptome lassen sich jedoch behandeln.
Akute intermittierende Porphyrie (AIP)
Bei der akuten intermittierenden Porphyrie ist es das Hauptziel, die Symptome zu lindern. Unter Umständen erfordert die Behandlung auch einen Krankenhausaufenthalt. Im Rahmen der Therapie können folgende Maßnahmen zum Einsatz kommen:
- Einnahme von möglicherweise Symptom-auslösenden Medikamenten stoppen; zu diesen zählen u.a.:
- Barbiturate
- Diazepam
- Sulfonamide
- Östrogene (z.B. Antibabypille)
- Nitrofurantoin
- Griseofulvin
- Phenytoin
- Phenylbutazon
- Diclofenac
- Halothan
- Imipramin
- Clonidin
- Theophyllin
- Verzicht auf Alkohol
- schmerzlindernde Medikamente, z.B.:
- Infektionen oder andere auslösende Erkrankungen behandeln
- Infusion mit Glukose
- Infusion mit Hämin
Chronische hepatische Porphyrie
Bei Patienten mit chronischer hepatischer Porphyrie versucht man in der Regel, die Menge der Porphyrine im Körper zu senken und dadurch die Symptome in den Griff zu bekommen. Zur Therapie können unter anderem diese Maßnahmen beitragen:
- Einnahme von Symptom-auslösenden Substanzen stoppen (z.B. Alkohol, Antibabypille)
- Aderlass: Beim Aderlass entnimmt man dem Patienten eine bestimmte Menge Blut (ca. 500 ml pro Woche) über eine Vene. Dadurch sinkt die Zahl der roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Als Folge nimmt die Porphyrin-Menge im Körper ab. Der Einsatz von Aderlässen bei Porphyrie ist jedoch umstritten.
- Chloroquin: Der Wirkstoff Chloroquin, der sonst bei Malaria zum Einsatz kommt, hilft dem Körper überschüssige Porphyrine auszuscheiden.
- Schutz vor UV-Strahlung: Starkes Sonnenlicht sollten Patienten meiden; Sonnencremes mit hohem Lichtschutzfaktor sind zu empfehlen.
Verlauf
In der Regel nimmt eine akute intermittierende Porphyrie oder eine chronische hepatische Porphyrie einen günstigen Verlauf, sofern eine Behandlung erfolgt und man vorbeugende Maßnahmen beachtet.
Komplikationen
Unter bestimmten Bedingungen kann es jedoch zu Komplikationen kommen:
- Flüssigkeitsmangel: Während eines Krankheitsschubs kann es bei Patienten mit akuter intermittierender Porphyrie zu Anfällen von Erbrechen kommen und dadurch unter Umständen zu einer starken Austrocknung (Dehydration).
- Atemnot: Bei akuter intermittierender Porphyrie leiden Betroffene bei einem Schub möglicherweise an Muskelschwäche und Lähmungserscheinungen, die sich bis hin zur lebensbedrohlichen Atemlähmung steigern können.
- Nierenschäden: Die übermäßige Porphyrin-Synthese kann die Nieren auf Dauer schädigen. Dies kann sich zum Beispiel äußern durch:
- hohen Blutdruck
- einen niedrigen Natriumspiegel
- Leberschäden: Sammeln sich übermäßig viele Porphyrine in der Leber an, kann diese Schaden nehmen.
- Hautveränderungen: Bei Patienten mit chronischer hepatischer Porphyrie kann es beim Abheilen der Haut zu Veränderungen wie Pigmentstörungen, Milien, Narben oder Haarausfall kommen.
Vorbeugen
Bisher gibt es keine Methoden, mit denen Sie der Ursache einer Porphyrie vorbeugen können.
Wenn Sie bereits von der Erkrankung betroffen sind, können Sie jedoch Symptom-Schübe meist verhindern, wenn Sie einige Dinge beachten:
- Vermeiden Sie Medikamente, von denen Ihnen bekannt ist, dass sie Krankheitsschübe auslösen.
- Verzichten Sie auf Alkohol.
- Rauchen Sie nicht.
- Achtung bei Diäten und Fastenkuren mit sehr niedriger Kalorienzufuhr – sie können Symptome auslösen.
- Vermeiden Sie starke Sonnenstrahlung bzw. ergreifen Sie entsprechende Schutzmaßnahmen (Kleidung, Sonnencreme).
- Lassen Sie Infektionen oder andere Erkrankungen rasch behandeln.
- Vermeiden Sie Stress bzw. achten Sie auf ausreichende Entspannung.
Sollte bei Ihnen nachweislich eine Porphyrie vorliegen, ist ein sogenanntes Familienscreening zu empfehlen: Da die Erkrankung vererbt wird, sind möglicherweise auch andere Familienmitglieder betroffen.