Kind mit Autismus sitzt am Schreibtisch, hört Musik und macht Hausaufgaben.
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Autismus: Anzeichen der Spektrum-Störung bei Erwachsenen und Kindern

Von: Jessica Rothberg (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 22.05.2024 - 15:15 Uhr

Autismus hat viele Ausprägungen und Formen. Fachleute sprechen deshalb von Autismus-Spektrum-Störungen, wozu etwa der frühkindliche und atypische Autismus oder das Asperger-Syndrom zählen. Einige Betroffene können ein weitgehend normales Leben führen, andere sind hingegen ein Leben lang auf Unterstützung angewiesen. Welche Anzeichen sprechen für Autismus und was hilft Betroffenen?

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

FAQ: Häufige Fragen und Antworten zum Thema Autismus

Fachleute unterscheiden zwischen dem frühkindlichen und atypischen Autismus sowie dem Asperger-Syndrom. Eine genaue Zuordnung ist aufgrund der ähnlichen Symptome jedoch häufig schwer.

Betroffene haben oft Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation und weisen stereotype Verhaltensweisen sowie eine verzögerte Sprachentwicklung auf. Viele Menschen mit Autismus halten stark an Routinen fest und gehen intensiv bestimmten Interessen nach. Je nach Form variieren die Symptome stark. 

Nein, Menschen mit Autismus unterscheiden sich grundsätzlich nicht vom Aussehen zu anderen Personen. Anzeichen betreffen lediglich das Verhalten und die soziale Interaktion.

Was ist Autismus?

Autismus zählt laut Definition zu den neurologischen Entwicklungsstörungen. Die Entwicklung von Betroffenen ist dabei in verschiedenen Bereichen stark beeinträchtigt. Das Spektrum autistischer Störungen ist breit gestreut. Einzelne Formen voneinander abzugrenzen, ist nicht immer einfach. 

Autismus-Spektrum-Störung: Unterschiedliche Formen

Die unterschiedlichen Ausprägungen und Schweregrade der einzelnen Autismus-Formen fassen Fachleute unter dem Begriff Autismus-Spektrum-Störung (ASS) zusammen. Folgende Formen gibt es:

  • frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom): Wenn von Autismus die Rede ist, handelt es sich meist um den frühkindlichen Autismus. Frühkindlich heißt die Störung, da sich Beeinträchtigungen vor dem 3. Lebensjahr bemerkbar machen. Etwa zwei bis fünf von 10.000 Kindern leiden unter frühkindlichem Autismus, wobei die Angaben zur Häufigkeit variieren. Insbesondere Jungen sind von dieser Form betroffen.

  • Asperger-Syndrom: Bei dieser oft erst im Schulalter auffallenden Form sind die autistischen Züge milder ausgeprägt als beim frühkindlichen Autismus. Betroffene sind überwiegend männlich. Rund drei von 10.000 Kindern sind betroffen.

  • atypischer Autismus: Diese Störung ähnelt weitgehend dem frühkindlichen Autismus, setzt aber im Vergleich dazu später ein und/oder es treten nicht alle typischen Hauptmerkmale des frühkindlichen Autismus auf.

Eine weitere Autismus-Spektrum-Störung ist das Rett-Syndrom. Es betrifft fast ausschließlich Mädchen. Erste Symptome treten zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 4. Lebensjahr auf. Die normale Entwicklung des Kindes kommt dabei zunächst zum Stillstand. Anschließend bilden sich viele der bereits erworbenen Fähigkeiten wieder zurück. Etwa ein von 10.000 bis 15.000 Mädchen hat das Rett-Syndrom.

Hinweis: Offiziell gibt es die Diagnose Asperger-Syndrom nicht mehr. Dennoch findet der Begriff nach wie vor Anwendung und wird deshalb auch in diesem Artikel thematisiert.

Autismus: Welche Symptome sind kennzeichnend?

Autismus kann sich durch viele Symptome bemerkbar machen. Außerdem können autistische Störungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein – von nur milden autistischen Zügen bis hin zu schweren Behinderungen.

Zwar ist die Bandbreite der möglichen Störungen sehr groß. Dennoch gibt es einige Gemeinsamkeiten. Betroffene

  • haben Schwierigkeiten, Beziehungen mit anderen Menschen einzugehen,
  • sind in der Sprachentwicklung und Kommunikation beeinträchtigt und
  • zeigen immer wiederholende (stereotype) Verhaltensmuster und eingeschränkte Aktivitäten/Interessen.

Gestörte zwischenmenschliche Beziehungen

Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen sind ein typisches Symptom einer Autismus-Spektrum-Störung. Betroffene neigen dazu, sich von ihrer Umwelt abzukapseln. Sie sind nur eingeschränkt oder gar nicht in der Lage, dauerhafte und vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Der Kontakt zu anderen und vor allem gleichaltrigen Kindern wird oft gänzlich abgeblockt. Betroffene Kinder spielen in der Regel lieber allein und meiden Blickkontakt.

Zudem ist das Nachahmungsverhalten bei Kindern mit Autismus nur schwach ausgeprägt, sie winken zum Beispiel beim Verabschieden nicht zurück. Auch haben sie Schwierigkeiten, eigene Gefühle wahrzunehmen und zu äußern.

Menschen mit Autismus sind zudem oft wenig empathisch, es fehlt das Verständnis für die Gedanken, Vorstellungen und Gefühle von anderen. Auch das Einhalten von Regeln und Normen fällt autistischen Menschen häufig schwer. Inwiefern die zwischenmenschlichen Beziehungen beeinträchtigt sind, hängt vor allem von der jeweiligen Form ab. 

Gestörte Kommunikation und Sprache

Vor allem Kinder mit frühkindlichem Autismus zeigen eine gestörte Sprachentwicklung. Sie haben schon im Kleinkindalter Schwierigkeiten, mit anderen zu kommunizieren – viele erwerben nie eine sinnvolle Sprache. Bei anderen entwickelt sich die Sprache verzögert oder stark eingeschränkt: Sie sprechen mit wenig Gefühlsausdruck und ihre Mimik und Gestik beziehen sie beim Sprechen kaum mit ein.

Ein weiteres Merkmal für den frühkindlichen Autismus ist eine ungewöhnlich betonte und tiefe Stimmmelodie. Viele Betroffene benutzen bestimmte Wörter sehr gerne und wiederholen diese immer wieder (Echolalie). Manche erfinden neue Wörter (Neologismen). Häufig verdrehen sie die Bedeutung des Wortes "Du" und meinen eigentlich "Ich" (pronominale Umkehr).

Bei Menschen mit Asperger-Syndrom hingegen entwickelt sich die Sprache normal. Trotzdem weisen auch sie Symptome einer gestörten Kommunikation auf. Betroffene neigen oft zu Selbstgesprächen, reden mit einer auffälligen Sprachmelodie und gehen auf Dritte nur wenig ein. Zudem können sie häufig Sprichwörter, Redewendungen oder Ironie nicht deuten. Dies macht es für ihre Mitmenschen manchmal schwierig, ein Gespräch mit ihnen zu führen.

Begrenzte Interessen, stereotype Bewegungen und Verhaltensweisen

Menschen mit Autismus neigen zu Stereotypie: Sie verspüren den Drang, bestimmte Tätigkeiten immer nach dem gleichen Muster auszuführen. Manche Kinder bewegen eine Hand ständig hin und her, andere wippen ihren ganzen Körper im Sitzen immer wieder vor und zurück. 

Mit normalen Spielsachen beschäftigen sich autistische Kinder in der Regel nicht gerne. Vor allem Menschen mit frühkindlichem Autismus interessieren sich meist mehr für Teilaspekte einer Sache oder haben Spezialinteressen: Zum Beispiel fesselt sie das Rad eines Spielautos mehr als das Auto selbst. In vielen Fällen geht ein frühkindlicher Autismus mit einer geminderten Intelligenz einher.

Häufig hängen Betroffene sehr an Ritualen. Wichtig ist etwa, dass Möbelstücke immer am gleichen Ort stehen. Auf ein plötzliches Umstellen reagieren viele mit emotionalem Stress, was sich unterschiedlich äußern kann. Vor allem bei frühkindlichem Autismus sind Symptome wie große Angst, Wut oder Aggression als Reaktionen auf solche Veränderungen möglich. 

Menschen mit Asperger-Syndrom sind oftmals durchschnittlich intelligent und können in manchen Bereichen sogar eine überdurchschnittliche Intelligenz aufweisen. In einigen Fällen zeigen sie bereits im Vorschulalter ungewöhnliche Interessen, etwa bemerkenswerte Rechenkünste. Trotzdem haben sie oft Lernproblem.

Autismus: Weitere Einschränkungen und Symptome

Menschen mit Autismus haben häufig auch weitere Beschwerden. Zum Beispiel:

Besonders bei Betroffenen mit Asperger-Syndrom sind eine gestörte Aufmerksamkeit, eine Bewegungsunruhe (hyperkinetisches Verhalten) und sogenannte Tic-Störungen zu beobachten.

Autismus: Welche Ursachen können dahinterstecken?

Die genauen Ursachen von Autismus sind noch nicht abschließend erforscht. Einige Faktoren sind jedoch bekannt, welche das Risiko für eine Autismus-Spektrum-Störung erhöhen sollen. Dazu zählen:

  • Einflüsse während der Schwangerschaft: Insbesondere eine Röteln-Infektion, Blutarmut in der Frühschwangerschaft oder die Einnahme bestimmter Medikamente wie Antiepileptika oder Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer sollen das Risiko erhöhen.

  • genetische Faktoren: In manchen Familien kommen ASS gehäuft vor, sodass eine genetische Komponente wahrscheinlich ist.

  • Erkrankungen der Eltern: Stoffwechselkrankheiten und Autoimmunerkrankungen wie Diabetes Typ 1 und Schuppenflechte sowie Krankheiten des Nervensystems wie Epilepsie oder psychische Erkrankungen bei den Eltern scheinen das Risiko für eine ASS beim Kind zu erhöhen.

Diagnose von Autismus oft schwierig

Für Fachleute ist es nicht immer leicht, eine Autismus-Spektrum-Störung zu erkennen. Denn nicht jedes Baby, das kein Interesse für die eigene Umwelt zeigt, ist autistisch. Und auch manche Kindergarten- oder Grundschulkinder möchten gerne für sich sein, ohne dass gleich eine Autismus-Spektrum-Störung dahintersteckt.

Besteht der Verdacht, dass ein Kind Autismus hat, erfolgt zunächst eine Befragung der Eltern nach bestimmten auffälligen Verhaltensweisen, die sie an ihrem Kind beobachtet haben könnten. So ist beispielsweise von Interesse, ob das Kind stereotype Verhaltensweisen zeigt.

Zudem wird das Kind beobachtet und die Ergebnisse in entsprechenden Beurteilungsskalen festgehalten. Spezielle Intelligenz- und Entwicklungstests geben weitere Hinweise auf eine mögliche autistische Störung. So ist der Intelligenzquotient bei Kindern mit frühkindlichem Autismus beispielsweise oft niedriger als beim Durchschnitt.

Andere Erkrankungen können mit Symptomen einhergehen, die an Autismus erinnern, darunter:

  • ADHS
  • Angststörungen
  • Einschränkungen im Hör- oder Sehvermögen

Oft vergeht viel Zeit, bis es Fachleuten gelingt, eine Autismus-Spektrum-Störung sicher festzustellen. In der Regel stellen Kinder- und Jugendpsychiater*innen die Diagnose.

Autismus: Diagnose bei Erwachsenen

Meist erfolgt die Diagnose Autismus bereits im Kindesalter. Bei manchen Erwachsenen mit Autismus kann es jedoch sein, dass die Symptome bis ins höhere Alter unentdeckt bleiben. Möglich ist das etwa, wenn sie sozial gut integriert sind und so Probleme gut kompensieren können. 

Die Autismus-Diagnose bei Erwachsenen ist häufig schwierig, weil Symptome vielfältig sind und mitunter auch für andere psychische Erkrankungen sprechen können. Zudem fehlen oftmals wichtige Informationen zum Verhalten aus der Kindheit. Eine sichere Diagnose kann nur durch Fachleute mit einer hohen Expertise gestellt werden. Mitunter werden auch Angehörige gebeten, bei Untersuchungen und Befragungen teilzunehmen.

Autismus: Maßnahmen zur Therapie

Autismus ist nicht heilbar. Die Störung begleitet Betroffene trotz Therapie ihr Leben lang und schränkt sie mehr oder weniger in ihrem Sozialleben ein.

Dennoch kann eine Therapie bei Autismus viel bewirken. Sie kann:

  • die normale Entwicklung von Betroffenen fördern.
  • Hilfe und Unterstützung im Umgang mit anderen Menschen bieten.
  • eingefahrene (rigide) und sich wiederholende (stereotype) Verhaltensweisen abbauen.
  • die Familien von Betroffenen unterstützen.

Diese Ziele versuchen Psychiater*innen, Psycholog*innen und Pädagog*innen mit unterschiedlichen Methoden zu erreichen. Mögliche Maßnahmen zur Therapie richten sich danach, um welche Autismus-Spektrum-Störung es sich handelt. Darüber hinaus sollte die Behandlung immer individuell an die Person angepasst sein und die jeweiligen Einschränkungen ebenso berücksichtigen wie die persönlichen Stärken.

Verhaltenstraining bei Autismus

Ein Baustein der Autismus-Therapie ist das Verhaltenstraining, eine Methode der Verhaltenstherapie. Ein wichtiges Ziel dieser Behandlung ist, Beziehungen mit anderen Menschen aufzubauen und mit diesen zu kommunizieren. Das Verhaltenstraining funktioniert nach dem sogenannten Belohnungsprinzip. Die betroffene Person erhält für jedes erwünschte Verhalten eine Belohnung (positive Verstärkung). Nimmt das Kind beispielsweise Kontakt mit einem anderen Kind auf, bekommt es eine Belohnung, zum Beispiel in Form eines Spielzeugs.

Die Eltern sind in diese Form der Autismus-Therapie intensiv eingebunden. Dadurch können sie ihr Kind auch in der häuslichen Umgebung bestärken und die Beziehung zu ihm verbessern.

Alternative Therapien bei Autismus

Die Autismus-Therapie kann auch kreative Verfahren einbeziehen: 

  • Ergotherapie
  • Musiktherapie
  • Kunsttherapie
  • Reittherapie (Hippo-Therapie)
  • Krankengymnastik
  • Sprachtraining 

Medikamente als Therapie bei Autismus

Bisher gibt es keine medikamentöse Behandlung, die zuverlässig gegen die Hauptsymptome wirken. Daher kommen Medikamente bei Autismus nur zum Einsatz, um Begleiterscheinungen zu behandeln. So helfen zum Beispiel Neuroleptika und Benzodiazepine, starke Spannungszustände abzubauen und selbstverletzendes Verhalten zu begrenzen. Viele Betroffene haben epileptische Anfälle, die ebenfalls mit Medikamenten behandelt werden.

Wichtig: Nicht jede Person mit Autismus möchte auch geheilt werden. ASS kann auch mit vielen positiven Vorteilen verbunden sein, etwa besonders ausgeprägten analytischen Fähigkeiten, Kreativität oder Loyalität. 

Autismus: Verlauf und Prognose

Wie sich ein Kind mit Autismus entwickelt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zwar bleiben Betroffene in der Regel ein Leben lang beeinträchtigt. Der Verlauf einer autistischen Störung variiert jedoch je nach genauer Form und wie stark die Entwicklung eingeschränkt ist.

Beim Asperger-Syndrom sind die autistischen Züge eher mild ausgeprägt. Betroffene können als Erwachsene ihren Alltag meist selbstständig gestalten und einen Beruf ausüben. Viele leben allerdings isoliert und bauen keine näheren Beziehungen zu anderen Menschen auf, die soziale Interaktion fällt ihnen schwer. 

Betroffene von anderen Autismus-Formen benötigen meist Unterstützung bei ihrer Lebensführung. Vor allem, wenn die geistige Entwicklung zurückgeblieben ist, leben Betroffene häufig in sozialen Einrichtungen. In der Regel können Menschen mit frühkindlichem Autismus keinem normalen Alltag nachgehen. Besserungen treten nur in Einzelfällen auf.