Man sieht eine Hand mit einem Handtrainer und im Hintergrund eine Ärztin mit Klemmbrett und Stift.
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Ergotherapie

Von: Onmeda-Redaktion
Letzte Aktualisierung: 19.01.2022

Ergotherapie ist der Sammelbegriff für alle Arten der Beschäftigungs- und Arbeitstherapie. Die ergotherapeutische Behandlung zielt darauf ab, eingeschränkte körperliche oder geistige Fähigkeiten wiederherzustellen und zu fördern – und so die Behandelten im Alltag möglichst handlungsfähig zu machen und ihre Lebensqualität zu erhöhen.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Überblick

Grundsätzlich kommt die Ergotherapie für alle Kinder, Jugendliche und Erwachsenen infrage, die – infolge eines Unfalls, einer Erkrankung oder Behinderung – zu bestimmten Aktivitäten nur eingeschränkt in der Lage sind und sich nicht selbst versorgen können.

Mithilfe der Ergotherapie können diese Menschen – je nach Defiziten, Fähigkeiten und Motivation – praktische, künstlerische, handwerkliche oder manuelle Tätigkeiten oder den Umgang mit anderen Menschen trainieren. Das Ziel der Behandlung besteht darin, eine größtmögliche Selbstständigkeit im täglichen Leben und im Beruf zu erlangen.

Die Ergotherapie kann in Einzelsitzungen, in Kleingruppen oder als Gruppentherapie stattfinden – je nachdem, wie eingeschränkt und belastbar die Behandelten jeweils sind. Jede Therapie beginnt damit, gemeinsam mit dem Ergotherapeuten einen Therapieplan aufzustellen und darin festzulegen, gegen welche Einschränkung hauptsächlich vorzugehen ist und welche Fertigkeiten besonders zu fördern sind.

Eine Ergotherapie ist stationär oder ambulant möglich – zum Beispiel in Krankenhäusern, Rehabilitationskliniken, Altenheimen oder in einer ergotherapeutischen Praxis. Ärzte können sie als Heilverfahren verordnen.

Dank ihrer vielfältigen Methoden kommt die Ergotherapie für die unterschiedlichsten Anwendungsgebiete in Betracht: So eignen sich ergotherapeutische Verfahren zum Beispiel zur therapeutischen Betreuung von alten Menschen (Geriatrie) oder für Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen. Auch nach Unfällen oder bei neurologischen (die Nerven betreffenden) Erkrankungen kann ein Ergotherapeut dabei helfen, verloren gegangene Fähigkeiten wiederzuerlangen.

Eine Ergotherapie fordert dem Behandelten ein hohes Maß an Mitarbeit ab – sie ist deshalb mitunter sehr anstrengend, sollte aber nie schmerzhaft sein. Es ist die Aufgabe der Ergotherapeuten, die Fähigkeiten und Grenzen ihrer Patienten zu erkennen und die ergotherapeutischen Maßnahmen dementsprechend anzupassen. Eine Behandlung, die nicht individuell zugeschnitten ist, kann zu Überanstrengung und Überforderung und damit letztlich zu Frustrationen führen. Daher ist es wichtig, dass der behandelnde Ergotherapeut gut ausgebildet ist.

Arbeitstherapie

Ein Anwendungsgebiet der Ergotherapie ist die Arbeitstherapie: Deren Zweck ist es, unter wirklichkeitsnahen Bedingungen den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt zu trainieren. Die Arbeitstherapie ist für Menschen empfehlenswert, die aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Erkrankung in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sind. In der Therapie lassen sich folgende Fähigkeiten verbessern beziehungsweise wiederherstellen:

  • Ausdauer, Konzentrationsfähigkeit und Zeitstrukturierung
  • Kontakt-, Durchsetzungs- und Anpassungsfähigkeit
  • Selbstvertrauen und Entscheidungsfähigkeit
  • Feinmotorik, Geschicklichkeit und körperliche Belastbarkeit
  • Rechnen, Schreiben und Organisieren

Eine Arbeitstherapie kann an Kliniken für Psychiatrie, Neurologie und Suchterkrankungen, in Behindertenwerk- und -tagesstätten, Berufsbildungswerken, Strafvollzugsanstalten oder in Praxen für Ergotherapie stattfinden. Sie erstreckt sich meist über einen längeren Zeitraum. Eine Arbeitstherapie ist auch dann sinnvoll, wenn nicht unmittelbar geplant ist, eine Arbeit aufzunehmen.

Ergotherapie in der Geriatrie

Ergotherapie bietet außerdem in der Altersheilkunde (Geriatrie) eine wichtige Behandlungsmöglichkeit. So sind ältere Menschen häufig durch altersbedingte Krankheiten eingeschränkt (wie Schlaganfall, Parkinson, Rheuma, Arthrose, Osteoporose, Alzheimer-Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen). Eine ergotherapeutische Behandlung kann ihnen dann helfen, die größtmögliche Selbstständigkeit und Lebensqualität zu erhalten. Dabei achtet der Ergotherapeut auch darauf, den individuellen Problemen des Alters gerecht zu werden: So müssen ältere Menschen nicht nur mit der nachlassenden Funktion ihrer Sinnesorgane zurechtkommen, sondern haben häufig auch den Verlust eines Partners zu beklagen – weshalb viele dazu neigen, zu vereinsamen. Zudem reagieren ältere Menschen oft depressiv auf den Verlust von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Eine geriatrische Ergotherapie bieten Krankenhäuser, Altenheime, Pflegeheime, Rehabilitationszentren oder ähnliche Einrichtungen an. Welche ergotherapeutischen Anwendungen in der Geriatrie im Einzelfall geeignet sind, hängt ab vom Alter der Betroffenen und von ihren altersbedingten körperlichen, geistigen und psychosozialen Fähigkeiten. Die Therapie kann unter anderem darauf abzielen, ...

  • motorische Fähigkeiten zu fördern und die Grundmobilität zu erhalten
  • geistige Fähigkeiten zu aktivieren: das Gedächtnis zu trainieren und die Konzentration zu fördern
  • größtmögliche Selbstständigkeit zu erhalten – in den Lebensbereichen Essen und Trinken, Körperpflege, Fortbewegung usw.
  • Kontaktfähigkeit, Kommunikation und Orientierung zu erhalten
  • psychisch stabilisierend zu wirken und Hilfestellung bei seelischen Problemen zu bieten

Ergotherapie bei geistiger Behinderung

Die Ergotherapie kann auch bei Menschen mit geistiger Behinderung sinnvoll sein: Die ergotherapeutische Arbeit mit geistig behinderten Menschen zielt darauf ab, deren Persönlichkeit zu stärken sowie deren Fähigkeiten und Möglichkeiten zu verbessern. Dazu hilft der Ergotherapeut den Behandelten, Erfahrungen zu machen, die sie sich nicht eigenständig aneignen können. Bevor die Therapie beginnt, prüft der Ergotherapeut genau, welche Lebensgestaltungsmöglichkeiten, Aussichten und Erwartungen die jeweilige Person hat.

Ergotherapeuten arbeiten in den verschiedensten Einrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung – zum Beispiel in Sonderschulen, Behindertenwerkstätten, Wohn- und Freizeiteinrichtungen und Tagesförderstätten. Um die eingeschränkten Funktionen und Fähigkeiten wiederherzustellen, stehen für die Ergotherapie bei geistiger Behinderung verschiedene Behandlungsansätze zur Verfügung:

  • "basale Stimulation", das heißt Sinneswahrnehmungen bei wahrnehmungsbeeinträchtigen Menschen anzuregen
  • Wahrnehmungsbehandlung nach Avres, Frostig oder Affolter
  • Behandlung von Körperschemastörungen (gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers)
  • physiotherapeutisches Training nach Bobath zum Abbau "falscher" Bewegungsmuster
  • Koordinationstraining, Übungen zur Grob- und Feinmotorik
  • psychosoziale Verfahren
  • Training der Arbeitsfähigkeit
  • Training im lebenspraktischen Bereich

Ergotherapie in der Neurologie

Die Ergotherapie ist auch in der Nervenheilkunde (Neurologie) eine wichtige Behandlungsmethode: Vor allem Menschen mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems (= Gehirn und Rückenmark) – wie Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Querschnittslähmung, Parkinson-Krankheit, multiple Sklerose und Polyneuropathie – können häufig von einer ergotherapeutischen Behandlung profitieren. Dabei ist allerdings Geduld gefragt: Nervenerkrankungen und -verletzungenVerletzungen führen in der Regel zu vielschichtigen Störungen, die sich nur sehr langsam und selten vollständig zurückbilden.

Hauptziel der Ergotherapie in der Neurologie ist, verlorene Fähigkeiten wie Bewegung, Sinneswahrnehmungen, Merkfähigkeit, Konzentration, Gedächtnis, Lesen und Schreiben wiederzuerlangen beziehungsweise zu verbessern. Unter Einsatz verschiedener Medien und Therapiemittel können ergotherapeutische Methoden beispielsweise bei Folgendem helfen:

  • ungünstige Bewegungsmuster hemmen und günstige aufbauen
  • die Aufnahme und Verarbeitung von Sinnesreizen anregen
  • die Greiffunktion der Hände trainieren
  • alltägliche Dinge üben – wie Waschen, Ankleiden oder Essen
  • die Konzentration, Orientierungs- und Merkfähigkeit verbessern

Ergotherapie in der Orthopädie und nach Unfällen

Mithilfe der Ergotherapie lassen sich auch Störungen des Bewegungsapparats im Bereich der Orthopädie/Traumatologie behandeln – stationär oder ambulant in orthopädischen und chirurgischen Kliniken und Rehabilitationskliniken, in Sonderschulen und Körperbehindertenzentren sowie in ergotherapeutischen Praxen. Typische Anwendungsbereiche der Ergotherapie in der Orthopädie und nach Unfällen sind:

Wenn die Ergotherapie in der Orthopädie und nach Unfällen zum Einsatz kommt, zielt sie darauf ab, die Beweglichkeit wiederherzustellen und die Muskulatur zu kräftigen. Gleichzeitig fördert die ergotherapeutische Behandlung die Geschicklichkeit und Koordination vor allem der Hände und Finger. Darüber hinaus kann der Ergotherapeut dem Behandelten beibringen, sich so schonend und schmerzarm wie möglich zu bewegen und weitere Schäden zu vermeiden beziehungsweise zu vermindern.

Ist eine volle Wiederherstellung nicht mehr möglich, lassen sich in der Ergotherapie Strategien entwickeln, um die Ausfälle auszugleichen. Dabei vermittelt der Ergotherapeut auch den richtigen Umgang mit Hilfsmitteln wie Prothesen, Handschienen und Haushaltshilfen.

Ergotherapie bei Kindern

Von einer Ergotherapie können alle Menschen profitieren, die geistig oder körperlich eingeschränkt sind – egal, wie alt sie sind. Daher ist die Ergotherapie bei Kindern und Jugendlichen mit entsprechenden Einschränkungen ebenfalls sinnvoll: Hierbei ermittelt der Ergotherapeut den Entwicklungsstand und achtet gleichzeitig auf das soziale Umfeld der Kinder. Mithilfe des Ergotherapeuten sollen die Kinder dann spielerisch an ihren Defiziten arbeiten und ihre Fähigkeiten weiter ausbauen. Damit kann die ergotherapeutische Behandlung Kindern und Jugendlichen helfen, sich zu selbstständigen und handlungsfähigen Erwachsenen zu entwickeln.

Der Ergotherapeut behandelt nach bestimmten Behandlungskonzepten beziehungsweise -ansätzen wie Bobath, Avres, Castillo-Morales, Affolter, Frostig oder Montessori. Die Ergotherapie bei Kindern verfolgt unter anderem folgende Ziele:

  • die Bewegungsabläufe und die Koordination des Kindes zu verbessern,
  • die Sinneswahrnehmung zu schulen und zu verbessern,
  • Konzentration, Ausdauer und verstandesmäßige Leistungen zu stärken,
  • das Kind zu motivieren und sein Neugierde anzuregen,
  • eine Eingliederung in Familie und Umwelt zu erreichen sowie
  • dem Kind zu größtmöglicher Selbstständigkeit im Alltag, in der Schule und im weiteren Umfeld zu verhelfen.

Die Ergotherapie bei Kindern erfordert eine enge Zusammenarbeit der Erzieher, Lehrer, Therapeuten und Eltern. Sie kann in Sonderschulen und -kindergärten, Frühförderstellen, Kinderkliniken, Rehabilitationszentren, Kinderheimen, sozialpädiatrischen Zentren oder ergotherapeutischen Praxen erfolgen.

Ergotherapie bei geistigen und seelischen Störungen

Die Ergotherapie kommt auch in der Psychiatrie und Psychosomatik zum Einsatz – also bei geistigen und seelischen Störungen. Hier zielt die ergotherapeutischen Behandlung darauf ab, emotionale, soziale und geistige Fähigkeiten aufzubauen. Als Behandlungsort kommen stationäre Einrichtungen, Tages- oder Nachtkliniken, Wohnheime, Tagesstätten, sozialpsychiatrische Zentren, ergotherapeutische Praxen, Beratungsstellen und arbeits- und berufsrehabilitativen Einrichtungen infrage. Die Anwendungsgebiete der Ergotherapie sind vielfältig – dazu gehören zum Beispiel:

Zur Ergotherapie bei geistigen und seelischen Störungen stehen verschiedene Behandlungsansätze zur Verfügung – für welchen sich der Ergotherapeut entscheidet, hängt vom Krankheitsbild und von der Situation des Betroffenen ab. So soll zum Beispiel die kompetenzzentrierte, lebenspraktische und alltagsorientierte Ergotherapie bei der Ausbildung verloren gegangener oder nicht vorhandener Fähigkeiten helfen – wie der Orientierung und dem Bezug zur Realität. Subjektbezogen-ausdruckszentrierte Methoden hingegen helfen dem Betroffenen, seine Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle zu erkennen und zum Ausdruck zu bringen.

Zudem können in der Ergotherapie bei geistigen und seelischen Störungen wahrnehmungszentrierte Methoden zum Einsatz kommen, bei denen Sinneseindrücke im Vordergrund stehen: Der Ergotherapeut leitet den Betroffenen an, sich auf seine Wahrnehmung zu konzentrieren und neue Sinneserfahrungen zu machen. Die wahrnehmungszentrierte Methode hilft, die Körperwahrnehmung zu verbessern, und wirkt unter anderem auf das Denken, Fühlen, Handeln, die Gefühle und die Kontaktfähigkeit. Weitere mögliche Behandlungsansätze sind:

  • symptombezogen-regulierende Methoden
  • soziozentriert-interaktionelle Methoden
  • psycho- und körpertherapeutisch orientierte Methoden

Risiken und Komplikationen

Die Ergotherapie ist mit keinen besonderen Risiken verbunden. Es können sich allerdings Komplikationen ergeben, wenn die ergotherapeutischen Maßnahmen die Belastungsgrenzen des Behandelten überschreiten. Dann gilt es, die Behandlung entsprechend anzupassen.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Ergotherapie ist, dass der Behandelte genug Motivation und Einsatz zeigt. Die ergotherapeutische Behandlung fordert von dem Betroffenen ein hohes Maß an Mitarbeit. Unter Umständen kann dann ein Gefühl der Überforderung aufkommen – zumal schon die Umstände, die zur Ergotherapie geführt haben, meist sehr belastend sind. In diesem Fall besteht das Risiko von Frustration, Rückzug und abnehmender Bereitschaft zur Mitarbeit. Ein guter Ergotherapeut reagiert darauf, indem er die Situation erneut bewertet und eventuell die Behandlungsziele neu festlegt.