Hochstapler-Syndrom: Symptome, Ursachen & Tipps
"Ich hatte einfach nur Glück." – Gedanken wie diese sind typisch für Menschen, die am Hochstapler-Syndrom leiden. Dabei handelt es sich um ein psychisches Phänomen, bei dem Betroffene zu massiven Selbstzweifeln neigen und an ihren eigenen Fähigkeiten zweifeln. Sie befürchten, ihren Erfolg nicht zu verdienen und leben in der ständigen Angst, als Hochstapler*in aufzufliegen. Lesen Sie hier, wie sich das Syndrom äußert und wie sich die selbstablehnenden Denkmuster durchbrechen lassen.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
FAQ: Häufig gestellte Fragen zum Hochstapler-Syndrom
Fachleute vermuten eine Kombination aus Veranlagung und äußeren Einflüssen: Menschen, die ohnehin zu Eigenschaften wie Perfektionismus neigen und schon in der Kindheit häufig mit Leistungsdruck konfrontiert wurden, haben etwa ein hohes Risiko, das Hochstapler-Syndrom zu entwickeln.
Führen Sie Ihre eigene Leistung auf Glück oder Zufall zurück und befürchten, Ihre Mitmenschen haben ein falsches (zu "positives") Bild von Ihren Fähigkeiten? Fällt es Ihnen schwer, Lob anzunehmen? Dann ist es möglich, dass Sie am Impostor-Syndrom leiden.
Ist der Leidensdruck der Betroffenen sehr stark ausgeprägt, kann eine Psychotherapie ratsam sein – auch, weil das Hochstapler-Syndrom häufig in Kombination mit weiteren psychischen Störungen auftritt. Auch kann es helfen, ein Erfolgstagebuch anzulegen, in dem alle erbrachten Leistungen verschriftlicht werden. So fällt es leichter, Gefühle von Fakten zu trennen.
Bislang wird das Hochstapler-Syndrom nicht als psychische Störung gelistet. Obwohl das Syndrom nicht als Erkrankung anerkannt wird, geht das Hochstapler-Syndrom häufig mit einem hohen Leidensdruck einher.
Was ist das Hochstapler Syndrom?
Das Hochstapler-Syndrom wird auch als Impostor-Syndrom (engl. von imposter syndrome), Mogelpackungssyndrom oder Betrüger-Phänomen bezeichnet. Anders, als der Name vermuten lässt, handelt es sich bei den Betroffenen nicht um Hochstapler*innen, sondern vielmehr um Personen, die besonders tief stapeln.
Menschen, die unter dem Hochstapler-Syndrom leiden, führen ihre Erfolge nicht auf die eigenen Kompetenzen zurück, sondern auf externe Faktoren wie Zufälle oder Glück. Dieses Selbstkonzept steht im Widerspruch zur objektiven Realität: Ein Kriterium des Hochstapler-Syndroms ist, dass betroffene Personen tatsächlich erfolgreich und kompetent sind, sie dies aber anders wahrnehmen. Zudem leben sie in der ständigen Angst, aufzufliegen und in den Augen ihrer Mitmenschen als Hochstapler*in dazustehen. Sie sind der festen Überzeugung, ihren Erfolg nicht verdient zu haben.
Erstmals wurde das Syndrom 1978 benannt, unter anderem durch die US-amerikanische Psychologin Pauline Clance. Anfangs nahm man an, dass es sich beim Hochstapler-Syndrom um ein unveränderliches Persönlichkeitsmerkmal handelt. Heute sieht man darin ein Denkmuster, das als Reaktion auf bestimmte Ereignisse auftritt und durchaus therapierbar ist.
Wer ist vom Hochstapler-Syndrom betroffen?
Statistiken zufolge machen mindestens 70 Prozent der Menschen einmal im Leben die Erfahrung, sich wie ein*e Hochstapler*in zu fühlen. Aktuelle Studien zeigen, dass das Phänomen in jedem Geschlecht, Alter und sozialen Stand auftritt. Manchmal tritt das Hochstapler-Syndrom nur für einen bestimmten Zeitraum auf, etwa, wenn ein Jobwechsel oder ein Umzug stattfindet und sich der*die Betroffene mit einer neuen Situation konfrontiert sieht.
Hochstapler-Syndrom im Beruf
Besonders häufig tritt das Hochstapler-Syndrom im Arbeitskontext auf. Grundsätzlich können alle Berufsgruppen betroffen sein. Meist ist die Störung aber in Bereichen verbreitet, in denen kognitive Eigenschaften wie Intelligenz oder Kreativität als wichtiges Erfolgskriterium angesehen werden. Zudem kommt das Impostor-Syndrom vor allem unter Führungskräften vor.
Übrigens: Auch bekannte Schauspieler*innen wie Emma Watson, Kate Winslet oder Tom Hanks haben öffentlich kommuniziert, dass sie unter dem Hochstapler-Syndrom leiden.
Hochstapler-Syndrom: Gegenteil zum Dunning-Kruger-Effekt
Ein starker Kontrast zum Hochstapler-Syndrom findet sich im sogenannten Dunning-Kruger-Effekt: Dieses Phänomen beschreibt Menschen, die besonders von sich überzeugt sind, aber eigentlich keine Kompetenzen im entsprechenden Bereich vorweisen können. Dabei handelt es sich – genau wie beim Hochstapler-Syndrom – um eine kognitive Wahrnehmungsverzerrung. Mit dem Unterschied, dass die Betroffenen nicht von Selbstzweifel und Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten geplagt sind, sondern sich eher überschätzen. Sie haben eine unkritische Haltung zu sich selbst und zugleich ein hohes Bedürfnis nach Anerkennung und Bestätigung.
Fachleute gehen davon aus, dass hinter diesem Verhalten ähnliche Ursachen stecken, wie hinter dem Hochstapler-Syndrom: Unsicherheit. Forschende vermuten, dass diese Denkmuster aufgrund der sozialen Medien immer häufiger auftreten. Denn online präsentieren viele Menschen nur ihre besten Seiten, statt die eigenen Schwächen und Ängste preiszugeben. Das erzeugt Druck: Misserfolg passt nicht in die vermeintliche Norm.
Typische Anzeichen für das Hochstapler-Syndrom
Folgende Symptome sind typisch für Menschen, die am Impostor-Syndrom leiden:
1. Das Gefühl, den eigenen Erfolg nicht zu verdienen
Menschen mit Hochstapler-Syndrom befürchten, bei ihren eigenen Leistungen handele es sich nur um eine Mogelpackung. Sie können sich über ihre Leistungen kaum freuen und empfinden selten Stolz. Vielmehr reden sie ihre Erfolge klein und externalisieren sie, was bedeutet, dass sie äußere Umstände wie Glück für ihren Erfolg verantwortlich machen. Das können beispielsweise Gedanken sein wie:
- "Der Prüfer hatte sicherlich nur einen guten Tag."
- "Den Job habe ich nur bekommen, weil das Unternehmen in Not war und keine Zeit hatte, um weiterzusuchen."
- "Die Klausur war total einfach. Jeder hätte eine gute Note bekommen."
Anstatt sich selbst auf die Schulter zu klopfen, sind betroffene Personen gedanklich oft schon mit der nächsten Herausforderung beschäftigt, die ihre vermeintliche Inkompetenz erneut auf die Probe stellt.
2. Die Unfähigkeit, Lob anzunehmen
Betroffene können häufig kein Lob annehmen. Sie gehen davon aus, dass ihre Mitmenschen ihre Fähigkeiten überschätzen. Zudem sorgen Anerkennung und Zuspruch dafür, dass die Angst des vermeintlichen Auffliegens als Betrüger*in immer größer wird – ganz nach dem Motto "Wer hoch stapelt, fällt tief." Paradoxerweise stapeln Betroffene aber meist sehr tief.
3. Die Meinung anderer ist wichtig
Auch, wenn Lob nicht angenommen wird, ist Menschen mit Hochstapler-Syndrom in der Regel wichtig, was andere von ihnen denken. Kritik wird beispielsweise meist angenommen: Der*die Betroffene fühlt sich dadurch erst recht in der Annahme bestätigt, dass ihr Erfolg nur auf Lügen oder Glück aufbaut.
4. Hang zum Perfektionismus
Menschen, die am Hochstapler-Syndrom leiden, setzen die eigene Messlatte oft sehr hoch. Die Erwartungen, die sie an sich selbst haben, sind höher als die an andere. Die eigenen Bedürfnisse werden hinten angestellt. Im Vordergrund steht die ständige Leistungsfähigkeit – Pause wird als Stillstand angesehen, der wiederum die Gefahr des vermeintlichen Auffliegens birgt.
Betroffene haben zudem die Angewohnheit, sich permanent mit anderen zu vergleichen. Auch besteht das Bedürfnis, der*die Beste zu sein, da sie ihren Erfolg aus eigener Sicht sonst nicht verdienen. Aufgrund des niedrigen Selbstbewusstseins und der Annahme, die eigenen Fähigkeiten reichen nicht aus, wird besonders hart gearbeitet. Menschen, die am Hochstapler-Syndrom leiden, überprüfen dann wieder und wieder bis ins kleinste Detail, ob sie auch alles richtig gemacht haben.
5. Hang zur Prokrastination
Neben Perfektionismus ist Prokrastination – der krankhafte Drang, Dinge immer wieder aufzuschieben – eine weitere Bewältigungsstrategie, um mit dem Leidensdruck umzugehen. Denn mit jedem Erfolg steigt auch der Druck, diese Leistung aufrechterhalten zu müssen. Gelingt dies nicht, besteht die Angst, als Hochstapler*in enttarnt zu werden. Um diese Situation zu vermeiden, schieben einige Betroffene ihre Arbeit immer wieder auf.
Ursachen des Hochstapler-Syndroms
Psycholog*innen beschreiben das Impostor-Syndrom als eine Kombination aus
- Umweltfaktoren
- und genetischer Veranlagung.
Wer beispielsweise sowieso schon perfektionistische Tendenzen aufweist und zusätzlich über ein geringes Selbstwertgefühl verfügt – etwa aufgrund fehlender Anerkennung in der Kindheit – ist möglicherweise gefährdet, dieses Persönlichkeitsmerkmal zu entwickeln.
Biographische Ursachen
Ein Großteil der Betroffenen gibt an, als Kind nur dann Anerkennung und Zuneigung erhalten zu haben, wenn gute Leistungen erbracht wurden. In einigen Fällen scheint das Syndrom auch durch besonders begabte oder intelligente Geschwister ausgelöst zu werden, sodass sich die*der Betroffene im Schatten sieht.
7. Die Unfähigkeit, um Hilfe zu bitten
Jeder Mensch benötigt hin und wieder Unterstützung. Menschen, die am Hochstapler-Syndrom leiden, bitten allerdings nie oder nur selten um Hilfe. Denn aus ihrer Sicht müssten sie jede Hürde eigenständig lösen können. Andernfalls würden sie ja als Hochstapler*innen auffliegen.
Folgen des Hochstapler-Syndroms
Obwohl das Hochstapler-Syndrom nicht als Erkrankung gelistet ist, kann es mit einem hohen Leidensdruck einhergehen und sich unmittelbar auf die Lebensqualität der Betroffenen auswirken. Untersuchungen zeigen, dass das psychologische Phänomen häufig in Kombination mit einer anderen Störung auftritt (komorbide Störungen), etwa mit
- Angstzuständen,
- Depressionen,
- Essstörungen,
- einer Sozialphobie oder
- dem Burnout-Syndrom.
Typisch bei Impostor-Syndrom: Ein hohes Stresslevel
Zudem fühlen sich betroffene Personen oft ausgelaugt und überfordert. Denn sich selbst und anderen permanent etwas beweisen zu müssen, um nicht als vermeintliche*r Betrüger*in aufzufliegen, kostet eine Menge Energie. Dazu kommt, dass die typischen Denkmuster ("Ich bin nicht gut genug.") zu immer größeren Leistungen anspornen. Um diese zu erreichen, setzen sich Betroffene einem hohen Stresslevel aus.
Belastende Folge des Hochstapler-Syndroms: Soziale Isolation
Auch vernachlässigen Menschen, die am Hochstapler-Syndrom leiden, häufig ihre Sozialkontakte und ziehen sich zurück. Grund dafür ist die Angst, sie könnten in eine Prüfungssituation geraten, in der ihre angebliche Inkompetenz auffliegt.
Betroffene lassen Chancen bewusst verstreichen
Die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, Gehaltsverhandlungen, die Aussicht auf einen Karrieresprung: Betroffene neigen aus Angst vor dem Versagen dazu, solche Chancen verstreichen zu lassen. Lieber verharren sie in ihrer beruflichen Position, als “aufzufliegen”. Viele berufliche Herausforderungen und werden vermieden, da neue Projekte und Tätigkeiten mit Unsicherheiten einhergehen.
Therapie beim Hochstapler-Syndrom
Ob und welche Therapie beim Hochstapler-Syndrom infrage kommt, hängt von der Ausprägung der Symptome sowie vom Leidensdruck der Betroffenen ab. Eine Psychotherapie kann sinnvoll sein, wenn der (berufliche) Alltag eingeschränkt ist und man den übermäßigen Selbstzweifeln ohne Hilfestellung nicht entkommt. Vor allem, wenn daneben noch andere psychische Belastungen auftreten, sollte sich niemand scheuen, Hilfe eines*einer Psychotherapeut*in in Anspruch zu nehmen.
Treten nur hin und wieder Tendenzen des Hochstapler-Syndroms auf, können Betroffene zunächst versuchen, die Denkmuster eigenständig aufzubrechen. Folgende Tipps können dabei helfen.
- Sich das Problem bewusst machen: Wer in selbstablehnenden Denkmustern gefangen ist, wird diese Einstellung nicht von heute auf morgen ablegen. Machen Sie sich deshalb zunächst bewusst, dass es das Impostor-Syndrom gibt und Sie womöglich davon betroffen sind. Wenn Sie einen hohen Leidensdruck verspüren, sollten Sie diesen nicht einfach hinnehmen.
- Lernen, Fehler zu akzeptieren: Versuchen Sie, Fehler als Lernprozesse zu betrachten, die zu jeder Entwicklung dazugehören. Würden Sie von einer nahestehenden Person dieselbe Leistungsfähigkeit erwarten, wie von sich selbst? Wenn Sie diese Frage mit einem klaren "Nein" beantworten können, sollten Sie mit sich selbst vermutlich auch weniger streng sein.
- Ansprüche zurückschrauben: Stecken Sie sich kleinere Ziele, die gut zu erreichen sind und scheuen Sie sich nicht, diese zu überprüfen und anzupassen.
- Zwischen Fakten und Gefühlen unterscheiden: Ihr persönliches Gefühl entspricht nicht unbedingt der Realität. Wenn Sie sich selbst häufig als inkompetent erleben, kann es helfen, ein Erfolgstagebuch anzulegen. Welche Leistungen haben Sie erbracht? Welches Feedback haben Sie erhalten?
- Lob annehmen: Versuchen Sie, Komplimente und Lob nicht herunterzuspielen. Bedenken Sie auch: Wenn Sie Ihre eigene Leistung nicht als solche anerkennen, stellen Sie damit auch die Kompetenz Ihrer lobenden Mitmenschen infrage.
- Um Hilfe bitten: Auch, wenn es Ihnen schwerfällt, fragen Sie nach Unterstützung. Sie werden sehen, dass man Sie deshalb nicht für inkompetent hält.
- Über das Impostor-Syndrom sprechen: Das Gefühl, mit diesem Leidensdruck nicht allein zu sein, kann bereits ein wichtiger Schritt sein, um die entsprechenden Denkmuster abzulegen. Versuchen Sie daher, offen mit Ihren Ängsten umzugehen.