Jemand betastet die eigenen Hände.
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Marfan-Syndrom – Wenn das Bindegewebe geschwächt ist

Von: Dr. rer. nat. Brit Neuhaus (Medizinautorin und Biologin)
Letzte Aktualisierung: 17.06.2022

Das Marfan-Syndrom ist eine seltene Erkrankung des Bindegewebes. Sie wirkt sich auf verschiedene Organe aus, insbesondere Herz und Blutgefäße, Augen und Bewegungsapparat. Welche Komplikationen das Marfan-Syndrom verursacht und wie es sich behandeln lässt, erfahren Sie hier.

Was ist das Marfan-Syndrom?

Bindegewebe kommt nahezu überall im Körper vor. Seine Aufgabe besteht darin, verschiedene Gewebe miteinander zu verbinden, sie zu stützen und ihnen Stabilität zu verleihen. Bei Menschen mit Marfan-Syndrom ist ein für das Bindegewebe unverzichtbares Protein, das Fibrillin-1, defekt. Dadurch verliert das Bindegewebe an Festigkeit und ist weniger elastisch. Dies führt zu Komplikationen an verschiedenen Organen und Strukturen, insbesondere an

Häufigkeit des Marfan-Syndroms

Vom Marfan-Syndrom sind etwa ein bis zwei von 10.000 Menschen betroffen, Männer und Frauen erkranken gleich häufig. In den meisten Fällen vererben Eltern, die selbst mit Marfan-Syndrom leben, die Krankheit an ihr Kind weiter. Nur in etwa einem Viertel der Fälle tritt die Erkrankung innerhalb einer Familie spontan neu auf. Hat ein Elternteil das Marfan-Syndrom, besteht für jedes Kind eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, ebenfalls zu erkranken. 

Welche Symptome treten beim Marfan-Syndrom auf?

Da Bindegewebe überall im Körper vorkommt verursacht das Marfan-Syndrom verschiedenste Symptome. Diese sind aber von Mensch zu Mensch unterschiedlich stark ausgeprägt. Außerdem muss nicht jedes Symptom bei jedem*jeder Erkrankten auftreten und auch das Erkrankungsalter variiert bei den Betroffenen.

Veränderungen am Skelett zählen häufig zu den ersten Anzeichen, mit denen sich das Marfan-Syndrom bemerkbar macht. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Hochwuchs
  • schmaler, schlanker Körperbau
  • lange, schmale Finger (Spinnenfingrigkeit)
  • lange Arme, Beine und Füße
  • langer Schädel mit verkleinertem Kiefer
  • übermäßig dehnbare Gelenke
  • Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose)
  • Verformungen der Brust (z. B. Trichter- oder Kielbrust)
  • Fehlstellungen des Fußes (z. B. Plattfuß oder Senkfuß)

Außerdem kommt es bei Menschen mit Marfan-Syndrom häufig zu Komplikationen an Herz und Gefäßen, an den Augen, der Lunge und der Haut:

Was verursacht das Marfan-Syndrom?

Ursache für das Marfan-Syndrom sind Mutationen, also Veränderungen im Erbgut. Das davon betroffene Gen enthält die Bauanleitung für das Protein Fibrillin-1. Diese Proteine sind ein wichtiger Bestandteil des Bindegewebes. Sie lagern sich dort zu langen Fasern zusammen, die Fachleute als Mikrofibrillen bezeichnen. Mikrofibrillen sind für die Elastizität des Bindegewebes wichtig. Außerdem verleihen sie bestimmten Organen und Geweben Stabilität und Festigkeit. Dazu zählt zum Beispiel das Aufhängeband (Zonulafasern), an dem die Augenlinse befestigt ist.

Bei Menschen mit Marfan-Syndrom entstehen durch Fehler in der Fibrillin-1-Bauanleitung Defekte an den Mikrofibrillen, sodass diese ihre Funktion nicht mehr richtig erfüllen können. 

Wie erfolgt beim Marfan-Syndrom die Diagnose?

Aufgrund der unterschiedlichen Symptome ist das Marfan-Syndrom oft nicht leicht zu erkennen. Da es sich um eine Erbkrankheit handelt, kann eine Familienanamnese erste Hinweise liefern. Aufschlussreich sind auch die für die Erkrankung typischen Veränderungen von Skelett und Körperbau. Als diagnostischer Test spielt hier zum Beispiel das sogenannte Handgelenkszeichen eine Rolle: Wenn der*die Patient*in mit dem Daumen und dem kleinen Finger das Handgelenk des anderen Arms umfasst, überlappen die beiden Finger in der Regel, wenn tatsächlich ein Marfan-Syndrom vorliegt.

Weitere Anhaltspunkte liefert die Untersuchung des Herzens. Mit dem Stethoskop lassen sich beispielsweise Herzrhythmusstörungen und Herzgeräusche aufgrund defekter Herzklappen feststellen. Besteht der Verdacht auf ein Marfan-Syndrom, ist außerdem ein Herzultraschall (Echokardiographie) erforderlich. Damit lassen sich nicht nur Herzklappendefekte genauer untersuchen, sondern auch die typischen Veränderungen an der Hauptschlagader nachweisen.

Wichtig beim Marfan-Syndrom: Verlaufskontrollen

Ein Herzultraschall gehört zusammen mit anderen bildgebenden Verfahren wie Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) auch zu den regelmäßigen Verlaufskontrollen beim Marfan-Syndrom. Diese sind erforderlich, um potenziell lebensgefährlichen Komplikationen vorzubeugen, wie zum Beispiel einem Riss der aufgeweiteten Hauptschlagader.

In der Regel erfolgt die endgültige Diagnose des Marfan-Syndroms anhand der sogenannten Gent-Kriterien. Diese umfassen alle für die Erkrankung relevanten und typischen körperlichen und organischen Veränderungen. Ist eine bestimmte Anzahl an Kriterien erfüllt, gilt die Diagnose als gesichert. Sie lässt sich zudem durch eine genetische Untersuchung bestätigen, bei dem das Erbgut auf Mutationen im Fibrillin-1-Gen untersucht wird.

Wie sieht die Behandlung beim Marfan-Syndrom aus?

Da das Marfan-Syndrom auf einem Gendefekt beruht, lässt sich die Erkrankung nicht heilen. Allerdings lassen sich die Folgeerkrankungen und Komplikationen, die die Bindegewebserkrankung nach sich zieht, in der Regel gut behandeln.

So lässt sich die fortschreitende Erweiterung der Hauptschlagader zum Beispiel medikamentös mithilfe von Betablockern eindämmen. Das sind Wirkstoffe, die den Blutdruck senken. Besteht die Gefahr, dass die Aorta reißt, ist unter Umständen ein chirurgischer Eingriff erforderlich. Auch Komplikationen an Skelett und Augen lassen sich operativ korrigieren, wie zum Beispiel eine Wirbelsäulenverkrümmung, eine Verformung des Brustkorbs oder eine Linsenverschiebung.

Um bei Kindern mit Marfan-Syndrom das übermäßige Längenwachstum zu bremsen, kann eine Behandlung mit Hormonen sinnvoll sein. 

Wie verläuft das Marfan-Syndrom?

Der Verlauf und die Ausprägung der Symptome sind beim Marfan-Syndrom individuell sehr unterschiedlich: Einige Menschen haben kaum Beschwerden, andere zeigen das volle Spektrum der möglichen Symptome und Komplikationen.

Problematisch sind vor allem Folgeerkrankungen, die die Herzklappen und die Hauptschlagader betreffen. Ist beispielsweise die Hauptschlagader stark erweitert, kann das Gefäß reißen. Aufgrund der starken Blutung ist dieser Zustand lebensbedrohlich.

Veränderungen an Herzklappen und Aorta zählen damit zu den wichtigsten Faktoren, die die Lebenserwartung beim Marfan-Syndrom einschränken: Unbehandelt werden Menschen mit der Bindegewebserkrankung im Schnitt etwa 40 bis 50 Jahre alt. Bei optimaler medizinischer Versorgung ist die Prognose aber wesentlich günstiger und die Lebenserwartung fast normal. Für betroffene Patienten und Patientinnen ist es deshalb besonders wichtig, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, insbesondere in einer auf Herzkrankheiten spezialisierten kardiologischen Praxis, wahrzunehmen.

Lässt sich dem Marfan-Syndrom vorbeugen?

Da dem Marfan-Syndrom Mutationen zugrunde liegen, lässt sich der Erkrankung nicht vorbeugen. Allerdings ist es für Betroffene ratsam, einige Dinge zu beachten, um das Risiko für schwerwiegende Komplikationen zu verringern. So ist es wichtig, bestimmte körperliche Belastungen und Sportarten zu vermeiden, da sie das Risiko eines Aortenrisses erhöhen. Dazu zählen zum Beispiel schweres Heben, Kraft- oder Kontaktsport.

Ebenfalls wichtig sind kardiologische und augenärztliche Verlaufsuntersuchungen, da das Marfan-Syndrom schwere Komplikationen an Herz, Gefäßen und Augen verursachen kann.

Für die Kinder eines am Marfan-Syndrom erkrankten Elternteils besteht eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, ebenfalls zu erkranken. Eine gezielte Untersuchung durch den Kinderarzt ist in diesem Fall ratsam, um die Erkrankung frühzeitig zu erkennen.

Kommt es bei Menschen mit Marfan-Syndrom zu einer plötzlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes, insbesondere zu Schmerzen im Brustkorb und im Bauchraum oder zu Atemnot, handelt es sich möglicherweise um einen Notfall. Es ist dann wichtig, umgehend den Notruf zu wählen.