Ein Mann sitzt auf einem Sofa und scheint sichtlich erschöpft.
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ME/CFS: Symptome, Ursachen und Diagnose

Von: Brit Weirich (Medizinautorin, M.A. Mehrsprachige Kommunikation)
Letzte Aktualisierung: 02.10.2024

ME/CFS ist eine schwere neuroimmunologische Krankheit, die oft mit einem hohen Leidensdruck verbunden ist: Schon geringe Aktivitäten führen zu starker körperlicher und geistiger Erschöpfung. Erfahren Sie, welche Ursachen hinter dem chronischen Fatigue-Syndrom vermutet werden, wie es diagnostiziert wird und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

FAQ: Häufige Fragen und Antworten zu ME/CFS

Die Lebenserwartung von Betroffenen ist in der Regel nicht verkürzt. Mögliche schwerwiegende Begleitsymptome wie Herz-Kreislauf-Probleme, eine Immunschwäche oder eine erhöhte Suizidgefahr können das Risiko für einen tödlichen Verlauf jedoch erhöhen.

In einigen Fällen können sich die Symptome zeitweise bessern oder sogar verschwinden. Eine vollständige und dauerhafte Genesung ist jedoch sehr selten.

Mangels eindeutiger Biomarker für ME/CFS lässt sich die Krankheit bislang nicht eindeutig im Blut nachweisen. Einige Laborwerte können jedoch Hinweise geben – auch, indem andere Erkrankungen ausgeschlossen werden.

Nein, es handelt sich um unterschiedliche Krankheitsbilder. Allerdings scheint ME/CFS eine mögliche Folge von Long COVID zu sein. Aktuelle Daten zeigen, dass bis zu 50 Prozent der Long-COVID-Erkrankten die Kriterien für ME/CFS erfüllen. 

ME/CFS: Was ist das?

ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Weitere gängige Bezeichnungen sind:

  • chronisches Erschöpfungssyndrom
  • chronisches Müdigkeitssyndrom

ME/CFS wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt und den neuroimmunologischen Multisystemerkrankungen zugeordnet. 

Je nach Schweregrad der Erkrankung kann ME/CFS zu extrem beeinträchtigter Leistungsfähigkeit bis hin zur Bettlägerigkeit führen. Da die genauen Mechanismen des Krankheitsbildes noch nicht abschließend erforscht sind, ist bislang keine Heilung möglich und die Behandlung erfolgt ausschließlich symptomorientiert.

Häufigkeit

Die Krankheit betrifft schätzungsweise rund 0,3 Prozent der weltweiten Bevölkerung. Da ME/CFS häufig fehldiagnostiziert oder erst spät erkannt wird, gehen Fachleute jedoch von einer höheren Dunkelziffer aus. Frauen sind etwa doppelt so oft betroffen wie Männer, das Haupterkrankungsalter liegt zwischen 15 und 40 Jahren.

ME/CFS: Welche Ursachen möglich sind

Die genauen Ursachen des chronischen Fatigue-Syndroms sind bislang nicht vollständig geklärt – die Forschung steht noch am Anfang. Bisherige Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass es sich um eine sogenannte Multisystemerkrankung handelt. Das sind Krankheiten, an denen mehrere Organbereiche beteiligt sind. Vermutlich entsteht das chronische Erschöpfungssyndrom durch eine Fehlregulation von

  • Immunsystem,
  • Nervensystem und
  • zellulärem Energiestoffwechsel. 

Zwillingsstudien legen außerdem nahe, dass die individuelle genetische Veranlagung eine Rolle spielt. 

Zudem wird vermutet, dass Infektionskrankheiten zur Entstehung einer Myalgischen Enzephalitis beitragen können. Folgende Krankheitserreger werden als mögliche Ursache für das chronische Erschöpfungssyndrom diskutiert:

Weitere potenzielle Risikofaktoren, die ME/CFS womöglich begünstigen können, sind:

  • Allergien und eine dadurch bedingte ständige Aktivierung des Immunsystems
  • Traumata, etwa durch Unfälle
  • Operationen

Einige Forschende gehen zudem davon aus, dass psychische Belastungen wie der Tod eines nahestehenden Menschen oder eine Trennung als Auslöser infrage kommen. Auch depressive Störungen treten bei Betroffenen vergleichsweise häufig auf. Da Depressionen jedoch auch eine Auswirkung von ME/CFS sind, ist unklar, ob die psychische Störung eher als Risikofaktor oder als Folge betrachtet werden kann.

Long COVID: ME/CFS als Folge einer Corona-Infektion

Auch Covid-19 kann als Auslöser für ME/CFS infrage kommen. Laut aktuellem Datenstand erfüllen bis zu 50 Prozent der Long-COVID-Erkrankten die Diagnosekriterien für das chronische Fatigue-Syndrom. ME/CFS ist allerdings nur eine mögliche Folge der Langzeitbeschwerden, Long COVID kann neben starker Erschöpfung mit zahlreichen weiteren Symptomen einhergehen, die beim Fatigue-Syndrom nicht typisch sind. 

Symptome: Wie äußert sich ME/CFS?

ME/CFS ist ein komplexes Krankheitsbild, das die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität der Betroffenen oft massiv beeinträchtigt. Die Erkrankung kann sich durch sehr vielfältige, teils unspezifische Symptome äußern. 

Zwei Leitsymptome sind besonders charakteristisch:

  • Post-Exertionelle Malaise (PEM/Belastungsintoleranz): Die Symptome verschlechtern sich bereits nach geringfügiger körperlicher oder geistiger Aktivität, entweder unmittelbar oder nach 12 bis 48 Stunden. Ein solcher "Crash" hält mitunter mehrere Tage oder Wochen an, kann aber auch zu einer langfristigen Verschlechterung des Zustands führen. 

  • Fatigue: Betroffene leiden unter einer krankhaften körperlichen und geistigen Erschöpfung, die weit über normale Müdigkeit hinausgeht. Vor allem zu Beginn der Erkrankung wird das Symptom von einem grippeähnlichen Krankheitsgefühl begleitet. Fatigue beginnt meist plötzlich und bessert sich auch durch Schlaf und Erholung nicht. 

Die Beschwerden bestehen mindestens sechs Monate oder länger. Betroffene müssen ihre gewohnten Aktivitäten meist um bis zu 50 Prozent oder mehr verringern. Typisch für ME/CFS ist zudem ein relativ plötzlicher Beginn: Die meisten Erkrankten können einen konkreten Zeitraum bestimmen, ab dem sich ihr Zustand verschlechtert hat. 

Darüber hinaus können verschiedene weitere Symptome auftreten, zum Beispiel:

ME/CFS ist für Außenstehende zunächst nicht sichtbar. Betroffene stoßen deshalb häufig auf Unverständnis. Das Gefühl, sich ständig rechtfertigen zu müssen, belastet sie zusätzlich und führt oft zu einem sozialen Rückzug. Erkrankte berichten immer wieder, dass auch Ärzt*innen ihre Beschwerden mitunter nicht ernst nehmen und als psychisch oder psychosomatisch einstufen. 

ME/CFS: Einteilung in Schweregrade

Während einige Betroffene eine schwächere Form der Erkrankung haben, sind andere Patient*innen so schwer beeinträchtigt, dass ein normaler Alltag kaum noch möglich ist. In Deutschland gibt es bislang noch keine offizielle Einteilung in Schweregrade. Das britische Gesundheitsministerium unterscheidet vier Abstufungen:

  • leichte Ausprägung: Erkrankte sind in ihrem Alltag nur zum Teil eingeschränkt. Sie können sich immer noch um sich selbst und ihren Haushalt kümmern, wenn auch mit leichten Schwierigkeiten. Die meisten können ihren Beruf noch ausüben, was jedoch viel Energie kostet.

  • mittlere Ausprägung: Der Alltag und die Mobilität sind deutlich eingeschränkt und viele Betroffene sind nicht mehr fähig, ihrem Beruf nachzugehen. Immer wieder sind Ruhepausen über den Tag verteilt notwendig. Der Nachtschlaf ist gestört und meist von schlechter Qualität.

  • schwere Ausprägung: Betroffene können nur noch kleinste Aufgaben bewältigen (z. B. Gesicht waschen, Zähne putzen), Gedächtnis und Konzentrationsfähigkeit sind stark beeinträchtigt. Möglicherweise ist ein Rollstuhl notwendig. Das Zuhause können sie kaum noch verlassen und wenn, verschlechtert die Anstrengung die Beschwerden danach deutlich.

  • schwerste Ausprägung: Bei diesem Schweregrad sind Betroffene bettlägerig und hochgradig pflegebedürftig. Erkrankte leiden häufig unter Inkontinenz und sind extrem empfindlich gegenüber Sinnesreizen, sodass die Pflege möglichst geräuschlos und im abgedunkelten Raum erfolgen muss. Mitunter ist eine künstliche Ernährung notwendig, da Betroffene nicht mehr kauen und schlucken können.

Wichtig: Das Erkrankungsalter spielt keine Rolle für den Schweregrad. Auch Kinder und Jugendliche können unter der schwersten Ausprägung von ME/CFS leiden. 

Wie wird ME/CFS diagnostiziert?

Bis Erkrankte von ME/CFS eine Diagnose erhalten, vergeht oft viel Zeit. Zum einen ist die Krankheit vielen Fachleuten noch immer unbekannt. Zum anderen ähneln die Beschwerden des chronischen Erschöpfungssyndroms auf den ersten Blick denen einiger anderer Krankheitsbilder. Bevor ME/CFS diagnostiziert werden kann, müssen daher zuerst andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. 

Krankheitsbilder mit ähnlicher Symptomatik (Differenzialdiagnose) sind etwa:

Zusätzlich sollten psychosoziale Faktoren in Betracht gezogen werden, wie etwa chronischer Stress oder Depressionen, die das Beschwerdebild mitverursachen könnten.

Lässt sich ME/CFS im Blut nachweisen?

Derzeit gibt es noch keinen spezifischen Laborwert, der ME/CFS eindeutig nachweisen kann. Dennoch kann eine Blutuntersuchung den diagnostischen Prozess unterstützen, indem sie etwa folgende Hinweise liefert:

  • Bei 30–40 Prozent der Betroffenen lassen sich Antikörper gegen Rezeptoren des vegetativen Nervensystems nachweisen (zum Beispiel ß1- und ß2-Rezeptoren sowie M3- und M4-Acetylcholinrezeptoren).

  • Bluttests können Hinweise auf akute oder zurückliegende Infektionen geben, etwa eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV). Etwa ein Drittel der Betroffenen weist eine EBV-Reaktivierung auf. 

  • Zudem können veränderte Entzündungswerte oder eine verringerte Lymphozytenzahl relevant sein. 

  • Bei etwa der Hälfte der Betroffenen sind die Antikörper in zu geringer Menge vorhanden (humoraler Immundefekt). Bei etwa 10 Prozent der Erkrankten findet man dagegen eine erhöhte Menge bestimmter Antikörper.

Um eine abschließende Diagnose zu stellen, berufen sich Fachleute in aller Regel auf die Kanadischen Konsensus-Kriterien (CCC). Laut diesen liegt das chronische Erschöpfungssyndrom vor, wenn:

  • die Beschwerden für erhebliche Einschränkungen im beruflichen und privaten Bereich führen
  • die Symptome länger als sechs Monate anhalten und auch durch Ruhephasen nicht gelindert werden können
  • die Leitsymptome PEM und Fatigue sowie Schmerzen und Schlafstörungen auftreten
  • neurokognitive und sensomotorische Störungen bestehen

Zudem müssen Symptome aus mindestens zwei der folgenden Kategorien vorliegen:

  • wiederkehrende Grippesymptome 
  • Essen-/Chemikaliensensitivität
  • Magen-Darm-Beschwerden
  • Beschwerden des Harn- und Genitalsystems
  • Atembeschwerden
  • Herz-Kreislauf-Beschwerden
  • Temperaturempfindlichkeit

Wichtig: Eine präzise Diagnostik ist auch ausschlaggebend, um rechtliche Ansprüche geltend zu machen. Insbesondere wenn ein Antrag auf einen Grad der Behinderung (GdB) gestellt werden soll, müssen die Auswirkungen der Erkrankung nachvollziehbar dokumentiert sein. 

ME/CFS: Wie läuft die Therapie ab?

Eine Heilung ist bislang nicht möglich. Die Therapie zielt deshalb vor allem darauf ab, die Symptome zu lindern und die oft bereits eingeschränkte Lebensqualität der Betroffenen wieder zu verbessern. Häufig auftretende gesundheitliche Probleme, die sich vergleichsweise gut behandeln lassen, sind etwa: 

Je nach individueller Situation ist abzuwägen, ob eine Schmerztherapie infrage kommt. Dann können zum Beispiel schmerzlindernde Wirkstoffe wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Paracetamol verabreicht werden. Bei Muskelschmerzen helfen etwa Alpha-Liponsäure oder Acetylcystein

Einige Schmerzen lassen sich möglicherweise auch ohne Medikamente ein Stück weit lindern, zum Beispiel mit Physiotherapie oder Massagen.

Behandlung von Konzentrations- und Gedächtnisstörungen

Viele Betroffene belasten vor allem die Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Hier können unter anderem Meditations- und Entspannungsübungen helfen. Aber auch einfache Gedächtnisstützen sind hilfreich, etwa in Form eines Terminplaners. Medikamentös kann eine Behandlung mit dem Wirkstoff Methylphenidat infrage kommen.

Psychologische Unterstützung

Bei einigen Betroffenen entwickeln sich im Krankheitsverlauf

  • Ängste,
  • depressive Verstimmungen oder
  • Depressionen.

Viele Patient*innen empfinden zudem Wut oder Frust über ihre Leistungseinschränkung. Eine psychologische Betreuung kann die Betroffenen zwar nicht heilen, ihnen aber dabei helfen, mit der Erkrankung besser zurechtzukommen. Ob und welche Antidepressiva infrage kommen, entscheidet die*der Ärztin*Arzt gemeinsam mit der erkrankten Person. 

Auch eine kognitive Verhaltenstherapie, eine Form der Psychotherapie, kann in einigen Fällen sinnvoll sein. Viele Patient*innen finden zudem in Selbsthilfegruppen Unterstützung durch andere Erkrankte. 

Hilft Bewegung bei ME/CFS?

Viele Betroffene trauen sich kaum noch körperliche Aktivitäten zu – aus Angst, die extreme Erschöpfung dadurch weiter zu steigern. Ob gemäßigte körperliche Bewegung die Beschwerden lindern kann, ist nicht sicher geklärt. Studien zu diesem Thema kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen. 

Eine Empfehlung lässt sich daher nicht generell aussprechen. In jedem Fall sollten die eigenen Grenzen dabei berücksichtigt werden. Ein Training sollte nur soweit ausgeführt werden, dass sich keine weitere Erschöpfung einstellt.

ME/CFS: Verlauf und Lebenserwartung

Je früher sich Erkrankte ärztliche Hilfe suchen, desto günstiger sind insgesamt die Aussichten auf eine Besserung der Krankheitszeichen. Wie stark die Beschwerden beim chronischen Erschöpfungssyndrom ausgeprägt sind, ist jedoch individuell. 

Häufig verläuft das chronische Erschöpfungssyndrom zyklisch: Die Beschwerden bessern sich nach einiger Zeit, nehmen dann jedoch wieder zu. Möglicherweise verschwinden die Symptome für eine gewisse Zeit auch ganz. Hier besteht das Risiko, dass sich Betroffene in dieser Zeit zu viel zumuten und es dadurch zu einem Rückfall kommt.

Grundsätzlich führt das chronische Fatigue-Syndrom zu einem hohen Leidensdruck. Betroffene sind in ihrem Alltag stark eingeschränkt und ziehen sich oft auch sozial zurück. Mit einem unterstützenden Umfeld und professioneller Hilfe gelingt es vielen Erkrankten jedoch, ihre Lebensqualität ein Stück weit beizubehalten oder zurückzugewinnen. 

Bislang gibt es keine Heilung für ME/CFS. Wie bei vielen chronischen Krankheiten können die Begleitbeschwerden ernsthafte gesundheitliche Risiken mit sich bringen. Es gibt Hinweise darauf, dass ME/CFS möglicherweise die Lebenserwartung negativ beeinflusst.