Blutverdünner (Antikoagulantien)

Von: Andrea Lubliner (Pharmazeutin und Fachtexterin für medizinische Fachtexte)
Letzte Aktualisierung: 31.10.2018

auch bezeichnet als:
Antikoagulanzien; blutgerinnungshemmende Mittel; Gerinnungshemmer

Wirkstoffe

Folgende Wirkstoffe sind der Wirkstoffgruppe "Blutverdünner (Antikoagulantien)" zugeordnet

 

Anwendungsgebiete dieser Wirkstoffgruppe

Antikoagulantien werden eingesetzt, um das Blut weniger schnell gerinnen zu lassen. Auf diese Weise wird einer erhöhten Neigung zur Bildung von Blutgerinnseln (Thrombosen) entgegengewirkt.

Eine erhöhte Thrombosenneigung kann angeboren sein oder durch andere Krankheiten entstehen. Gerinnsel oder Blutpfropfen bilden sich besonders häufig in Gefäßen, in denen das Blut langsam fließt. Venen sind daher häufiger betroffen als Arterien. Auch an Gefäßwand-Schäden, wie sie zum Beispiel bei Atherosklerose häufig sind, bilden sich bevorzugt Gerinnsel. Löst sich ein solches Blutgerinnsel von der Gefäßwand ab, wird es mit dem Blutstrom fortgespült. Es kann jederzeit in einem engeren Gefäßabschnitt stecken bleiben und in diesem Bereich die Blutversorgung unterbrechen. Durch die Verstopfung von Herzkranzgefäßen entsteht ein Herzinfarkt, im Lungenkreislauf kommt es zu einer Lungenembolie, im Gehirn werden Schlaganfälle und im Innenohr ein Hörsturz ausgelöst.

Antikoagulantien dienen der Vorbeugung und Behandlung solcher Ereignisse. Daher werden sie eingesetzt

  • bei Personen mit einer angeborenen erhöhten Neigung des Bluts zur Gerinnung;
  • bei Personen mit Risikofaktoren wie Rauchen, Fettstoffwechselstörungen und vorangegangenen Thrombosen;
  • bei arteriellen Durchblutungsstörungen und Angina pectoris;
  • zur Ergänzung der Akut-Behandlung bei einer Embolie, einem Schlaganfall oder Herzinfarkt.

Außerdem werden Antikoagulantien zur Herstellung von Blutkonserven benötigt, um die Fließfähigkeit derselben zu erhalten.

Zu den Antikoagulantien zählen chemisch sehr verschiedene Substanzen:

  • Heparine und Heparin-Ähnliche gehen von Heparin aus, einem körpereigenen direkten Hemmstoff der Blutgerinnung. Es wird aus Schweinedärmen hergestellt. Die verschiedenen Heparine unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Molekülgröße. Man unterscheidet danach Standard-Heparin (unfraktioniertes Heparin, UFH) und niedermolekulares Heparin (NMH). Beide besitzen im Wesentlichen das gleiche Wirkungsspektrum, haben aber eine unterschiedlich lange Wirkzeit. Standard-Heparin wird vom Körper schnell abgebaut und ist daher relativ kurz wirksam. Es dient überwiegend zur Akutbehandlung von Embolien und anderen lebensbedrohlichen Blutgefäßverstopfungen. Niedermolekulares Heparin wird langsamer vom Körper abgebaut und wirkt somit länger. Man setzt es heute bevorzugt zur Thrombose-Vorbeugung sowie zur Behandlung von Venenthrombosen bei tief liegenden Gefäßen ein. Zu den niedermolekularen Heparinen zählen Certoparin-Natrium, Dalteparin-Natrium, Enoxaparin-Natrium, Nadroparin-Calcium, Reviparin-Natrium und Tinzaparin-Natrium und Fondaparinux.

    Heparinoide sind Wirkstoffe mit Heparin-ähnlicher Wirkung. Zu ihnen zählen beispielsweise Danaparoid, Chondroitin-Polysulfat und Pentosanpolysulfat.

    Ein Nachteil des Heparins und der Heparinoide ist, dass sie (bis auf Pentosanpolysulfat) nicht geschluckt werden können. Beim Einspritzen direkt in eine Vene tritt die Wirkung binnen von Minuten ein und ist schnell verflogen. Beim Spritzen unter die Haut ist die Wirkung leicht verzögert, hält aber mehrere Stunden an. In äußerlicher Form in Salben und Gelen finden die Wirkstoffe als Venenmittel zur Therapie oberflächlicher Venenerkrankungen sowie von Prellungen und so genannten blauen Flecken (Hämatomen) Verwendung.
  • Hirudin wird heute kaum noch wie früher aus dem Drüsensekret des Blutegels gewonnen, da es gentechnisch durch Bakterien erzeugte Hirudine wie Bivalirudin, Lepirudin und Desirudin gibt. Die Hirudine können ebenfalls nur als Infusionen oder Spritzen gegeben werden.
  • Plasminogen-Aktivatoren wie Alteplase, Streptokinase und Urokinase richten sich gegen das Eiweiß Fibrin, welches das "Grundgerüst" von Blutgerinnseln bildet. Sie können nur gespritzt werden.
  • Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon und Warfarin werden synthetisch hergestellt, leiten sich aber von den Inhaltsstoffen der Waldmeisterpflanze, den Cumarinen, ab. Phenprocoumon und Warfarin werden aus dem Magen-Darm-Trakt gut aufgenommen, daher sind sie in Tablettenform einnehmbar.
  • ebenfalls zum Einnehmen eignen sich Antikoagulantien wie Dabigatran und Rivaroxaban. Dergleichen Gruppe gehört Edoxaban an, muss aber gespritzt werden.
  • Gleiches gilt für Caplacizumab, das vor allem bei Gerinnungsstörungen im Gewebe Anwendung findet.

Auch die Mitglieder der Wirkstoffgruppe Thrombozytenaggregationshemmer können streng genommen zu den Antikoagulantien gezählt werden. Die meisten Angehörigen dieser Wirkstoffgruppe wie die Acetylsalicylsäure werden in Magen und Darm nicht zerstört und können daher eingenommen werden.
 

Wirkung

Die Blutgerinnung hat die lebenswichtige Aufgabe, nach Verletzungen den Austritt von Blut aus den Gefäßen möglichst rasch zu stoppen. Dabei greifen zwei Reaktionsabläufe ineinander. Erstens zieht sich das betroffene Blutgefäß zusammen, Blutplättchen (Thrombozyten) legen sich aneinander und bilden einen Pfropf, welcher die Wunde verschließt (sofortige Blutstillungsphase). Zweitens spinnt sich um den Pfropf ein faseriges Netz aus dem Eiweiß Fibrin (Fibrinbildungsphase). Damit es zur Bildung von Fibrin kommt, müssen sich zahlreiche so genannte Gerinnungsfaktoren nacheinander in einer Art Kettenreaktion aktivieren, man spricht daher von einer "Gerinnungskaskade". In den letzten Schritten wird unter Einfluss des Gerinnungsfaktors Xa inaktives Prothrombin zu aktivem Thrombin umgewandelt. Dieses überführt seinerseits lösliches Fibrinogen in unlösliches Fibrin. Nur wenn Wundverschluss und Fibrinbildung funktionieren und zusammenarbeiten, kann eine Blutung rasch gestoppt werden.

Mittel, welche die Zusammenarbeit der Gerinnungsfaktoren stören, hemmen die Gerinnungsfähigkeit des Blutes und halten es flüssig. Die sogenannten Antikoagulantien greifen an unterschiedlichen Stufen der Gerinnungskaskade ein:

  • Heparin ist ein körpereigener Stoff, der in einigen Zellen des Immunsystems (Mastzellen, basophile Granulozyten) sowie in Blutgefäßzellen vorkommt. Es handelt sich um ein kompliziertes, zuckerartiges Molekül. Heparin in seiner natürlichen Form (unfraktioniertes Heparin) bindet sich an einen Gegenspieler des Thrombins, das so genannte Antithrombin III (AT III). Daraufhin hemmt dieses sowohl den Gerinnungsfaktor Thrombin wie auch den Gerinnungsfaktor Xa. Kurzkettige Heparin-Bruchteile (niedermolekulare Heparine) und Fondaparinux behindern in Verbindung mit Antithrombin lediglich die Aktivität von Faktor Xa.
  • Heparinoide wie Danaparoid, Pentosanpolysulfat und Chondroitinpolysulfat hemmen sowohl Faktor Xa wie auch Thrombin. Edoxaban und Rivaroxaban hingegen, die ebenfalls den Heparinoiden zuzurechnen ist, wirken allein gezielt auf den Faktor Xa.
  • Hirudin und seine Abkömmlinge sind Eiweißmoleküle. Im Gegensatz zu Heparin wirken sie direkt und ohne die Beteiligung von Antithrombin III als Hemmer des Thrombins. Den gleichen Wirkmechanismus hat Dabigatran.
  • Die Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon und Warfarin stellen Gegenspieler des Vitamin K dar. Dieses Vitamin wird zum Teil von Darmbakterien im menschlichen Körper hergestellt, aber auch aus pflanzlichen Nahrungsmitteln bezogen. Vitamin K ist notwendig für die Produktion bestimmter Gerinnungsfaktoren in der Leber. Vitamin-K-Antagonisten verhindern diese Herstellung und hemmen so indirekt die Gerinnungskaskade. Dieser indirekte Effekt bedingt, dass die Wirkung erst nach mehreren Tagen einsetzt. Dafür hält sie noch bis zu zwei Wochen nach Absetzen der Wirkstoffe an, was die Behandlung schwer steuerbar macht. Vitamin K-Antagonisten dienen vor allem zur Langzeittherapie, wobei die Dosierung regelmäßig anhand eines Gerinnungstests (meist des so genannten "Quick-Tests") überprüft werden muss.
  • Die Plasminogen-Aktivatoren Alteplase, Streptokinase und Urokinase richten sich gegen das Eiweiß Fibrin selbst. Unerwünschte Gerinnsel kann der Körper auflösen, indem er das Enzym Plasmin einsetzt. Es wirkt wie eine Schere, die die Fibrinfasern zerschneidet und den Blutpfropf auflöst. Plasmin entsteht aus einer inaktiven Vorstufe, dem Plasminogen. Unter Einfluss der Aktivatoren wandelt sich dieses zu dem wirksamen, fibrinauflösenden Plasmin um.
  • Ein neues Wirkprinzip verfolgt Caplacizumab: Es hemmt einen Faktor der Blutgerinnung, den vonWillebrand-Faktor an der Aktivierung der Blutplättchen und damit deren Zusammenlagerung.

Die häufigste Nebenwirkung der Antikoagulantien sind Blutungen aufgrund der verminderten Gerinnungsfähigkeit. Daher dürfen Hemmstoffe der Blutgerinnung nicht bei bestehenden schweren Blutungen oder bei Krankheiten mit erhöhter Blutungsbereitschaft wie Magengeschwüren oder Bluthochdruck eingesetzt werden. Bei Langzeitanwendung kommt es zu Störungen des Knochenaufbaus und einem erhöhten Osteoporose-Risiko.

Heparine können in der Schwangerschaft eingesetzt werden, da ihre Moleküle zu groß sind, um in die Gebärmutter zu gelangen. Vitamin-K-Antagonisten, die anderen blutgerinnungshemmenden Wirkstoffe und die Hirudine dagegen können sehr wohl das Ungeborene schädigen und dürfen daher schwangeren Frauen nicht gegeben werden.

Ein Sonderfall der Antikoagulantien sind die Thrombozytenaggregationshemmer. Sie verhindern die Zusammenballung der Blutplättchen, eine Reaktion, die ebenfalls zur Bildung von Gerinnseln beiträgt.