Gleichgewichtsstörung beim Gehen
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Gleichgewichts­störung beim Gehen: Das sind die Ursachen

Von: Lydia Klöckner (Medizinredakteurin), Jasmin Krsteski (Biologin und Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 20.10.2022

Das Gleichgewichtsorgan ist sensibel: Bestimmte Erkrankungen können es durcheinanderbringen und Schwindel hervorrufen. Was sind typische Ursachen? Und wie lassen sich Gleichgewichtsstörungen behandeln?

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Gleichgewichtsstörung: Ursachen

Gleichgewichtsstörungen können vielerlei Ursachen haben. Manchmal sind die Auslöser harmlos. So kann der schwankende Boden bei Schiffsfahrten – vor allem bei starkem Wellengang – den Gleichgewichtssinn vorübergehend durcheinanderbringen (sog. Reisekrankheit).

Außerdem können Alkohol oder andere Drogen sowie Gifte und verschiedene Medikamente einen Einfluss auf den Gleichgewichtssinn haben. Zu Letzteren zählen etwa

  • bestimmte Arzneien zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
  • Beruhigungsmittel,
  • einige Psychopharmaka und Neuroleptika sowie
  • bestimmte Hormonpräparate (z. B. Schilddrüsenhormone).

Es gibt aber auch Erkrankungen, die den Gleichgewichtssinn beeinträchtigen. Sie lassen sich unterteilen in

  • Krankheiten, die das Gleichgewichtsorgan direkt betreffen, 
  • und Erkrankungen oder Verletzungen, die zunächst andere Organe betreffen, sich jedoch in Gleichgewichtsstörungen äußern.

Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans

Folgende Krankheiten beeinträchtigen das Gleichgewichtsorgan direkt:

  • Morbus Menière (Anfallartiger Drehschwindel)
  • Innenohrentzündung
  • Bogengangsdehiszenz (Erkrankung der knöchernen Abdeckung des oberen und/oder hinteren Bogengangs)
  • Entzündung der Gleichgewichtsnerven (Neuritis vestibularis)
  • Tumoren zwischen Gehörgang und Kleinhirn (z. B. Akustikusneurinom)
  • benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (gutartiger Lagerungsschwindel)

Erkrankungen anderer Organe

Gleichgewichtsstörungen können jedoch auch als Folge von Erkrankungen oder Störungen anderer Organe auftreten. Dazu zählen

Gleichgewichtsstörung bei alten Menschen: Was sind häufige Ursachen?

Gleichgewichtsstörungen kommen im Alter besonders häufig vor. Das hat verschiedene Gründe:

  • Im Alter funktioniert das Gleichgewichtsorgan im Innenohr nicht mehr so gut wie in jungen Jahren. Das Innenohr wird schlechter durchblutet, die Nerven leiten Signale langsamer weiter und das Gehirn kann Reize nicht mehr so gut verarbeiten. Das kann sich durch Gangstörungen und Schwindel äußern, den man als Altersschwindel bezeichnet.

  • Hinzu kommt, dass Senior*innen oft nicht mehr so gut hören und sehen können, was ihnen die Orientierung im Raum zusätzlich erschwert.

  • Viele der oben genannten Erkrankungen entwickeln sich oft erst im Alter.

  • Außerdem müssen viele Senior*innen aufgrund chronischer Erkrankungen dauerhaft Medikamente einnehmen, die als Nebenwirkung Gleichgewichtsstörungen hervorrufen können. Auch Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Präparaten können zu Problemen mit dem Gleichgewicht führen.

Leider sind Gleichgewichtsstörungen und Gangstörungen für ältere Menschen auch besonders riskant: Da ihre Muskulatur schwächer ist als die junger Menschen, fallen sie leichter hin und ziehen sich dabei unter Umständen gefährliche Verletzungen zu.

Gleichgewichtsstörung: Symptome

Der Gleichgewichtssinn hilft Menschen dabei, sich im Raum zu orientieren. Mit ihm nehmen sie wahr, in welcher Position sie sich befinden, ob sie sich bewegen und wenn ja, wohin und wie schnell.

Von Gleichgewichtsstörungen spricht man, wenn der Gleichgewichtssinn beeinträchtigt ist. Äußern kann sich das durch

  • Wahrnehmungsstörungen wie Schwindel und/oder
  • Koordinationsprobleme wie unwillkürliche Seitwärtsbewegungen, Gangstörungen bis hin zu Stürzen sowie Schwierigkeiten, sich aufrecht zu halten.
  • das Gefühl, sich nicht mehr wie gewohnt orientieren zu können und teilweise die Kontrolle über die eigenen Bewegungen zu verlieren

Je nachdem, welche Ursache hinter der Störung steckt, können auch andere Symptome auftreten, etwa

So funktioniert der Gleichgewichtssinn

Das Gleichgewichtsorgan (auch Vestibularorgan oder Vestibularapparat) befindet sich in den Ohren, genauer gesagt: jeweils im Innenohr. Zum Gleichgewichtsorgan gehören drei ringförmige, mit Flüssigkeit gefüllte Kanäle, die sogenannten Bogengänge und zwei weitere Hohlräume, die Vorhofsäckchen.

Auf der Haut, welche die Bogengänge und Vorhofsäckchen von innen auskleidet, sitzen Sinneszellen. Diese tragen haarähnliche Strukturen auf ihrer Oberfläche, die mit einer Gelschicht bedeckt sind. Verändert der Kopf seine Position, verlagern sich die Flüssigkeit und das Gel. Dadurch neigen sich die Härchen – und diese Bewegung wird von den Sinneszellen registriert.

Die Sinneszellen sind über einen Nerv mit dem Gehirn verbunden. Dieser Nerv meldet dem Gehirn, mit welcher Geschwindigkeit sich der Kopf wohin bewegt hat. Auch die Sinneszellen der Haut, der Muskeln und der Gelenke schicken dem Gehirn ständig Informationen über die exakte räumliche Ausrichtung und Bewegungen des Körpers. Hinzu kommen die optischen Informationen, die die Augen über unsere Umgebung liefern.

All diese Informationen werden im Gleichgewichtszentrum des Gehirns verglichen und koordiniert. So entsteht im Kopf eine exakte Vorstellung von der Position und Haltung, in der sich der Körper befindet. Erhält das Gehirn allerdings widersprüchliche Informationen, kann es zu Schwindel und Gleichgewichtsstörungen kommen.

Gleichgewichtsstörung: Diagnose und Tests

Bei langanhaltenden oder immer wiederkehrenden Gleichgewichtsstörungen ist es ratsam, die hausärztliche Praxis aufzusuchen, um die genauen Ursachen feststellen zu lassen. Dies gilt vor allem, wenn die Gleichgewichtsstörungen mit weiteren Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen einhergehen.

Folgende Fragen sind für die Diagnosestellung wichtig:

  • Wann und wie haben die Gleichgewichtsstörungen eingesetzt (z. B. plötzlich oder schleichend)?
  • Bestehen die Beschwerden dauerhaft oder gelegentlich? Wenn gelegentlich: Wie lange halten die Schwindelattacken an?
  • Treten die Gleichgewichtsstörungen nach oder in bestimmten Situationen verstärkt auf?
  • Verschlimmern sie sich, wenn der Kopf gedreht wird?
  • Gab es Unfälle oder Operationen?
  • Liegen chronische Erkrankungen vor?
  • Gab es einen Schlaganfall oder einen Infekt?
  • Liegen psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen vor?
  • Werden aktuell Medikamente eingenommen oder wurden diese kürzlich abgesetzt?
  • Handelt es sich bei der Gleichgewichtsstörung um einen Drehschwindel oder eher um ein "Betrunkenheitsgefühl"? Gibt es Probleme beim Gehen?
  • Existieren weitere Beschwerden wie etwa Herzrhythmusstörungen, Hör- oder Sehstörungen, Kopfschmerzen oder Übelkeit?
  • Hat die*der Betroffene schon einmal das Bewusstsein verloren?

Mitunter orientiert sich die*der Ärztin*Arzt hierbei an standardisierten Fragebögen, zum Beispiel am Dizziness Handicap Inventory (DHI-G) oder am Vertigo Symptom Scale (VSS-G).

Körperliche Untersuchung und Tests

Nach der Anamnese folgt die körperliche Untersuchung: Deuten die Symptome auf eine Störung des Blutdrucks hin, misst die*der Ärztin*Arzt den Blutdruck im Liegen und Stehen. Bei Verdacht auf eine Herzerkrankung wird das Herz mit einem Stethoskop abgehört. In beiden Fällen wird ein EKG gemacht.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von zusätzlichen Untersuchungsverfahren, mit deren Hilfe Fachleute den Gleichgewichtssinn der*des Patient*in beurteilen können. 

Untersuchung des Gleichgewichtsorgans: Eine Störung des Gleichgewichtsorgans kann sich auch darin äußern, dass es nicht so leicht erregbar ist. Um die Erregbarkeit zu testen, eignet sich etwa die sogenannte kalorische Prüfung: Ist das Gleichgewichtsorgan intakt, löst warmes (44 °C) und anschließend kaltes (30 °C) Wasser im Ohr der*des Patient*in ein Augenzittern aus.

Untersuchung mithilfe der Frenzel-Brille: Wenn das Gleichgewichtsorgan beschädigt ist, kann sich das in unwillkürlichem Augenzittern (sog. Nystagmus) äußern. Das ist eine Reaktion des Gehirns auf die vom Gleichgewichtsorgan irrtümlich gemeldeten Schwankungen. Mithilfe der Frenzel-Brille lässt sich auch feines Augenzittern feststellen.

Lagerungsprüfung: Für diesen Test setzt sich die*der Betroffene aufrecht mit ausgestreckten Beinen auf die Untersuchungsliege. Die*der Ärztin*Arzt dreht nun deren*dessen Kopf zur Seite und führt den Oberkörper zügig nach hinten, bis er auf der Liege ruht. Der Kopf hängt über der oberen Kante der Liege herunter (sog. Kopfhängelage). Löst der Bewegungsablauf ein Augenzittern aus, liegt der sogenannte gutartige paroxysmalen Lagerungsschwindel vor. Achtung: Dieser Test kann starke Schwindelbeschwerden hervorrufen, die auch Stunden später noch auftreten können.

Koordinationstests: Es gibt verschiedene Testverfahren, um die Koordinationsfähigkeit eines Menschen zu prüfen. Die bekanntesten sind

  • der Romberg-Stehversuch sowie
  • der Unterberger-Test.

Beim Romberg-Stehversuch soll die*der Betroffene mit eng zusammengestellten Füßen einige Minuten lang stehen, zuerst mit offenen, dann mit geschlossenen Augen. Wenn sie*er stark zu einer Seite schwankt, kann das ein Hinweis auf eine Störung des Gleichgewichtsorgans sein.

Beim Unterberger-Tretversuch tritt die*der Betroffene mit geschlossenen Augen und vorgestreckten Armen etwa 50- bis 80-mal auf der Stelle. Wenn sie*er sich dabei stark um die eigene Achse dreht oder sich weiter als etwa einen Meter nach vorne bewegt, kann auch eine Störung des Gleichgewichtsorgans dahinterstecken.

     

    Hinweis: Die oben genannten Gleichgewichtstests stammen von Medizinern aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Heute zweifeln Fachleute an der Aussagekraft der Ergebnisse, weil sie nicht sensitiv genug sind: Menschen mit Gleichgewichtsstörungen können die Tests manchmal ähnlich gut bewältigen wie Gesunde. Dennoch können sie bei einer ersten Einschätzung helfen.

      Posturographie: Auch Störungen der Muskulatur und/oder Nerven können dazu führen, dass ein Mensch aus dem Gleichgewicht gerät, denn sie beeinträchtigen die Stabilität der Körperhaltung. Diese lässt sich mithilfe der sogenannten Posturographie (engl.: posture = Haltung) analysieren. Dafür stellt sich die*der Betroffene auf eine Platte, die mit Sensoren ausgestattet ist. Diese erfasst, wie die Last des Körpers auf den Füßen verteilt wird und wie stark die*der Betroffene schwankt.

      Je nach vermuteter Ursache können zudem folgende Untersuchungen zum Einsatz kommen:

      Gleichgewichtsstörung: Therapie

      Die Therapie richtet sich nach der Ursache. Ist das Innenohr entzündet, kann eine Behandlung mit Antibiotika notwendig werden. Bei einer Entzündung der Gleichgewichtsnerven (Neuritis vestibularis) können Kortison und Antivertiginosa (Mittel gegen Schwindel) helfen. Letztere bekämpfen jedoch nur die Symptome, nicht aber die Ursache.

      Bei einigen Erkrankungen, die zu Gleichgewichtsstörungen führen (z. B. einem Akustikusneurinom), sind unter Umständen operative Eingriffe nötig, bei einem Schlaganfall gerinnungshemmende Mittel.

      Gerade für Senior*innen mit Gleichgewichtsstörungen sind aber auch physiotherapeutische Übungen ein wichtiger Bestandteil der Behandlung. Durch gezieltes Training können sie etwa ihre Koordination verbessern und ihre Muskulatur stärken, was ihnen insgesamt zu mehr Stabilität verhilft.