Narzissmus: Wenn die Selbstliebe schädlich wird
Narzissten können schillernde Persönlichkeiten sein: zielstrebig, erfolgreich, vielleicht ein wenig exzentrisch – und am liebsten im Mittelpunkt des Geschehens. Der Drang nach Aufmerksamkeit, Ruhm und Macht kann jedoch auch krankhafte Züge annehmen.

Inhaltsverzeichnis
Was versteht man unter Narzissmus?
Narzissmus steht allgemein für übertriebene Eitelkeit, Selbstliebe und Selbstbewunderung.
Psychologen und Psychiater unterscheiden zwischen dem
- Narzissmus als einer Persönlichkeitseigenschaft, die mehr oder weniger stark ausgeprägt sein kann, und der
- pathologischen, also krankhaften, narzisstischen Persönlichkeitsstörung.
Narzissmus ist also nicht per se eine psychische Auffälligkeit – ein Mensch, der narzisstische Züge in seiner Persönlichkeit zeigt, ist nicht automatisch psychisch gestört.
Ein Narzisst ist häufig ein Mensch, der alle Blicke auf sich zieht, sich dabei hauptsächlich um sich selbst dreht, der sehr viel von sich und sehr viel weniger von seinen Mitmenschen hält. Sein selbstsicheres, großspuriges und vielleicht auch divenhaftes Auftreten kann faszinieren. Doch es macht es häufig auch sehr schwierig, mit ihm zusammenzuleben oder zu arbeiten; es kann gleichzeitig fordernd, herabsetzend und kränkend wirken.
Die narzisstische Persönlichkeit
Fast alle Menschen zeigen ein gewisses Maß an Selbstliebe: Narzissmus ist eine von vielen Eigenschaften, die das Gesamtbild einer Persönlichkeit mehr oder weniger stark prägen können.
Eine Persönlichkeit setzt sich vereinfach gesagt aus mehreren Bausteinen zusammen: den Persönlichkeitseigenschaften. Das sind relativ stabile Merkmale, mit denen sich der Charakter einer Person beschreiben lässt. Sie erlauben es, das Verhalten einer Person in bestimmten Situationen in gewissem Maße vorherzusagen:
- Wird die Person offen auf die neuen Kollegen zugehen oder sich erst einmal ein wenig zurückhalten?
- Blickt sie nach einem Rückschlag zuversichtlich in die Zukunft oder eher ängstlich-zweifelnd?
- Spielt sie in Verhandlungen gerne voll auf Risiko oder setzt sie eher auf Sicherheit?
Je nachdem, wie stark eine Persönlichkeitseigenschaft ausgeprägt ist, tritt sie entsprechend deutlich im Verhalten einer Person zutage.
Eine narzisstische Persönlichkeit macht sich unter anderem bemerkbar durch:
- eine hohe Selbstwertschätzung,
- Überlegenheitsgefühle,
- ein geringes Einfühlungsvermögen und mangelnde Empathie,
- den Wunsch nach Bewunderung,
- eine Überempfindlichkeit gegenüber Kritik und
- ansatzweise sozial-unverträgliche Verhaltensweisen wie Arroganz oder Überheblichkeit.
Diese Merkmale können sich im Alltag auf unterschiedliche Weise zeigen: In einer "Platz da, hier komm´ ich!"-Mentalität, in überschwänglichen Erzählungen von den eigenen Erfolgen, in passiv beleidigten oder aktiv kränkenden Reaktionen auf Kritik – und in einer durchaus nützlichen Realitätsverzerrung: Leichte narzisstische Selbstüberschätzung bedeutet eine leicht positiv verzerrte Selbstwahrnehmung, die sich förderlich auf die psychische Gesundheit auswirken kann. Denn wer sich selbst und seinen Fähigkeiten einen höheren Wert beimisst, formuliert eigene Bedürfnisse meist selbstbewusster, verfolgt eigene Ziele meist konsequenter – und lebt durch diesen sogenannten "gesunden Egoismus" meist allgemein zufriedener.
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung
Der Übergang von einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Persönlichkeitseigenschaft zu einer pathologischen Persönlichkeitsstörung ist fließend ist daher nicht immer leicht festzustellen. Wenn jedoch aus Selbstwertschätzung Selbstüberschätzung wird und aus dem Wunsch nach Bewunderung eine ständige Suche nach Lob und Aufmerksamkeit – dann lässt sich gemeinhin nicht mehr von einem "gesunden Egoismus" sprechen. Ist der Narzissmus eines Menschen sehr stark ausgeprägt, kann das den Alltag des Betroffenen, seine sozialen Beziehungen und sein Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen.
Allgemein sprechen Mediziner und Therapeuten von einer Persönlichkeitsstörung, wenn eine Person bestimmte Verhaltens-, Gefühls- und Denkmuster zeigt, die deutlich abweichen von dem, was allgemein erwartet, als gesellschaftlicher Konsens angenommen und vorausgesetzt wird, und wenn diese Muster außerdem
- in vielen verschiedenen sozialen und persönlichen Situationen in Erscheinung treten,
- dauerhaft vorhanden und unflexibel sind,
- Leid bei der betreffenden Person hervorrufen sowie
- die Person in sozialen, beruflichen und anderen wichtigen Lebensbereichen merklich beeinträchtigen.
Merkmale der narzisstischen Persönlichkeitsstörung
Zusätzlich zu diesen allgemeinen Kriterien für Persönlichkeitsstörungen – zu denen unter anderem das Borderline-Syndrom zählt – gibt es einige weitere Merkmale, die speziell auf eine krankhaft narzisstische Persönlichkeit hinweisen. Dies sind unter anderem:
- Selbstüberschätzung: Eine "gesunde" narzisstische Persönlichkeit zeichnet sich meist durch eine hohe Selbstwertschätzung aus. Dagegen zeigt sich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung bei den Betroffenen in einem grandiosen Gefühl der eigenen Wichtigkeit sowie darin, dass sie sich selbst idealisieren: Sie sehen sich selbst, ihre Fähigkeiten und Taten als etwas Besonderes und Großartiges und erwarten, dass andere sie – auch ohne entsprechende eigene Leistungen – als überlegen anerkennen. Auf Kritik reagieren sie meist überempfindlich.
- Fantastereien: Menschen, die eine narzisstische Persönlichkeitsstörung aufweisen, neigen dazu, sich grenzenlosen Erfolg, Glanz, Macht und Schönheit sowie ideale Liebe auszumalen und sind dann stark eingenommen von diesen Fantasien.
- Überlegenheitsgefühle: Wer unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet, nimmt sich selbst meist als besonders und einzigartig wahr und schaut auf andere herab. Er glaubt, dass nur andere besondere oder angesehene Personen und Institutionen ihn verstehen und will sich möglichst nur mit "Seinesgleichen" umgeben.
- Aufmerksamkeitssuche: Eine pathologisch narzisstische Persönlichkeit braucht viel Aufmerksamkeit. Sie liebt es, im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen und verlangt von ihren Mitmenschen übermäßige Bewunderung.
- überhöhtes Anspruchsdenken: Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung stellen meist übertriebene Erwartungen an sich selbst und an ihre Mitmenschen. Sie wollen bevorzugt behandelt werden, außerdem sollen andere automatisch auf ihre Forderungen und Erwartungen eingehen.
- ausbeuterisches Verhalten: Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zeigt sich auch darin, dass die Betroffenen ihre Mitmenschen häufig als "Erfüllungsgehilfen" für ihre eigenen Bedürfnisse missbrauchen und zwischenmenschliche Beziehungen vor allem nutzen, um die eigenen Ziele zu erreichen.
- Empathiemangel: Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung sind oft weder willens noch fähig, sich mit anderen zu identifizieren, sich in andere hineinzuversetzen oder deren Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und anzuerkennen.
- Neid: Wer an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet, ist häufig neidisch auf andere oder geht davon aus, dass andere neidisch auf ihn sind.
- sozial-unverträgliches Verhalten: Eine krankhaft narzisstische Persönlichkeit tritt auch darin zutage, dass die Betroffenen wenig bis kein Interesse an ihren Mitmenschen zeigen und sich ihnen gegenüber meist arrogant und überheblich verhalten.
Ein instabiles Selbstbild
Das Persönlichkeitsbild, das sich aus diesen Merkmalen ergibt, erscheint recht eindeutig: Ein Narzisst ist selbstbewusst, selbstbezogen, selbstbewundernd. Er strahlt und sonnt sich in seinem eigenen Glanz. Doch ganz so eindeutig ist es wohl doch nicht: Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist vielschichtig, zum Teil in sich widersprüchlich – und immer noch nicht erschöpfend erforscht. So gingen Mediziner und Psychologen lange Zeit davon aus, dass das Selbstbewusstsein krankhafter Narzissten andauernd überhöht ist.
Mittlerweile hat sich jedoch gezeigt: Meist ist weder das Selbstkonzept noch das Selbstwertgefühl eines Narzissten wirklich stabil. Stattdessen schwanken beide häufig erheblich.
Die Art und Weise, wie sich viele pathologische Narzissten selbst wahrnehmen und bewerten, ist stark davon abhängig, wie andere Menschen auf sie reagieren, welche Rückmeldungen sie ihnen geben. Aus diesem Grund sucht ein Mensch, der eine narzisstische Persönlichkeitsstörung aufweist, Erfolge und große Auftritte, die ihm die Aufmerksamkeit und Bewunderung seiner Mitmenschen sichern sollen. Ebenfalls aus diesem Grund kann er meist nur sehr schlecht mit Kritik umgehen.
In der Wissenschaft werden verschiedene Subtypen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung diskutiert. So scheint es neben den typischen großspurig-arrogant auftretenden Narzissten beispielsweise auch Betroffene zu geben, die sich eher gegenteilig verhalten: Sie sind unsicher und bescheiden, neigen dazu, sich selbst vor anderen abzuwerten statt zu überhöhen.
Dennoch hegen sie die für den Narzissmus typischen Grandiositätsfantasien, zeigen ebenfalls eine sehr hohe Anspruchshaltung sowie die Tendenz dazu, sich anderen überlegen zu fühlen – jedoch eher unbewusst und sozusagen heimlich. Diese als "verdeckt" oder "vulnerabel-fragil" (verwundbar-schwach) charakterisierten narzisstischen Persönlichkeiten scheinen neben den typischen Größegefühlen vor allem von Angst, Scham und Depression geprägt zu sein. Aus Angst vor Misserfolg und Kränkung ziehen sich diese Menschen häufig zurück und meiden soziale Kontakte.
Ursachen für einen krankhaften Narzissmus
Schätzungen zufolge leidet weltweit etwa 1 von 100 Menschen an einem krankhaft übersteigerten Narzissmus. Männer sind davon häufiger betroffen als Frauen. Mehr als die Hälfte der pathologischen Narzissten leidet zudem zusätzlich an affektiven Störungen. Dazu zählen zum Beispiel andere Persönlichkeitsstörungen, bipolare Störungen (früher bekannt als manisch-depressive Erkrankung) oder Angststörungen. Auch Abhängigkeitserkrankungen und Depressionen treten häufig gemeinsam mit dem krankhaften Narzissmus auf.
Aus welchen Gründen sich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entwickelt, ist bislang noch nicht geklärt. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Ursachen der Störung in einem Zusammenspiel von biologischen und sozialen Faktoren liegen.
Die Neigung zu ausgeprägtem Narzissmus ist zu einem gewissen Teil genetisch festgelegt. Doch auch das soziale Umfeld scheint eine gewichtige Rolle dabei zu spielen, ob jemand im Verlauf seines Lebens eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entwickelt. Insbesondere gilt dies wohl für enge emotionale Bindungen, etwa zu den Eltern. Bekommt ein Kind nicht die Aufmerksamkeit, die es braucht, kann es keinen gesunden Narzissmus, kein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln.
In eher kühl-distanzierten, ablehnenden oder abwertenden Familienverhältnissen können sich narzisstische Verhaltensweisen als eine Art Selbstschutz vor negativen Emotionen, vor Angst, Unsicherheit oder Zurückweisung entwickeln.
In überbehütend-fürsorglichen, aber auch fordernden Verhältnissen können es wiederum die großen Hoffnungen und Erwartungen der Eltern sein, die in dem Kind ein unrealistisch erhöhtes, auf Lob und Bewunderung gestütztes Selbstbild entstehen lassen.
Da Menschen mit einem übersteigerten Narzissmus ihren Selbstwert und ihr Selbstkonzept häufig von den Rückmeldungen ihrer Mitmenschen abhängig machen, können Krisenerlebnisse wie beruflicher Misserfolg oder persönliche Zurückweisung bei den Betroffenen unvermittelt das Gefühl auslösen, absolut wertlos zu sein. Dies kann in eine schwere depressive Phase münden: Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist die Persönlichkeitsstörung mit der höchsten Suizidrate.
Narzissmus im Alltag
Ein Narzisst verhält sich seinen Mitmenschen gegenüber daher meist fordernd, arrogant-abschätzig und auch desinteressiert-abweisend. Bei einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind diese Merkmale und Verhaltensweisen so stark ausgeprägt, dass der Betroffene und auch seine Umgebung massiv darunter leiden können.
Doch auch der Alltag von und mit einem "gesunden" Narzissten, bei dem der Narzissmus nur eine von mehreren Persönlichkeitseigenschaften darstellt, kann sehr belastend sein.

Experten gehen davon aus, dass der Narzissmus insgesamt in der Gesellschaft zunimmt, dass also immer mehr Menschen eine narzisstische Persönlichkeit entwickeln – und zwar nicht unbedingt, weil sie genetisch dazu veranlagt sind, sondern weil die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen narzisstisches, selbstverliebtes Handeln fördern. Folgende Beispiele führen Fachleute dafür unter anderem an:
- Leistungsdruck und Erfolgsorientierung: "Auf das Ergebnis kommt es an" – Dieses Motto gilt sowohl in der Ausbildung als auch in der Arbeitswelt. Dass das Ergebnis möglichst gut sein soll, versteht sich dabei von selbst. Daher werden häufig bereits Kinder in der Schule darauf trainiert, gute Noten nach Hause zu bringen. Narzisstische Verhaltensweisen sind bei diesem "Wettrennen" hilfreich: Ein Narzisst gründet sein überhöhtes Selbstbild unter anderem auf Erfolgen und ist meist auch bereit, hart für diese zu arbeiten. Da Narzissten zudem vor allem auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse achten, sind sie meist zielstrebig und durchsetzungsstark.
- Selbstoptimierung, -inszenierung und -vermarktung: Unter anderem befeuert durch Castingshows im Fernsehen und die sozialen Netzwerke im Internet wie Facebook oder Instagram hat sich eine Kultur der Selbstdarstellung entwickelt, in der vor allem zählt, wie man sich verkauft. Sich intensiv mit sich selbst zu beschäftigen, am eigenen Image zu arbeiten sowie sich selbstbewusst und anderen überlegen zu präsentieren, gehört quasi zu den narzisstischen "Kernkompetenzen".
Narzissmus und Partnerschaft
Narzissmus und Partnerschaft – das passt nur selten gut zusammen. Denn viele Narzissten neigen zu sozial-unverträglichem und ausbeuterischem Verhalten. Das bedeutet: Ein ausgeprägter Narzisst schaut häufig auf seine Mitmenschen herab und "missbraucht" sie gleichzeitig als "Erfüllungsgehilfen" für seine eigenen Ziele sowie als Aufmerksamkeits- und Beifallsspender. Er interessiert sich dabei meist nur sehr wenig für seine Mitmenschen, ihre Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse.
Häufig zeigen Narzissten zudem einen sogenannten spielerischen Liebesstil. Das bedeutet, dass es für sie mehr um eine Eroberung geht als um eine stabile Partnerschaft: Sie umwerben ihren Wunschpartner so lange sehr engagiert, bis dieser in die Beziehung einwilligt. Danach verlieren sie dann schnell das Interesse, insbesondere dann, wenn die ersten Schwierigkeiten auftauchen.
Mit einem Menschen mit ausgeprägtem Narzissmus eine ausgewogene Partnerschaft zu führen, ist daher meist schwierig. Häufig leiden die nicht-narzisstischen Partnerdarunter, dass sich alles immer nur um den anderen dreht. Doch auch für den narzisstischen Partner bedeutet eine Beziehung ein Risiko: Narzissmus dient in vielen Fällen als eine Art Mauer, die das eigentlich ängstliche, unsichere und verletzliche Selbst eines Betroffenen schützen und verstecken soll. Liegt eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vor, verschärft sich die Situation sogar: Experten gehen davon aus, dass krankhafte Narzissten kaum in der Lage sind, tiefe und dauerhafte Beziehungen mit anderen Menschen einzugehen.
Menschen, die eine narzisstische Persönlichkeitsstörung aufweisen, können zwar die Gefühle, Gedanken und Absichten anderer genauso gut oder schlecht erkennen wie Menschen ohne diese Störung. Sie schneiden jedoch wesentlich schlechter ab, wenn es darum geht, sich in sein Gegenüber auch tatsächlich einzufühlen.
Narzissmus und Beruf
Im Berufsleben kann ein gewisses Maß an Narzissmus durchaus hilfreich sein. Denn Menschen, die eine ausgeprägte narzisstische Persönlichkeit haben, sind meist auch sehr motiviert, Leistung zu bringen und übernehmen gerne Führungspositionen. In einigen Betätigungsfeldern wie der Politik oder dem Showgeschäft ist es ohne ein gewisses Maß an Narzissmus wahrscheinlich sogar kaum möglich, den hohen Anforderungen gerecht zu werden und sich durchzusetzen. Dies gilt auch im negativen Sinne: So sollen beispielsweise Diktatoren wie Hitler und Stalin Narzissten gewesen sein.
Doch auch, wenn Narzissmus in gewisser Weise karrierefördernd wirken kann: Langfristig gesehen stecken einige Gefahren darin. So neigen Narzissten dazu, ihre eigenen Leistungen zu überschätzen. Werden diese dann nicht von anderen wie erwartet anerkannt und gelobt, kann dies zu ernsthaften Selbstwertkrisen führen. In solchen Situationen fehlen Narzissten zudem meist stabile soziale Beziehungen und Netzwerke, die sie auffangen könnten. Außerdem sind Narzissten durch ihre hohe Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft stark gefährdet, ein Burn-out-Syndrom zu entwickeln.
Narzissmus: Diagnose und Therapie
Krankhafter Narzissmus ist nur schwer behandelbar. Denn den Betroffenen fällt es häufig sehr schwer, die eigene Schwäche und mögliche Fehler in ihrer Selbstwahrnehmung anzuerkennen und zuzugeben. Zudem können selbst Menschen, die eine narzisstische Persönlichkeitsstörung aufweisen, meist relativ lange recht gut mit dieser leben und die negativen Aspekte der Störung kompensieren.
Erst wenn der Leidensdruck zu groß wird, sie etwa ihre Arbeit verlieren oder ihre Beziehung zerbricht, suchen sich viele Betroffene Hilfe. Meist allerdings nicht wegen ihres Narzissmus – sondern wegen einer begleitenden Krankheit, etwa einer Sucht oder einer Depression.
Die Herausforderung für einen Therapeuten ist es dann, die richtige Diagnose zu stellen. Für gewöhnlich lässt sich Narzissmus mithilfe verschiedener Fragebögen des sogenannten Narcissistic Personal Inventory (engl. für Narzisstisches Persönlichkeits-Inventar, kurz NPI) feststellen.
Eine Befragung mit dem NPI ist relativ aufwendig. Eine Alternative ist die sogenannte SINS (Single-Item Narcissism Scale, engl. für Ein-Item-Narzissmus-Skala) Dabei stellt der Therapeut nur eine einzige Frage:
"In welchem Maße stimmen Sie der Aussage zu: Ich bin ein Narzisst?"
Die Befragten sollen sich selbst auf einer Skala von 1 (trifft auf mich nicht zu) bis 7 (trifft auf mich vollständig zu) einschätzen und erhalten außerdem eine kurze Erläuterung, worum es sich bei dem Begriff Narzissmus handelt. Nach Aussage der Wissenschaftler funktioniert der Test mit nur einer Frage deshalb, weil Narzissten in ihrer Selbstliebe meist nichts Negatives sehen, sondern vielmehr sogar stolz darauf sind.
Die SINS soll ausführlichere Fragebögen nicht ersetzen, sondern lediglich dazu dienen, Narzissten schnell zu identifizieren.
Es gibt bisher keine speziell auf eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zugeschnittene Psychotherapie, auch Medikamente wie beispielsweise Psychopharmaka sind bei dieser Störung noch nicht erprobt.
Die Ziele einer Therapie sollten sein:
- Arbeit am Selbstbild,
- Verminderung narzisstischer Handlungsweisen,
- Verbesserung der Beziehungsfähigkeit sowie
- Verbesserung im Umgang mit negativen Emotionen.
Da meist auch die Partner von Menschen mit krankhaftem Narzissmus unter den Auswirkungen dieser Persönlichkeitsstörung leiden sind, kann auch eine Paartherapie sinnvoll sein.
Schon gewusst?
Der Begriff Narzissmus geht zurück auf die Figur des Narziss aus der griechischen Mythologie. Narziss war ein schöner Jüngling, der für sein arrogantes Verhalten von den Göttern bestraft wird: Da er alle, die ihn umwerben, kränkend zurückweist, belegt ihn die Rachegöttin Nemesis mit dem Fluch der unerfüllbaren Selbstliebe. Narziss verliebt sich daraufhin haltlos in sein eigenes Gesicht, das sich im Wasser eines Sees spiegelt. Er weiß, dass ihn diese Liebe niemals glücklich machen wird – doch er kann sich nicht mehr von seinem Spiegelbild abwenden. In einer Version des Mythos endet die Selbstliebe tödlich: Um sich mit seiner Spiegelung zu vereinigen, stürzt sich Narziss in den See und ertrinkt.
Die übersteigerte Selbstliebe, die Narziss zum Verhängnis wird, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Gegenstand der medizinischen Wissenschaften; unter anderem ist sie ein zentraler Begriff in der Psychoanalyse von Sigmund Freud .
Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2017
Narzissmus. Online-Informationen des Psychrembel: www.psychrembel.de (Stand: April 2016)
Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015
Konrath, S., Meier, B. P., Bushman, B. J.: Development and Validation of the Single Item Narcissism Scale (SINS). Plos One, Vol. 9, Iss. 8, Online-Publikation (5.8.2014)
Pressemitteilung der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten: 5. Bayerischer Landespsychotherapeutentag: Narzissmus – zwischen Psychopathologie und gesamtgesellschaftlichem Phänomen (25.4.2013)
Vater, A., et al.: Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Forschung, Diagnose und Psychotherapie. Der Psychotherapeut, Jg. 58, Ausgabe 6, S. 599-615, Springer Medizin Verlag 2013
Renneberg, B., et al.: Behandlungsleitlinie Persönlichkeitsstörungen. Der Psychotherapeut, Jg. 55, Ausgabe 4, S. 339-354, Springer-Verlag 2010
Twenge, J. M., Foster, J. D.: Birth Cohort Increases in Narcissistic Personality Traits Among American College Students, 1982-2009. Social Psychological and Personality Science, Vol. 1, Iss. 1, pp. 99-106 (Januar 2010)
Weitere Informationen
ICD-10-Diagnoseschlüssel:
Hier finden Sie den passenden ICD-10-Code zu "Narzissmus: Wenn Selbstliebe schädlich wird":
Onmeda-Lesetipps:
- Fragen Sie unseren Experten im Forum Psychiatrie und Psychotherapie um Rat
- Themeninsel: Psychische Erkrankungen im Überblick
Buchtipps:

Psychotherapie im Dialog - Persönlichkeitsstörungen
Köllner, V., Schauenburg, H.
112 Seiten Thieme 2014
"Psychotherapie im Dialog", kurz PiD, so heißt die schulenübergreifende Fachzeitschrift für Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Jede PiD-Ausgabe beleuchtet ein Topthema aus Sicht unterschiedlicher Therapieschulen. Zusätzlich zum Titelthema gibt es noch weitere Rubriken, die u.a. über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, juristische Fragestellungen und Therapietechniken informieren.
Bei Amazon bestellen AnzeigeLetzte inhaltliche Prüfung: 18.10.2018
Letzte Änderung: 24.08.2020