Great Barrington Erklärung: Nur die Schwächsten in der Corona-Pandemie schützen?
Wir haben gelernt: Im Kampf gegen das Coronavirus muss jeder von uns seinen Teil beitragen. Wir tragen Masken, halten Abstand, leben mit Einschränkungen und verzichten auf einen großen Teil des sozialen und kulturellen Lebens. Doch derzeit sorgt die "Great Barrington Erklärung" für Verwirrung: Amerikanische und englische Wissenschaftler erklären darin, die aktuellen Einschränkungen richteten mehr Schaden an, als dass sie uns helfen würden. Es sei besser, nur alte und gefährdete Menschen abzuschirmen. Der Rest der Bevölkerung solle zum normalen Leben zurückkehren. Ob sie damit Recht haben und was Experten dazu sagen, lesen Sie hier.

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Sunetra Gupta, Professorin für Epidemiologie an der Oxford University, Martin Kulldorff, Professor der Medizin an der Harvard University und Jay Bhattacharya, Professor an der Stanford University Medical School: Es sind angesehene Wissenschaftler, die die Petition mit dem Titel "Great Barrington Declaration" verfasst haben.
Video: Great Barrington Erklärung: Nur die Schwächsten in der Corona-Pandemie isolieren?
Darin erklären sie, dass die Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie mehr physischen und psychischen Schaden anrichten, als dass sie der Menschheit helfen würden. Konkret heißt es darin: "Die derzeitige Lockdown-Politik hat kurz- und langfristig verheerende Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit."
Die Wissenschaftler warnen unter anderem vor niedrigeren Impfraten bei Kindern, weniger Krebsvorsorgeuntersuchungen, schlechteren Verläufen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und steigenden Suizidraten. In den kommenden Jahren würden übermäßig viele Menschen an den Folgen der Corona-Maßnahmen sterben. "Die Beibehaltung dieser Maßnahmen bis ein Impfstoff zur Verfügung steht, wird irreparablen Schaden verursachen, wobei die Unterprivilegierten unverhältnismäßig stark betroffen sind." Es sei deshalb besser, nur alte Menschen abzuschirmen und gezielt zu schützen. Die junge und gesunde Bevölkerung solle zum normalen Leben zurückkehren. So soll irgendwann eine Herdenimmunität erreicht werden. Mehrere hunderttausend Menschen haben die Petition bereits unterschrieben.
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Das sagen Experten
Zahlreiche internationale Experten zeigen sich wegen der Petition besorgt. Zellbiologe Dr. Rupert Beale vom britischen Francis Crick Institute etwa sagt, Herdenimmunität ohne einen Impfstoff zu erreichen, sei Wunschdenken.
Christian Drosten von der Berliner Charité nennt die Erklärung "total irreführend". Zum einen könne es nicht gelingen, ältere Menschen komplett abzuschirmen. Zum anderen träten auch bei jungen Menschen schwere Verläufe von Covid-19 auf. Solche Aussagen würden den Zusammenhalt und das gemeinsame Verständnis der Problematik stören. Andere Wissenschaftler zeigen zwar Verständnis für die Befürchtungen. Ihnen fehlen in der Erklärung jedoch konkrete Vorschläge, wie Risikopatienten sicher zu schützen sind.
Immer wieder melden sich Wissenschaftler, die das Erreichen der Herdenimmunität für den besten Weg halten. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, warnt jedoch: Eine unkontrollierte Verbreitung des Virus bedeute, unnötige Infektionen, Leiden und Tod zuzulassen und sei unethisch.
Lesetipp: Was ist Herdenimmunität?
Online-Informationen der Great Barrington Declaration: gbdeclaration.org (Abrufdatum: 14.10.2020)
Coronavirus-Update (60): Das Dilemma der Politik. Online-Publikation des Norddeutschen Rundfunks: www.ndr.de (14.10.2020)
Lenzer, J.: Covid-19: Group of UK and US experts argues for “focused protection” instead of lockdowns. The BMJ, Online-Publikation: www.bmj.com (7.10.2020)
Expert reaction to Barrington Declaration, an open letter arguing against lockdown policies and for ‘Focused Protection’, Science Media Centre, Online-Publikation: www.sciencemediacentre.org (6.10.2020)
Letzte inhaltliche Prüfung: 14.10.2020Letzte Änderung: 28.10.2020