Eine junge Frau steht glücklich und selbstbewusst vorm Spiegel.
© GettyImages/Maria Korneeva

Mere-Exposure-Effekt: Wie Vorlieben gesteuert werden

Von: Brit Weirich (Medizinautorin, M.A. Mehrsprachige Kommunikation)
Letzte Aktualisierung: 07.08.2023

Im Spiegel gefallen wir uns meist besser als auf Fotos – weil wir unfotogen sind? Nein, vielmehr steckt ein psychologisches Phänomen dahinter. Der Mere-Exposure-Effekt beeinflusst nicht nur unser Selbstbild, sondern auch unsere Vorlieben, Kaufentscheidungen und unsere sozialen Interaktionen. So lässt sich der Mechanismus im Alltag nutzen. 

FAQ: Häufige Fragen zum Mere-Exposure-Effekt

Viele Menschen gefallen sich im Spiegel besser als auf Fotos. Das lässt sich mit dem Mere-Exposure-Effekt erklären: Was uns vertraut ist, bewerten wir positiver. Aus diesem Grund nehmen viele Smartphone-Kameras "Selfies" spiegelverkehrt auf. So sehen wir uns, wie wir es aus dem Spiegel kennen. 

Der Mere-Exposure-Effekt kann dazu beitragen, die Ernährung umzustellen: Greift man immer wieder bewusst zu gesunden Lebensmitteln, werden diese mit der Zeit vermutlich besser schmecken. Eine langfristige und gesunde Gewichtsabnahme erfordert neben einer ausgewogenen Ernährung zusätzlich jedoch körperliche Aktivität. 

Ja, dieses Phänomen wird "Negative Mere-Exposure-Effekt" oder "Mere-Exposure-Rejection" genannt. Macht eine Person schlechte Erfahrungen mit einem Reiz, kann sich eine wiederholte Konfrontation negativ auswirken und die Abneigung verstärken. Auch, wenn eine Person einem Stimulus in kurzen Zeitabständen zu oft ausgesetzt wird, kann die positive Wirkung abnehmen und es kommt zu einer Art Übersättigung.

Was ist der Mere-Exposure-Effekt?

Je häufiger wir einen Reiz wahrnehmen, desto positiver bewerten wir ihn. Dieses Phänomen wird in der Psychologie als Mere-Exposure-Effekt bezeichnet. Mögliche Übersetzungen ins Deutsche sind:

  • bloßer Sichtbarkeits-Effekt oder
  • Effekt des bloßen Kontakts

Was also zunächst als neutral angesehen wird, erscheint durch einen wiederholten Kontakt attraktiver und formt unsere Vorlieben. Das psychologische Phänomen läuft in der Regel unbewusst ab. 

Der Mere-Exposure-Effekt wurde erstmals in den 1960er Jahren von dem US-amerikanischen Sozialpsychologen Robert B. Zajonc in seiner Studie "Attitudinal Effects of Mere Exposure" beschrieben. Hierzu führte er eine Reihe von Experimenten durch, in denen er den Teilnehmenden verschiedene Symbole und Bilder zeigte. Die Erkenntnis, dass oft gezeigte Reize bevorzugt wurden, legte den Grundstein für das Verständnis des Mere-Exposure-Effekts und seine Auswirkungen auf das menschliche Verhalten und die Wahrnehmung.

Der Mere-Exposure-Effekt kann auf eine Vielzahl von Reizen zutreffen, darunter:

  • Personen/Gesichter
  • Gegenstände
  • Musik/Geräusche
  • Mode
  • Essen
  • Kulturen/Bräuche
  • Unternehmen/Firmenlogos

Warum gefallen wir uns im Spiegel besser als auf Fotos?

Der Großteil der Menschen findet sich im Spiegel attraktiver als auf Fotos. Der Mere-Exposure-Effekt liefert hierfür eine Erklärung: Im Spiegel sehen wir uns deutlich öfter. Dadurch entsteht eine vertraute visuelle Wahrnehmung unseres eigenen Gesichts. Auf Fotos sieht man sich hingegen oft aus anderen Blickwinkeln und in nicht-spiegelverkehrter Darstellung. Das kann ein ungewohntes Bild des eigenen Selbst erzeugen und zu einer weniger attraktiven Wahrnehmung führen. 

Tipp: Je öfter man Fotos von sich selbst macht und diese betrachtet, desto besser gefällt man sich in der Regel auf den Aufnahmen. 

So nutzen Unternehmen den Mere-Exposure-Effekt

Viele Unternehmen machen sich den Mere-Exposure-Effekt bewusst zunutze, um ihre Produkte, Marken, Logos und Botschaften effektiver zu vermarkten. Indem sie diese wiederholt vor potenziellen Kund*innen präsentieren, steigern sie die Vertrautheit und fördern eine positive Einstellung zu ihren Angeboten. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kaufentscheidung auf diese Produkte oder Marken fällt.

Gängige Methoden, mit denen Unternehmen den Mere-Exposure-Effekt nutzen, sind:

  • Werbung 
  • Markenplatzierung in Filmen, Serien und Fernsehsendungen oder anderen Medieninhalten
  • wiederholte Produktpräsentationen in Geschäften oder bei Veranstaltungen 
  • Wahlplakate
  • Social-Media-Marketing, unter anderem durch Influencer*innen
  • Sponsoring und Events

Studie belegt unbewusste Wirkung von Werbung

2007 wurde ein Experiment durchgeführt, den Mere-Exposure-Effekt anhand von Werbewirkung demonstriert. Proband*innen sahen einen TV-Beitrag, in dem ein Produkt einer unbekannten Marke unterschiedlich oft integriert wurde. Die Versuchsgruppe, in dessen Beitrag das Markenlogo häufiger auftauchte, bewertete diese im Anschluss positiver als die Teilnehmenden, die die Marke seltener zu Gesicht bekamen. 

Wie kommt es zum Mere-Exposure-Effekt?

Fachleuten zufolge stecken verschiedene psychologische Mechanismen hinter dem Mere-Exposure-Effekt.

  • Familiarität und Sicherheit: Menschen neigen dazu, das Bekannte dem Unbekannten vorzuziehen, da es ihnen ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle vermittelt. Die wiederholte Exposition gegenüber eines Reizes führt dazu, dass er vertrauter wird – und diese Vertrautheit wird häufig mit positiven Emotionen verbunden. 

  • Kognitive Leichtigkeit: Wird ein Reiz wiederholt präsentiert, erfolgt dessen Verarbeitung einfacher und schneller. Unser Gehirn reagiert auf Dinge positiver, die leicht verständlich und verarbeitbar sind. 

  • Implizite Assoziationen: Wiederholt einem Reiz ausgesetzt zu sein, kann zu einer Bildung sogenannter impliziter Assoziationen führen, die unser Verhalten beeinflussen. Das heißt: Auch wenn wir uns nicht aktiv an die wiederholte Exposition erinnern, können positive Assoziationen mit dem Reiz im Unterbewusstsein verankert sein und unsere Vorlieben beeinflussen.

  • Abbau von Ängsten: Wiederholte Konfrontation hilft, die Unsicherheit und Angst gegenüber unbekannten Dingen oder Personen zu reduzieren. Indem wir uns häufiger mit einem Stimulus konfrontieren, gewinnen wir ein besseres Verständnis dafür und entwickeln eine weniger negative oder abwehrende Haltung.

Es ist wichtig zu beachten, dass der Mere-Exposure-Effekt nicht immer einheitlich auftritt und von verschiedenen Faktoren wie der Art des Reizes, der Intensität und Häufigkeit der Wahrnehmung und individuellen Unterschieden beeinflusst wird.

Mere-Exposure-Effekt nutzen

Sich den Mere-Exposure-Effekt im Alltag bewusst zu machen, kann aus verschiedenen Gründen hilfreich sein. 

  • Entscheidungsfindung: Wer weiß, dass die persönlichen Vorlieben und Einstellungen durch wiederholte Wahrnehmung beeinflusst werden, kann sich besser vor manipulativen Taktiken schützen. So lassen sich etwa Kaufentscheidungen reflektierter treffen. 

  • Soziale Beziehungen: In sozialen Interaktionen kann das Wissen über den Mere-Exposure-Effekt helfen, das Verhalten und die Reaktionen anderer Menschen besser zu verstehen. Erscheint uns jemand zunächst abweisend, könnte dies daran liegen, dass wir für diese Person noch neu und ungewohnt sind. Mit der Zeit und mehreren Begegnungen entwickeln sich womöglich positive Gefühle.

  • Selbstwahrnehmung: Die Kenntnis des Mere-Exposure-Effekts kann dabei helfen, das eigene Selbstbild realistischer zu betrachten. Wer versteht, dass das eigene Spiegelbild einzig durch häufige Wahrnehmung positiver bewertet wird, kann sich womöglich besser von unrealistischen Standards lösen, sich besser akzeptieren und an Selbstvertrauen gewinnen. 

  • Toleranz und Offenheit: Das Wissen über den Mere-Exposure-Effekt kann helfen, neuen Ideen, Kulturen und Perspektiven offen und unvoreingenommen zu begegnen. So lassen sich Vorurteile verringern und die Toleranz gegenüber dem Unbekannten fördern. Dies kann nicht nur persönlich bereichernd sein, sondern auch zu einer inklusiveren Gesellschaft beitragen. 

Mere-Exposure-Effekt bei Kindern

Eltern und Erziehungsberechtigte können den Mere-Exposure-Effekt nutzen, um die Lern- und Entwicklungsprozesse ihrer Kinder zu unterstützen. Indem sie sie wiederholt neuen Erfahrungen aussetzen, können sie ihre Vorlieben und Interessen erweitern und sie dazu ermutigen, Neues auszuprobieren.

Das gilt auch für das Essverhalten. Manche Kinder lehnen eine neue Speise bis zu zehnmal ab, bevor sie sie mögen. Dieser Prozess basiert auf einem biologischen Sicherheitsprinzip: "Ich esse nur, was ich kenne." Wenn Kinder ein Lebensmittel ohne negative Konsequenzen probiert haben, identifizieren sie dieses mit der Zeit als sicher, gewöhnen sich an den Geschmack und greifen beruhigt erneut zu.