Ein übergewichtiger Junge schaut traurig in die Kamera.
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Übergewicht beim Kind: 10 Dinge, die Eltern tun können

Von: Lydia Klöckner (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 06.01.2022

Kinder mit Übergewicht sind in einem Teufelskreis gefangen. Was können Eltern tun, um ihnen zu helfen? Welche Fehler sollten sie unbedingt vermeiden? 10 Tipps, die erwiesenermaßen förderlich sind.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Überblick

Für Kinder kann Übergewicht zur Qual werden. Es stört sie beim Spielen und hindert sie daran, ihren natürlichen Bewegungsdrang auszuleben. Es belastet ihre Gelenke, ihr Herz-Kreislauf-System und bringt ihren Stoffwechsel durcheinander. Und, vielleicht am schlimmsten: Es macht sie zur Zielscheibe für Hänseleien, die sich nachhaltig auf ihr weiteres Leben auswirken können.

Viele Kinder, die wegen ihres Gewichts gemobbt werden, entwickeln Schamgefühle, Depressionen und Angststörungen, ziehen sich von ihrem sozialen Umfeld zurück und erbringen schlechtere Leistungen in der Schule. Als Trost essen sie noch mehr und geraten damit in einen Teufelskreis, aus dem sie sich aus eigener Kraft kaum befreien können. Doch auch die Eltern fühlen sich häufig überfordert mit der Situation. Was kann man tun, um dem Kind zu helfen? Und was sollte man vermeiden?

 

10 Tipps für Eltern

1. Seien Sie ein gutes Vorbild.

Sagen Sie Ihrem Kind nicht, dass es weniger Süßes essen und sich mehr bewegen soll. Achten Sie zunächst auf Ihr eigenes Ess- und Bewegungsverhalten und Ihre Beziehung zum Essen. Wie viel und wie oft essen Sie? Snacken Sie zwischendurch? In welchen Situationen essen Sie? Essen Sie wirklich nur, wenn Sie hungrig sind? Und wie sprechen Sie über Essen?

Kinder lernen durch Nachahmung. Wenn Sie selbst jede freie Minute chipsessend auf der Couch verbringen, wird Ihr Kind davon ausgehen, dass das normal und richtig ist. Wenn Sie sich bei Kummer mit Süßigkeiten trösten, lernt Ihr Kind Frustessen als akzeptable Strategie der Stressbewältigung kennen.

2. Belohnen Sie Ihr Kind grundsätzlich nicht mit Essen …

… erst recht nicht dafür, dass es etwas Gesundes gegessen hat. Mit "Wenn du deinen Salat aufisst, gibt es Schokolade" vermitteln Sie Ihrem Kind, dass die (gesunde) Hauptmahlzeit unattraktiv, der (eher ungesunde) Nachtisch hingegen begehrenswert ist. Drängen Sie Ihr Kind am besten nicht dazu, gesunde Lebensmittel zu essen – machen Sie ihm diese lieber schmackhaft.

3. Achten Sie auf Ihre Wortwahl

Kinder sind eherbereit, etwas Gesundes zu kosten, wenn die Eltern es als "lecker" bezeichnen. Das haben Forscher in entsprechenden Experimenten nachgewiesen. Ob man auch über die gesundheitlichen Vorteile der Speise sprechen sollte, hängt wohl vor allem davon ab, wie gut man diese erklären kann. "Möhren sind gesund" ist wenig überzeugend, "Möhren enthalten Stoffe, die dein Körper braucht, damit du im Dunkeln sehen kannst" schon.

Laut einer aktuellen Studie lassen sich Kinder von derart exakten Argumenten tatsächlich überzeugen. Die drei bis sechs Jahre alten Probanden waren eher bereit, Linsen, Tomaten oder Quinoa zu probieren, wenn die Forscher ihnen so konkret wie möglich die gesundheitlichen Vorzüge dieser Lebensmittel nannten.

4. Seien Sie geduldig.

"Neophobie" nennen Wissenschaftler das angeborene Misstrauen, mit dem Babys und Kinder auf für sie ungewohnte Lebensmittel reagieren. Einst sollte es sie wahrscheinlich davor schützen, giftige Dinge zu essen. Bei einem übergewichtigen Kind kann dieses Misstrauen schnell zum Problem werden. Wie soll es abnehmen, wenn es nichts anderes essen möchte als Pommes, Pasta und Pizza?

Das wohl wirksamste Mittel gegen die Neophobie ist Wiederholung: Bieten Sie Ihrem Kind einfach immer wieder Gemüse und Obst an – ohne Zwang, am besten in unterschiedlichen Variationen und Zubereitungsformen und vielleicht zunächst in Kombination mit der Lieblingsspeise: Pilze eignen sich hervorragend als Pizzabelag. Spaghetti Bolognese lässt sich wunderbar mit frischer Paprika verfeinern. Im besten Fall erreichen Sie mit diesem Trick, dass Ihr Kind die Scheu vor Gemüse verliert.

5. Lassen Sie Ihre Kinder beim Einkaufen und Kochen helfen.

Kinder sind stolz, wenn sie selbst mitbestimmen dürfen, was in den Einkaufswagen und auf den Tisch kommt. Auch Kochen bereitet Kindern häufig Spaß. Für Sie bedeutet das zwar unter Umständen, dass Sie sich auf das ein- oder andere kulinarische Experiment einlassen müssen. Aber für Ihr Kind ist der selbstgekochte Phantasie-Eintopf mit den selbst ausgesuchten und selbstgeschnippelten Gemüsen sehr wahrscheinlich reizvoller als jedes Mikrowellengericht.

6. Verzichten Sie auf Witze und Neckereien.

In Langzeitstudien nahmen Kinder und Jugendliche, die für ihr Körpergewicht geneckt oder gehänselt worden waren, über die Zeit mehr zu als Heranwachsende, die keine Scherze oder Sticheleien über sich hatten ergehen lassen müssen. Machen Sie also keine Scherze über die Essgewohnheiten oder das Gewicht Ihres Kindes, auch keine "liebevoll gemeinten". Fragen Sie Ihr Kind auch, ob es sich in der Schule wohlfühlt, oder ob es Probleme mit Mitschülern oder Lehrern gibt. Signalisieren Sie ihm, dass es jederzeit mit Ihnen sprechen kann.

7. Sorgen Sie dafür, dass das Kind nicht vor dem Fernseher oder PC isst.

"Vereinbaren Sie Regeln im Umgang mit den Medien, zum Beispiel, dass das Handy während der Mahlzeiten und nachts beiseitegelegt wird", rät die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf ihrer Infoseite zum Thema Übergewicht bei Kindern. Tatsächlich deuten Untersuchungen auf einen direkten Zusammenhang zwischen Bildschirm-Zeit und Übergewicht hin: Kinder, die viel fernsehen oder Videospiele spielen, sind häufiger übergewichtig als Kinder, die ihre Zeit mit anderen Aktivitäten verbringen.

Studien zeigen außerdem, dass übergewichtige Kinder abnehmen (oder langsamer zunehmen als vorher), wenn man ihre Zeit an Bildschirmen einschränkt.

Warum, ist noch nicht endgültig geklärt. Forscher vermuten, dass verschiedene Faktoren eine Rolle spielen:

  • Klassische Fernseh-Snacks wie Chips, Süßigkeiten und Softdrinks sind kalorienreich und machen hungrig.
  • Im Fernsehen laufen viele Werbespots für ungesunde Speisen und Getränke. Diese regen nicht nur kurzfristig den Appetit der Kinder an, sondern beeinflussen deren Konsumverhalten auch langfristig.
  • Kinder schlafen weniger, wenn sie viel fernsehen oder am PC spielen. Schlafmangel wiederum begünstigt Übergewicht (siehe Tipp 10).

8. Bringen Sie Schwung in die Familie.

Bewegung hilft nicht nur beim Abnehmen, sondern ist auch wichtig für die seelische Gesundheit Ihres Kindes. Fragen Sie Ihr Kind, was es gerne unternehmen würde. Wenn die Zeit für gemeinsame Freizeitaktivitäten zu knapp ist, versuchen Sie, mehr Bewegung im Alltag unterzubringen – sowohl in Ihrem als auch in dem Ihres Kindes.

Gute Anregungen dazu bietet etwa das Spiel Familienaufstand, das die Arbeitsgruppe Prävention und Gesundheitsförderung der Universität Bielefeld gemeinsam mit der Plattform Ernährung und Bewegung (peb) e.V. konzipiert hat.

9. Fördern Sie das Körperbewusstsein und Selbstwertgefühl Ihres Kindes.

Langfristig wird Ihr Kind nur dann gesündere Lebensgewohnheiten entwickeln, wenn es lernt, sich selbst wertzuschätzen, auf seine Bedürfnisse zu hören und sorgsam mit seinem Körper umzugehen. Darum ist es wichtig, dass Sie respektvoll mit Ihrem Kind umgehen:

  • Zwingen Sie Ihr Kind nicht zum essen, wenn es keinen Hunger hat.
  • Ermutigen Sie Ihr Kind, seine Wünsche und Meinungen zu äußern, und hören Sie ihm aufmerksam zu.
  • Würdigen und loben Sie positive Entwicklungen, die Ihnen bei ihrem Kind auffallen – zum Beispiel, wenn es sich einen Apfel für die Schule aufschneidet oder beschließt, früher ins Bett zu gehen.

10. Sorgen sie dafür, dass Ihr Kind ausreichend Ruhe bekommt.

Stress und Schlafmangel zählen zu den wichtigsten Risikofaktoren für Übergewicht. Achten Sie daher darauf, dass Ihr Kind sich regelmäßig ausruht und früh genug ins Bett geht – ohne Smartphone.

Hier finden Sie Rat und Hilfe

Übergewicht ist ein komplexes Problem. Um einen Ausweg zu finden, ist häufig professionelle Unterstützung nötig. Helfen können beispielsweise Kinderärzte, Kinder- und Jugendtherapeuten und Ernährungsberater. Nützliche Informationen über Übergewicht bei Kindern und passende Beratungsangebote finden Sie auch auf den Seiten der