Eine Frau trägt einen Teller mit Rohkost
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Rohkost am Abend: Ungesund oder nicht?

Von: Lydia Klöckner (Medizinredakteurin), Jasmin Krsteski (Biologin und Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 24.06.2024 - 12:30 Uhr

Obst, rohes Gemüse und Salat sind gesund. Nur abends soll man Rohkost angeblich nicht essen, sonst drohen Fettleber, Sodbrennen, Gewichtszunahme oder Schlafstörungen. Stimmt das? Lesen Sie, ob es sinnvoll ist, abends auf Rohkost zu verzichten oder ob es sich bei diesen Aussagen um Mythen handelt.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Führt Rohkost am Abend zu Verdauungsproblemen?

Obst und Gemüse sind reich an Ballaststoffen. Diese Fasern kann der Körper nur mithilfe der Darmbakterien verdauen. Sie zerlegen einen Teil der Ballaststoffe in kurzkettige Fettsäuren, die dem Körper Energie liefern. Als Nebenprodukte produzieren die Darmbakterien jedoch auch Gase.  Deshalb bekommen manche Menschen Blähungen, wenn sie größere Portionen an Obst oder Gemüse verzehren. 

Rohkost ist für den Darm besonders schwer zu verdauen. Im Dünndarm leben kaum Bakterien, welche die Zellwände zerlegen können. Zuvor unerhitztes Obst und Gemüse wird daher zu einem großen Teil unverdaut in den Dickdarm weiter geschleust.

Viele Gemüsesorten wie Paprika, Tomaten, Spinat und Karotten sind in gekochter Form bekömmlicher als roh. Denn beim Kochen werden die Zellwände zerstört, sodass der Körper die Nährstoffe schneller aus den Zellen lösen kann. So kann bereits im Dünndarm ein Großteil der Nährstoffe in den Körper aufgenommen werden.

Tageszeit ist nicht entscheidend

Die Tageszeit, zu der man isst, ist dabei jedoch unerheblich. Entscheidend ist vor allem die verzehrte Menge. Außerdem haben nicht alle Menschen mit Rohkost Probleme. Das liegt unter anderem an den individuellen Unterschieden in der Darmbakterienbesiedelung. 

Wer Rohkost nicht gut verträgt, sollte lieber kleine Portionen davon essen und diese gut kauen. Vom Speiseplan streichen sollte man rohes Obst, Salat und Gemüse nicht: Hitzeempfindliche Nährstoffe wie Vitamin C und einige B-Vitamine gehen beim Kochen verloren. Zudem passt sich die Bakterienflora im Darm teilweise an die Ernährung an. Steigert man die Zufuhr allmählich, kann sich der Darm also daran gewöhnen.

Verursacht Obst nächtliches Sodbrennen?

Zu Sodbrennen kommt es, wenn Magensäure in die Speiseröhre fließt. Häufig tritt es auf, wenn der Magen nach dem Essen vermehrt Säure produziert. Wie viel Säure gebildet wird, hängt von der Portionsgröße sowie von den Zutaten ab. Der Magen produziert insbesondere nach fettigen, scharfen, sauren oder zuckerhaltigen Mahlzeiten viel Säure.

Säurehaltige Früchte wie Kiwis, Ananas, Zitronen und Orangen können die Speiseröhre reizen, die Magensäureproduktion ankurbeln und damit Sodbrennen auslösen oder verstärken. Bei häufigem Sodbrennen ist die eigentliche Ursache der Beschwerden jedoch meist eine Refluxkrankheit, eine Störung des Schließmuskels, der Speiseröhre und Magen trennt.

Abends Obst: Übergewicht und Fettleber?

Obst enthält Zucker, unter anderem in Form von Fructose. Der Körper kann aus Fructose ebenso Energie gewinnen wie aus anderen Zuckerformen, beispielsweise Glucose (Traubenzucker). Allerdings gilt für Fructose eine Besonderheit: Während Glucose überall im Körper verwertet werden kann, findet die Verstoffwechslung von Fructose ausschließlich in der Leber statt.

Deshalb wirkt sich ein Übermaß an Fructose anders aus als ein Zuviel an Glucose: Nimmt der Körper mehr Glucose auf, als er verbrennen kann, wird die überschüssige Energie weitgehend als Körperfett oder Glykogen eingelagert. Isst jemand mehr Fructose als nötig, wird die Energie zwar ebenfalls als Fett gespeichert – aber vor allem in der Leber.

Es ist möglich, dass die Leber verfettet, wenn sehr viel Obst gegessen oder Saft getrunken wird. Die Tageszeit ist dabei aber wahrscheinlich nicht entscheidend. Ausschlaggebend ist vor allem die Kalorienbilanz: Wer nicht mehr Zucker zu sich nimmt, als der Körper verbrennt, lagert auch kein Fett ein – weder in der Leber, noch sonst irgendwo im Körper.

Abends Obst bei Diabetes?

Obst ist gesund, auch für Menschen mit Diabetes mellitus. Diese müssen allerdings darauf achten, möglichst Obstsorten mit einem niedrigen glykämischen Index zu essen, die den Blutzucker nur langsam steigen lassen. Gut geeignet ist Obst mit wenig Fruchtzucker, etwa Äpfel oder Beeren. Auch der Zeitpunkt kann dabei eine Rolle spielen: Nehmen Menschen mit Diabetes abends vor dem Zubettgehen viele Kohlenhydrate zu sich, kann das zu einem hohen Blutzuckerspiegel in der Nacht führen. Hilfreich kann es sein, den Blutzuckerspiegel abends zu messen.

Auch Menschen ohne Diabetes sollten abends nicht zu kohlenhydratreich essen: Studien legen nahe, dass das Einschlafen länger dauert, wenn man kurz vor dem Zubettgehen zuckerreiche Lebensmittel zu sich genommen hat, zu denen auch Obstsorten wie Bananen oder Weintrauben zählen. Schließlich liefert Zucker Energie.

Gären Früchte nachts im Körper und werden zu Alkohol?

Alkohol entsteht, wenn Hefepilze Kohlenhydrate vergären. Im Darm findet dieser Prozess jedoch kaum statt. Zwar tummeln sich dort inmitten der Bakterien auch Hefepilze. Diese sind aber normalerweise in der Minderheit und produzieren – wenn überhaupt – nur äußerst geringe Mengen an Alkohol.

Eine sehr seltene Ausnahme gibt es: Beim sogenannten "Auto-Brewery-Syndrome" (übersetzt: Eigenbrauerei-Syndrom) breiten sich alkoholbildende Hefepilze wie Saccharomyces cerevisiae im Darm aus und verwandeln ihn in eine körpereigene Mini-Brauerei. Eine einzige kohlenhydratreiche Mahlzeit kann die Betroffenen regelrecht in einen Vollrausch versetzen – selbst, wenn es zum Essen keinen Schluck Alkohol gab.

Übrigens: Früchte und Obstsäfte enthalten von Natur aus Hefe und gären bereits, bevor man sie verzehrt. Je reifer das Obst, umso höher der Alkoholgehalt. Solange man den Alkohol nicht schmeckt, ist die Menge aber unbedenklich.