Harnverhalt (Harnretention)
Ein akuter Harnverhalt ist ein medizinischer Notfall. Harnverhalt kann jedoch auch als sogenannte Überlaufblase chronisch vorkommen.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Harnverhalt
Was ist Harnverhalt?
Von einem Harnverhalt spricht man, wenn es trotz starken Harndrangs und einer gefüllten Harnblase nicht möglich ist, die Blase durch Wasserlassen zu entleeren. Andere Bezeichnungen für Harnverhalt lauten Harnverhaltung, Harnretention oder Ischurie. Der Harnverhalt zählt zu den Blasenentleerungsstörungen.
Symptome bei akutem Harnverhalt
Ein akuter Harnverhalt tritt plötzlich auf. In der Regel verursacht der Harndrang dabei Schmerzen. Die übermäßige Füllung der Harnblase bewirkt, dass die Blasenwand überdehnt wird. Infolgedessen kann es bei Harnverhalt zu einem starken Druckgefühl und teils heftigen Schmerzen im Unterleib kommen. Die übermäßige Füllung macht sich in manchen Fällen auch durch eine Vorwölbung des Unterbauchs bemerkbar.
Ein akuter Harnverhalt ist ein medizinischer Notfall, der schnellstmöglich behandelt werden muss. Suchen Sie bei Verdacht auf akuten Harnverhalt rasch einen Arzt oder ein Krankenhaus auf oder rufen Sie den Rettungsdienst (112).
Symptome bei chronischem Harnverhalt
Bleibt die Blase längere Zeit maximal gefüllt, schließt der Blasenschließmuskel auf Dauer nicht mehr vollständig und gibt irgendwann nach. Dann kommt es zur sogenannten Überlaufblase mit Harnträufeln. Mediziner bezeichnen das unwillkürliche Abgehen von Urin bei einer Überlaufblase als Überlaufinkontinenz.
Weitere mögliche Symptome bei chronischem Harnverhalt sind:
- ungewöhnlich häufige Toilettengänge (bei normaler Trinkmenge gehen die meisten Menschen tagsüber ca. 4- bis 6-mal und nachts höchstens einmal zur Toilette)
- Harnstrahl bildet sich nur langsam
- Harnstrahl ist schwach oder unterbrochen bzw. tröpfelnd
- starker Harndrang, aber nur wenig Ergebnis auf der Toilette
- nach Ende des Wasserlassens besteht immer noch das Gefühl, zu müssen
Auch einen chronischen Harnverhalt sollte man ärztlich abklären und behandeln lassen, da neben einer Überlaufblase weitere Komplikationen auftreten können. So kann ein Harnverhalt beispielsweise zu einem Harnstau in den Harnleitern und Nierenbecken führen und letztlich die Nieren schädigen (sog. Harnstauungsnieren).
Harnverhalt: Ursachen
Die häufigsten Ursachen für einen Harnverhalt sind Harnwegsinfekte wie eine Blasenentzündung (Zystitis) oder Harnröhrenentzündung (Urethritis).
Ein Harnverhalt kann jedoch auchandere Ursachen haben, wie zum Beispiel:
- Erkrankungen der Prostata, wie
- eine Prostatavergrößerung (Prostatahyperplasie),
- Prostatakrebs oder
- eine Prostataentzündung
- Verengung der Harnröhre (angeboren oder z.B. durch eine Infektion)
- Verletzung der Harnröhre, zum Beispiel durch einen Blasenkatheter oder im Rahmen eines Unfalls mit Verletzungen des Beckens
- Blasensteine
- Nervenschädigungen oder -fehlfunktionen nach einem Bandscheibenvorfall, Schlaganfall oder aufgrund einer multiplen Sklerose
- diabetische autonome Neuropathie bei Diabetes mellitus
- Gebärmuttersenkung
- Geburtsvorgang
- Medikamente, beispielsweise Wirkstoffe aus der Gruppe der Sympathomimetika oder trizyklischen Antidepressiva
- (selten) Harnblasen- oder Harnröhrentumoren
Psychogener Harnverhalt (Paruresis)
Findet sich keine körperliche Ursache, kann Harnverhalt auch psychisch bedingt sein. Bei der sogenannten schüchternen Blase (Fachausdruck: Paruresis) gelingt es Betroffenen nicht, auf öffentlichen Toiletten Wasser zu lassen. Meist steckt dahinter die Angst oder Scham, andere könnten Geräusche von ihnen hören, wenn sie ihr Geschäft verrichten.
Im Grunde handelt es hierbei um eine sozialen Phobie, eine Form der Angststörung. Das Ausmaß der Phobie kann dabei sehr unterschiedlich sein. In manchen Fällen beginnen Betroffene, öffentliche Toiletten möglichst zu meiden oder verzichten sogar weitestgehend auf Unternehmungen mit anderen (z.B. Café- oder Kino-Besuche), da bereits der Gedanke, möglicherweise auf öffentliche Toiletten zu müssen, zu sehr stresst. Andere versuchen, weniger zu trinken, um seltener zur Toilette zu müssen, und riskieren gesundheitliche Folgen.
Viele Betroffene haben dabei das Gefühl, zu versagen oder weniger wert zu sein. In der Folge stellen sich unter Umständen Depressionen ein.
Harnverhalt: Diagnose
Tritt Harnverhalt akut auf, ist er ein urologischer Notfall, der eine rasche Diagnose und Behandlung erfordert. Bei Harnverhalt stellt der Arzt zunächst einige Fragen zu den Beschwerden und zur Krankengeschichte. Mögliche Fragen sind beispielsweise:
- Wie lange haben Sie die Probleme beim Wasserlassen schon?
- Bestehen bei Ihnen andere Erkrankungen, z.B. Diabetes mellitus oder Nierenerkrankungen?
- Nehmen Sie Medikamente ein, wenn ja, welche?
- Gab es bei Ihnen Operationen im Bereich der Harnwege oder Geschlechtsorgane?
Im Rahmen einer körperlichen Untersuchung wird der Arzt den Unterleib abtasten. Bei Männern erfolgt gegebenenfalls auch eine rektale Untersuchung, um die Prostata zu ertasten.
Eine Ultraschalluntersuchung der Harnwege, Harnblase und Nieren gibt Hinweise auf Ausmaß und mögliche Ursachen des Harnverhalts.
Mit einer Urinuntersuchung lassen sich mögliche Erreger wie Bakterien im Urin bestimmen.
Bei Bedarf veranlasst der Arzt eine Blutuntersuchung oder nimmt einen Abstrich, aus dem eine Erregerkultur angelegt wird.
Je nach vermuteter Ursache können bei einem Harnverhalt weitere Untersuchungen notwendig sein, so zum Beispiel
- eine Computertomographie (CT),
- eine Magnetresonanztomographie (MRT),
- neurologische Untersuchungen oder
- eine Blasenspiegelung (Zystoskopie).
Harnverhalt: Therapie
Bei einem Harnverhalt richtet sich die Therapie immer nach der jeweiligen Ursache. Der erste Behandlungsschritt ist dabei meist die kontrollierte Entleerung der Harnblase über einen Harnröhrenkatheter.
Dabei wird der Urin nach und nach in kleineren Portionen abgelassen. Das lindert mögliche Schmerzen im Unterleib, die infolge der prall gefüllten Harnblase bei einem Harnverhalt entstehen können. Das langsame Ablassen beugt zudem Komplikationen vor, etwa Blutungen der Blasenwand. Je nach Ursache des Harnverhalts kann der Harnröhrenkatheter kurzzeitig oder dauerhaft in der Harnröhre verbleiben.
Liegt dem Harnverhalt eine bakterielle Infektion der Harnblase oder Harnröhre zugrunde, verschreibt der Arzt Antibiotika.
Sofern sie nicht von selbst abgehen, lassen sich Blasensteine in den meisten Fällen während einer Blasenspiegelung entfernen. Ab einer bestimmten Größe zertrümmert der Arzt sie vorher mithilfe von Ultraschall. Die zertrümmerten Teilchen werden dann mit dem Urin ausgeschieden. In manchen Fällen kann auch eine Operation notwendig sein.
Ist der Harnverhalt Begleitsymptom einer anderen Grunderkrankung, wie einer neurologischen Erkrankung oder Krebserkrankung, muss diese gezielt behandelt werden.
Hat der Harnverhalt psychische Ursachen, kann ein beratendes Gespräch mit einem Psychotherapeuten ratsam sein. Mithilfe einer Verhaltenstherapie lässt sich eine sogenannte schüchterne Blase oft gut behandeln. Zu Beginn erfahren Betroffene unter anderem mehr über die Funktion der Blase und wieso es mit dem Wasserlassen unter Stress manchmal nicht wie gewünscht läuft.
Wichtig ist auch, sich anzuschauen, in welchen Situationen der psychogene Harnverhalt genau auftritt beziehungsweise, wann es einem leichter fällt, Wasser zu lassen. Daneben gibt der Therapeut Tipps und erklärt Übungen, mit denen der Betroffene unempfindlicher gegenüber öffentlichen Toiletten-Situationen wird.