Ein Mann sitzt am Tisch und trinkt Wasser.
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Autophagie

Von: Lydia Klöckner (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 12.02.2020 - 09:33 Uhr

Durch Autophagie reinigen sich die Zellen selbst. Das hält sie gesund: Funktioniert die Autophagie nicht mehr richtig, drohen Erkrankungen wie Alzheimer oder Krebs. Darum sucht die Forschung nach Möglichkeiten, die Autophagie anzuregen. Hier erfahren Sie, wie Autophagie funktioniert und ob sie sich durch Fasten aktivieren lässt.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Autophagie – was ist das?

Autophagie ist ein natürlicher Vorgang, der im Inneren unserer Körperzellen stattfindet. Die Zellen entsorgen dabei zum Beispiel schädliche Stoffe, die im Stoffwechsel entstehen, unbrauchbare Eiweiße sowie alte Zellorganellen.

Zellorganellen sind die Organe der Zelle. So wie die Lunge für die Atmung zuständig ist und der Darm für die Verdauung, hat auch jedes Mini-Organ der Zelle jeweils eine ganz bestimmte Aufgabe: Gewisse Organellen liefern der Zelle Energie, andere speichern Wasser, und wieder andere helfen ihr bei der Vermehrung. Wenn Zellorganellen altern und nicht mehr richtig funktionieren, belasten sie die Zelle. Deshalb muss die Zelle sie rechtzeitig loswerden. Dazu dient die Autophagie.

Bei der Autophagie scheiden Zellen ihren Müll aber nicht einfach aus, sondern sie verdauen ihn. Autophagie bedeutet wörtlich übersetzt "sich selbst essen" (griech. auto = selbst, phagein = essen). Man könnte auch von Recycling sprechen: Die Eiweiße und Organellen werden in chemische Bausteine zerlegt, aus denen die Zellen neue nützliche Stoffe bilden können.

Welche Bedeutung die Autophagie für den Körper hat, beginnt die Wissenschaft gerade erst zu verstehen. Klar ist, dass dieser Selbstreinigungsprozess lebenswichtig ist. "Zellen, in denen sich zu viel Müll sammelt, gehen zugrunde", erklärt der Prof. Stephan Herzig, Direktor des Helmholtz Diabetes Centers in München. Der Biologe erforscht den Stoffwechsel menschlicher Zellen, genauer gesagt: wie Störungen im Zellstoffwechsel zu Erkrankungen wie Diabetes und Krebs führen.

Eine gestörte Autophagie scheint bei diesen und vielen anderen Erkrankungen eine Rolle zu spielen. Deshalb sehen viele Forscherinnen und Forscher in ihr einen wichtigen Ansatzpunkt für neue Therapien. Manche vermuten sogar, dass die zelluläre Selbstreinigung der Schlüssel zu einem längeren Leben ist.

Autophagie aktivieren durch Fasten und Intervallfasten

Fasten oder Intervallfasten gelten als aussichtsreiche Methoden, um die Autophagie im Körper anzukurbeln. Die Idee dazu stammt aus Laborexperimenten: Darin hat sich gezeigt, dass Zellen verstärkt Autophagie betreiben, wenn sie keine Nährstoffe erhalten. Das ist wahrscheinlich ein Überlebensmechanismus, um den Energiemangel zu überbrücken. Aus den Bestandteilen ihres Mülls können die Zellen zum einen Treibstoff herstellen. Zum anderen bilden die Zellen daraus Eiweiße, die ihnen während der Nährstoff-Knappheit beim Überleben helfen.

Auch die Zellen des menschlichen Körpers lassen sich in Energienot versetzen: durch Hungern. "Der Körper wechselt nach etwa 12 bis 16 Stunden ohne Nahrung in den Hungerstoffwechsel", sagt der Biologe Prof. Herzig. Wenn dem Organismus der Zucker ausgeht, haben die Zellen keine schnell verfügbare Energie mehr zur Verfügung. Sie müssen dann notgedrungen auf energieärmere Treibstoffquellen umsteigen. Dieser "Treibstoff-Switch" setzt unter anderem chemische Reaktionen in Gang, die die Autophagie stimulieren.

Mehr zum Thema: Intervallfasten und Fasten

Autophagie: Wann setzt sie ein?

Autophagie findet bei gesunden Menschen immer statt. Zellen müssen schließlich auch unter normalen Bedingungen dafür sorgen, dass sie gesund und funktionsfähig bleiben. Fasten regt die Autophagie nur an. Ab wie vielen Stunden des Fastens die Zellen verstärkt Autophagie betreiben, wurde bislang kaum erforscht – jedenfalls nicht in Studien mit Menschen.

Die meisten Erkenntnisse zu dieser Frage stammen aus Experimenten an Zellen und Tieren. Bei Mäusen und Ratten konnten Forscher bereits nach etwa 24 Stunden ohne Futter eine verstärkte Autophagie-Aktivität im Gehirn feststellen. In anderen Organen wie der Leber ging es deutlich schneller. Allerdings verbrauchen Mäuse und Ratten viel mehr Energie als Menschen. Sie verlieren bereits nach einem Tag ohne Nahrung einen beträchtlichen Teil ihrer Körpermasse.

Menschen müssen demnach deutlich länger hungern, um die Autophagie anzuregen. Das beliebte 16/8-Intervallfasten, bei denen man die Mahlzeiten auf ein Zeitfenster von acht Stunden beschränkt, hat wohl höchstens einen geringen Effekt.

Aber Fasten und Intervallfasten sind auch unabhängig von der Autophagie gesund. Die Essenspausen setzen im Körper zahlreiche Mechanismen in Gang, die dem Stoffwechsel und dem Herz-Kreislauf-System zugutekommen. In Studien hat sich gezeigt, dass Fasten und Intervallfasten dabei helfen, ein gesundes Gewicht zu erreichen und zu halten. Zudem scheint der regelmäßige Nahrungsverzicht das Risiko für Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Nervenerkrankungen und Krebs zu senken.

Autophagie und Gehirn

Alzheimer, Parkinson, Chorea Huntington und ALS haben eines gemeinsam: Bei den Erkrankten sterben vermehrt Nervenzellen im Gehirn ab. Darum spricht man auch von neurodegenerativen Erkrankungen. Die Gründe für den Verlust der Zellen sind von Erkrankung zu Erkrankung verschieden und noch nicht vollständig geklärt. Klar ist aber, dass

  • sich bei den Betroffenen vermehrt unbrauchbare Eiweiße im Gehirn ansammeln und
  • die Autophagie in den Gehirnzellen nicht richtig funktioniert.

Von diesen Erkenntnissen ausgehend forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an neuen Therapien. Sie experimentieren zum Beispiel mit Arzneistoffen, die die Autophagie im Gehirn anregen sollen. Die Idee: Wenn die Eiweiß-Ablagerungen für den Verfall der Gehirnzellen verantwortlich sind, könnte man diesen womöglich stoppen, indem man die Zellen dazu bringt, sich von den Ablagerungen zu befreien.

Ob dieser Ansatz tatsächlich funktioniert, ist aber noch ungewiss. Bisher gibt es keine Methode oder Arznei, mit der sich die Autophagie der Gehirnzellen gezielt aktivieren ließe. Sollte sich solch ein Mittel finden, ist auch noch nicht klar, ob es Erkrankungen wie Alzheimer lindern könnte. Unter anderem, weil sich diese meist erst bemerkbar machen, wenn das Gehirn bereits stark beeinträchtigt ist.

Autophagie und Krebs

Krebs entsteht, wenn Körperzellen beginnen, sich unkontrolliert zu vermehren. Das passiert nur, wenn die Zellen "entarten", sich also krankhaft verändern. Studien legen nahe, dass Autophagie Zellen vor krankhaften Veränderungen schützen kann. Folglich geht man davon aus, dass Fasten und andere Maßnahmen, die die Autophagie im Körper anregen, das Risiko für Krebs senken können.

Wie sich die Autophagie auf bestehende Krebserkrankungen auswirkt, ist allerdings noch nicht ausreichend erforscht. Nach allem, was man aus bisherigen Studien weiß, ist der Zusammenhang zwischen Autophagie und Tumorwachstum komplex. "Auch wenn Autophagie die Entstehung von Tumorzellen verhindern kann, scheint sie das Wachstum bestehender Tumore sogar anzuheizen", erklärt Prof. Stephan Herzig.

Inwieweit die Autophagie das Tumorwachstum beeinflusst, ist außerdem davon abhängig, aus welcher Art von Gewebe er hervorgegangen ist und in welchem Stadium er sich befindet.