Eine Frau mit Mundschutz wird gegen Corona geimpft
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Verändert eine Impfung mit BioNTech das Immunsystem?

Von: Jasmin Krsteski (Biologin und Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 29.11.2021

Eine niederländische Studie sorgt derzeit für Aufsehen. Die noch nicht wissenschaftlich überprüfte Arbeit hat untersucht, wie sich eine Impfung mit dem Corona-Impfstoff von BioNTech/Pfizer auf das Immunsystem auswirkt. Das Vakzin schützt der Forschergruppe zufolge effektiv vor SARS-CoV-2 – und reduziert gleichzeitig die Immunantwort gegen andere Erreger. Was bedeutet das Ergebnis tatsächlich?

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Die Studie

Die Studie von niederländischen und deutschen Forschenden scheint auf den ersten Blick die tief sitzende Sorge von Impfkritiker*innen zu bestätigen, dass die Covid-19-Impfung langfristig in unseren Körper eingreift und unser Immunsystem verändert. Im Internet kursieren Videos, die die Arbeit als vermeintlichen Beweis dafür heranziehen. Was besagt die Studie tatsächlich? Hier kommen die Fakten.

Zunächst einmal: Es handelt sich um eine kleine Studie, die zudem noch nicht wissenschaftlich überprüft wurde.

Das sind die vorläufigen Ergebnisse der Forschergruppe:

1. Die Impfung schützt gesunde Personen wirksam vor mehreren Varianten von SARS-CoV-2, indem sie das erworbene Immunsystem moduliert (das ist das Prinzip jeder Impfung).

2. Die Impfung scheint jedoch parallel dazu auch das angeborene Immunsystem beeinflussen zu können.

3. Die angeborene Immunantwort auf andere Viren und Bakterien kann durch die Impfung abgeschwächt werden.

4. Die angeborene Immunantwort auf Pilze kann dagegen stärker ausfallen.

Die Wissenschaftler*innen haben sich für ihre Arbeit angeschaut, wie hoch der Spiegel an Zytokinen im Blutserum von gesunden Personen vor und nach der Impfung war. Zytokine können bestimmte Abwehrzellen aktivieren. Dafür haben die Forschenden Blutproben entnommen und die Immunabwehr mit verschiedenen Erregern provoziert. Bei einigen Teilnehmer*innen war die Immunreaktion bei Bakterien und Viren etwas reduziert, bei pilzlichen Erregern etwas verstärkt.

Fazit: Was bedeutet das?

Tatsächlich sprechen die Forscher*innen von einer "Reprogrammierung des Immunsystems". Das hört sich dramatisch an. Aber ist es das auch?

Falls eine mRNA-Impfung die Reaktion des angeborenen Immunsystems gegenüber einigen Viren und Bakterien (einschließlich SARS-CoV2) tatsächlich abschwächt, ist das eine wichtige Erkenntnis.

Die angeborene Immunabwehr reagiert als erste auf Eindringlinge, und zwar auf jeden Erreger auf gleiche Weise, weshalb sie im Gegensatz zur erworbenen Immunabwehr auch "unspezifische Immunabwehr" genannt wird.

Das erworbene Immunsystem dagegen richtet sich direkt gegen bestimmte Erreger, wenn die angeborene Immunabwehr sie nicht zuvor vernichten konnte. Dafür muss es einen Erreger erst einmal kennenlernen, zum Beispiel im Zuge einer Impfung. Der entsprechende Schutz muss sich erst aufbauen. Dann aber ist sie gezielter als die angeborene Immunabwehr und sehr effektiv.

Dramatisch ist diese Veränderung – falls sich die Ergebnisse bestätigen sollten – jedoch nicht. Denn: Zum einen ist das angeborene Immunsystem nur ein kleiner Teil der komplexen Immunabwehr. Zum anderen sind die Veränderungen und die Effekte in der Studie zwar bei einigen Erregern messbar, aber sehr gering. Offenbar zu gering, um tatsächlich Konsequenzen für geimpfte Personen zu haben, denn bisher sind solche nicht bekannt.

Außerdem können auch andere Impfstoffe die Immunantwort des angeborenen Immunsystems bekanntermaßen verändern, etwa der MMR-Impfung (Masern-Mumps-Röteln). Dennoch ist der Nutzen solcher Impfungen größer als das Risiko durch eventuelle Veränderung im Immunsystem. Studien zeigen nämlich, dass die Veränderungen des angeborenen Immunsystems zugunsten des erworbenen Immunsystems stattfinden.

Deutlichere Veränderungen durch Infektionen

Nicht nur Impfungen beeinflussen das Immunsystem. Virale Infektionen können das Immunsystem langfristig schädigen. Studien haben gezeigt, dass zum Beispiel eine Maserninfektion das Immunsystem nachhaltig über mehrere Monate oder Jahre schwächen kann. Dieses Phänomen wird als "Immunamnesie" bezeichnet und ist eine Art Gedächtnisschwund des Immunsystems. Auch von Covid-19-Infektionen ist bekannt, dass sie die Immunabwehr schwächen können. Erst kürzlich haben Forscher*innen der Universität Köln in einer Studie gezeigt, dass Abwehrzellen des angeborenen Immunsystems nach Covid-19 bei manchen Menschen "langanhaltend und tiefgreifend umprogrammiert" zu sein scheinen.

Neu ist die Erkenntnis, dass solche Veränderungen vermutlich auch bei den mRNA-Impfstoffen auftreten können. Die Studie ist damit nicht falsch oder unwichtig. Sie sollte nur nicht fehlinterpretiert werden. Die Forschergruppe fordert zum Beispiel, dass die Erkenntnis berücksichtigt werden sollte, wenn es etwa um die Interaktion eines Covid-19-Vakzins mit einem anderen Impfstoff geht. Möglicherweise wäre es sinnvoll, eine Grippeschutzimpfung in einem bestimmten Abstand zur Covid-19-Impfung zu verabreichen.

Die Forschenden weisen in der Studie auch auf mögliche positive Effekte solcher Veränderungen hin. Während schwerer Infektionen mit Covid-19 sind Überreaktionen des Immunsystems durch sogenannte "Zytokinstürme" und die Folgen für den Körper eine Haupt-Todesursache. Möglicherweise ließe sich dies regulieren, wenn man die neue Erkenntnis sinnvoll nutzt.