Aminoglykosid-Antibiotika

Von: Andrea Lubliner (Pharmazeutin und Fachtexterin für medizinische Fachtexte)
Letzte Aktualisierung: 24.10.2022 - 14:33 Uhr

auch bezeichnet als:
Aminoglykoside

Wirkstoffe

Folgende Wirkstoffe sind der Wirkstoffgruppe "Aminoglykosid-Antibiotika" zugeordnet

 

Anwendungsgebiete dieser Wirkstoffgruppe

Aminoglykosid-Antibiotika sind Wirkstoffe, die der Vernichtung von Krankheitserregern dienen. Nach der Einnahme durch den Mund (oral) werden sie kaum vom Körper aufgenommen und wirken daher örtlich vor allem im Dünn- und Dickdarm. In Cremes, Salben oder Lösungen eingearbeitet, wirken Aminoglykosid-Antibiotika begrenzt auf der Haut. Werden sie allerdings gespritzt oder als Infusion gegeben, verteilen sie sich schnell im gesamten Organismus und können auch allgemeine Infektionen bekämpfen.

Wie und wann welche Aminoglykosid-Antibiotika eingesetzt werden, zeigt die folgende Aufstellung:

  • Orale Gabe:
    Für einen möglichst keimfreien Darm sorgt die Gabe von Neomycin und Paronomycin. Sie werden nur bei drei Gelegenheiten eingenommen:
    • Um vor Operationen die Darmkeime abzutöten. Der Darm stellt bei Operationen immer ein Keimdepot mit hohem Infektionsrisiko dar.
    • Bei Koma oder einer Gehirn"vergiftung" infolge eines Leberversagens (portosystemische Enzephalopathie). Bei dieser Erkrankung ist die Leberfunktion mangelhaft oder ganz ausgefallen. Die Leber kann den von Darmbakterien gebildeten Ammoniak nicht mehr abbauen. Er reichert sich im Blut an und schädigt das Gehirn. Die Wirkstoffe töten die Ammoniak-produzierenden Darmbakterien ab.
    • Bei Blutkrebs (Leukämie) und Granulozytopenie. Beide Krankheiten sind mit einer Immunschwäche verbunden, die den Körper gegen Erreger wehrlos macht. Die Wirkstoffe halten bei diesen Krankheitsbildern das Infektionsrisiko möglichst klein.
  • Äußerliche Anwendung:
    Bei bakteriellen Infektionen an Haut und Auge kommen nur Neomycin, Kanamycin und Framycetin zur Anwendung.
  • Anwendung als Spritze oder Infusion (parenteral):
    • Bei Infektionen durch Eitererreger wie Staphylokokkus aureus oder Streptokokken vom Typ A werden vor allem Gentamicin, Tobramycin, Amikacin und Netilmicin eingesetzt.
    • Bei Tuberkulose wird Streptomycin gegeben.
    • Bei lebensbedrohlichen Blutvergiftungen kombiniert man Beta-Lactam-Antibiotika mit Aminoglycosid-Antibiotika wie Gentamicin, Tobramycin, Netilmicin und Amikacin. Beide Antibiotikagruppen ergänzen sich in der Wirkung. Allerdings dürfen sie bei der Gabe zum Beispiel in einer Infusion nicht miteinander vermischt werden, da hohe Konzentrationen von Beta-Lactam-Antibiotika durch Anbindung an die Aminoglykoside zu deren Unwirksamkeit führen.
    • Herzinnenwandentzündung (Endokarditis) sowie schwere Infektionen mit unterschiedlichen Erregern wie beispielsweise Pseudomonas aeruginosa, Mykobakterien, Enterokokken, Listerien, Staphylokokken und Enterobakterien sind weitere Einsatzgebiete für Gentamicin, Tobramycin, Netilmicin und Amikacin. Amikacin wird aber nur als so genanntes Reserveantibiotikum eingesetzt, wenn die Erreger gegen die anderen drei Aminoglykoside unempfindlich sind.

Ein ähnlich wie die Aminoglykoside wirkendes Mittel ist das Spectinomycin. Es wird ausschließlich bei nicht kompliziertem Tripper (Gonorrhöe) eingesetzt, wenn Penicilline bei dieser Geschlechtskrankheit nicht wirken.
 

Wirkung

Aminoglykoside töten eine breite Palette von Bakterien ab. Dazu dringen sie in die Bakterien ein und heften sich dort an die so genannten Ribosomen. Ribosomen sind die Zellorgane, die Eiweiße bilden. Blockieren Aminoglykoside die Ribosomen, können wichtige Eiweiße nur noch fehlerhaft hergestellt werden. Diese fehlerhaften Eiweiße sind meist auch funktionslos. Die Bakterien gehen daran zugrunde und sterben ab. Daher wird die Wirkung der Aminoglykosid-Antibiotika auch als bakterizid bezeichnet - im Gegensatz zur bakteriostatischen Wirkung anderer Antibiotika, die Bakterien nur in ihrem weiteren Wachstum hemmen.

Vorteilhafterweise gelangen die Aminoglykosid-Antibiotika auf zwei Wegen in die Bakterien. Einmal können sie durch die normalen Poren der Bakterienwände dringen. Aber sie vermögen auch direkt die Zellwände zu überwinden. Dies erklärt den raschen Wirkungseintritt. Allerdings reagieren auf Aminoglykosid-Antibiotika nur solche Bakterien empfindlich, die Sauerstoff zum Leben brauchen. Diese Bedingung erschwert beispielsweise die Therapie einer Blutvergiftung. Gegen anaerobe Bakterien, die ganz ohne Sauerstoff auskommen, sind Aminoglykosid-Antibiotika unwirksam.

Da die Aminoglykoside innerhalb der Bakterien wirken, sterben die Erreger noch mehrere Stunden nach Gabe eines solchen Wirkstoffs ab. Dieser Effekt hängt jedoch von der Konzentration des Wirkstoffs ab. Folgt die zweite Dosis des Antibiotikums zu rasch auf die Erstgabe, lässt die Wirkung deutlich nach, da die Bakterien schon gewissermaßen "gesättigt" sind. Deshalb ist bei den Aminoglykosiden eine hohe Einmalgabe pro Tag wirksamer als mehrere kurz nacheinander folgende Gaben.

Aminoglykosid-Antibiotika reichern sich besonders in der Niere und im Gewebe des Innenohrs an, wodurch das Vergiftungsrisiko mit zunehmender Anwendungsdauer wächst. Vergiftungssymptome sind Nierenschäden und unheilbare Taubheit durch Zerstörung des ins Innenohr reichenden achten Hirnnervens. Die Wirkstoffe fließen aus Niere und Innenohr nur ab, wenn ihre Konzentration dort höher liegt als im Blut. So muss der Arzt die Behandlung stets durch eine Messung der Wirkstoff-Blutspiegel überwachen.