Aphasie
Sprechen können und Gesprochenes verstehen: Diese Fähigkeiten sind bei einer Aphasie ganz oder teilweise verlorengegangen. Ärzte unterscheiden verschiedene Formen von Aphasie – ein Beispiel ist die Wernicke-Aphasie, bei der vor allem das Sprachverständnis beeinträchtigt ist.

Inhaltsverzeichnis
Was ist eine Aphasie?
Eine Aphasie ist eine Sprachstörung, die durch eine Hirnschädigung entsteht. Dabei können unterschiedliche Bereiche der sprachlichen Kommunikation beeinträchtigt sein. Dazu zählen Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben. Welche Bereiche in welcher Ausprägung gestört sind, ist individuell verschieden.
Bei der Aphasie sprechen Mediziner von einer erworbenen Störung. Das bedeutet: Eine Aphasie ist nicht angeboren, sondern wird im Laufe des Lebens durch eine Erkrankung ausgelöst.
Wichtig zu wissen: Aphasiker können nur noch eingeschränkt mit ihrer Umwelt kommunizieren. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass sie geistig oder psychisch behindert sind.
Schlaganfall
Wie häufig kommt eine Aphasie vor?
Insgesamt leben in Deutschland mehr als 100.000 Menschen mit Aphasie.
Eine Aphasie im Erwachsenenalter ist meist die Folge eines Schlaganfalls: Pro Jahr haben in Deutschland rund 25.000 Erwachsene mit einer länger andauernden Sprachstörung nach einem Schlaganfall zu tun.
Kinder und Jugendliche sind vergleichsweise selten von Aphasie betroffen. Jedes Jahr bekommen in Deutschland 3.000 Menschen unter 15 Jahren diese Diagnose. Im Gegensatz zur Aphasie beim Erwachsenen ist bei Kindern nur selten ein Schlaganfall die Ursache: In acht von zehn Fällen entsteht die Sprachstörung bei ihnen nach einem unfallbedingten Schädel-Hirn-Trauma.
Aphasie: Symptome
Charakteristisch für eine Aphasie ist, dass die Sprache gestört ist. Die Symptome betreffen unterschiedliche sprachliche Fähigkeiten wie
- Sprechen,
- Verstehen,
- Lesen und
- Schreiben.
In jedem dieser Bereiche können Aphasiker mehr oder weniger beeinträchtigt sein. Manche haben Probleme damit, die richtigen Worte zu finden. Andere erleiden einen völligen Sprachverlust und können selbst einfache gesprochene Worte nicht verstehen.
In den meisten Fällen treten die Symptome einer Aphasie plötzlich auf – als direkte Folge einer Hirnschädigung wie zum Beispiel eines Schlaganfalls. Im Rahmen von Erkrankungen, die durch fortschreitenden Abbau von Hirnsubstanz gekennzeichnet sind (z.B. Demenzerkrankungen), kann sich eine Aphasie aber auch langsam entwickeln.
Alle Symptome, die Aphasiker im Erwachsenenalter zeigen, können auch bei Kindern auftreten. Die Sprachstörung kann sich bei Kindern und Jugendlichen jedoch von Fall zu Fall stark unterscheiden. Die Auswirkungen reichen von einer leicht verzögerten Sprachentwicklung bis hin zum völligen Verlust sprachlicher Fähigkeiten, sodass der Spracherwerb erschwert ist und nie muttersprachliches Niveau erreicht. Teilweise treten sprachliche Beeinträchtigungen auch erst nach Jahren zutage – zum Beispiel nach der Einschulung oder, wenn die schulischen Anforderungen steigen.
Formen von Aphasie
Je nachdem, welcher Teil des Gehirns geschädigt ist, unterscheiden Ärzte verschiedene Formen von Aphasie.
Die vier wichtigsten Aphasie-Formen sind:
Jede dieser Formen geht mit charakteristischen Symptomen einher.
Broca-Aphasie: Probleme mit der Sprachbildung
Bei der Broca-Aphasie (früher auch: motorische Aphasie) ist hauptsächlich die Sprachbildung gestört: Die Betroffenen haben Schwierigkeiten, Sprache aktiv hervorzubringen. Sie stocken beim Sprechen und verwechseln Laute. Sie sprechen langsam und machen häufig Pausen zwischen einzelnen Worten. Ihre Sätze wirken abgehackt und sind oft unvollständig. Zusätzlich kann auch das Sprachverständnis beeinträchtigt sein.
Wichtigstes Symptom der Broca-Aphasie ist der Agrammatismus (griech. a = ohne, nicht): Broca-Aphasiker sind nicht in der Lage, grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden. Ihre Sprache besteht aus kurzen, telegrammstilartigen Äußerungen, die aus ein bis drei Wörtern mit stark vereinfachtem Satzbau bestehen. Die Ordnung der Wörter folgt häufig nicht den grammatischen Regeln der Wortstellung, sondern der thematischen Wichtigkeit. In der Regel können die Betroffenen lesen und schreiben, haben aber auch auf diesen Gebieten Probleme.
Die Broca-Aphasie ist auf eine Schädigung zurückzuführen, die im Wesentlichen das Broca-Sprachzentrum betrifft: Dieses befindet sich im Stirnlappen des Gehirns in der sogenannten Area 44 nach Brodmann.
Wernicke-Aphasie: Gestörtes Sprachverständnis
Bei der Wernicke-Aphasie (auch: sensorische Aphasie) ist vor allem das Sprachverständnis beeinträchtigt. Betroffenen fällt es schwer, selbst einfache gesprochene Wörter zu verstehen. Die Sprachbildung kann ebenfalls gestört sein.
Menschen mit Wernicke-Aphase können sich nicht präzise sprachlich ausdrücken und das sagen, was sie eigentlich meinen. Wenn sie sprechen, verwechseln sie Worte oder einzelne Laute. Ganze Sätze sind oft falsch aufgebaut oder stark ineinander verschachtelt, sodass das Gegenüber Mühe hat, den Sinn zu erfassen.
Typische Symptome der Wernicke-Aphasie sind:
- Paragrammatismus (griech. para = neben, bei): Die gebildeten Sätze sind oft auffallend lang, wobei die Satzteile falsch verbunden sind oder einfach abbrechen. Auch Verdopplungen von Satzteilen und eingeschobene nichtssagende Äußerungen sind typisch.
- Paraphasie: Die Lautstruktur von Wörtern kann verändert sein, weil die Betroffenen beispielsweise Laute umstellen, auslassen oder hinzufügen (z.B. "Tamm" statt "Stamm", "Vergebrecher" statt "Verbrecher"). Zum anderen verwechseln manche Betroffene Wortbedeutungen und verwenden dadurch falsche Wörter (z.B. "Gewicht" statt "Blei") oder nicht existierende Wörter.
Die Wernicke-Aphasie ist hauptsächlich auf eine Schädigung im sogenannten Wernicke-Sprachzentrum zurückzuführen: Dieses liegt im oberen Schläfenlappen des Gehirns.
Amnestische Aphasie: Wortfindungsstörungen sind typisch
Typisch für die amnestische Aphasie sind Wortfindungsstörungen.
Eine Wortfindungsstörung führt zu größeren Sprechpausen oder Satzabbrüchen im ansonsten fast normalen Redefluss. Häufig entwickeln Menschen mit solchen Sprachstörungen Strategien, die fehlenden Wörter durch Umschreibungen (z.B. "das Ding") zu ersetzen. Meist können die Betroffenen Gesprochenes gut verstehen und auch weitgehend uneingeschränkt lesen und schreiben.
Bei einer amnestischen Aphasie ist häufig ein Bereich im unteren Schläfenlappen am Übergang zum Scheitellappen geschädigt. Allerdings ist diese Form der Sprachstörung nicht immer eindeutig einer bestimmten Hirnregion zuzuordnen.
Globale Aphasie: Besonders schwere Sprachstörung
Die globale Aphasie ist die schwerste Form der Aphasie. Die Störung ist so ausgeprägt, dass sprachliche Kommunikation (nahezu) unmöglich ist. Sowohl das Sprechen, Lesen und Schreiben als auch das Verstehen von Sprache sind schwer beeinträchtigt.
Typisch für die globale Aphasie sind Sprachautomatismen. Die Aphasiker wiederholen häufig formstarre Äußerungen, die keinen kommunikativen Zweck verfolgen und im Zusammenhang keinen Sinn machen (z.B. "jajaja"). Über diese Automatismen hinaus sind viele Betroffene kaum zu sprachlichen Äußerungen fähig.
Das Sprachverständnis ist massiv gestört. Dies betrifft meist alle Bestandteile des Sprachsystems (Wortschatz bzw. Lexik, Bedeutung von Wörtern bzw. Semantik, Satzbau bzw. Syntax und Lautbildung bzw. Phonologie) und auch alle Arten der sprachlichen Ausführung (Sprechen, Schreiben, Verstehen, Lesen). Häufig kann der Patient höchstens einfache Sätze verstehen.
Die globale Aphasie entsteht durch sehr ausgedehnte Schädigungen des Gehirns. Betroffen sind Teile des Stirn-, Schläfen- und Scheitellappens.
Sonderformen
Seltener tritt eine Aphasie in anderen Formen auf:
- Leitungsaphasie (auch: Nachsprechaphasie): Hierbei funktionieren das Sprachverständnis und die Spontansprache meist verhältnismäßig gut. Das Nachsprechen von Wörtern oder Sätzen ist jedoch stark beeinträchtigt.
- Transkortikal-sensorische Aphasie: Diese Sonderform entspricht weitgehend der Wernicke-Aphasie. Die Betroffenen neigen aber stark dazu, einzelne Laute, Silben, Wörter oder Sätze ständig zu wiederholen und Wörter oder Sätze anderer Personen nachzusprechen.
- Transkortikal-motorische Aphasie: Die Symptome sind ähnlich wie bei der Broca-Aphasie, allerdings haben die Betroffenen ein gutes Sprachverständnis und können Gehörtes gut nachsprechen.
Aphasie: Ursachen
Eine Aphasie entsteht durch eine Schädigung des Gehirns. Ein solcher Gehirnschaden kann unterschiedliche Ursachen haben.
Auf einen Blick: Mögliche Ursachen einer Aphasie sind
- ein Schlaganfall,
- ein Schädel-Hirn-Trauma,
- ein Hirntumor,
- Verlust von Hirnsubstanz, z.B. bei Demenz,
- entzündliche Prozesse im Hirn oder
- ein Sauerstoffmangel im Gehirn.
Etwa 80 von 100 aller Aphasien entstehen durch einen Schlaganfall.
Bei Erwachsenen ist meist ein Schlaganfall für eine Aphasie verantwortlich. Bei einem Schlaganfall ist die Durchblutung von einem Teil des Gehirns gestört. Dieser Teil erhält nicht mehr ausreichend Sauerstoff, sodass Gehirnzellen absterben.
Bei Kindern ist dagegen häufig ein Schädel-Hirn-Trauma die Ursache. Ein Schädel-Hirn-Trauma ist eine Kopfverletzung, die zum Beispiel durch einen Sturz oder einen Schlag ausgelöst werden kann. Auch bei Erwachsenen kann ein Schädel-Hirn-Trauma eine Aphasie auslösen. Etwa 10 von 100 Aphasien im Erwachsenenalter sind auf ein Schädel-Hirn-Trauma zurückzuführen.
Bei etwa sieben Prozent aller Aphasiker ist ein Hirntumor die Ursache der Sprachstörung.
Seltenere Ursachen einer Aphasie sind:
- ein langsam fortschreitender Verlust von Hirnsubstanz (sog. Hirnatrophie), der beispielsweise bei Demenzerkrankungen vorkommen kann,
- ein entzündlicher Prozess im Gehirn oder
- eine Mangelversorgung des Hirngewebes mit Sauerstoff (sog. Hypoxie); diese kann z.B. durch einen Herzstillstand, eine schwere allergische Reaktion oder einen Schock entstehen.
Aphasie: Diagnose
Bei einer Aphasie macht sich der Arzt, häufig ist es ein Neurologe, zunächst ein erstes Bild von den sprachlichen Fähigkeiten. Wichtig ist dabei, dass er andere Störungen ausschließen kann, welche die Sprache ebenfalls beeinträchtigen können. Dazu zählt zum Beispiel eine Dysarthrie, bei der Personen die Sprechbewegungen nicht kontrollieren können (z.B. im Rahmen von Parkinson).
Um die Ausprägung einer Aphasie genauer beurteilen zu können, stehen verschiedene Tests zur Verfügung.
Beim sogenannten Token-Test weist der Arzt den Patienten mündlich an, unter 10 bis 20 verschiedenen Plättchen 1 bis 2 Plättchen von bestimmter Farbe, Form und Größe herauszusuchen. Dieser Test zeigt mit einer Treffsicherheit von etwa 90 Prozent an, ob eine erworbene Sprachstörung infolge einer Gehirnschädigung vorliegt.
Zur genaueren Diagnose kommt häufig der sogenannte Aachener Aphasie-Test (AAT) zum Einsatz. Dieser ermöglicht es, die verschiedenen Formen von Aphasie und den jeweiligen Schweregrad festzustellen. Darüber hinaus ist der Test auch therapiebegleitend geeignet, um zu beurteilen, ob die Behandlung Fortschritte erzielt. Beim Aachener Aphasie-Test prüft der Arzt in einem standardisierten Interview die Leistungen
- des Nachsprechens,
- des Schreibens,
- des Lesens,
- des Benennens und
- des Sprachverstehens.
Durch die Hirnschädigung können auch andere Fähigkeiten beeinträchtigt sein, etwa Wahrnehmung und Intelligenz. Daher wird der Arzt prüfen, inwieweit diese Bereiche ebenfalls gestört sind.
Aphasie: Therapie
Je nachdem, was die Aphasie ausgelöst hat, wird der Arzt die zugrundeliegende Erkrankung entsprechend behandeln. Die Therapie der eigentlichen Aphasie gehört in die Hände eines Sprachtherapeuten/Logopäden.
Da die Sprachtherapie die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten vieler Aphasiker wesentlich verbessert, ist es wichtig, dass sie so früh wie möglich beginnt.
Ein Ziel der Therapie ist, die Kommunikation im Alltag zu verbessern. Dabei können ganz unterschiedliche Maßnahmen zum Einsatz kommen.
Nach einem Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma sind viele Betroffene zunächst oft kaum zu einer sprachlichen Äußerung fähig. Dann zielt die Sprachtherapie darauf ab, die Sprachleistung zu reaktivieren. Dabei setzt der Sprachtherapeut verschiedene Methoden ein. Eine besteht zum Beispiel darin, den Aphasiker zum Mit- oder Nachsprechen von automatisierten Wortreihen (Wochentage, Zahlenreihen) zu motivieren.
Auch richtet sich der Inhalt der Therapie danach, welche sprachliche Fähigkeit beeinträchtigt ist. Wenn die Sprachstörungen beispielsweise hauptsächlich den Bereich der Sprachbildung betrifft, übt der Therapeut mit seinem Patienten den Aufbau grammatikalisch korrekter, einfacher Sätze.
Ist die Therapie bereits fortgeschritten, geht es darum, die bislang erzielten Sprachleistungen auf die Erfordernisse der Alltagskommunikation zu übertragen. Um dies zu erleichtern, findet die Behandlung der Aphasie in dieser Phase häufig in Gruppen statt. In Rollenspielen und kleinen Dialogen können die Patienten ihre Fähigkeiten trainieren. Dabei kann es sehr hilfreich sein, auch die Angehörigen einzubeziehen.
Aphasie: Verlauf
Wie eine Aphasie verläuft, hängt in erster Linie von der Art und Schwere der ursächlichen Schädigung des Gehirns und vom Alter der Betroffenen ab.
Meist setzt eine Aphasie plötzlich nach einer akuten Gehirnschädigung ein, etwa nach einem Schlaganfall. In vielen Fällen bessern sich die Sprachprobleme innerhalb der nächsten Wochen von selbst. Eine Aphasie kann jedoch auch länger andauern oder sich langsam entwickelt. Dann ist eine besonders intensive und langfristige Sprachtherapie nötig.
ICD-10-Diagnoseschlüssel:
Hier finden Sie den passenden ICD-10-Code zu "Aphasie (Sprachstörung)":
- Sonstige degenerative Krankheiten des Nervensystems, anderenorts nicht klassifiziert
- Sprech- und Sprachstörungen, anderenorts nicht klassifiziert
Linktipps:
- Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker e.V.
Beratung, Infomaterial, Kontaktvermittlung, Betreuung und Vermittlung von Selbsthilfeprojekten, Aufbau von Aphasiker-Zentren, Seminare für Betroffene und ihre Angehörigen, Schulung von Therapeuten und Helfern, Öffentlichkeitsarbeit und Interessenvertretung - Aphasiker-Selbsthilfe in Hamburg e.V.
Informationen zum Thema Aphasie, Verbände, Kontakte, Links
Quellen:
Online-Informationen des Bundesverbands für die Rehabilitation der Aphasiker e.V. – Bundesverband Aphasie: www.aphasiker-kinder.de (Abrufdatum: 4.9.2018)
Online-Informationen des Deutschen Bundesverbands für Logopädie e.V.: www.dbl-ev.de (Abrufdatum: 4.9.2018)
Aphasie. Informationen für Betroffene und Angehörige. Online-Broschüre des Deutschen Bundesverband der akademischen Sprachtherapeuten: www.dbs-ev.de (Abrufdatum: 31.8.2018)
Aphasie. Online-Informationen des Pschyrembel: www.pschyrembel.de (Stand: Mai 2017)
Tesak, J., Brauer, T.: Aphasie – Sprachstörungen nach Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma. Schulz-Kirchner, Idstein 2014
Huber, W., Poeck, K., Springer, L.: Klinik und Rehabilitation der Aphasie. Thieme, Stuttgart 2013
Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN): Rehabilitation aphasischer Störungen nach Schlaganfall. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/090 (Stand: September 2012)
Letzte inhaltliche Prüfung: 04.09.2018
Letzte Änderung: 31.07.2019