Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer

Von: Andrea Lubliner (Pharmazeutin und Fachtexterin für medizinische Fachtexte)
Letzte Aktualisierung: 24.10.2022 - 10:51 Uhr

auch bezeichnet als:
selektive Serotonin- Reuptake- Inhibitoren; Serotonin- Reuptake- Inhibitoren, selektive ; Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, selektive; SSRI

Wirkstoffe

Folgende Wirkstoffe sind der Wirkstoffgruppe "selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer" zugeordnet

 

Anwendungsgebiete dieser Wirkstoffgruppe

Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) bessern die Symptome von Depressionen. Sie werden zum Beispiel bei einer schweren Depression (Major Depression) verwendet, aber auch bei Zwangsstörungen, Panikattacken und anderen Angststörungen.

Die wichtigsten Wirkstoffe, die in diese Gruppe gehören, sind Citalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin und Trazodon.

SSRI wirken stimmungsaufhellend und angstdämpfend. Der Antrieb kann durch sie gesteigert, aber auch gehemmt werden, die Psyche aktiviert oder gedämpft. Bei den meisten SSRI überwiegt der antriebssteigernde Effekt, manche Substanzen (Trazodon) dagegen wirken eher dämpfend. Oft liegt bei einer Depression nicht allein die negative Grundstimmung mit Niedergeschlagenheit und Angst vor. Häufig sind auch manisch-depressive Verstimmungen: Hier wechseln sich depressive Phasen ab mit Phasen gehobener, übersteigerter Stimmung (manische Phase). Daher ist auch das teils widersprüchlich anmutende Wirkungsspektrum der dagegen eingesetzten SSRI sinnvoll.

Ein neues Anwendungsgebiet der SSRI ist der frühzeitige Samenerguss. Hier kommt der Wirkstoff Dapoxetin zum Einsatz.

Wirkung

Als Ursache seelischer Beschwerden ist ein Mangel oder Ungleichgewicht an bestimmten Botenstoffen (Neurotransmittern) im Gehirn wahrscheinlich. Diese Stoffe heißen Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin und Serotonin. Sie alle werden benötigt, um elektrische Reize von einem Nerv zum anderen zu übertragen. Dazu setzt die Endigung des gereizten Nervs am Übergang zum Nachbarnerv einen Botenstoff frei. Der Botenstoff bindet an einen entsprechenden Rezeptor des Nachbarnervs. Das löst dort ein elektrisches Signal aus, welches weitergeleitet wird. Hat der Botenstoff so seine Aufgabe erledigt, wird er anschließend entweder abgebaut oder wieder in die ausschüttende Nervenzelle aufgenommen.

Da man erkannte, dass der Botenstoff Serotonin gerade bei Depressionen eine große Rolle spielt, kam es zur Entwicklung der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer. Sie verhindern, dass der Stoff Serotonin (nicht die anderen Botenstoffe) wieder in die Nervenzelle aufgenommen wird. Es liegt also mehr freies Serotonin im Gehirn zur Übertragung von Nervensignalen vor, was eine Depression günstig beeinflusst. Besonders die Stimmungsaufhellung wird mit diesem vermehrten Serotonin-Angebot in Zusammenhang gebracht.

Alle SSRI-Wirkstoffe werden relativ schnell und vollständig vom Körper aufgenommen. Ihre Wirkdauer unterscheidet sich aber deutlich. Teilweise liegt das daran, dass einige im Körper zu Stoffen abgebaut werden, die ihrerseits ebenfalls noch wirksam sind. Keine oder kaum wirksame Abbauprodukte besitzen die Wirkstoffe Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin und Trazodon. Von ihnen wirkt Trazodon am kürzesten, Fluvoxamin etwas länger und Paroxetin sowie Sertralin sind auch innerhalb eines Tages erst zur Hälfte abgebaut. Da Fluoxetin und Citalopram deutlich wirksame Abbauprodukte haben, wirken sie über Tage, Fluoxetin gar länger als eine Woche.

Anders als beispielsweise die tri- und tetracyclischen Antidepressiva gibt es bei den SSRI so gut wie keine Nebenwirkungen auf Herz und Kreislauf. Auch die anderen anticholinergen Wirkungen wie Mundtrockenheit, Verstopfung, verminderte Tränenproduktion, Störungen der Scharfsicht und Pupillenerweiterung fehlen praktisch. Als Nebenwirkungen der SSRI treten zu Beginn häufig Kopfschmerzen, Übelkeit und Verdauungsbeschwerden wie beispielsweise Durchfall auf. Gelegentlich werden durch die Behandlung Unruhe, Schlaflosigkeit, sexuelle Funktionsstörungen, Schwindel und Ängste hervorgerufen. Bei Trazodon kann es in seltenen Fällen zu Dauererektionen (Priapismus) kommen. Dann muss sofort der Arzt aufgesucht werden.

Die Wirkung des SSRI Dapoxetin bei vorzeitigem Samenerguss hängt mit der Rolle des Botenstoffs Serotonin bei der Steuerung der Ejakulation zusammen. Wird ausgeschüttetes Serotonin nicht in die Nervenenden wiederaufgenommen, wirkt es länger und stärker auf seine Bindungsstellen im unbewußten (vegetativen) Nervensystem. Dieser Effekt wirkt hemmend auf den Ablauf der Ejakulation.

Werden SSRI zusammen mit Migränemitteln aus der Wirkstoffgruppe der Triptane eingenommen, kann es zu einem lebensgefährlichen Serotonin-Syndrom kommen. Triptane wirken nämlich Serotonin-ähnlich und können daher die Wirkung der SSRI deutlich verstärken. Kommt es also bei gleichzeitiger Einnahme von Substanzen aus beiden Wirkstoffgruppen zu Unruhe, Wahnvorstellungen, Bewegungsstörungen, schnellem Herzschlag, Fieber, Übelkeit und Erbrechen sowie Durchfall, ist dringend ein Arzt aufzusuchen.

Neuere Studien lassen vermuten, dass die SSRI auch die Tätigkeit der Zellen beeinflussen, welche die Knochen auf- und abbauen. Es besteht daher bei einer langfristigen Behandlung mit diesen Medikamenten ein erhöhtes Risiko für Knochenbrüche und die Entwicklung einer Osteoporose.