Warum Männer Vorsorge meiden – und was helfen kann
Viele Männer zögern bei Gesundheits-Check-ups – selbst dann, wenn es um Krebs geht. Aber warum ist das so, und wie lässt sich das ändern? Schließlich ist Früherkennung oft entscheidend für ein langes, gesundes Leben. Der Urologe Prof. Dr. med. Thorsten Schlomm spricht im Interview darüber, wie Männer Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen können – und dabei das Steuer selbst in die Hand nehmen.

Männer sollen das Gefühl haben: 'Ich bestimme, wann ich was mache.'
Onmeda: Herr Prof. Dr. Schlomm, was genau ist der Unterschied zwischen Vorsorge und Früherkennung?
Prof. Dr. med. Thorsten Schlomm: Was wir im medizinischen Sinne tun, ist keine klassische Vorsorge. Das bedeutet eigentlich Prävention – also Maßnahmen, die das Entstehen einer Krankheit verhindern. Etwa durch gesunde Ernährung, sportliche Aktivitäten – oder durch die Einnahme von Blutdrucksenkern, damit man keinen Herzinfarkt bekommt.
Was wir machen, ist also Früherkennung: Denn der Krebs entsteht zwar, aber wir wollen ihn so früh erkennen, dass wir ihn heilen können. Dafür müssen wir jedoch aktiv werden, bevor Symptome auftreten.
Onmeda: Auf Social Media erreichen Sie bereits viele Männer: Wie schaffen Sie es, dass diese nicht abwinken – sondern zuhören?
Prof. Dr. med. Thorsten Schlomm: Mir ist es wichtig, medizinische Informationen niedrigschwellig und ohne Fachbegriffe zu vermitteln. Denn gerade bei Themen wie Prostata- oder Darmkrebs wird oft nicht offen darüber gesprochen. Dabei zeigen aktuelle Daten eindeutig: Wer sich alle drei Jahre untersuchen lässt, kann sein Risiko, an Prostatakrebs zu sterben, halbieren. Bei kaum einem anderen Krebs ist der Effekt so groß.
Viele Veränderungen am Hoden sind auch nicht immer Krebs. Die häufigste Ursache für einen spürbaren Knubbel sind Zysten. Wenn man das weiß, kann das bereits die Angst vor Untersuchungen nehmen. Manche Checks – wie das Abtasten der Hoden – lassen sich sogar einfach zu Hause durchführen, allein oder mit einer vertrauten Person.
Onmeda: Warum fehlt es Männern oft an Sorgfalt im Umgang mit dem eigenen Körper?
Prof. Dr. med. Thorsten Schlomm: Männer ticken oft anders: Sie reagieren nicht gut auf Befehle wie 'Du musst jetzt zur Untersuchung.' Besser ist es, mit den Konsequenzen zu argumentieren: 'Wenn du nicht hingehst, kann das schwerwiegende Folgen haben.' Besonders bei Prostata- oder Darmkrebsvorsorge zeigen sich viele Männer zurückhaltend.
Ein interessanter Vergleich: Viele Männer bringen ihr Auto regelmäßig zur Inspektion oder wissen genau, wann ein Ölwechsel fällig ist. Sie wollen kostspielige Folgeschäden vermeiden. Beim eigenen Körper fehlt dieses Verständnis oft. Kommt dann eine Diagnose, kann das Gefühl entstehen, die Kontrolle über den eigenen Körper verloren zu haben – gerade bei Männern mit Führungsverantwortung oder starkem Selbstbild. Das ist ein Bruch, den einige schwer verkraften.
Onmeda: Beobachten Sie dabei auch Unterschiede zwischen den Generationen?
Prof. Dr. med. Thorsten Schlomm: Ältere Männer – ab etwa 60 Jahren – stammen oft aus einer Generation, in der Dinge erhalten und repariert wurden: Was auf den Tisch kam, wurde gegessen, ein Auto war meist eine Investition für Jahrzehnte. Das sind eigentlich beste Voraussetzungen für Früherkennungsprogramme. Leider ist das Thema Krebsfrüherkennung für viele Ältere aber einfach nicht präsent, denn in den vergangenen 20 Jahren wurde darüber kaum oder gar nicht aufgeklärt.
Gleichzeitig wächst bei den ganz Jungen – also den unter 30-Jährigen – ein neues Gesundheitsbewusstsein langsam mit. Ich habe den Eindruck, dass diese Generation mehr auf die Balance zwischen ihrer Gesundheit und ihrem Idealbild als Mann achtet. Sie nehmen Erschöpfungssymptome und andere Signale ihres Körpers zunehmend bewusster wahr und gehen auch selbstbewusster auf Symptomuntersuchungen ein.
Onmeda: Und was hilft, wenn Männer medizinischen Empfehlungen eher skeptisch gegenüberstehen?
Prof. Dr. med. Thorsten Schlomm: Ich erkläre offen, welche Möglichkeiten es gibt – mit ihren Vor- und Nachteilen. Natürlich habe ich dabei eine Empfehlung, die ich persönlich auch für die beste halte. Aber wichtig ist, dass die Patienten selbst entscheiden: Sie sollen im Fahrersitz bleiben – denn es geht um ihre Gesundheit, ihre Entscheidung, ihren Weg. Wir stellen aus medizinischer Sicht lediglich die Schilder auf, die sie durch die Optionen leiten.
Onmeda: Wie unterstützen Sie Ihre Patienten dabei, sich wie der Fahrer ihres eigenen Gesundheitsprojekts zu fühlen – und nicht wie ein Beifahrer in der ärztlichen Praxis?
Prof. Dr. med. Thorsten Schlomm: Indem man die Idee ganz beiläufig einpflanzt. Männer sollen das Gefühl haben: 'Ich bestimme, wann ich was mache.' Und das funktioniert: Wenn Männer überzeugt sind, dass sie selbst die Kontrolle behalten, stehen sie viel selbstbewusster ihrer Gesundheit gegenüber. Männer mögen aus meiner Sicht auch Struktur – Checklisten, Bonushefte, Punkte. So etwas motiviert dazu, sich dem eigenen Projekt Vorsorge oder Krebsfrüherkennung mit konkreten Aufgaben zu widmen.
Onmeda: Manche Gesundheits-Checks sind keine Kassenleistung. Was raten Sie Männern, die eine optimale urologische Vorsorge möchten?
Prof. Dr. med. Thorsten Schlomm: Es wäre ideal, wenn zusätzliche Untersuchungen von den Kassen übernommen würden. Aber das ist in unserem Gesundheitssystem leider nicht immer der Fall. Ich halte den PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs beispielsweise für äußerst sinnvoll.
Männer sollten mit ihrem*ihrer Arzt*Ärztin abklären, was in ihrem Fall geeignet ist. Selbst wenn nicht alle Untersuchungen erstattet werden – manche Investitionen zahlen sich langfristig aus, wenn es um die eigene Gesundheit geht.
Onmeda: Welche Untersuchungen halten Sie außerdem für sinnvoll?
Prof. Dr. med. Thorsten Schlomm: Sinnvoll sind darüber hinaus etwa eine Ultraschalluntersuchung der Blase, sowie eine Urinuntersuchung für die Früherkennung von Blasenkrebs. Auch die Nieren sollten regelmäßig mittels Ultraschall untersucht werden.