Eine Tablette mit einem Fragezeichen darauf.
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Placebo und Placebo-Effekt

Von: Onmeda-Redaktion
Letzte Aktualisierung: 24.10.2022 - 15:00 Uhr

Als Placebo bezeichnen Mediziner ein Scheinmedikament, das keine pharmakologisch wirksamen Bestandteile enthält. Es sieht einem echten Medikament (z.B. einer Tablette) in der Regel zum Verwechseln ähnlich. Unter "Placebo-Effekt" fassen Ärzte Wirkungen zusammen, die allein durch die Verabreichung einer Arznei und den Glauben daran, sie würde helfen, entstehen.

Allgemeines

Toms Spannungskopfschmerzen werden ihm langsam lästig – eine Tablette muss her! "Ganz hinten in der Schublade liegen die Kopfschmerztabletten", so seine Freundin. Hastig greift er die Packung und nimmt eine Tablette. Bereits eine halbe Stunde später lassen die Schmerzen nach; Tom geht es deutlich besser. Erst am Abend stellt sich heraus: In der Eile hat er versehentlich zu den falschen Tabletten gegriffen – und die Dragees geschluckt, die seiner Partnerin zu schönen Haaren und Nägeln verhelfen sollen. Dass die Tablette dennoch wirkte, ist dem Placebo-Effekt zuzuschreiben. Allein der Glaube daran, dass die Tablette gegen Kopfschmerzen hilft, hat die Beschwerden gebessert.

Das Wort Placebo leitet sich von dem Lateinischen "placere" ab, das so viel bedeutet wie: "ich werde gefallen" oder "es möge nutzen". Placebos kommen in zwei Bereichen zur Anwendung: in der klinischen Forschung (sog. placebo-kontrollierte Studien) und in der täglichen Praxis. Im Gegensatz zu Medikamenten enthält ein Placebo keinen Wirkstoff. Bessert sich ein Symptom nach der Einnahme eines Placebos, ohne dass "richtige" Medikamente zum Einsatz kamen, handelt es sich um einen Placebo-Effekt oder eine Placebowirkung.

Ein Placebo wirkt nicht durch seine Inhaltsstoffe, sondern dadurch, dass der Arzt es verabreicht.

"Placebo" wird mitunter als Synonym für mangelnde Wirksamkeit gebraucht, so in dem Ausspruch "Das ist ja nur ein Placebo-Effekt". Auch Kritik und Zweifel an der Wirksamkeit einiger Verfahren der Alternativ- und Komplementärmedizin drücken sich hin und wieder darin aus, dass ihr Effekt – eher abfällig – mit dem Effekt eines Placebos gleichgesetzt wird. Indes trägt der Placebo-Effekt nicht unerheblich zur Gesamtwirkung einer Therapie bei: Bei schulmedizinischen Medikamenten, zum Beispiel ACE-Hemmern zur Senkung des Blutdrucks, ergibt sich die Gesamtwirkung aus der pharmakologischen Wirkung des Medikaments, die auf den Inhaltsstoffen beruht, und dem Placebo-Effekt.

Da bei Verfahren der Alternativ- und Komplementärmedizin in vielen Fällen bisher nicht bekannt ist, ob und wie sie allein durch ihre Inhaltsstoffe wirken, scheint ihr Effekt vor allem oder ausschließlich auf dem Placebo-Effekt zu beruhen. Manche Experten sehen solche Verfahren, etwa die traditionelle chinesische Medizin, als nicht eigenständig wirksam an und ordnen sie den Placebotherapien zu. Hierüber herrscht aber keine Einigkeit. Der große Unterschied zu einer bewusst eingesetzten Placebotherapie liegt darin, dass der Therapeut im Fall der Alternativ- oder Komplementärmedizin selbst davon ausgeht, eine über den Placebo-Effekt hinaus wirksame Behandlung einzusetzen. Letztlich können nur Studien zeigen, ob eine Therapie dem reinen Placebo-Effekt überlegen ist, also auch durch andere Komponenten wirkt.

Um ein Placebo handelt es sich nicht nur, wenn der Arzt ein Scheinmedikament gibt, sondern auch, wenn er eine Scheinprozedur einsetzt. Ein Beispiel für eine Scheinprozedur sind sogenannte Placebo-Akupunkturnadeln: Bei ihnen dringt die Nadel nicht in die Haut ein, sondern fährt in den Nadelhalter ein, der dann auf der Haut kleben bleibt.

Pseudo-Placebos

Neben echten oder reinen Placebos, die frei von jedem Wirkstoff sind, gibt es unechte, unreine Placebos, auch Pseudo-Placebos oder aktive Placebos genannt. Sie enthalten geringe Mengen eines Wirkstoffs, die entweder nicht ausreichen, um einen Effekt hervorzurufen oder bei der eingesetzten Krankheit laut Lehrmeinung nicht wirken. Solche Pseudo-Placebos spielen in der Forschung und der Versorgung in der Arztpraxis durchaus eine Rolle.

Pseudo-Placebos können Eigenschaften haben, die für den enthaltenen Wirkstoff typisch sind. Beispielsweise enthält ein Pseudo-Placebo-Nikotinpflaster geringe Mengen Nikotin und riecht daher ähnlich wie handelsübliche Nikotinpflaster. So lässt sich vermeiden, dass Arzt und Patient in einer Studie allein aufgrund des Geruchs folgern können, welche Pflaster tatsächlich Nikotin enthalten und welche nicht. Pseudo-Placebos können zudem Nebenwirkungen hervorrufen und erfüllen somit in manchen Studien einen weiteren wichtigen Zweck: Der Arzt kann nicht ausschließlich aufgrund der zu erwartenden Nebenwirkungen – die bei einem reinen Placebo ausbleiben würden – rückschließen, welche Patienten echte Medikamente und welche Placebos erhalten haben.

Manche Autoren ordnen auch Therapien, die irrtümlich als wirksam eingeschätzt werden, den Pseudo-Placebos zu. Geläufiges Beispiel: Eine durch Viren ausgelöste unkomplizierte Erkältung wird häufig mit Antibiotika behandelt. Da diese aber nur gegen Bakterien wirken, ergibt dieses Vorgehen keinen Sinn. Dass der Arzt dem Patienten trotzdem Antibiotika empfiehlt, kann verschiedene Gründe haben. Um die Anwendung tatsächlich als irrtümlich bezeichnen zu können, müssen bestimmte Umstände erfüllt sein:

  • Die Wirksamkeit der Therapie wurde bisher nicht untersucht, es liegen keine Daten vor.
  • Es liegen Ergebnisse vor, die der Therapie ihre Wirksamkeit absprechen.
  • Der Arzt kennt die Datenlage zu der Therapie nicht oder er erkennt sie nicht an.

Zusammengefasst bedeutet das: Der behandelnde Arzt glaubt nach dieser Definition der Pseudo-Placebos, dass er eine spezifisch wirksame Therapie anwendet. Im Gegensatz dazu steht die bewusste Anwendung von Medikamenten, die zu schwache oder nicht für die vorliegende Krankheit geeignete Wirkstoffe enthalten.

Wie entsteht der Placebo-Effekt?

Bisher liegen keine umfassenden Erkenntnisse darüber vor, wie der Placebo-Effekt entsteht. Unter den Aspekten, die bisher bekannt sind, unterscheiden Mediziner zwischen tatsächlichen und scheinbaren Komponenten.

Tatsächliche Effekte

Tatsächliche Effekte eines Placebos entstehen aufgrund zweier Phänomene – bewusster und unbewusster. Es lassen sich fünf Aspekte unterscheiden:

  • unbewusste Konditionierung
  • bewusste Erwartungshaltung des Patienten
  • Art der Verabreichung (Applikationsform)
  • Umstände der Verabreichung
  • Arzt-Patient-Beziehung

Unbewusste Konditionierung: Wer schon mal die Erfahrung gemacht hat, dass ein Medikament die Beschwerden gebessert hat, verknüpft dies positiv mit der Einnahme der Arznei. Beim nächsten Mal wird er erneut davon ausgehen, dass das Medikament – genau wie bei der Einnahme zuvor – zum Beispiel seine Schmerzen lindert, seinen Husten stoppt oder die Kopfschmerzen vertreibt. Diese unbewusste Annahme, dass eine Pille, ein Saft, eine Salbe, Tropfen oder ein Spray erneut helfen wird, ändert die Einstellung zu dem Medikament oder auch einem Placebo in einer positiven Weise.

Die unbewusste Konditionierung greift auch im umgekehrten Fall: Verbindet eine Person etwas Negatives mit einem (Schein-)Medikament, sei es, dass sich ihr Zustand unter der Therapie nicht gebessert oder gar verschlechtert haben, überträgt sich dies auf zukünftige Einnahmen. Die Person hat gelernt, dass das Medikament nicht hilft. Dies wird auch als Dekonditionierung bezeichnet.

Bewusste Erwartungshaltung: Sehr bewusst hingegen ist die Erwartung, dass ein Medikament hilft. Verstärkt wird sie dadurch, dass der Arzt die Therapie begründet und verschreibt, der Apotheker sie häufig zusätzlich (positiv) kommentiert und Rat gibt und der Patient aus seinem näheren Umfeld Meinungen eingeholt hat.

Weitere Faktoren: Der Placebo-Effekt richtet sich zudem nach weiteren Umständen: von der Farbe der Pillen über deren Preis, von der Ausstrahlung des Arztes und seinem Einfluss auf den Patienten bis zur Atmosphäre bei der Behandlung. Beispielsweise schreiben Patienten laut Untersuchungen roten, gelben und orangefarbenen Pillen eher eine stimulierende Wirkung zu, blaue und grüne finden sie beruhigend. Von teuren Medikamenten erwarten sie eher einen Effekt und ein empathisches, vertrauensvolles Gespräch mit dem Arzt steigert den Placebo-Effekt.

Scheinbare Komponenten

Scheinbare Komponenten der Placebo-Wirkung lassen sich statistischen Effekten zuordnen, die in zeitlichem Zusammenhang mit der Einnahme eines Placebos stehen. Diese Effekte treten zufällig auf und hängen weder mit dem Placebo-Effekt noch mit der Wirkung eines Inhaltsstoffs zusammen. Darunter fallen:

  • der spontane Verlauf der Krankheit, bei der stets Besserung und Verschlechterung der Symptome ohne äußere Einflüsse möglich sind
  • die sog. Regression zur Mitte, ein statistischer Effekt, der bedeutet, dass ein zuvor stark ausgeprägtes Merkmal (z.B. hohe Blutdruck- oder Blutzuckerwerte) bei weiteren Messungen niedriger ausfallen. Dies liegt daran, dass es wahrscheinlicher ist, dass die Werte sinken, als dass sie weiter steigen. Dies verleitet dazu, die Verbesserung der Werte der Wirkung des Medikaments zuzuschreiben.

Placebo-Effekt in der Schulmedizin

Der Placebo-Effekt kann als wichtiger Teil der Schulmedizin angesehen werden. Manche Experten empfehlen, dass Mediziner bei der Gabe pharmakologisch wirksamer Substanzen noch stärker und bewusster auf den Placebo-Effekt setzen sollten. Möglicher Vorteil der resultierenden besseren Wirkung: Die Dosis vieler Medikamente ließe sich reduzieren, Nebenwirkungen würden seltener oder schwächer auftreten.

Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Placebo-Effekt eintritt, besteht darin, dass der Arzt sich dem Patienten zuwendet, sich Zeit für ihn nimmt. Was bei einer alternativ- oder komplementärmedizinischen Behandlung die Regel darstellt, kommt in der Schulmedizin oft zu kurz. Die Gründe sind vielfältig, der Faktor Zeit spielt eine große Rolle.

Nocebo

In Abgrenzung zu einem Placebo steht das Nocebo. Das lateinische "nocebo" bedeutet so viel wie "ich werde schaden". Der Nocebo-Effekt ist das Gegenstück zum Placebo-Effekt – er tritt ein, wenn sich die Vorstellung, dass eine Therapie den Gesundheitszustand verschlechtert, tatsächlich bewahrheitet.

Voraussetzung für den Nocebo-Effekt ist demnach eine pessimistische, negative Einstellung des Patienten; auch schlechte Erfahrungen mit zuvor erfolgten Therapien und negative Informationen, die über den Arzt, Apotheker oder die Medien zum Betroffenen gelangen, können Nebenwirkungen hervorrufen.

Ein gewisses Risiko geht von der Packungsbeilage aus: Wer intensiv den Beipackzettel studiert und alle möglichen Nebenwirkungen und Warnhinweise verinnerlicht, neigt stärker zum Nocebo-Effekt.