Zwei ältere Personen klatschen sich nach dem Sport im Freien ab.
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Longevity im Alltag: Mit gutem Gefühl gesund alt werden

Von: Charlotte Herhold (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 28.07.2025

Longevity verspricht Gesundheit, Vitalität und Lebensfreude bis ins hohe Alter. Doch wie setzt man das Wissen im Alltag wirklich um? Für Dr. Gerd Wirtz steht fest: Es braucht keine Extreme – sondern ein bewusstes, selbstbestimmtes Leben. Dafür hat er einen "Longevity-Kompass" geschrieben und zeigt, wie das gelingen kann – ohne Stress, aber mit einem klaren Ziel: besser leben, statt nur länger.

Dr. Gerd Wirtz

Wichtig ist, dem guten Gefühl eine Chance zu geben.

Dr. Gerd Wirtz ist Neurophysiologe sowie Experte für Prävention und digitale Gesundheit. Er arbeitet als Keynotespeaker, Moderator und betreibt eine Longevity Sprechstunde in Köln.

Onmeda: Was hat Sie motiviert, den "Longevity Kompass" zu schreiben?

Dr. Gerd Wirtz: Longevity klingt cool, ist aber ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist es gut, weil es für eine gesunde Lebensführung sorgt. Andererseits birgt das Thema oft unrealistische Erwartungen – etwa die Vorstellung, man könne durch Hightech-Methoden und teure Therapien sein biologisches Alter verbessern. Ich wollte mit meinem Kompass eine alltagsnahe Alternative anbieten – für alle, die gesünder und bewusster leben möchten.

Onmeda: Was verstehen Sie persönlich unter Longevity?

Dr. Gerd Wirtz: Es sollte nicht darum gehen, 150 Jahre alt zu werden, sondern darum, unser biologisches Potenzial von maximal etwa 120 Jahren nicht durch Fehlverhalten auf 80 Jahre oder weniger zu reduzieren. Die Lebenserwartung in Deutschland liegt aktuell bei circa 80 Jahren – da sind also noch 40 Jahre Luft nach oben. Mein Ziel ist es, die Prävention zu stärken, damit wir nicht unnötig Lebenszeit verlieren.

Onmeda: Im Kontext von Longevity hört man oft, dass man ständig Energie zuführen muss, um leistungsfähig und gesund zu bleiben. Stimmt das wirklich?

Dr. Gerd Wirtz: Nein. Unser Körper ist ein Kraftwerk mit großen Energiereserven und kann selbst über ein bis zwei Wochen Zucker aus eigenen Reserven bereitstellen, ohne dass die Leistungsfähigkeit leidet. Vorausgesetzt, es handelt sich um eine gesunde Person, also ohne körperliche Belastung, Stress oder Krankheit.

Genau hier setzt Intervallfasten an: Es verbessert die Insulinsensitivität und fördert Zellreparaturprozesse wie die Autophagie, den Recycling-Mechanismus unserer Zellen. So wird der Körper widerstandsfähiger und wir fühlen uns oft sogar energiegeladener.

Onmeda: Intervallfasten unterstützt also die Zellreparatur: Wie gelingt ein guter Einstieg, gerade für den Anfang?

Dr. Gerd Wirtz: Ganz sanft. Anstatt direkt 16 Stunden zu fasten, sollte man zunächst auf eine Essenspause von 10 Stunden oder weniger achten. Wer sich damit wohlfühlt, kann die Pause langsam steigern. Anfangs ist das Hungergefühl ungewohnt – aber es vergeht. Wer sich zusätzlich ablenkt und bewusst in den Tag startet, merkt schnell: Es geht auch ohne Frühstück. Entscheidend ist, auf den eigenen Körper zu hören – und bei Unsicherheiten ärztlichen Rat einzuholen.

Onmeda: Und wenn man das Fasten durchhalten möchte, aber doch ein Tief hat – was hilft?

Dr. Gerd Wirtz: Dann hilft oft Fett – etwa ein Teelöffel Öl im Espresso. Das bringt Energie und Fokus, ohne das Fasten zu unterbrechen. Manche nutzen auch Butter im Kaffee, das nennt man Bulletproof Coffee. Klingt ungewohnt, funktioniert aber erstaunlich gut.

Onmeda: Sind auch Nahrungsergänzungsmittel ein sinnvoller Beitrag zur Gesundheit – oder eher ein überbewerteter Trend?

Dr. Gerd Wirtz: Es gibt sinnvolle Substitution – etwa bei Vitamin-D-Mangel oder Eisenmangel. Aber das sollte auf Basis einer Blutuntersuchung erfolgen. Einfach irgendwas aus der Drogerie zu nehmen, bringt wenig. Vieles ist schlecht bioverfügbar, das heißt, der Körper kann es kaum aufnehmen. Besser ist es, den Bedarf in einer ärztlichen Praxis überprüfen zu lassen und gezielt nach den passenden Mineralstoffen zu fragen.

Onmeda: Haben Sie Beispiele für gesunde Longevity-Maßnahmen, die jede Person im Alltag umsetzen kann?

Dr. Gerd Wirtz: Vorsorge ist ein gutes Beispiel: Hausarzt-Check sowie Zahn- und Hautvorsorge einmal jährlich. Wer vorbeugt, tut schon sehr viel für die eigene Gesundheit. Bewegung braucht außerdem keinen Hochleistungssport: Ausdauer, Kraft und Mobilität reichen – etwa 30 bis 60 Minuten, zwei- bis dreimal pro Woche. Menschen in den sogenannten "Blue Zones" [Anm. d. Red.: Regionen auf der Welt, in denen überdurchschnittlich viele Menschen besonders alt werden und dabei lange gesund bleiben] bewegen sich auch ganz natürlich: Gärtnern, Einkaufen, Aufstehen vom Boden – das reicht.

Onmeda: Was ist Ihr wichtigster Rat für ein gesünderes Leben?

Dr. Gerd Wirtz: Kleine Schritte, realistische Ziele und das Gefühl "Ich habe es selbst in der Hand." Longevity ist keine Technologie-Show für Reiche. Es geht dabei auch nicht nur ums Essen: Bewegung, Schlaf, mentale Stärke und soziale Kontakte – all das beeinflusst, wie wir altern. Kein Supplement, keine Pille ersetzt eine gesunde Lebensweise.

Und: Auch ich esse mal eine Pizza oder trinke ein Glas Wein mit Freunden. Wichtig ist, dem guten Gefühl in allen Lebensbereichen eine Chance zu geben – das trägt ebenso zu einem gesunden Leben bei.