Aspekte des Verschwindens

**alwerner** · 12.05.2008, 00:28

Re: Aspekte des Verschwindens

Hm, Hendrik......

Ihr e-mail liefert sehr viele interessante Ansichtspunkte, die ich hier einmal aufgreifen möchte.

Erstmals möchte ich davon Abstand nehmen, das Wort Demenz in diesem Zusammenhang zu benutzen.

Ich verstehe warum Sie den Begriff des Verschwindens benutzen, häufig muß das für Angehörige Verwandte und Bekannte so erscheinen. Doch vergessen wir nie, das für uns alle mal jene Sternstunde kommen wird, wo wir von dieser Welt in eine andere Welt umsteigen müssen. Für einige von uns kommt dieser Umstieg sehr frühzeitig im Leben und für andere doch ein wenig später. Aus der christlichen so wie der jüdischen Religion wissen wir, das der Körper vergeht, doch die Seele erhalten bleibt.

Während wir in den Europäischen Religionen um unsere Angehörigen trauern, feiert man seine Angehörigen zum Übergang in die Neue Welt.

Ich glaube die allerwichtigste Aufgabenstellung in der Senioren Hilfe sollte es wohl sein das Leben der Senioren auf dieser Welt so schön wie möglich zu gestalten und den Senior auf seinen Übergang in die Neue Welt vorzubereiten.....!

Hier hilft Gottes Glaube ........

Alfons:
--------

PS:

Ich hätte einmal gerne ein paar Ihrer Bilder in dieser Thematik von Ihnen gesehen. Danke.

**alwerner** · 12.05.2008, 00:31

Re: Aspekte des Verschwindens

alwerner schrieb:
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> Hm, Hendrik......
>
> Ihr e-mail liefert sehr viele interessante
> Ansichtspunkte, die ich hier einmal aufgreifen
> möchte.
>
> Erstmals möchte ich davon Abstand nehmen, das Wort
> Demenz in diesem Zusammenhang zu benutzen.
>
> Ich verstehe warum Sie den Begriff des
> Verschwindens benutzen, häufig muß das für
> Angehörige Verwandte und Bekannte so erscheinen.
> Doch vergessen wir nie, das für uns alle mal jene
> Sternstunde kommen wird, wo wir von dieser Welt in
> eine andere Welt umsteigen müssen. Für einige von
> uns kommt dieser Umstieg sehr frühzeitig im Leben
> und für andere doch ein wenig später. Aus der
> christlichen so wie der jüdischen Religion wissen
> wir, das der Körper vergeht, doch die Seele
> erhalten bleibt.
>
> Während wir in den Europäischen Religionen um
> unsere Angehörigen trauern, feiert man seine
> Angehörigen zum Übergang in die Neue Welt
in den großen asiatischen Religionen.

>
> Ich glaube die allerwichtigste Aufgabenstellung in
> der Senioren Hilfe sollte es wohl sein das Leben
> der Senioren auf dieser Welt so schön wie möglich
> zu gestalten und den Senior auf seinen Übergang in
> die Neue Welt vorzubereiten.....!
>
> Hier hilft Gottes Glaube ........
>
> Alfons:
> --------
>
> PS:
>
> Ich hätte einmal gerne ein paar Ihrer Bilder in
> dieser Thematik von Ihnen gesehen. Danke.

**leona** · 12.05.2008, 04:15

Re: Aspekte des Verschwindens

Lieber Hendrik,
es ist merkwürdig, inmitten der von Leid geprägten Erfahrungen der Forumsteilnehmer einer zunächst eher abstakt anmutenden Fragestellung zu begegnen. Verschwinden...das Phänomen des Verschwindens.

Ich kann heute eher darauf eingehen, als vor wenigen Tagen, als ich Ihren Beitrag das erste Mal las. Vielleicht liegt es daran, dass es mir heute selbst besser geht - ein Teil meiner Betroffenheit ist v e r s c h w u n d e n.

Ja, brainstormen wir mal...beim Angehörigen verschwindet zunächst einmal eine bis dahin selbstverständliche Sicherheit...es verschwindet Freude, weil man plötzlich nur noch das Entsetzliche und das Leid sieht...es veschwinden dann beim Erkrankten ganz konkrete Dinge, wie das Portemonnaie, der Schlüssel, der Führerschein, die Brille, das Gebiss...im Umfeld verschwinden viele "Freunde",die die Erkrankung nicht konfrontieren wollen und nicht wissen, wie sie dem Kranken begegnen sollen...beim Kranken verschwindet zunehmend das Gefühl der Zugehörigkeit zu manchen Dingen...es verschwindet sein Selbstvertrauen...der Kranke ringt um Kontrolle über sein Leben, doch alles entwindet sich ihm...eine große Verlorenheit stellt sich ein...bitter musste ich erleben, dass nach Verschwinden der vertrauten Umgebung und Verlust der Kontrolle über die eigene Lebensführung, der Mensch tatsächlich im Pflegeheim verschwindet...sich dort zwischen vielen Verlorenen als Nummer in der Masse auflöst...und falls das Band nach außen reißt, sich also Angehörige nicht intensivst weiter mit dem Kranken auseinander setzen, verschwindet er in verhältnismäßig kurzer Zeit ganz von dieser Welt - in dem Heim, aus dem ich meinen Vater derzeit gerade wieder heraus hole, starben im Durchschnitt 4 Menschen monatlich...im April waren es 6. Sie verschwinden zunächst aus den dekorativen Eingangsbereichen, die hotelähnlich aufgebaut sind, dann verschwinden sie auch aus den weniger ansprechenden Pflegebereichen, wo man sie eine Zeit lang noch apathisch in Sesseln hängen sah...sich verschwinden in ihre kleinen Zimmer..dämmern in ihren Betten...und verschwinden dann meist an einem Wochenende mit schwacher Personalbesetzung gänzlich von dieser Welt...vielleicht in ein freieres, würdevolleres und schmerzloseres Leben...

Ein düsteres Bild.

Aber im Sinne der Polarität muss man neben dem Verschwinden auch das Auftauchen, das Erscheinen sehen...

In der Krankheit tauchen alte Lebensfetzen wieder plastisch auf...Kindheitserfahrungen, Jugenderlebnisse, die erste Liebe, aber auch Schmerzvolles...vergessene Begabungen, wie das Spiel eines Instrumentes kann plötzlich wieder da sein..ebenso wie das Singen einer lange verschollenen Melodie...aber auch das Erkennen eines viel tieferen Gefühls für den Kranken als vermutet, kann sich beim Angehörigen schmerzhaft und intensiv einstellen...ebenso können Gefühle, die man glaubte zu haben, auch verschwinden...plötzlich unter dem Druck der Erkrankung nicht mehr greifbar sein...

Die Krankheit als solche ist ein ständiges Auf-und-Ab aus Verschwinden und Auftauchen...

Ich definierte den Zustand meines Vaters nach der ersten schlimmen Diagnose mit den Worten: Er verlässt mich - er verlässt mich für immer und er geht mit dem Kopf zuerst.

Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit?
Vielleicht könnten auch die Fotos des diesjährigen Alzheimer Kalenders für Sie von Bedeutung sein. Versuchen Sie ihn einmal einzusehen, vielleicht ist er irgendwo online zu finden. Ich habe ihn Anfang des Jahres gekauft und sehe mir die Menschen immer wieder an.

Interessant könnten auch die Ausführungen unseres Forumsmitglieds EgonMartin sein. Lesen Sie in seinen Threads, das könnte Sie weiterbringen.

Auch mich würden - genau wie Alwerner - Ihre Werke interessieren.

Und noch ein Verschwinden: meine ehemaligen Schwiegereltern nahmen sich einige Jahre nach der Alzheimer Diagnose der Frau am Gründonnerstag 2007 das Leben. Ein erweiterter Selbstmord.
Sie verschwanden beide.

Es geht also oft nicht nur um das Verschwinden des Erkrankten...man spricht bei der Alzheimer Erkrankung auch häufig vom 2.Opfer...die nahen Angehörigen verschwinden oft auch...oder Teile von ihnen..oder Teile ihres Lebens...

Doch genug für heute.
Schreiben Sie, wenn Sie mögen und erzählen Sie uns von Ihrer Arbeit.

Alles Liebe
Leona

**Hendrik** · 12.05.2008, 10:58

Re: Aspekte des Verschwindens

Vielen Dank für die beiden langen Antworten.

Auch für mich waren es zunächst die düsteren Bilder die auftauchten. Was alles wie verschwindet wollte ich darstellen. Dann habe ich aber auch die von leona beschriebene Polarität entdeckt. Was taucht auf , was verschwindet eben nicht bzw. was hilft den Betroffenen mit ihrer Krankheit ein wenig besser umzugehen. Was könnte vieleicht Angehörigen helfen in die Welt einzutauchen?

Ich habe mich dann auch nocheimal an die Stunden mit meiner
Großmutter erinnert. In der Phase in der man sich noch gut (wenn auch mit durch die Krankheit eingeschränkt) mit ihr unterhalten konnte. Wir saßen uns oft gegenüber und hatten nach der anfanglichen Begrüßung nicht viel zu reden. Irgendwann gab es einen Stapel Ansichtskarten in einem Körbchen auf dem Tisch. Als wir uns darüber unterhielten verging die Zeit wie im Flug und meine Großmutter erzählte mit großer Freude über Erinnerungen die auftauchten als wir uns die Karten genauer anguckten.

In einer Demenz Weg in Halle habe ich im Rahmen meiner Recherche lange Zeit mit einer Bewohnerin in ihrem Zimmer verbracht. Auch dort waren es kleine Katzenfotos und eine Ansichtskarte vom Kölner Dom die ein langes Gespräch möglich machten und die Frau fröhlich erzählen ließen.

Ich habe gemerkt das in "besseren" Einrichtungen das Umfeld viel näher an der ehemaligen Lebenswelt der Bewohner gestaltet ist und es ihnen dort viel besser geht. Alte Möbel, Bilder, Gedichte verschönern hier das Umfeld. Doch die Situation in den großen Pflegeheimen sieht oft anders aus. Lange kühle Gänge die auch von ihnen beschriebenen unsympatischen Auffenthalträume. Es gibt kaum Bezugspunkte für den Besucher und Bewohner.

Mein Vorhaben wird es nun sein Erinnerungskarten zu gestalten. In Form eines Kartensets (10x15cm), das vorallem für Angehörige gedacht ist, die die Karten mit ins Pflegeheim mitnehmen können. Sie sollen als einfacher Türöffner funktionieren um mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen. Laut Literatur gibt es ja bereits den Ansatz der Biografiearbeit der über Gespräche und Erinnerungsarbeit die Menschen in ihrem Selbstwert stärkt und über die Valitation wieder ein bisschen mehr Sicherheit bietet. Dabei sollen auf der einen Seite der Karten bekannte Gegenstände/Motive aus der Vergangenheit abgebildet sein. Es können aber auch wie Lied oder Sprichwortfragmente auftauchen. Auf der Rückseite finden sich Vorschläge für Fragen und erläuternde Informationen.

In der beratenden Literatur für Angehörige wird zwar oft davon gesprochen "unterhalten sie sich mit dem Betroffenen z.B. über die Schulzeit, den Haushalt usw.". Konkrete Beispiele über was und vorallem wie man sich im Gespräch verhält werden nicht gegeben genauso fehlen oft geschlechtsspezifische Tipps.

Ich habe nun schon viele Themenfelder gefunden in denen sich viele Betroffene wiederfinden. Sei es nun die Schulzeit, Kindheit oder Themen wie Urlaub oder Haushalt und Heimwerken.

Ich habe die Erfahrung gemacht das Frauen vorallem von ihrem früheren häusliche Umfeld und Haustieren erzählen und Männer eher Themen wie ihren früheren Beruf und Handwerkliche Themen bevorzugen.

Über was unterhalten sie sich gerne mit ihren Angehörigen ?
Gibt es Themen oder Sachen von denen besonders erfreut berichtet wird ? Welche Leider oder Sprichwörter sind überall bekannt?
Gibt es evtl. Fallen in die man tappen kann, wo z.B. schlehcte Erinnerungen hervorkommen? Und gibt es Wege diese im Gespräch zu umschiffen?

Freue mich über weitere Antworten.

**malima55** · 24.05.2008, 10:21

Re: Aspekte des Verschwindens

liebe leona, ich bin heute aus meinem 14-tägigen weglaufurlaub zurückgekehrt. der 1. blick in das forum war selbstverständlich. ihr beitrag hilft mir ganz arg, mit dem thema demenz als angehöriger umgehen zu lernen und es langsam ertragen zu können.heute gehe ich wieder in die klinik und habe eine riesenangst. meinem mann geht es nicht gut. ich glaube, ich werde damit nur fertig, wenn ich die beiträge unter ,,aspekte,, mir langsam verinnerlichen kann

**malima55** · 24.05.2008, 10:35

Re: Aspekte des Verschwindens

hallo hendrik, natürlich auch ihnen vielen dank, das thema überhaupt ins gespräch gebracht zu haben. mir haben die beiträge hier sehr gut getan. ich werde versuchen, auch mit photos und ansichtskarten herauszubekommen , wo mein mann derzeit ,,lebt,, .seit ca 2 wochen soll seine oma (mein mann ist 65) zu den besuchen mitkommen und die anderen weibsen auch, wobei wir hier nicht wissen, wen er damit meint. ich habe angst, aber ich glaube, diese art unterhaltung hilft dem kranken und dem angehörigen.

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