Das Bild zeigt einen älteren Mann im Rollstuhl
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ALS (amyotrophe Lateralsklerose): Symptome & Therapie

Von: Onmeda-Redaktion, Lydia Klöckner (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 17.10.2022

Die amyotrophe Lateralsklerose ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie schreitet meist rasch fort und führt unter anderem zu Lähmungen und Problemen beim Sprechen, Schlucken und Atmen. Eine Heilung ist nicht möglich, es gibt aber Therapiemaßnahmen, die die Beschwerdenen erträglicher machen und die Lebenserwartung erhöhen können.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Was ist amyotrophe Lateralsklerose (ALS)?

Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine Erkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft, also das Gehirn und das Rückenmark. Sie führt dort zu einer Schädigung und schließlich zum Verlust bestimmter Nervenzellen, die für die Steuerung der Skelettmuskeln zuständig sind. Da die Muskeln folglich keine Reize vom Nervensystem mehr erhalten, werden sie immer schwächer und bilden sich zurück.

Die meisten Menschen kennen ALS von Stephen Hawking: Der Physiker erkrankte bereits als junger Mann an ALS und verbrachte sein restliches Leben im Rollstuhl. Die Nervenerkrankung hatte ihm die Fähigkeit zu laufen und zu sprechen genommen: typische Folgender durch ALS verursachten Muskelschwäche.

In vielerlei Hinsicht war Hawking jedoch ein untypischer ALS-Patient. Die meisten Betroffenen sind älter als 50 Jahre, wenn die Erkrankung bei ihnen festgestellt wird. Und im Gegensatz zu Hawking, der mehr als 50 Jahre mit ALS lebte, sterben die meisten Patienten innerhalb von zwei bis vier Jahren an der Erkrankung.

Generell kann ALS sehr unterschiedlich verlaufen. Etwa 10 bis 20 von 100 Patienten leben mehr als 10 Jahre mit der Erkrankung. Nur bei wenigen führt ALS innerhalb eines Jahres zum Tod. Auch die Symptome sind nicht bei allen Betroffenen gleich: Bei einigen lässt zunächst die Ausdauer nach. Andere haben häufiger Muskelkrämpfe oder verspüren ein Gefühl von Steifheit in bestimmten Muskeln. Manche bemerken Probleme beim Sprechen oder Schlucken.

Welche Beschwerden auftreten und ob und inwieweit sie zu Einschränkungen führen, hängt davon ab, welche Muskeln zuerst betroffen sind. Typischerweise beginnt ALS in einer Muskelgruppe und weitet sich dann nach einigen Wochen oder Monaten auf umliegende Muskelpartien aus.

Häufigkeit

Jedes Jahr erhalten in Deutschland etwa 2.000 Menschen die Diagnose ALS. Insgesamt sind hierzulande derzeit etwa 6.000 bis 8.000 Menschen an ALS erkrankt. Bei Männern tritt die Krankheit etwas häufiger auf als bei Frauen.

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Ursachen

Die für ALS typischen Beschwerden – die Muskelzuckungen, der Muskelschwund und die fortschreitenden Lähmungen – entstehen dadurch, dass bestimmte Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark absterben. Diese sind für die Kontrolle von Muskelbewegungen zuständig und heißen daher Motoneurone (lat. motor = Beweger).

Normalerweise leiten die Motoneurone Impulse vom Gehirn und Rückenmark zu den Muskeln des Körpers. In der Großhirnrinde des Gehirns entspringen Nerven, die bewusste Bewegung in Gang setzen können und die Körperhaltung steuern. Diese Nerven bezeichnen Ärzte auch als oberes Motoneuron.

Das obere Motoneuron kommuniziert nicht direkt mit der Muskulatur, sondern überträgt seine Impulse auf Nerven, die in der grauen Substanz des Rückenmarks liegen. Diese Nerven werden unteres Motoneuron genannt. Das untere Motoneuron ist über einen Fortsatz direkt mit dem Muskel verbunden und leitet alle Reize vom oberen Motoneuron zum Muskel weiter.

Bei ALS sind sowohl das obere als auch das untere Motoneuron in einer oder mehreren Körperregionen geschädigt. Woran die Nervenzellen zugrunde gehen, ist noch nicht vollständig geklärt. Fest steht, dass sich in den betroffenen Nervenzellen körpereigene Eiweiße ablagern und ansammeln, die die Zellen belasten. Warum dieser Eiweißmüll entsteht, weiß man jedoch nicht genau.

In einigen Fällen lassen sich die krankhaften Ablagerungen auf bestimmte Gene zurückführen, die die Betroffenen von ihren Vorfahren geerbt haben. Die familiäre Variante der ALS (die sogenannte FALS) ist jedoch sehr selten. Bei mehr als 90 von 100 Patienten ist ALS nicht allein erblich bedingt. Bei ihnen führt vermutlich ein Zusammenspiel aus Risikogenen und Umweltfaktoren zur Entstehung der Krankheit.

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Symptome

Die ersten Symptome der amyotrophen Lateralsklerose sind nicht bei allen Patienten gleich. Häufig äußert sich ALS zu Beginn etwa durch

  • einen Verlust an Ausdauer,
  • eine schnellere Ermüdbarkeit der Muskulatur und ein Gefühl der Kraftlosigkeit,
  • Muskelschwäche und Muskelkrämpfe,
  • ein Gefühl der Steifheit in den Beinen,
  • eine verminderte Feinmotorik,
  • Muskelzucken und/oder
  • Probleme beim Sprechen (Heiserkeit, näselnde Stimme), Schlucken und Kauen.

Bei etwa 60 bis 70 von 100 Betroffenen macht sich die ALS zunächst an den Händen und Armen oder an den Füßen und Beinen bemerkbar.

Bei etwa 30 von 100 Patienten treten als erstes die Störungen der Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur auf. Bei einem Großteil der an ALS erkrankten Menschen kommt es zu diesen Störungen erst im späteren Verlauf der Erkrankung.

Durch ALS werden die Muskeln aber nicht nur steifer und schwächer, sondern verlieren auch Masse. Sichtbar wird dies vor allem an den Muskeln zwischen Daumen und Zeigefinger. Zudem führt der Muskelschwund meist zu Schmerzen, weil der knöcherne Stützapparat stärker belastet wird.

Im weiteren Verlauf breitet sich die Erkrankung im Körper aus, sodass immer mehr Muskelgruppen ihre Funktion einbüßen. Sie kann dann zum Beispiel auch zu einer Schwächung der Atemmuskulatur führen, die sich durch Reizhusten und/oder Atemprobleme bemerkbar macht. Diese ziehen manchmal Konzentrationsprobleme, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und/oder Atemwegsinfekte nach sich.

Ein weiteres Symtpom von ALS ist ungewolltes und langanhaltendes Lachen, Weinen oder Gähnen. Dazu kommt es, wenn der Bereich im Gehirn, der für die Verarbeitung von Gefühlen zuständig ist, beeinträchtigt ist.

Hinweis: Die Wahrnehmung, das Bewusstsein und die intellektuellen Fähigkeiten der Patienten bleiben in der Regel vollständig erhalten. Allerdings entwickeln manche Menschen mit ALS (etwa 5 von 100 Betroffenen) Symptome einer Demenz.

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Diagnose

Um eine amyotrophe Lateralsklerose erkennen zu können, muss sich der Arzt zunächst ein genaues Bild von den Beschwerden des Patienten machen. Zudem kann der Arzt sogenannte elektrodiagnostische Tests anordnen. Damit kann er feststellen, ob die Nerven und Muskeln der betroffenen Körperregion noch normal funktionieren oder nicht.

Einer dieser Tests ist die sogenannte Elektromyographie (EMG). Dabei führt der Arzt feine Nadelelektroden durch die Haut in den Muskel ein. Diese messen die elektrischen Signale, die im Muskel entstehen, wenn sich die Muskelfasern zusammenziehen (kontrahieren). Bei Menschen mit ALS sind diese Signale häufig anders als bei gesunden Menschen. Etwa sind bei den Betroffenen auch in ruhenden Muskeln kleine elektrische Signale messbar, die durch kurze, unwillkürlich auftretende Muskelanspannungen entstehen.

Außerdem kann es zur ALS-Diagnose hilfreich sein, eine Probe aus einem Muskel zu entnehmen und zu untersuchen: Wenn bei dieser sogenannten Biopsie ein vom Nervensystem ausgehender Schwund der Muskelfasern festzustellen ist, weist dies ebenfalls auf die amyotrophe Lateralsklerose hin.

Ob ein Schwund der Hirnrinde vorliegt, kann der Arzt mithilfe einer Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) erkennen. Zusätzlich können eine Untersuchung des Gehirnwassers (sog. Liquorpunktion) und eine Blutuntersuchung dazu beitragen, die ALS zu diagnostizieren.

Wichtig: Einzelne Untersuchungsergebnisse reichen zur Diagnose von ALS nicht aus. Für eine sichere Diagnose ist es notwendig, dass der Arzt die Ergebnisse verschiedener Tests berücksichtigt. Zudem muss er im Rahmen der Diagnose andere Krankheiten ausschließen, die zu ALS-ähnlichen Symptomen führen können. Dazu zählen vor allem bestimmte Nervenerkrankungen.

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Therapie

Leider ist es nicht möglich, die amyotrophe Lateralsklerose zu heilen. Es gibt aber ein Medikament, das das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen kann. Das Mittel enthält den Stoff Riluzol, der der Schädigung der Nervenzellen entgegenwirkt und die Lebenserwartung der Betroffenen um einige Monate verlängern kann.

Hinweis: Da Riluzol die Leber schädigen kann, ist es besonders zu Beginn der Behandlung wichtig, die Leberwerte im Blut regelmäßig zu kontrollieren und auf mögliche Anzeichen für eine Lebererkrankung zu achten.

Auch wenn eine Heilung der amyotrophen Lateralsklerose nicht möglich ist, lassen sich die mit ALS verbundenen Beschwerden meist lindern. Die ALS-Therapie zielt vor allem darauf ab, die Beweglichkeit und Eigenständigkeit der Betroffenen möglichst lange zu erhalten. Helfen können dabei unter anderem folgende Maßnahmen und Mittel:

Krankengymnastik und Ergotherapie

Krankengymnastische Übungen dienen dazu, die Restfunktion der Muskeln zu fördern und den für die amyotrophe Lateralsklerose typischen Folgen der zunehmenden Unbeweglichkeit (wie Muskelschwund) entgegenzuwirken. Bei der Ergotherapie lernen Betroffene unter anderem, wie sie die noch intakten Muskeln so einsetzen können, dass sie den Verlust der von ALS betroffenen Muskulatur kompensieren (ausgleichen) können.

Vorbeugung von Lungenentzündungen

Im späteren Verlauf führt ALS häufig zu einer Schwächung der Atemmuskulatur. Dadurch können die Betroffenen Schleim nicht mehr richtig abhusten, sodass sich das Sekret in ihren Atemwegen sammelt. Da dies Lungenentzündungen begünstigt, ist es wichtig, der Verschleimung rechtzeitig entgegenzuwirken. Bewährt haben sich dazu zum Beispiel Atemgymnastik und Klopfmassagen. Zudem müssen Atemwegsinfektefrühzeitig mit Antibiotika behandelt werden, damit sie gar nicht erst auf die Lungen übergehen.

Führt die amyotrophe Lateralsklerose zur fortschreitenden Lähmung der beim Schlucken beteiligten Muskeln, ist eine Ernährung über Sonden erforderlich, um zu verhindern, dass Nahrung in die Luftwege eindringt. Diese Maßnahme kann auch dazu beitragen, einen allzu starken Gewichtsverlust zu vermeiden, der ebenfalls eine häufige Folge der Schluckstörungen ist.

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Verlauf & Lebenserwartung

In der Regel beginnt ALS im Alter zwischen 50 und 70 Jahren. Statistiken zufolge liegt die durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen, der die Diagnose amyotrophe Lateralsklerose erhalten hat, zwischen zwei und vier Jahren. Ungefähr jeder zehnte Mensch mit ALS bleibt länger am Leben, ein geringer Teil der Patienten lebt mehr als 20 Jahre mit der Erkrankung.

Die Daten, auf denen diese Statistiken basieren, stammen jedoch aus einer Zeit, als viele der modernen Behandlungsoptionen den Patienten noch nicht zur Verfügung standen. Heute lässt sich die Lebenserwartung von Menschen mit amyotropher Lateralsklerose häufig durch Hilfsmittel wie Beatmungsgeräten und Trinknahrung um Monate oder sogar Jahre verlängern.