Ein Autist versucht, seine Gefühle auszudrücken.
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Asperger-Syndrom: Ursachen, Diagnose und Symptome

Von: Jasmin Krsteski (Biologin und Medizinredakteurin), Brit Weirich (Medizinautorin, M.A. Mehrsprachige Kommunikation)
Letzte Aktualisierung: 09.01.2024

Das Asperger-Syndrom ist eine Autismus-Spektrum-Störung, die oft bereits im Kleinkindalter diagnostiziert wird. Betroffene haben Schwierigkeiten mit ihrem Sozial- und Kommunikationsverhalten, was zu schulischen Problemen und einem hohen Leidensdruck führen kann. Woran lässt sich das Asperger-Syndrom erkennen und was können Eltern tun, um ihr Kind bestmöglich zu fördern? 

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

FAQ: Häufige Fragen zum Asperger-Syndrom

Schätzungen zufolge sind etwa zwei bis drei von 10.000 Kindern vom Asperger-Syndrom betroffen. Bei Jungen wird die Autismus-Spektrum-Störung rund achtmal häufiger diagnostiziert. Das lässt sich Fachleuten zufolge darauf zurückführen, dass die Störung bei Mädchen seltener und pft später erkannt wird.

Medikamente kommen zur Therapie des Asperger-Syndroms nur in seltenen Fällen zum Einsatz. Einige Kinder leiden im Rahmen der Entwicklungsstörung auch an ADHS oder anderen Erkrankungen. In diesem Fall können entsprechende Medikamente verordnet werden.

Ja, Betroffene einer Autismus-Spektrum-Störung sind vergleichsweise häufig von psychischen Erkrankungen wie Depressionen betroffen. Vor allem in der Pubertät steigt das Risiko. Denn im Jugendalter werden sich Betroffene zunehmend darüber bewusst, dass sie sich in vielen Punkten von ihren Mitmenschen unterscheiden.

Asperger-Syndrom: Was ist das?

Wann spricht man laut, wann leise, und wann lieber gar nicht? Und woran erkennt man, dass jemand verärgert ist? Für Menschen mit Asperger-Syndrom ist es nicht leicht, diese Fragen zu beantworten – trotz normaler oder teilweise sogar überdurchschnittlicher Intelligenz.

Asperger-Autist*innen können sich nur schwer in andere Menschen hineinversetzen und wissen nicht, wie man sich in sozialen Situationen angemessen verhält. Grund ist eine ausgeprägte Kommunikations- und Kontaktstörung. Benannt ist das Asperger-Syndrom nach dem österreichischen Kinderarzt Hans Asperger. Er beschrieb die tiefgreifende Entwicklungsstörung erstmals 1943.

Asperger-Syndrom: Keine valide Diagnose mehr

Offiziell gibt es die Diagnose Asperger-Syndrom seit 2022 nicht mehr: Sie wurde aus den medizinischen Klassifikationssystemen ICD-11 und DSM-5 gestrichen. Seitdem werden alle Autismus-Erscheinungsformen zu den Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) zusammengefasst. All jene Subtypen zeichnen sich durch Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion sowie durch eingeschränkte, sich wiederholende Interessen und Verhaltensmuster aus.

Hinweis: Der Begriff Asperger-Syndrom ist noch weit verbreitet – auch in Fachkreisen. Deshalb wird der Terminus in diesem Artikel zunächst weiterhin verwendet.

Welche Ursachen hat das Asperger-Syndrom?

Die genauen Ursachen der Autismus-Spektrum-Störung sind noch nicht abschließend geklärt. Fachleute vermuten, dass die Entwicklungsstörung von mehreren Faktoren begünstigt wird. 

Eine große Rolle spielt die Genetik, die ASS tritt in einigen Familien gehäuft auf. Auch hirnorganische und biochemische Auffälligkeiten können das Verhalten von Asperger-Autist*innen teilweise erklären. Faktoren wie Umfeld oder Erziehung wirken sich dagegen nicht auf die Entstehung der Störung aus.

Asperger-Syndrom erkennen: Typische Symptome

Bei sehr kleinen Kindern sind häufig noch keine Symptome sichtbar. Lediglich eine verzögerte motorische Entwicklung kann einen ersten Hinweis auf das Asperger-Syndrom geben. Deutlicher zeigt sich die ASS nach dem dritten Lebensjahr – in ganz unterschiedlicher Ausprägung.

Grundsätzlich lassen sich die Symptome des Asperger-Syndroms in drei Bereiche unterteilen:

  • Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion
  • Auffälligkeiten in Kommunikation und Sprache
  • eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster

Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion

Menschen mit Asperger-Syndrom fällt es schwer, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Zwar sind sie durchaus an sozialer Interaktion interessiert und bemühen sich um Kontakte. Jedoch sind sie oft nicht in der Lage, soziale Situationen und Signale richtig einzuschätzen und sich entsprechend zu verhalten. Auch können sie sich kaum in ihre Mitmenschen hineinversetzen und ihre Emotionen nachvollziehen. Entsprechend schwer fällt es Betroffenen, Mitgefühl zu entwickeln und sich empathisch zu verhalten. Dadurch wirken sie auf andere oft unhöflich und rücksichtslos. 

Auffälligkeiten in Kommunikation und Sprache

Kinder mit Asperger-Syndrom beginnen häufig schon sehr früh zu sprechen – oft, bevor sie laufen können. Sie verfügen über einen großen Wortschatz und eine wandlungsfähige Sprache. Ihre Stimme wirkt dabei allerdings eher monoton und sowohl Tonfall als Wortwahl sind nicht an die Situation angepasst: Die Betroffenen können die Reaktionen ihrer Mitmenschen nicht deuten und wissen nicht, in welchen Situationen sie laut, leise oder gar nicht sprechen sollten und wann Blickkontakt angemessen ist. Häufig führen sie auch Selbstgespräche. Nonverbale Signale wie Mimik und Gestik zu interpretieren, fällt ihnen schwer. 

Eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster

Viele Menschen mit Asperger-Syndrom entwickeln spezielle Interessen, mit denen sie sich sehr intensiv beschäftigen. Dabei kann es sich um Aktivitäten handeln, mit denen sich auch Gleichaltrige beschäftigen – Kinder mit ASS zeigen dieses Interesse jedoch in einem viel stärkeren Ausmaß. So verfügen sie oftmals über erstaunliche Kenntnisse auf dem jeweiligen Gebiet. Ihre Interessen nehmen mitunter einen so großen Raum ein, dass kaum Zeit für andere Aktivitäten bleibt. 

Betroffene neigen außerdem zu Stereotypien: Sie verspüren den Drang, bestimmte Tätigkeiten immer nach dem gleichen Muster auszuführen. So halten sie etwa schon als Kind an bestimmten Ritualen fest und richten sich nach festgelegten Abläufen oder Uhrzeiten. Plötzliche Veränderungen überfordern sie und werfen ihren Alltag aus der Bahn.

Einige Menschen mit ASS fallen zusätzlich durch Symptome wie motorisches Ungeschick und mangelnde Koordinationsfähigkeit auf. Das Asperger-Syndrom tritt häufig zusammen mit Zwangsstörungen, ADHS oder Tics auf.

Asperger-Syndrom und Schule

Kinder mit Asperger-Syndrom sind in der Regel durchschnittlich oder überdurchschnittlich intelligent. Viele Betroffene besitzen ein ausgeprägtes logisches Denkvermögen, sodass sie in einzelnen Bereichen herausragende Leistungen erbringen. Fachleute sprechen hier auch von Inselbegabungen oder dem Savant-Syndrom. In anderen Bereichen weisen Kinder mit ASS jedoch häufig Defizite auf: Sie lassen sich etwa leicht ablenken und schweifen gedanklich ab. Zudem entwickeln viele betroffene Kinder Schulangst, da sie oft von Mobbing betroffen sind. Das führt zu einem hohen Leidensdruck und kann gravierende seelische Folgen haben. 

Auch im Erwachsenenalter bleiben die Symptome von Asperger bestehen, in der Regel allerdings weniger ausgeprägt als im Kindesalter.

Wie wird das Asperger-Syndrom diagnostiziert?

In der Regel fallen die ersten Anzeichen eines Asperger-Syndroms etwa nach dem dritten Lebensjahr auf. Die Symptome treten besonders dann zutage, wenn sich das Kind sozial integrieren muss, etwa im Kindergarten.

Erste Anlaufstelle bei Verdacht auf Asperger-Syndrom ist die kinderärztliche Praxis. Von hier kann eine Überweisung an eine Praxis für Kinder- und Jugendpsychotherapie erfolgen. Insbesondere die Vorgeschichte, aber auch die Beobachtung des Kindes in verschiedenen Situationen helfen Fachleuten bei der Diagnosestellung. Zusätzlich ermitteln Ärzt*innen, auf welchem Entwicklungsstand sich das Kind befindet und welche intellektuellen Fähigkeiten es aufweist. 

Wichtig ist auch, die Autismus-Spektrum-Störung von Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik abzugrenzen. Dazu zählen zum Beispiel

Asperger-Syndrom bei Erwachsenen

Es kann vorkommen, dass eine Person erst im Erwachsenenalter mit der Diagnose Asperger-Syndrom beziehungsweise Autismus-Spektrum-Störung konfrontiert wird, obwohl die Symptome bereits seit der Kindheit bestehen. Denn aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Intelligenz schaffen Betroffene es mitunter, ihre Defizite jahrelang zu verstecken. Hinzu kommt, dass das öffentliche Interesse an Störungen aus dem autistischen Formenkreis zugenommen hat, sodass die typischen Symptome heutzutage eher erkannt werden.

Erwachsene mit Asperger-Syndrom haben oft ein hohes Bildungsniveau. Dennoch haben viele Schwierigkeiten in ihrem Beruf oder sind arbeitslos. Auch fällt es ihnen schwer, Freundschaften zu schließen. Sie leiden häufig zusätzlich unter psychischen Erkrankungen, wie Depressionen oder Angststörungen. Dies kann die Diagnose erschweren.

Wie wird das Asperger-Syndrom behandelt?

Eine Autismus-Spektrum-Störung muss nicht zwangsläufig behandelt werden. Sind die Symptome allerdings stark ausgeprägt und führen diese im Alltag zu Problemen, ist eine Therapie empfehlenswert – am besten frühzeitig.

Verhaltenstherapie bei Asperger

Im Rahmen einer Verhaltenstherapie lassen sich die individuellen Fähigkeiten des Kindes gezielt fördern und bestehende Defizite verringern. So lernt das Kind Schritt für Schritt, seine sozialen, kommunikativen und lebenspraktischen Fähigkeiten zu verbessern. Ein Bestandteil der Therapie könnte beispielsweise sein, dass ein Kind auf Fotos erkennen lernt, wie sich die dort abgebildete Person fühlt. Auch lernt es, wie man sich an soziale Situationen anpasst, um entsprechende Herausforderungen in Kindergarte und Schule zu bewältigen.

Die Eltern spielen in der Therapie ebenfalls eine wichtige Rolle. Sich mit der ASS vertraut zu machen, ist für Erziehungsberechtigte ein erster wichtiger Schritt, um ihr Kind gezielt in seiner Entwicklung zu fördern. 

Nachteilsausgleich für betroffene Kinder

Schüler*innen mit Beeinträchtigung haben im Rahmen der allgemeinen Fürsorgepflicht Anspruch auf einen sogenannten Nachteilsausgleich. Dieser beruht auf dem Behindertengleichstellungsbesetz (Grundgesetz, Artikel 3) und soll Lernenden mit Unterstützungsbedarf den Zugang zu Förderprogrammen und Lernmaterial erleichtern. Auch längere Bearbeitungszeiten für Klassenarbeiten und ein Notenschutz können ausgehandelt werden. Die Eltern beantragen den Nachteilsausgleich für ihr Kind in der Regel direkt bei der Schule.

Asperger-Syndrom: Verlauf und Vorbeugen

Die Autismus-Spektrum-Störung kann sehr unterschiedlich verlaufen: Einige Asperger-Autist*innen finden im Erwachsenenalter eine berufliche Nische, in der sie ihre speziellen Interessen anwenden können. Insbesondere bei hoher Intelligenz können Betroffene ihre Defizite gut kompensieren. Andere hingegen haben am Arbeitsplatz aufgrund ihrer Verhaltensauffälligkeiten Probleme. Wieder andere sind gar nicht erst in der Lage, einer geregelten Arbeit nachzugehen. 

Der Verlauf der Erkrankung hängt unter anderem davon ab,

  • wie ausgeprägt das Syndrom ist,
  • wie gut sich die Person trotz ihrer Defizite sozial anpassen kann,
  • welche Betreuungs- und Förderungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und
  • wie intelligent Betroffene sind.

Aber auch die Bereitschaft des Umfelds, sich mit der ASS auseinanderzusetzen und die Betroffenen zu integrieren, spielt eine wesentliche Rolle für den Verlauf.

Mit dem Alter lernen die meisten Menschen mit Asperger, sich besser an soziale Situationen anzupassen. Dennoch bleiben die Kommunikationsprobleme sowie die eingeschränkte Kontaktfähigkeit zumindest in Zügen ein Leben lang bestehen. Einige Betroffene haben daher nur wenige soziale Kontakte und gehen nur selten Liebesbeziehungen ein. 

Kann man dem Asperger-Syndrom vorbeugen?

Vorbeugen lässt sich der ASS nicht. Durch eine frühzeitige Therapie können Betroffene jedoch lernen, besser mit der Erkrankung umzugehen und ihre Kommunikationsdefizite auszugleichen.

Sollten Eltern bei ihrem Kind mögliche Anzeichen von Asperger entdecken, empfiehlt es sich daher, zeitnah ärztlichen Rat einzuholen. Doch auch im Erwachsenenalter kann eine Therapie noch hilfreich sein – allein schon, um möglichen Folgeerkrankungen wie Depressionen vorzubeugen.