Man sieht ein darstellung von Neuronen.
© iStock

Nervenregeneration im peripheren Nervensystem

Von: Onmeda-Redaktion, Dr. rer. nat. Geraldine Nagel (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 28.12.2021 - 12:39 Uhr

Können sich Nervenzellen von Schädigigungen erholen? Das kommt darauf an, wo sie liegen: Im Unterschied zu Nerven in Gehirn und Rückenmark (zentrales Nervensystem) können sich die Nervenzellen, die außerhalb davon liegen (peripheres Nervensystem), nach Schädigungen bis zu einem gewissen Grad komplett regenerieren.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Überblick

Um das Thema Nervenregeneration besser zu verstehen, muss man wissen, wie Nervenzellen funktionieren und was bei Schädigungen passiert: Mithilfe von Nervenzellen kann der Körper Reize empfangen, in Form von elektrischen Impulsen weiterleiten und so Signale an das Gehirn übermitteln. Baumartige Auswüchse (sog. Dendriten) der Nervenzelle nehmen die Reize auf, leiten sie durch den Zellkörper und von dort weiter in Richtung Axon.

Jede Nervenzelle besitzt in der Regel nur ein einziges Axon – einen langen, schlauchartigen Zellfortsatz, der in Verbindung mit den Dendriten einer weiteren Nervenzelle steht. Manche Axone sind von Myelin umgeben, einer Art elektrischen Isolierschicht, die auch einen gewissen mechanischen Schutz bietet. Das Myelin wird von den sogenannten Schwann-Zellen gebildet, weshalb man die Myelinhülle manchmal auch "Schwann-Scheide" nennt. Axone mit Myelinhülle können Reize deutlich schneller leiten, als die "nicht-isolierten" Axone.

Axone können bis zu einem Meter lang werden. Mit Myelin umhüllte Axone sind das, was man unter "Nervenfasern" versteht – viele gebündelte Nervenfasern wiederum bilden einen "Nerv". Solche Bündel von Nervenfasern gibt es nur im peripheren Nervensystem.

Das zellferne Ende des Axons hat keinen direkten Kontakt zur Nachbarnervenzelle, sondern ist über eine sogenannte Synapse indirekt mit ihr verbunden. Gelangt der Reiz vom Zellkörper schließlich ans zellferne Ende des Axons, werden chemische Botenstoffe (Neurotransmitter) ausgeschüttet. Diese überqueren eine Lücke – den synaptischen Spalt – und docken an Rezeptoren der Nachbarnervenzelle an, was wiederum einen elektrischen Impuls auslöst, der weitergeleitet wird.

Axone können Schaden nehmen, zum Beispiel durch Erkrankungen oder Verletzungen – und dadurch auch die Nervenzellen. Als Folge kann es zu Schmerzen oder Sensibilitätsstörungen (wie Kribbeln, Taubheitsgefühlen und ähnlichen Missempfindungen) kommen. Unter bestimmten Voraussetzungen können sich Nervenzellen im peripheren Nervensystem jedoch regenerieren und ihre alte Funktion ganz oder teilweise wieder aufnehmen.

Ob das funktioniert, hängt vor allem von der Art der Axonschädigung ab und davon, ob der Zellkörper der Nervenzelle unbeschädigt ist. Im Durchschnitt beginnen die Nervenzellen etwa zwei bis drei Tage nach der Schädigung damit, sich zu regenerieren und das Axon wächst nach – circa 0,5 bis 3 Millimeter pro Tag. Unter günstigen Bedingungen ist es im peripheren Nervensystem möglich, dass sich in einem geschädigten Körperbereich (je nach Ausmaß des Schadens) innerhalb von Wochen bis Monaten Axone – und dadurch Nervenfasern – regenerieren.

Die Nervenregeneration beginnt dabei jeweils an der Stelle, an der das Axon durchtrennt oder beschädigt wurde. Axonreste hinter der Bruchstelle zerfallen, die verbliebenen Zellreste werden von den Fresszellen des Körpers (Makrophagen) entfernt.

Um den Defekt nach einer Axonschädigung zu reparieren, beginnt die Nervenzelle in hohem Maße neue Eiweiße herzustellen, die als Ersatz für das verlorene Zellmaterial dienen sollen. Der Axonstumpf erweitert sich zum sogenannten "Wachstumskolben", da aus dem Zellkörper neues Zellmaterial angeliefert wird und sich ansammelt.

Von der Kontaktstelle, mit der das Axon der Nervenzelle früher verbunden war, bilden die verbliebenen Schwann-Zellen eine Art Leitschiene und geben zusammen mit anderen Zellen Eiweiße ab, die als Wachstumsfaktor fungieren. Die Eiweiße dienen als Lockstoff für das nachwachsende Axon: Der Axonstumpf beginnt neu auszusprossen und wächst in Richtung der Leitschiene nach.

Sobald das Axon die frühere Kontaktstelle erreicht, bilden sich wieder Synapsen aus und die Schwann-Zellen umhüllen die nachgewachsenen Axonabschnitte mit Myelin. Die Myelinschicht bei nachgewachsenen Axonen ist dabei generell dünner als vor der Verletzung.