Frau nach dem Duschen mit Handtuch auf dem Kopf
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Skin Picking: Zwanghaftes Pulen, Knibbeln & Kratzen

Von: Brit Weirich (Medizinautorin, M.A. Mehrsprachige Kommunikation), Till von Bracht (Medizinredakteur, M.A. Sportwissenschaften)
Letzte Aktualisierung: 25.09.2022

Pickel ausdrücken, Schorf abknibbeln, Unebenheiten auf der Haut aufkratzen: Viele Menschen bearbeiten ihre Haut, bis Blut fließt und sich unschöne Narben bilden. Mit "Lass' es doch einfach!" ist es allerdings nicht getan, wenn jemand unter der sogenannten Skin Picking Disorder oder Dermatillomanie leidet. Was steckt hinter der Impulskontrollstörung und wie lässt sie sich behanden?

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

FAQ: Häufig gestellte Fragen zu Skin Picking

Bislang sind die Ursachen für Skin Picking Disorder (Dermatillomanie) noch nicht geklärt. Fachleute vermuten aber, dass Betroffene durch das Knibbeln und Zupfen der Haut aufgestauten Druck und Stress abbauen. Zugleich streben sie nach einem "perfekten" Hautbild, weshalb jede Hautveränderung akribisch bearbeitet wird – auch, wenn dieses Verhalten kontraproduktiv ist. Die Haut wird gereizt und entzündet sich. So entsteht ein Teufelskreis.

Skin Picking zählt zu den Impulskontrollstörungen und kann entsprechend durch eine Verhaltenstherapie behandelt werden. Ziel ist es, Ursachen für die Dermatillomanie aufzuspüren, Triggerpunkte in Alltagssituationen zu erkennen und alternative Bewältigungsmechanismen zu erarbeiten. Zusätzlich können Psychopharmaka zum Einsatz kommen.

Während einige Betroffene ihre Haut unbewusst und gedankenverloren bearbeiten, etwa nebenbei beim Fernsehen oder Lesen, schreiten andere Personen gezielt zur Tat: Sie entwickeln bestimmte Rituale, die sie mitunter mehrmals täglich durchführen.

Trichotillomanie zählt ebenso wie Dermatillomanie zu den Impulskontrollstörungen. Betroffene einer Trichotillomanie bearbeiten jedoch nicht ihre Haut, sondern verspüren den starken Drang, sich ihre Haare auszurupfen. Deshalb sprechen Fachleute auch von der „Haarrupfsucht“.

Was ist Skin Picking?

Jeder Mensch beschäftigt sich mehr oder weniger mit seiner Haut: Pflegt sie, kratzt sich gelegentlich, tastet die Oberfläche nach unebenen Stellen ab, knabbert an Nagelhaut oder Fingernägeln. Das ist auch normal.

Krankhafte Ausmaße erreicht dieses Verhalten allerdings, wenn Betroffene

  • nicht mehr anders können, als jede (vermeintliche) Hautunreinheit mit allen Mitteln zu entfernen,
  • der Haut übel zusetzen, bis Blut fließt,
  • entzündete Hautstellen in Kauf nehmen, damit kein Pickel oder Schorf zu sehen ist,
  • das Kratzen und Knibbeln als befriedigend empfinden, anschließend aber mit Schuldgefühlen kämpfen.

Lange Zeit wurde dieses Verhalten als schlechte Angewohnheit belächelt. Seit 2013 ist die Skin Picking Disorder (auch Dermatillomanie, Acne excoriée oder Neurotic Excoriation) aber offiziell als psychische Erkrankung anerkannt und zählt zu den Impulskontrollstörungen. Betroffene können gezielt Hilfe bekommen – wenn die Erkrankung als solche diagnostiziert wird. Da das Phänomen noch immer recht unbekannt und die Studienlage bislang dünn ist, gehen Fachleute von einer hohen Dunkelziffer aus.

Wer ist von Skin Picking betroffen?

Am häufigsten tritt Skin Picking auf

  • in der späten Kindheit,
  • in der frühen Jugend (Pubertät) sowie
  • zwischen dem 30. und 45. Lebensjahr.

Rund zwei Prozent der Bevölkerung leben mit Dermatillomanie. Frauen sind Statistiken zufolge mit bis zu 90 Prozent häufiger betroffen als Männer. Womöglich fühlen sich besonders Frauen dem Druck ausgesetzt, eine makellose, reine Haut zu haben. Das fällt aber gerade Mädchen in der Pubertät schwer, wenn sie mit Pickeln und Mitessern zu kämpfen haben.

Fachleute vermuten jedoch, dass Männer ähnlich häufig betroffen sind, sich aber nicht in Behandlung begeben: Noch immer fällt es vor allem männlichen Betroffenen schwer, sich mit psychischen Beschwerden professionelle Hilfe zu suchen.

Skin Picking verläuft zu Beginn phasenhaft, chronifiziert im weiteren Verlauf jedoch, wenn keine Behandlung erfolgt.

Welche Verhaltensweisen sind bei Skin Picking typisch?

Skin Picking ist eine Impulskontrollstörung und zeigt Parallelen zu Zwangsstörungen (z. B. Waschzwang), Substanzmissbrauchsstörungen (z. B. Alkoholmissbrauch) und der Borderline-Störung.

Es gibt einige Symptome, die auf Skin Picking schließen lassen:

  • Betroffene haben keine Kontrolle über ihr Verhalten, sie können nicht einfach aufhören.
  • Die Haut ist aufgrund des Skin Pickings von deutlichen Hautschäden übersät, die oft entzündet und eitrig sind, oder weist Narben auf.
  • Skin Picking tritt phasenweise auf und verstärkt sich beispielsweise bei einem erhöhten Stresslevel.
  • Obwohl die Haut teilweise empfindlich verletzt wird, scheint das Verhalten keine Schmerzen auszulösen oder im Gegenteil sogar befriedigend zu wirken.
  • Befinden sich Betroffene in Situationen, in denen sie nicht bearbeiten können, werden sie nervös und verspüren innere Unruhe. 
  • Neben Fingernägeln werden auch die Zähne, Pinzetten und eventuell Messer und Nagelscheren verwendet, um Unreinheiten zu entfernen.
  • Im Anschluss an das Zupfen und Kratzen kommt es bei Betroffenen typischerweise zu Scham und Schuldgefühlen.

Bei Personen, die zum krankhaftem Hautzupfen neigen, sind besonders Gesicht, Dekolleté, oberer Rücken, Arme, Schultern, Unterschenkel und die Finger durch eitrige Stellen, Entzündungen, Kratzer und Narben gekennzeichnet. Mitunter neigen Betroffene auch zum Wangenbeißen und Zungenbeißen.

Typisch bei Skin Picking: Soziale Isolation

Von Skin Picking betroffene Personen ziehen sich häufig nach und nach aus dem sozialen Leben zurück: Der Drang, die Haut zu malträtieren, ist so groß, dass er einen Großteil des Lebens einnimmt. Außerdem ist die Haut oft so entzündet, dass die Betroffenen sich schämen, diese zu zeigen. Sie versuchen, die entsprechenden Körperstellen möglichst abzudecken, tragen beispielsweise auch im Sommer lange Kleidung.

Wie entsteht Skin Picking?

Bisher ist die Dermatillomanie noch wenig erforscht. Zu den Ursachen gibt es zwar zahlreiche Vermutungen, aber keine aussagekräftigen Studien.

Bekannt ist bislang, dass Skin Picking häufig bei Menschen auftritt, die bereits andere psychische Probleme haben. Das unkontrollierte Kratzen, Quetschen, Drücken und Zupfen wird durch bestimmte optische "Makel" ausgelöst, dazu zählen etwa

Skin Picking wird zudem durch bestimmte Triggerpunkte verstärkt, darunter

  • Stress,
  • Leistungsdruck,
  • Trauer oder
  • Traumata.

Wie wird Skin Picking diagnostiziert?

Vielen Betroffenen ist gar nicht bewusst, dass ihr Verhalten krankhaft ist. Sie suchen daher oft nicht eigenständig psychologische Hilfe auf, sondern werden aufgrund ihres Hautzustandes zunächst in einer dermatologischen Praxis vorstellig.

Die*der Dermatologin*Dermatologe wird die Haut zunächst mithilfe eines Vergrößerungsspiegels auf Auffälligkeiten untersuchen. Kann kein konkreter Auslöser für etwaige Hautkrankheiten, Unebenheiten oder Unreinheiten festgestellt werden, steckt womöglich Dermatillomanie hinter dem Beschwerdebild. Dann erfolgt in der Regel eine Überweisung an eine psychotherapeutische Praxis.

Was tun gegen Skin Picking?

Skin Picking zählt zu den Impulskontrollstörungen und kann entsprechend behandelt werden. Wichtigster Faktor ist dabei die kognitive Verhaltenstherapie. Hier wird unter anderem ermittelt, in welchen Situationen der Drang, die Haut zu bearbeiten, am stärksten ist. Dies kann Hinweise auf die mögliche Ursache geben: Tritt das Zwangsverhalten zum Beispiel verstärkt in Stress- und Drucksituationen auf, können Betroffene für entsprechende Triggerpunkte alternative Bewältigungsstrategien erlernen.

Die Verhaltenstherapie wird häufig mit Psychopharmaka wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmern in Kombination mit Entspannungsübungen unterstützt. Bewährt hat sich vor allem die sogenannte Gewohnheitsumkehr (Habit-Reversal-Training). Dabei ersetzen Betroffene das krankhafte Verhalten durch ein neues, gesundes Verhalten. Das kann beispielsweise so aussehen, dass sie sich beim Drang, die Haut zu bearbeiten, auf ihre Hände setzen oder diese ineinander verschränken. Auf diese Weise werden die antrainierten Verhaltensmuster unterdrückt und im Laufe der Zeit verlernt.

Je nachdem, wie angegriffen die Haut durch das Skin Picking bereits ist, kann parallel zur therapeutischen Behandlung auch eine hautärztliche Behandlung notwendig sein. Auch eine Anwendung von Hausmitteln wie Teebaumöl kann lindernd wirken, sollte zuvor aber ärztlich abgeklärt werden. Zudem kann es sinnvoll sein, die betroffenen Hautstellen mit Pflastern zu bedecken. So wird zum einen verhindert, dass sich offene Hautpartien entzünden. Zum anderen hält dies die Betroffenen womöglich von erneutem Kratzen ab.

Dermatillomanie sollte unbedingt behandelt werden

Ohne Behandlung wird die Erkrankung chronisch und kann schwere Hautverletzungen und Vernarbungen nach sich ziehen. Außerdem entwickelt sich ein Teufelskreis: Der Drang, eine makellose Haut zu haben, wird umso größer, je entzündeter und unreiner die Haut erscheint.