Ein kleines Mädchen bekommt ein Pflaster aufs Knie.
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Von-Willebrand-Syndrom (Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom)

Von: Dr. rer. nat. Geraldine Nagel (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 23.12.2021

Das Von-Willebrand-Syndrom (Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom) ist eine Blutgerinnungsstörung, durch die es zu längeren und stärken Blutungen kommen kann. Die Erkrankung ist in der Regel angeboren, wird jedoch oft erst spät als solche festgestellt.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Ursachen

Das Von-Willebrand-Syndrom (auch Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom oder Angiohämophilie genannt) ist in der Regel die Folge eines angeborenen und vererbbaren Gendefekts. Dieser führt dazu, dass der sogenannte Von-Willebrand-Faktor zu wenig oder gar nicht hergestellt wird oder defekt ist und nicht richtig funktioniert.

Der Von-Willebrand-Faktor ist ein spezielles Eiweiß (Protein), das eine wichtige Rolle für die Blutgerinnung spielt. Stellt der Körper zu wenig Von-Willebrand-Faktor her oder weist das Protein strukturelle Defekte auf, können sich die Blutplättchen (Thrombozyten) zum einen nicht oder nur in geringem Maße aneinanderlagern und zum anderen nicht oder kaum an die Wände der Blutgefäße anlagern. Als Folge kann es bei Verletzungen zu einer erhöhten Blutungsneigung kommen, denn die Blutgerinnung ist dadurch erschwert.

Eine weitere Rolle für die Blutgerinnung spielt der sogenannte Faktor VIII (Faktor 8) – ein Glykoprotein, das an den Von-Willebrand-Faktor bindet und die Blutgerinnung anregt. Ist wenig oder gar kein Von-Willebrand-Faktor vorhanden, kann auch nur wenig oder gar kein Faktor VIII gebunden werden, wodurch der ungebundene Faktor VIII rascher abgebaut wird. Betroffene mit Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom haben in der Regel auch einen Faktor-VIII-Mangel.

 

Erworbenes Von-Willebrand-Syndrom

Nur in seltenen Fällen ist das Von-Willebrand-Syndrom nicht angeboren, sondern wird erst im Laufe des Lebens erworben, zum Beispiel:

Häufigkeit

Das angeborene Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom gilt als die häufigste erbliche Blutgerinnungsstörung, zählt aber dennoch zu den seltenen Erkrankungen. Schätzungen zufolge sind in Deutschland je nach Schweregrad etwa 0,1 bis 1,5 Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Das entspricht etwa 10 bis 150 von 10.000 Menschen.

Am seltenen Typ 3 des Von-Willebrand-Syndroms sind deutschlandweit nur circa 250 Menschen erkrankt. Das erworbene Von-Willebrand-Syndrom kommt wahrscheinlich ähnlich selten oder noch seltener vor – genaue Zahlen sind jedoch nicht bekannt.

Historisches

Das Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom ist benannt nach Erik Adolf von Willebrand (1870-1949), einem finnischen Internisten, und Rudolf Jürgens (1989-1961), einem deutschen Hämatologen. Von Willebrand veröffentlichte 1926 seine Erkenntnisse zu dieser Erkrankung und nannte sie damals "hereditäre Pseudohämophilie", das bedeutet so viel wie "erbliche Scheinbluterkrankheit". Jürgens steuerte danach weitere Erkenntnisse zur Erkrankung bei. Heute spricht man jedoch meist nur noch vom "Von-Willebrand-Syndrom".

Von-Willebrand-Syndrom: Symptome

Welche Symptome beim Von-Willebrand-Syndrom (Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom) auftreten, kann sehr unterschiedlich sein. Das Ausmaß der Beschwerden hängt vor allem davon ab, wie stark ausgeprägt der Mangel an Von-Willebrand-Faktor ist beziehungsweise wie folgenreich strukturelle Defekte am selbigen sind. Denn den Von-Willebrand-Faktor benötigt der Körper für die Blutgerinnung.

Bei vielen Betroffenen macht sich das Von-Willebrand-Syndrom nur durch schwache Symptome bemerkbar. Teilweise treten auch gar keine Beschwerden auf. Falls Symptome auftreten, können diese individuell sehr verschieden sein. Das Von-Willebrand-Syndrom ist deshalb nicht immer leicht zu erkennen.

Eine erhöhte Blutungsneigung kann – auch, wenn sie nicht sehr stark ausgeprägt ist – ein Anzeichen für das Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom sein. Mögliche Symptome hierfür wären zum Beispiel:

  • häufige Blutergüsse (blaue Flecken), auch nach scheinbar kleinen oder kaum bemerkten Stößen und häufig auch an eher untypischen Stellen (nicht an Armen oder Beinen)
  • häufig kleine, höchstens stecknadelkopfgroße Einblutungen in die Haut (sog. Petechien)
  • häufiges und länger andauerndes Nasenbluten, scheinbar ohne Grund
  • bei Mädchen/Frauen: verstärkte Regelblutungen
  • starkes oder lang andauerndes Nachbluten auch nach kleineren Verletzungen (z. B. nach einem Schnitt, Verletzungen beim Rasieren)
  • starkes oder lang andauerndes Nachbluten nach Zahneingriffen (wie Zahnziehen oder kleineren operativen Eingriffen im Mundraum)
  • Blutungsbeschwerden/Blutergüsse nach Blutabnahmen
  • Blutungsbeschwerden/Blutergüsse nach Spritzen/Impfungen in den Muskel
  • bei Kindern: starkes oder lang andauerndes Nachbluten beim Zahnwechsel
  • häufiges Zahnfleischbluten (z. B. nach dem Zähneputzen)
  • starkes oder lang andauerndes Nachbluten nach operativen Eingriffen oder Unfällen mit größeren Verletzungen
  • Blut im Stuhl
  • Blut im Urin
  • bei größeren Blutergüssen lassen sich kleine Klumpen an der betroffenen Stelle ertasten

Von-Willebrand-Syndrom bei Frauen

Bei Frauen kann sich das Von-Willebrand-Syndrom auch durch stärkere Regelblutungen äußern. Da Frauen intensivere Regelblutung unter Umständen als gegeben hinnehmen und nicht immer abklären lassen, kann es passieren, dass das Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom als mögliche Ursache in solchen Fällen oft unerkannt bleibt. Auch Ärzte und Ärztinnen überprüfen nicht immer, ob ein Mangel oder Defekt des Von-Willebrand-Faktors hinter stärkeren Regelblutungen stecken könnte.

Mögliche Anzeichen dafür, dass ein Von-Willebrand-Syndrom die Ursache von starken Regelblutungen sein könnte, sind zum Beispiel:

  • im Menstruationsblut finden sich Blutklumpen mit mehr als 2,5 Zentimeter Durchmesser
  • Tampons oder Binden müssen häufiger als einmal pro Stunde gewechselt werden
  • Tampons und Binden müssen kombiniert werden

Auch Symptome einer Anämie (Blutarmut) während der Regelblutung können ein Hinweis auf das Von-Willebrand-Syndrom sein. Darunter fallen zum Beispiel Symptome wie:

Von-Willebrand-Syndrom: Diagnose

In vielen Fällen ist das Von-Willebrand-Syndrom (Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom) sehr schwach ausgeprägt und deswegen nicht immer leicht zu erkennen. Ein möglicher Hinweis auf die Erkrankung können zum Beispiel Symptome wie eine erhöhte Blutungsneigung bei Verletzungen, aber auch häufige blaue Flecken oder häufiges Nasenbluten sein. Die Diagnose wird außerdem wahrscheinlicher, wenn die Erkrankung bereits bei einem Elternteil oder bei Geschwistern bekannt ist.

Um das Von-Willebrand-Syndrom nachzuweisen, sind spezielle Blutuntersuchungen notwendig, wie zum Beispiel:

  • Messung der Blutungszeit (PFA-100)
  • partielle Thromboplastinzeit (aPTT)
  • Von-Willebrand-Faktor-Konzentration
  • Faktors-VIII-Konzentration

Mithilfe von Blutuntersuchungen lässt sich auch feststellen, um welchen der drei Erkrankungstypen des Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom es sich genau handelt.

Tabelle: Erkrankungstypen beim Von-Willebrand-Syndrom

FormBeschreibungHäufigkeitVererbung
Typ 1Typ 1 ist die häufigste Form des Von-Willebrand-Syndroms. Der Von-Willebrand-Faktor liegt hier nur in geringer Menge im Blut vor, ebenso der Faktor VIII. Die Symptome sind bei Typ I eher mild ausgeprägt.bei 80 Prozent der Betroffenenautosomal-dominant
Typ 2Bei Typ 2 des Von-Willebrand-Syndroms liegt der Von-Willebrand-Faktor zwar in normaler Menge vor, ist jedoch strukturell verändert und nicht voll funktionsfähig. Die Symptome sind bei Typ 2 leicht bis mittelschwer ausprägt. Je nach Art der strukturellen Veränderung unterteilt man Typ 2 in weitere Unterformen (2A, 2B, 2M und 2N).bei 15 bis 20 Prozent der Betroffenenje nach Art des Defekts autosomal-dominant oder autosomal-rezessiv
Typ 3Typ 3 des Von-Willebrand-Syndroms kommt selten vor. Der Von-Willebrand-Faktor fehlt komplett im Blut und die Konzentration von Faktor VIII geht gegen Null. Bei Typ 3 treten die stärksten Symptome auf.bei 0,5 bis 5 Prozent der Betroffenenautosomal-rezessiv

Um bei den Blutuntersuchungen absolut sicher zu sein, sollten diese in Abständen wiederholt werden, da die Ergebnisse durch verschiedene Einflüsse unterschiedlich ausfallen können, so etwa durch:

Von-Willebrand-Syndrom: Therapie

Das Von-Willebrand-Syndrom (Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom) ist in der Regel angeboren. Deshalb lässt es sich nicht im eigentlichen Sinne heilen. In den meisten Fällen sind die Symptome jedoch nur sehr schwach ausgeprägt, sodass oft keine Behandlung notwendig ist.

Auch bei schwereren Fällen des Von-Willebrand-Syndroms ist häufig keine fortwährende Therapie notwendig – sondern nur in bestimmten Situationen. Für die Behandlung ist es wichtig zu wissen, welcher Typ des Von-Willebrand-Syndroms vorliegt beziehungsweise ob der Körper nur weniger, strukturell veränderten oder gar keinen Von-Willebrand-Faktor herstellt.

Bei leichten Blutungen genügen in der Regel lokale Maßnahmen (wie ein Druckverband), um die Blutung zu stillen, sodass auf spezielle Medikamente oft verzichtet werden kann.

Bei starken Blutungen sowie vor Operationen kann der Wirkstoff Desmopressin zum Einsatz kommen (z. B. als Nasenspray). Desmopressin entspricht in seiner Struktur dem körpereigenen Hormon Vasopressin und kann den Körper anregen, mehr Von-Willebrand-Faktor aus den Gefäßwänden freizusetzen. Desmopressin wirkt vor allem bei Betroffenen mit Typ 1 oder Typ 2 des Von-Willebrand-Syndroms.

Daneben kann die Ärztin oder der Arzt Faktor-VIII-Konzentrat über die Vene geben. Das Konzentrat enthält außer Faktor VIII immer auch Von-Willebrand-Faktor. Faktor-VIII-Konzentrat eignet sich für alle drei Typen des Von-Willebrand-Syndroms und kann auch mit Desmopressin kombiniert werden.

Bei schweren Fällen von Typ 2 und 3 des Von-Willebrand-Jürgens-Syndroms kann das Faktor-VIII-Konzentrat auch dauerhaft zum Einsatz kommen und muss dann ein- bis mehrmals die Woche gespritzt werden. Dies können Betroffene nach einer entsprechenden Einweisung in der Regel zuhause selbst vornehmen.

Zusätzlich können Medikamente helfen, die körpereigene Mechanismen zur Auflösung von Blutgerinnseln hemmen, wie etwa der Wirkstoff Tranexamsäure.

Bei Frauen mit Von-Willebrand-Syndrom, die unter starken Regelblutungen leiden, bessern sich die Beschwerden häufig durch die Zufuhr von Östrogenen oder Gestagenen. Das sind weibliche Geschlechtshormone, die meist auch in hormonellen Verhütungsmitteln wie der Antibabypille oder in der Hormonspirale enthalten sind. Solche hormonhaltigen Präparate können die Produktion des Von-Willebrand-Faktors steigern.

Tipps für den Alltag

Wer das Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom hat, sollte möglichst keine Medikamente einnehmen, die die Blutgerinnung hemmen beziehungsweise das Blut verdünnen. Schmerzmittel mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure oder andere Wirkstoffe aus der Gruppe der Thrombozytenaggregationshemmer beziehungsweise der NSAR (nicht-steroidalen Antirheumatika) sind daher zum Beispiel nicht geeignet. Alternativ eignet sich dagegen das Schmerzmittel Paracetamol.

Außerdem sollte man daran denken, alle behandelnden Ärzte und Ärztinnen zu informieren, dass das Von-Willebrand-Syndrom besteht. Das gilt insbesondere, wenn operative Eingriffe oder Zahnbehandlungen (wie Zahnziehen oder Zahnfleischbehandlungen) geplant sind. So lassen sich etwaige Vorsichtsmaßnahmen ergreifen und die Diagnose beim Verschreiben von Medikamenten berücksichtigen.

Auch mit Von-Willebrand-Syndrom kann und sollte man Sport treiben. Denn eine trainierte Muskulatur beugt zum einen Unfällen vor und schützt zum anderen die Gelenke – und minimiert so das Risiko für Gelenkblutungen. Je nach Sportart können Schutzmaßnahmen wie Helm, Ellenbogen- oder Knieschoner sinnvoll sein, um Verletzungen und blaue Flecken zu vermeiden. Hierbei ist jedoch in der Regel keine übertriebene Vorsicht notwendig, sondern nur so viel vorausschauender Schutz, wie ihn auch gesunde Menschen anwenden würden.

Welche Sportarten sich eignen, hängt allerdings auch davon ab, welcher Typ des Von-Willebrand-Syndroms vorliegt. Betroffene mit starker Blutungsneigung beziehungsweise mit Typ 3 der Erkrankung sollten etwas vorsichtiger sein und auf unfallträchtige Sportarten verzichten. Dazu zählen zum Beispiel:

  • Kampfsportarten
  • Fußball
  • Handball
  • Volleyball
  • Basketball
  • Alpinski
  • Sprungsportarten (wie Weitsprung, Hochsprung)

Empfehlenswert sind dagegen Sportarten wie:

Bei Kindern mit Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom sollte dies beim Schulsport berücksichtigt werden. Eine generelle Befreiung ist jedoch normalerweise nicht notwendig und auch nicht ratsam, um die Integration des Kindes in die Gruppe nicht zu gefährden.

Von-Willebrand-Syndrom: Verlauf

Beim Von-Willebrand-Syndrom (Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom) kann es zu verschiedenen Komplikationen kommen, wie zum Beispiel:

  • Mädchen/Frauen können durch die Erkrankung unter sehr starken Regelblutungen leiden und infolgedessen eine Eisenmangelanämie entwickeln.
  • Falls es zu Blutungen innerhalb von Gelenken oder im Weichteilgewebe kommt, kann es zu Schwellungen und starken Schmerzen kommen.
  • Ist das Von-Willebrand-Syndrom sehr stark ausgeprägt, können größere Blutungen ohne passende Behandlung möglicherweise lebensbedrohliche Ausmaße annehmen.

Von-Willebrand-Syndrom: Vorbeugen

Da das Von-Willebrand-Syndrom (Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom) in den meisten Fällen angeboren ist, lässt sich der Erkrankung nicht im eigentlichen Sinne vorbeugen.

Bei bereits bekannter Erkrankung gibt es jedoch einige Dinge, auf die man achten kann, um das Blutungsrisiko möglichst gering zu halten:

  • Informieren Sie alle behandelnden Ärzte und Ärztinnen darüber, dass bei Ihnen oder Ihrem Kind das Von-Willebrand-Syndrom vorliegt. So kann bei möglichen Blutungen oder bei operativen Eingriffen entsprechend reagiert werden. Beim Verschreiben von Medikamenten kann die Ärztin oder der Arzt darauf achten, dass die Medikamente Blutungen nicht fördern.
  • Spritzen (also auch Impfungen) sollten möglichst nicht in den Muskel (intramuskulär), sondern ins Unterhautfettgewebe (subkutan) verabreicht werden, um Blutungen innerhalb des Muskels zu vermeiden.
  • Behandeln Sie leichte Schmerzen auf keinen Fall mit Acetylsalicylsäure, sondern besser mit Paracetamol (rezeptfrei) oder Metamizol (verschreibungspflichtig).

Kinder und Jugendliche mit nachgewiesenem Von-Willebrand-Syndrom sollten immer einen Notfallausweis bei sich tragen.