Chromosomen
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Prader-Willi-Syndrom: Seltener Gendefekt

Von: Miriam Funk (Medizinredakteurin und Redaktionsleitung)
Letzte Aktualisierung: 27.01.2023

Das Prader-Willi-Syndrom ist eine seltene genetische Erkrankung. Erste Anzeichen im Säuglingsalter sind meist Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme (Trinkschwäche) sowie eine verminderte Muskelspannung. Wie die Krankheit entsteht, was Symptome sind und wie behandelt werden kann, lesen Sie hier.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Häufige Fragen zum Prader-Willi-Syndrom

Je nach Alter sind folgende Symptome typisch:

  • Muskelschwäche (Hypotonie) mit Trinkschwäche und Entwicklungsverzögerung
  • fehlendes Sättigungsgefühl
  • geistige Behinderung
  • Kleinwüchsigkeit
  • gestörte Impulskontrolle, dadurch z. B. häufige Wutausbrüche

Es handelt sich beim Prader-Willi-Syndrom um eine seltene genetische Erkrankung, bei der das Chromosom 15 verändert ist. Diese Veränderung auf dem Chromosom wirkt sich auf den Hypothalamus im Gehirn aus. Da dort wichtige Körperfunktionen gesteuert werden, hat es einen vielfältigen Einfluss. Das Prader-Willi-Syndrom wird nicht vererbt, sondern ist eine Laune der Natur.

Das typische Aussehen umfasst häufig:

  • schmales Gesicht
  • mandelförmige Augen
  • Schielen (Strabismus)
  • kleiner, nach unten gebogener Mund mit schmaler Oberlippe
  • kleine Hände und Füße

Da das Prader-Willi-Syndrom eine genetische Erkrankung ist, kann ihm nicht vorgebeugt werden.

Was ist das Prader-Willi-Syndrom?

Es handelt sich beim Prader-Willi-Syndrom (PWS) um eine seltene genetische Erkrankung, die aufgrund einer chromosomalen Störung im Zwischenhirn (Hypothalamus) mit verschiedenen hormonell bedingte Störungen, wie Minderwuchs, fehlendem Sättigungsgefühl, Unfruchtbarkeit und geistiger Behinderung, einhergeht.

Das Krankheitsbild des Prader-Willi-Syndroms wurde 1956 nach den beiden Schweizer Kinderärzten Andrea Prader und Heinrich Willi benannt. Eine weitere Bezeichnung ist Prader-Labhart-Willi-Fanconi-Syndrom. Alexis Labhart und Guido Fanconi waren ebenfalls in der Schweiz tätige Ärzte. 1981 identifizierte schließlich David H. Ledbetter die genetische Ursache des Syndroms: ein Defekt des Chromosoms 15 im menschlichen Erbgut.

Häufigkeit des PWS

Das Prader-Willi-Syndrom ist sehr selten. Weltweit ist etwa eines von 15.000 bis 30.000 Neugeborenen davon betroffen, Jungen und Mädchen etwa gleich häufig.

Ursachen für das PWS

Das Prader-Willi-Syndrom hat genetische Ursachen: Gene auf dem väterlichen Chromosom 15 funktionieren nicht richtig. Diese Gendefekte können beim Prader-Willi-Syndrom in 99 Prozent der Fälle als Ursachen nachgewiesen werden. In den meisten Fällen (etwa 70 %) fehlt ein kleines Stück am Chromosomen 15, was als Deletion bezeichnet wird.

Aufgrund der Genveränderungen kommt es zu Veränderungen im Hypothalamus. Der Hypothalamus ist eine wichtige Region im Gehirn, die als Schaltzentrale unter anderem Einfluss auf Appetit, Blutdruck, Körpertemperatur, Gefühle und Sexualverhalten hat. Außerdem werden dort die Geschlechts- und Wachstumshormone produziert und freigesetzt, was bei PWS vermindert ist.

Wird das Prader-Willi-Syndrom vererbt?

Meist werden die Gendefekte nicht vererbt, sondern entstehen spontan. Bei Familien, in denen das Prader-Willi-Syndrom bereits aufgetreten ist, ist die Wahrscheinlichkeit für ein weiteres betroffenes Kind in den meisten Fällen (99 %) nicht höher als bei Familien, in denen die Erkrankung noch nicht vorgekommen ist. 

Nur in sehr seltenen Fällen (1 %) liegt ein sogenannter Imprinting-Fehler auf den Chromosomen vor. Hierbei kann es bei weniger als jedem zehnten Fall dazu kommen, dass ein Wiederholungsrisiko besteht und die Erkrankung weitergegeben wird. Diese seltene Art der Vererbung kann nur über den Mann erfolgen und auch Generationen überspringen.

Symptome beim Prader-Willi-Syndrom

Das Prader-Willi-Syndrom kann vielfältige Symptome hervorrufen, die je nach Alter unterschiedlich sind. Die Ausprägung des PWS ist individuell sehr unterschiedlich. Bereits während der Schwangerschaft sind Babys mit dem Prader-Willi-Syndrom oft weniger aktiv, sodass die Mutter nur in geringem Maße Kindsbewegungen wahrnimmt.

Typische Symptome sind nach der Geburt bei Säuglingen außerdem:

  • ausgeprägte Muskelschwäche (Muskelhypotonie): Babys wirken lethargisch, schlaff und kraftlos wie eine Puppe
  • Trinkschwäche
  • stille Babys, die viel schlafen
  • meist untergewichtig und Gedeihstörung (Entwicklungsverzögerung)
  • bei Jungen: Hodenhochstand und kleiner Penis
  • bei Mädchen: unterentwickelte Schamlippen
  • Schielen

Mit zunehmendem Alter treten dann andere Symptome in den Vordergrund:

  • Hyperphagie (übermäßiges Hungergefühl durch fehlendes Sättigungsgefühl, daraus resultierend oft Adipositas und später Diabetes mellitus Typ 2)
  • Kleinwüchsigkeit (durch Mangel an Wachstumshormonen)
  • Akromikrie (kleine Hände und Füße)
  • fehlende Impulskontrolle, Wutanfälle, Sturheit, oft Hautzupfen (Skin Picking) mit Hang zur Selbstverletzung
  • leichte Hypopigmentierung (verminderte Färbung der Haut und Haare)
  • kognitive Beeinträchtigungen, wie Lernbeeinträchtigung und gestörte Sprachentwicklung, die jedoch stark variieren

Weitere mögliche Symptome, sind:

  • Bettnässen
  • Skoliose
  • Zahnschmelzdefekte
  • Schlafstörungen
  • psychomentale Beeinträchtigung mit zusätzlichen psychischen Erkrankungen

In der späten Kindheit und frühen Jugend zeigen sich bei Betroffenen mit dem Prader-Willi-Syndrom zwar einige Anzeichen der Pubertät (z. B. Schambehaarung), andere Merkmale der körperlichen Entwicklung treten jedoch erst verzögert auf oder fehlen komplett. Der Mangel an Geschlechtshormonen und die eingeschränkte Funktionsfähigkeit der Geschlechtsorgane führen beim Prader-Willi-Syndrom in der Regel zu Unfruchtbarkeit

Meist ist die geistige Entwicklung von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom verzögert. Die Intelligenz ist in der Regel eingeschränkt. Einige Kinder besuchen jedoch auch Regelschulen.

Beim Prader-Willi-Syndrom ist auch das Essverhalten verändert, da eine Esssucht besteht. Es kommt vor, dass die Betroffenen Abfall oder gefrorene Speisen essen oder Nahrungsmittel stehlen. Die Fähigkeit zu erbrechen oder Schmerz bei übermäßiger Nahrungsaufnahme zu verspüren ist vermindert.

Prader-Willi-Syndrom: Diagnose

Bei Neugeborenen mit ausgeprägter Hypotonie wird ein genetischer Test durchgeführt. Dieser sollte spezielle Testungen beinhalten:

  • Methylierungsanalyse
  • eine fluoreszierende in situ Hybridisierung
  • Test auf uniparentale Disomie

Andere Ursachen sollten sicher ausgeschlossen werden.

PWS ist bereits in der Schwangerschaft durch Pränataldiagnostik erkennbar. Bei auffällig wenig Kindsbewegungen und ungewöhnlichen Positionen von Händen und Füßen des Ungeborenen kann der Verdacht auf das Prader-Willi-Syndrom bestehen. Dies kann mit einer genetischen Untersuchung überprüft werden.

Therapie beim Prader-Willi-Syndrom

Beim Prader-Willi-Syndrom erfolgt die Therapie vorwiegend symptomatisch. Betroffene Kinder müssen früh lernen, sich gesund zu ernähren, da sie nicht wissen, wie es sich anfühlt, satt zu sein. Starkes Übergewicht und daraus folgende Erkrankungen sollen so vermieden werden. Außerdem sollen die motorischen, sozialen und psychischen Fähigkeiten mit verschiedenen Therapien, wie Physio- und Ergotherapie, verbessert werden. Regelmäßige Bewegung ist wichtig, um die schlaffe Muskulatur zu stärken.

Wachstumshormontherapie bei PWS

Die Gabe von Wachstumshormonen hat sich bewährt und ist heute spätestens ab dem zweiten Lebensjahr bis zum Ende des Wachstums Standard in der Behandlung des Prader-Willi-Syndroms. Die Wachstumshormontherapie hat folgende Auswirkungen:

  • normale Körpergröße, Kleinwuchs vermeiden
  • Fettmasse nimmt ab, Muskelmasse nimmt zu, dadurch verbesserte Kraft und Ausdauer
  • vermutlich auch Verbesserung der gesamten körperlichen und psychischen Entwicklung

Familien mit betroffenen Kindern bekommen auch Ernährungsberatung, damit frühzeitig der Umgang mit Lebensmitteln trainiert werden kann. Zusätzlich sollten Eltern lernen, die Kinder spielerisch bei Bewegung zu unterstützen. Mitunter ist auch psychologische Unterstützung für betroffene Kinder sinnvoll, beispielsweise bei sozialen Problemen oder in der Pubertät.

PWS: Selbsthilfegruppe/Beratungsstelle für Eltern

Prader Willi Syndrom Vereinigung Deutschland e. V.
Tel.:  0221/84561875
www.prader-willi.de

Prader-Willi-Syndrom: Wie verläuft die Krankheit?

Beim Prader-Willi-Syndrom hängen Verlauf und Prognose maßgeblich davon ab, ob Folgeerkrankungen wie Diabetes mellitus oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen auftreten. Eine konsequente symptomatische Therapie kann beim Prader-Willi-Syndrom Verlauf und Prognose verbessern, indem sie vor allem Übergewicht vorbeugt.

Beim Prader-Willi-Syndrom treten Komplikationen in erster Linie aufgrund der ausgeprägten Fettsucht sowie als Folge des Diabetes mellitus auf.

Möglich sind auch folgende Komplikationen:

Lebenserwartung beim Prader-Willi-Syndrom

Die Lebenserwartung von Menschen mit PWS ist grundsätzlich normal. Wenn es allerdings zu starkem Übergewicht kommt, schmälert dies zusammen mit einhergehen Folgeerkrankungen die Lebenserwartung.

Das Prader-Willi-Syndrom kann zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen, wenn das Übergewicht zu Schäden an Blutgefäßen und inneren Organen führt. Zudem kann der Magen bei Betroffenen mit dem Prader-Willi-Syndrom reißen, wenn sie zu viel Nahrung aufnehmen, da sie nicht erbrechen müssen und keinen Schmerz verspüren, wenn der Magen überdehnt ist. Durch erhebliche Blutverluste können Magenrisse unbehandelt schnell zum Tod führen.