Eine traurig aussehende Frau schaut aus dem Fenster.
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5 körperliche Krankheiten, die sich in depressiven Symptomen äußern können

Von: Lydia Klöckner (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 04.01.2022

Stress, ein Trauerfall, eine Trennung: Alles, was die Psyche belastet, kann eine depressive Verstimmung oder Depressionen auslösen. Doch Symptome wie Freudlosigkeit oder das Gefühl innerer Leere können auch körperliche Ursachen haben. Fünf Beispiele.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

5 körperliche Krankheiten, die sich in depressiven Symptomen äußern können

Wer an einer Depression leidet, spürt dies meist auch körperlich. Häufig lassen zum Beispiel der Appetit oder die Lust auf Sex nach. Viele Betroffene leiden unter Schlafstörungen und fühlen sich permanent schlapp und müde, einigen schmerzt der Kopf, bei manchen gerät das Herz aus dem Takt.

Dass sich eine psychische Erkrankung in körperlichen Beschwerden äußern kann, ist seit Langem bekannt. Mit diesem Phänomen beschäftigt sich ein eigener Wissenschaftszweig, die psychosomatische Medizin. Bei der Verbindung zwischen Psyche und Körper scheint es sich aber keineswegs um eine Einbahnstraße zu handeln: Forscher entdecken immer mehr Hinweise darauf, dass körperliche Erkrankungen seelische Beschwerden verursachen können, welche den Symptomen einer Depression stark ähneln. Die Depression tritt in diesem Fall nicht als eigenständige Krankheit in Erscheinung, sondern als Folge anderer Leiden. In der medizinischen Leitlinie zu Depressionen wird dies als organische depressive Störung bezeichnet.

Die Wechselbeziehung zwischen Körper und Seelenleben ist komplex, es ist also meist eine ganze Reihe von Mechanismen am Werk. Einige von ihnen erklären wir hier – vereinfacht – anhand von fünf Beispielen:

1. Infekte und Depressionen

Warum vermutet man einen Zusammenhang?

Wer erkältet ist, fühlt sich schlapp, müde, antriebslos und möchte sich am liebsten den ganzen Tag im Bett verstecken. Aus biologischer Sicht ergibt das durchaus Sinn: So trägt der Infizierte die Krankheitserreger nicht an seine Mitmenschen weiter und spart Energie, die sein Immunsystem nutzen kann, um die Keime in die Flucht zu schlagen.

Welche Erklärung könnte dahinterstecken?

Lange Zeit war nicht ganz klar, auf welchem Weg Krankheitserreger die Psyche beeinträchtigen. Mittlerweile haben wissenschaftliche Untersuchungen aber eine mögliche Erklärung geliefert: Offenbar haben die Abwehrmaßnahmen, die unser Immunsystem im Kampf gegen Viren und Bakterien ergreift, auch Auswirkungen auf den Stoffwechsel des Gehirns. Eine wichtige Rolle scheinen dabei bestimmte Botenstoffe zu spielen, die sogenannten Zytokine. Sie sind einerseits sehr nützlich, weil sie zum Beispiel dafür sorgen, dass unsere Immunzellen Abwehrstoffe gegen die Eindringlinge bilden – Zytokine agieren quasi als Heerführer unserer körpereigenen Schutzarmee. Andererseits bewirken sie, dass weniger Serotonin gebildet wird, und dieses Hormon hat einen großen Einfluss auf unsere Stimmung und unser Wohlbefinden.

Bei Menschen mit Depressionen ist der Stoffwechsel im Gehirn gestört. Unter anderem ist das Gleichgewicht von Botenstoffen wie Serotonin (und Noradrenalin) aus der Balance geraten. Sie sind zum Beispiel in zu geringer Zahl vorhanden oder aber sie können ihre Aufgabe, bestimmte Informationen von Nervenzelle zu Nervenzelle weiterzuleiten, nicht ausreichend erfüllen, sodass Symptome einer Depression auftreten. Vermutlich lässt sich auch die gedrückte Stimmung bei einer Erkältung oder Grippe auf so ein Ungleichgewicht zurückführen. Zum Glück ist das Phänomen – anders als eine echte Depression – normalerweise nicht von Dauer.

2. Multiple Sklerose und Depressionen

Warum vermutet man einen Zusammenhang?

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, das aus Gehirn und Rückenmark besteht. Aus noch nicht ganz geklärten Gründen greift das körpereigene Abwehrsystem die Hülle der Nerven an und verursacht chronische Entzündungen, welche die Nerven dauerhaft schädigen. Das äußert sich unter anderem in Lähmungen, Sinnesstörungen und Müdigkeitsanfällen. Etwa die Hälfte aller MS-Patienten erleidet zudem im Laufe ihres Lebens eine Depression. Sie sind deutlich häufiger betroffen als Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen wie etwa Rheuma.

Welche Erklärung könnte dahinterstecken?

Womöglich ist, ganz ähnlich wie es bei den Infekten vermutet wird, das Immunsystem schuld. Bei MS-Patienten kämpft es ständig gegen körpereigenes Gewebe, es befinden sich also permanent größere Mengen von Zytokinen im Körper. Das wiederum wirkt sich vermutlich ungünstig auf den Serotoninhaushalt aus – und zwar, anders als beim Infekt, auf Dauer.

Darüber hinaus hinterlässt die chronische Entzündung bleibende Schäden im Gehirn. Betrifft dies Hirnregionen, die für die Regulation der Emotionen zuständig sind, kann die Gefühlswelt durcheinandergeraten. Im schlimmsten Fall äußert sich das in einer Depression.

3. Diabetes und Depressionen

Warum vermutet man einen Zusammenhang?

Diabetiker entwickeln im Durchschnitt doppelt so häufig eine Depression wie Nicht-Diabetiker. Ungefähr ein Viertel aller Menschen, die an Diabetes erkrankt sind, machen im Laufe ihres Lebens eine depressive Verstimmung oder Depression durch. Umgekehrt haben Untersuchungen ergeben, dass Menschen mit Depression öfter Typ-2-Diabetes entwickeln als Gesunde.

Welche Erklärung könnte dahinterstecken?

Einige Mediziner vermuten, dass es eine biologische Erklärung für den Zusammenhang geben könnte. So besagt eine Theorie, dass ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel, den Diabetiker bis zum Start der medikamentösen Behandlung haben, die Kommunikation zwischen bestimmten Hirnregionen stört und somit die Kontrolle von Gefühlen beeinträchtigt. Bisher ist diese Vermutung aber nicht ausreichend wissenschaftlich belegt.

Wahrscheinlich trifft eher die naheliegende Erklärung zu: Viele Diabetiker empfinden ihre Krankheit als gravierende Belastung, weil sie ihr ganzes Leben danach ausrichten müssen. Essen hat plötzlich mehr mit Nährwerttabellen, Broteinheiten und Kopfrechnen zu tun als mit Genuss. Täglich muss der Blutzucker gemessen werden, außerdem müssen die meisten Diabetiker Medikamente einnehmen oder Insulin spritzen. All das kann natürlich Stress verursachen und die Stimmung drücken – bis hin zur Depression.

4. Schilddrüsenerkrankungen und Depressionen

Warum vermutet man einen Zusammenhang?

Menschen mit einer Überfunktion der Schilddrüse klagen häufig über Unruhe, Angst und Stimmungsschwankungen, mitunter aber auch über depressive Verstimmungen. Auch eine Schilddrüsenunterfunktion äußert sich bei vielen Menschen in Antriebslosigkeit, Erschöpfung und Niedergeschlagenheit.

Welche Erklärung könnte dahinterstecken?

Der genaue Mechanismus ist unklar. Eventuell zieht die allgemeine Verlangsamung des Stoffwechsels auch eine verlangsamte Aktivität des Gehirns nach sich, was traurige Gedanken begünstigen könnte. Fest steht, dass die von der Schilddrüse produzierten Botenstoffe auch auf das Gehirn Einfluss nehmen. In Untersuchungen hat sich gezeigt, dass Schilddrüsenhormone den Stoffwechsel des sogenannten limbischen Systems verändern. Dieses Netzwerk aus mehreren Hirnarealen – etwa Amygdala, Hippocampus und Thalamus – ist unter anderem für die Verarbeitung und Steuerung von Emotionen zuständig.

5. Schlaganfälle und Depressionen

Warum vermutet man einen Zusammenhang?

Etwa ein Drittel der Schlaganfallpatienten entwickelt eine Depression. Mediziner sprechen dann von einer Post-Stroke-Depression, kurz PSD.

Welche Erklärung könnte dahinterstecken?

Denkbar wären sowohl körperliche als auch psychische Ursachen. Einerseits schädigt ein Schlaganfall das Gehirn und beeinträchtigt dabei mitunter auch die Funktion von Hirnarealen, welche für unser Gefühlsleben wichtig sind. Andererseits leiden die Betroffenen oft stark unter den Einschränkungen, Belastungen und Behinderungen, die mit einem Schlaganfall einhergehen. Da die Depression in diesem Fall eine Reaktion auf den Schlaganfall ist, wird sie dann reaktive Depression genannt.

Fazit

Ein Zusammenhang ist nicht immer eine Ursache-Wirkungs-Beziehung

Für Menschen, die unter einer Depression leiden, kann es sinnvoll sein, körperliche Beschwerden ärztlich abklären zu lassen. Ob eine Depression oder depressive Verstimmung tatsächlich Folge eines körperlichen Leidens ist, lässt sich allerdings in der Regel nicht mit hundertprozentiger Sicherheit feststellen.

Depressionen werden gewöhnlich durch vielerlei Faktoren begünstigt, haben also selten nur eine einzige Ursache.

  • Bei manchen Betroffenen sind die körperlichen Beschwerden nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
  • Bei anderen wiederum tritt die Depression nur zufällig gleichzeitig mit oder nach der körperlichen Erkrankung auf.
  • Zudem besteht die Möglichkeit, dass die körperlichen und die seelischen Symptome eine gemeinsame Ursache haben.