Frau mit Von-Willebrand-Syndrom sitzt auf Sofa und hat Nasenbluten.
Symbolbild: © Getty Images/Antonio_Diaz

Von-Willebrand-Syndrom: Angeborene Blutgerinnungsstörung

Von: Pauline Zäh (Medizinautorin)
Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

Beim Von-Willebrand-Syndrom handelt es sich um eine genetisch bedingte Erkrankung, welche die Blutgerinnung betrifft. Selbst kleinste Verletzungen können länger andauernde Blutungen nach sich ziehen. Lesen Sie hier mehr über die Ursachen, weitere Symptome und welche Behandlungsoptionen es gibt.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

FAQ: Häufige Fragen zum Von-Willebrand-Syndrom

Das Von-Willebrand-Syndrom ist eine erblich bedingte Blutgerinnungsstörung, bei welcher die Blutstillung aufgrund eines Gendefekts nicht richtig funktioniert. 

Charakteristisch für das Von-Willebrand-Syndrom sind länger andauernde und/oder verstärkte Schleimhautblutungen, zum Beispiel Nasenbluten, Zahnfleischbluten oder Menstruationsblutungen. 

Nein, da das Von-Willebrand-Syndrom genetisch bedingt ist, lässt es sich nicht heilen. Die Symptome sind allerdings behandelbar. 

Von der Einnahme von Medikamenten mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS) ist beim Von-Willebrand-Syndrom dringend abzuraten. Auch Ibuprofen ist weniger geeignet. Beide Wirkstoffe kommen oft in Schmerzmitteln vor und können die Blutungsneigung erhöhen. Generell sollten Personen mit Von-Willebrand-Erkrankung alle Arzneimitteleinnahmen ärztlich abstimmen. 

Von-Willebrand-Syndrom im Überblick

Das Von-Willebrand-Syndrom (VWS), auch Von-Willebrand-Erkrankung (Von-Willebrand-Disease im Englischen; VWD) oder Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom genannt, ist die häufigste angeborene Blutgerinnungsstörung. Etwa ein Prozent aller Menschen ist davon betroffen. Anders als bei der Bluterkrankheit Hämophilie, tritt das VWS bei Frauen genauso oft auf wie bei Männern. Typisch ist ein Defekt, der den vorläufigen, ersten Wundverschluss betrifft.

Bei manchen Formen des Von-Willebrand-Syndroms kann zusätzlich die Bildung von Blutgerinnseln und einem festen Wundverschluss beeinträchtigt sein. Als Folge von diesen Veränderungen dauern Schleimhautblutungen (etwa Nasenbluten oder Zahnfleischbluten) bei Betroffenen länger oder fallen stärker aus.

Symptome: Wie zeigt sich ein Von-Willebrand-Syndrom?

Hauptmerkmal beim Von-Willebrand-Syndrom sind länger anhaltende Schleimhautblutungen. Das zeigt sich zum Beispiel bei: 

  • Zahnfleischbluten
  • Nasenbluten
  • Blutungen im Magen- oder Darmbereich
  • starke Periodenblutungen bei Frauen (Menstruation) oder Blutungen nach einer Geburt
  • Blutungen, die die Harnröhre oder Blase betreffen (etwa bei einer stärkeren Blasenentzündung)

Zudem kann es nach medizinischen Eingriffen, wie einer Zahnentfernung, Mandel-OP und Operationen generell, häufiger zu Blutungen kommen. Gelenk- und Muskelblutungen sind eher selten, können aber bei schwereren Formen des VWS auftreten. 

Betroffene zeigen zudem oft bereits bei leichten Stößen Blutergüsse (umgangssprachlich "blaue Flecken") auf der Haut. Blutungen durch kleine Verletzungen können bei ihnen über mehrere Stunden andauern. 

Durch die erhöhte Blutungsneigung sind Personen mit Von-Willebrand-Erkrankung gefährdet, einen Eisenmangel zu entwickeln. Dieser zeigt sich unter Umständen durch Blässe oder erhöhte Müdigkeit

Ursachen und Typen des Von-Willebrand-Syndroms

Das Von-Willebrand-Syndrom ist in der Regel genetisch bedingt, es wird also vererbt. Auslöser des Von-Willebrand-Syndroms ist ein Defekt, der den sogenannten Von-Willebrand-Faktor (vWF) betrifft. Der Von-Willebrand-Faktor ist ein sich im Blut befindendes Glykoprotein, bestehend aus einem Protein, das an eine Zuckergruppe gebunden ist. Der vWF erfüllt verschiedene Aufgaben bei der Blutgerinnung, etwa als Transport- und Klebestoff. Zudem schützt er den Gerinnungsfaktor VIII vor einem frühzeitigen Abbau, was ebenfalls wichtig für die Blutungsstillung ist. 

Verschiedene Formen der Erkrankung

Je nach Art des Defekts lässt sich das VWS in drei Typen unterteilen: 

  • Typ 1: kommt am häufigsten vor und verläuft meistens mild; der vWF ist in seiner Menge verringert

  • Typ 2: am zweithäufigsten; der vWF ist ausreichend vorhanden, in seiner Funktionsweise jedoch beeinträchtigt; weitere Unterteilung in vier Unterformen (A, B, M, N), je nachdem welche Veränderungen des vWF vorliegen

  • Typ 3: die schwerste und seltenste Form der Von-Willebrand-Erkrankung; der vWF ist im Blut nicht vorhanden (vollständiger Mangel)

Auch wenn sich das Von-Willebrand-Syndrom mit seinen drei Typen in Schweregrade unterteilen lässt, so ist die Blutungsneigung bei Betroffenen sehr individuell und oft schwer vorherzusagen. 

Vererbung des Von-Willebrand-Syndroms

Die Typen 1, 2A, 2B und 2M des VWS werden dominant vererbt. Das heißt, dass das Kind die Erkrankung bekommt, wenn einer von beiden Elternteilen einen vWF-Defekt hat. 

Die Typen 2N und 3 werden hingegen in der Regel rezessiv vererbt. Die Krankheit tritt dann nur beim Kind auf, wenn beide Eltern Veränderungen am vWF haben. Ist das vWF-Gen nur bei der Mutter oder nur beim Vater beeinträchtigt, zeigt sich die Erkrankung beim Kind nicht. Dieses trägt das veränderte Gen aber dennoch in sich und kann es an spätere Nachkommen weitergeben. 

Sonderform – das erworbene Von-Willebrand-Syndrom

Eine spezielle Erkrankungsform stellt das erworbene Von-Willebrand-Syndrom dar. Dieses ist nicht erblich bedingt, sondern tritt erst im Laufe des Lebens auf. Menschen mit erworbenen VWS haben daher typischerweise in der Vergangenheit bei Verletzungen oder Operationen keine erhöhte Blutungsneigung gezeigt.

Ursachen für ein erworbenes Von-Willebrand-Syndrom können sein:

  • manche Krebserkrankungen, zum Beispiel das Non-Hodgkin-Lymphom (betrifft das Lymphgewebe)
  • eine dauerhafte Erhöhung der Blutplättchen (Thrombozythämie)
  • Autoimmunkrankheiten wie eine Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose)
  • Herz-Kreislauf-Krankheiten, etwa Herzklappenfehler wie eine Verengung der Aortenklappe (Aortenstenose)
  • Einnahme von Medikamenten, beispielsweise mit den Wirkstoffen Ciprofloxacin (Antibiotikum gegen verschiedenste Infektionen) oder Valproinsäure (gegen Epilepsie)

Von-Willebrand-Syndrom – Möglichkeiten der Diagnose

Bei Frauen kann sich ein VWS durch auffällig lange Menstruationsblutungen oder längere Blutungen im Nachgang an eine Geburt bemerkbar machen – sie erhalten die Diagnose VWS daher oft früher, als es bei Männern der Fall ist. Dennoch wird die Erkrankung insgesamt oft relativ spät festgestellt. 

Gibt es Anzeichen oder den Verdacht auf eine Blutgerinnungsstörung, zum Beispiel wegen einer erhöhten Blutungsneigung, stehen eine Reihe von Untersuchungen und Gespräche an. 

Krankengeschichte im Blick

In einem Anamnesegespräch erfassen Ärzt*innen zunächst alle auftretenden Symptome. Bei Kindern mit Verdacht auf eine Blutgerinnungsstörung beantworten meist die Eltern die Fragen hierzu. Wichtig ist auch die Information, ob im familiären Umfeld bereits Fälle des Von-Willebrand-Syndroms bekannt sind.  

Laboruntersuchungen des Blutes

Um ein Von-Willebrand-Syndrom feststellen zu können, erfolgen oft mehrere Blutuntersuchungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Diese sind nötig, da der Von-Willebrand-Faktor unter Umständen durch verschiedene Einflüsse (z. B. Schwangerschaft oder Entzündungen im Körper) zeitweise erhöht ist. 

Die Klassifikation des VWS ist sehr komplex. Bei den Blutanalysen wird unter anderem folgendes ermittelt:

  • Konzentration des vWF
  • Funktionsfähigkeit des vWF
  • Verschlusszeiten der Blutplättchen
  • Interaktion des vWF mit dem Gerinnungsfaktor VIII
  • Verhältnis zwischen vWF und Plättchenrezeptoren

Durch die Auswertung dieser Parameter lässt sich zum einen feststellen, ob eine Von-Willebrand-Erkrankung vorliegt und zum anderen, welcher Typ besteht. Zusätzlich kann in manchen Fällen eine Genanalyse (Untersuchung des genetischen Materials) sinnvoll sein, um in schwierigen Fällen eine eindeutige Diagnose zu stellen. 

Wie verläuft die Behandlung beim Von-Willebrand-Syndrom ?

Die Behandlung des VWS ist vor allem vom vorliegenden Erkrankungstyp abhängig. Betroffene mit leicht erhöhter Blutungsneigung brauchen oft keine speziellen Medikamente im Alltag. Bei Personen mit schweren Krankheitsformen kann das anders sein. 

Vorbeugende Therapie beim VWS

Eine prophylaktische Therapie kann kurzzeitig sinnvoll sein, wenn besondere Ereignisse anstehen, – wie eine Operation, zahnärztliche Behandlung oder eine Geburt – die mit einem erhöhten Blutungsrisiko einhergehen. Bei Typ 3-Patient*innen mit stark erhöhter Blutungsneigung kommen entsprechende, vorbeugend wirkende Medikamente unter Umständen dauerhaft zum Einsatz, um die Gefahr von starken Blutungen durch kleine Verletzungen im Alltag zu reduzieren. 

Für die prophylaktische Behandlung geeignet sind:

  • Desmopressin (DDAVP): nur bei Typ 1; wird am häufigsten per Infusion über eine Vene gegeben; regt die Freisetzung des von-Willebrand-Faktors an und kann die Konzentration des Gerinnungsfaktors VIII erhöhen, was die Blutungsstillung fördert.

  • Faktor VIII-Konzentrate mittlerer Reinheit: enthalten Bestandteile des Von-Willebrand-Faktors, um diesen zu ersetzen; bei allen Typen anwendbar; wird vor allem vor größeren chirurgischen Eingriffen per Infusion verabreicht oder bei Typ 3-Patient*innen zweimal in der Woche zur langfristigen Vorbeugung von starken Blutungen.

Blutungen mit Medikamenten verringern

Zudem gibt es Arzneimittel, die Betroffene selbstständig bei stärkeren Schleimhautblutungen anwenden können. Bewährt ist etwa der Wirkstoff Tranexamsäure, um starke Periodenblutungen bei Frauen mit Von-Willebrand-Syndrom zu reduzieren. Tranexamsäure ist bei allen VWS-Typen nutzbar und auf ärztliche Verordnung hin in Tablettenform erhältlich. Zudem können Frauen mit VWS kurzzeitig Nasensprays mit Desmopressin anwenden, um ihre Periodenblutungen zu verringern. Diese gibt es ebenfalls auf Rezept.

Verlauf und Prognose beim Von-Willebrand-Syndrom

Das Von-Willebrand-Syndrom ist nicht heilbar. Gerade Betroffene mit milden Erkrankungsformen, wie dem Typ 1, können weitestgehend ohne größere Einschränkungen leben. Patient*innen mit Typ 3 des VWS haben hingegen ein deutlich erhöhtes Blutungsrisiko. Für sie sind eine entsprechende Behandlung und Vorsichtsmaßnahmen besonders wichtig. 

Hat das Von-Willebrand-Syndrom Einfluss auf die Lebenserwartung?

Nein, werden schwere Blutungen durch eine Behandlung verhindert beziehungsweise vor risikoreicheren Situationen entsprechende Medikamente verabreicht, beeinflusst das Von-Willebrand-Syndrom die Lebenserwartung nicht. 

Was sollten Betroffene mit Von-Willebrand-Syndrom im Alltag beachten? 

Besonders Menschen mit ausgeprägterem VWS sollten sich an einige Vorsichtsmaßnahmen halten, um Blutungen möglichst vorzubeugen oder im Falle von Blutungen richtig handeln zu können: 

  • Sportarten mit hohem Verletzungsrisiko (wie Kampfsport, Basketball) besser meiden. Gut geeignet sind hingegen risikoarme Aktivitäten, beispielsweise Schwimmen, Wandern oder Radfahren (mit Helm).

  • Um Zahnfleischbluten zu verhindern, ist es ratsam, eine extra weiche oder elektrische Zahnbürste zu nutzen und nach jeder Mahlzeit die Zähne zu putzen. 

  • Betroffene sollten immer einen Notfallausweis mit sich tragen, etwa im Geldbeutel oder im Rucksack, auf dem die genaue Diagnose sowie die Kontaktdaten der zuständigen ärztlichen Praxis vermerkt sind. Der Ausweis sollte regelmäßig ärztlich kontrolliert werden. Im Falle eines Unfalls können Ersthelfende mithilfe des Notfallausweises gezielt helfen. 

  • Bei betroffenen Kindern sollten Betreuungspersonen (wie Lehrer*innen, Erzieher*innen) über die Erkrankung und richtiges Handeln im Falle einer Verletzung Bescheid wissen. 

  • Wer das VWS hat, darf keine Medikamente (z. B. Schmerzmittel) mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS) einnehmen. ASS wirkt blutgerinnungshemmend und kann etwaige Blutungen zusätzlich verstärken. Auch der entzündungshemmende Wirkstoff Ibuprofen ist beim Von-Willebrand-Syndrom nicht zu empfehlen, da durch ihn die Blutungsneigung leicht verstärkt werden kann. 

  • Generell sollte die Einnahme von allen Medikamenten – auch rezeptfreien – zur Sicherheit ärztlich abgestimmt sein.