In vino sanitas: Dass man mit einem guten Tropfen auch Gutes für seine Gesundheit tun kann, legen immer wieder neue wissenschaftliche Studien nahe. Vorausgesetzt, der Wein- bzw. Alkoholgenuss hält sich in Grenzen. Dass besonders Rotwein gesund sei, heißt es. Er könne wohldosiert Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen und damit das Leben verlängern. Wein soll nicht nur die Blutfette, sondern auch den Blutzucker günstig beeinflussen, vor Knochenschwund (Osteoporose), bestimmten Krebsformen und sogar Demenz schützen können.
Nicht klar dabei ist: Sind für den angenommenen gesundheitlichen Nutzen des Rebensafts vor allem weinspezifische Inhaltsstoffe verantwortlich, ist es ganz einfach nur der Alkohol oder spielt der das Weintrinken begleitende Lebensstil die entscheidende Rolle?
Vorteil bei mäßigem Alkoholkonsum
Ein großer Teil der Erkenntnisse zum Thema Wein und Gesundheit beruht auf epidemiologischen Studien. Dabei werden zum Beispiel persönliche Angaben der Studienteilnehmer zu ihrem Trinkverhalten mit Blutwerten und späteren Erkrankungen bzw. Krankheitsstatistiken verglichen und weiter statistisch analysiert. "Die meisten dieser Studien zeigen, dass Menschen mit leichtem bis mäßigem Alkoholkonsum gegenüber Abstinenzlern einen Vorteil haben, was das Risiko für bestimmte Todesursachen angeht", sagt der Epidemiologe Prof. Ulrich Keil von der Universität Münster. So errechneten Wissenschaftler der Universität Calgary 2011 in einer vergleichenden Analyse (Meta-Analyse) von 84 Studien aus aller Welt: Mäßig Alkohol trinkende Menschen haben im Vergleich zu Abstinenten ein um 25 Prozent vermindertes Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu versterben.
"Im Blutkreislauf spielen dabei offenbar vor allem zwei Mechanismen eine Rolle", erläutert Prof. Keil mit Verweis auf eine weitere große Studienauswertung aus dem gleichen Jahr: "So scheint der Alkohol einerseits das für die Blutgefäße günstige HDL-Cholesterin zu erhöhen und andererseits den Eiweißstoff Fibrinogen zu vermindern, der für die Bildung von Blutgerinnseln etwa bei einem Herzinfarkt wichtig ist. Alkohol wirkt also blutverdünnend."
Macht Resveratrol den Rotwein gesund?
Gerade was die spezifische Schutzwirkung von Wein angeht, diskutieren die Wissenschaftler jedoch noch eine ganze Reihe weiterer Mechanismen. So zählen die im Wein enthaltenen Polyphenole zu den sogenannten "Antioxidantien": Diese können freie Radikale, welche die Körperzellen schädigen, unschädlich machen. Besonders hochgelobt wird dabei das auch als "Anti-Aging-Substanz" bezeichnete Resveratrol, das in rotem Rebensaft deutlich konzentrierter als in Weißwein vorkommt, weshalb besonders Rotwein gesund sein soll.
Erst kürzlich fanden Forscher der Harvard University heraus, dass Resveratrol den Eiweißstoff Sirtuin aktiviert, dem Schutzwirkungen in Bezug auf Krebs und Herzinfarkt zugesprochen werden. Eine Studie von Mainzer Wissenschaftlern kommt hingegen zum Ergebnis, dass der in Rotwein enthaltene Naturstoff die Bildung von Entzündungsfaktoren hemmt. Diese lösten Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus. Deshalb träten Herzinfarkt und Schlaganfall häufiger bei chronisch entzündlichen Prozessen wie beispielsweise Rheuma auf. Resveratrol habe bei enzündlichen Prozessen, die mit einem geschädigten Herz-Kreislauf-System einhergehen therapeutisches Potenzial. Doch auch der Weißwein ist nicht ohne: Im Laborversuch konnten amerikanische und italienische Forscher zeigen, dass hier der Inhaltsstoff Tyrosol eine ähnlich herzschützende Rolle zu übernehmen scheint.
"Das große Problem aller Labor- bzw. Zellstudien ist jedoch, dass ihre Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf die Situation im menschlichen Organismus zu übertragen sind", gibt der Ernährungsmediziner Prof. Hans Konrad Biesalski von der Universität Hohenheim zu bedenken. "Denn wir wissen nicht genau, inwieweit die Inhaltsstoffe des Weins im Körper verändert werden, bevor sie dort in die Zellen gelangen." Epidemiologische Bevölkerungsstudien wiederum können zwar deutliche Hinweise auf die gesundheitlichen Vorteile moderaten Weinkonsums geben, letztendlich aber keinen eindeutigen Ursachen-Wirkungs-Mechanismus beweisen.
Ob Rotwein gesund ist, hängt auch vom Lebensstil ab
Einen sehr wichtigen Einfluss hat Prof. Biesalski zufolge gerade auch der Lebensstil: "Weintrinken ist ein Teil des Lebensstils. Und wer Wein in vernünftigen, sprich moderaten Mengen genießt, achtet sicher auch sonst etwas mehr auf seine Gesundheit." Genauso sollte man bedenken, dass zum Beispiel Franzosen Wein vorwiegend zum Essen trinken – was sicher bekömmlicher ist – und bei Südeuropäern neben Rotwein oft gesunde Kost aus der "Mittelmeerküche" auf dem Tisch steht. Deshalb, so der Ernährungswissenschaftler, könne man auch Studienergebnisse aus dem Ausland nicht direkt auf die Situation in Deutschland übertragen.
Gesundheitliche Wirkung auch beim Bier
Nicht wenige Forscher glauben, die meisten der beschriebenen Zusammenhänge zwischen Wein und Gesundheit ebenso bei anderen alkoholischen Getränken finden zu können. "Dass moderater Konsum gesundheitliche Vorteile hat, konnten wir in Bayern genauso mit Bier zeigen", sagt der Epidemiologe Prof. Keil, der bereits vor rund zwei Jahrzehnten in der MONICA-Augsburg-Studie die Herz-Kreislauf-Gesundheit einer großen Bevölkerungsgruppe unter die Lupe nahm. Dass Wein den einen oder anderen Inhaltsstoff mit Zusatznutzen haben könnte, bestreitet er dabei nicht.
Gewiss ist eines: Alle vermuteten Vorteile des moderaten Wein- bzw. Alkoholkonsums kehren sich mit steigender Trinkmenge in ihr Gegenteil um. An die Stelle von Blutgefäß- und Demenzschutz treten dann vielmehr Leberverfettung, Herz-, Hirn- und andere Organschäden sowie ein erhöhtes Krebsrisiko.
Grenzwerte für Alkohol "übertrieben vorsichtig"?
Weil gesundheitsschädlicher Alkoholkonsum weltweit eines der größten Probleme ist, rät die Weltgesundheitsorganisation, dass Frauen nicht mehr als zehn, Männer nicht mehr als 20 Gramm reinen Alkohols pro Tag zu sich nehmen sollten (Umrechnung von Volumenprozent in Gramm s. Kasten). Diese Grenzen hält Prof. Keil allerdings für "übertrieben vorsichtig". Er rät im Einklang mit zahlreichen anderen Forschern, ein Alkohol-Tageslimit von 20 Gramm für Frauen und 30 Gramm für Männer nicht zu überschreiten. Dabei sollten möglichst öfter mal gänzlich alkoholfreie Tage eingelegt werden.
Das Fazit des Ernährungsmediziners Prof. Biesalski lautet: "Wer sich aus Wein nichts macht, der muss ihn auch nicht zur Förderung seiner Gesundheit trinken. Wem Wein hingegen schmeckt, für den sind ein bis zwei Gläser am Tag sicher unbedenklich, wenn sonst medizinisch nichts dagegen spricht. Und vielleicht lebt er damit sogar ein bisschen länger."