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Wolken

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  • Wolken

    Guten Tag!

    Mein Name ist Regina, 54 Jahre alt. Meine Stromkosten betragen im Monat an die 400 Euro, da ich fünf Zimmer auf einem schönen Landhaus heize. Mein Mann und ich sind mittlerweile 20 Jahre lang verheiratet. Wir haben drei wunderbare Kinder. Beseelt von einer inneren Erfülltheit, die das Alter so mit sich bringt, schauen wir erwartungsvoll unserem Lebensabend entgegen, und dem größten Geschenk auf Erden - unsere Kinder aufwachsen und gedeihen zu sehen.
    Wenn ich an meine Jugend denke, denke ich an die Zeit als ich 19 war. Damals war ich Sekretärin in einem kleinen Unternehmen, und musste jeden Tag eine Stunde lang zum Arbeitsplatz pendeln. Der Bahnhof eines kleinen Ortes bietet nicht viel zum Sehen.Aber ich drehte mich, und hielt meinen Hut fest, damit er vom Herbstwind nicht weggeweht wurde, und drehte mich, alles um mich vergessend bis ich zum Stillstand kam und die neidischen Blicke der älteren Menschen auf mich spürte. Was ich jedoch sehr viel öfter in Erinnerung behielt, Blicke, die ich erwiderte, das waren jene voller Bewunderung, die der Menschen, die meine Lebensfreude begeistert hatte.

    Meist verlief die eine Stunde Zugfahrt recht ereignislos. Es müssen in dem Jahr, als ich als Sekretärin arbeitete, an die 500 gewesen sein. Hin und zurück. Fünf Tage in der Woche.
    Eines Tages ließ ich mich auf einen gepolsterten Sitz neben dem Fenster nieder. Als der Zug anfuhr, begannen auch schon die Bäume, deren Laub müde dem Boden entgegenschwebte, immer schneller an mir vorbeizuziehen. Es war ein bewölkter Mittwochmorgen. Nicht wirklich bewölkt, im Sinne von grauen Wolken am Himmel, sondern viele helle, flauschige.

    Da erst bemerkte ich den Mann, der mir gegenübersaß. Er lächelte mir zu. An sein Aussehen kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern. Er verwickelte mich in ein Gespräch. Ich war so verzückt von seiner Offenheit. Von dieser Bereitschaft, an einem Arbeitsmorgen wie jedem anderen, so begeistert und voller Lebensfreude in die Welt zu blicken - mich anzublicken.
    Nach wenigen Minuten rutsche er auf den Platz mir gegenüber, so dass er ebenfalls am Fenster saß. Neben uns unterhielten sich andere Reisende, erzählten von ihrem Alltag oder tranken aus Thermoskannen Kaffee.

    Plötzlich zeigte er auf die eine Wolke, die sich gerade am Horizont hervorhob, und fragte mich, was ich darin sehe. Bevor sie aus meinem Sehradius verschwand rief ich entzückt: "Ein Seepferd!"
    Er zeigte die auf die nächste: "Ich sehe ein Mann, der einen Ball wirft." "Ein Turm!" "Nein, ein Schneemann."
    Und so verging die Stunde im Fluge. Wir konnten gar nicht genug kriegen von den Wolkenformen. Wir sahen unzählige und versuchten uns in den Deutungsversuchen zu überbieten.

    Jene bittersüße Schönheit der Wolken habe ich nicht vergessen. Was auch immer sie darstellten, spätestens am Ende des Tages waren sie vom Winde verstreut, und längst davor bereits aus unserem Blickfeld weggerissen.

    Ich habe jene Mann nie wiedergesehen, obwohl er Pendler wie ich war und man annehmen könnte, dass, nachdem wir beide dieselbe Strecke tagtäglich fuhren, uns vielleicht doch noch einmal über den Weg gelaufen wären.
    So viele Erlebnisse haben die Jahre bis zum heutigen Tag gefüllt. An so vieles kann ich mich nicht erinnern, zum Teil, könnte man annehmen, wichtige Momente meiner Existenz.

    Doch jene kurze Zugfahrt - als ich mit einem wildfremden Mann, der kurze Zeit nur meine Lebenszeit mit mir geteilt hat, in die Wolken sah - die habe ich nie vergessen.


  • RE: Wolken


    ...ja, das ist wunderbar. das sind die augenblicke und momente im leben, die man nie vergisst, weil sie einem so viel schenken. schön, dass du auch so ein offener mensch bist, der dies zu jenem zeitpunkt wahrgenommen hast! und ich hoffe, dass du das immer noc kannst :-)

    grüße
    gazelle09

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    • RE: Wolken


      Es liest sich, wie ein gutes Buch....

      ....ich hätte gern weiter gelesen

      alles liebe
      Lexi

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      • RE: Wolken


        Ist das aus dem allseitsbeliebten und bekannten Groschenroman "Unsere kleine Forstklinik"?

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        • RE: Wolken


          besonders schön fand ich den romantischen anfang mit den horrenden stromkosten... ;-)
          hach ja, man kann ganz gut innerlich beseelt, erfüllt etc. sein, wenn man als stromkosten das hat, was manch einer durch einen job verdient...
          ob sich die kleine sekretärin das landhäuschen hätte leisten können, wenn sie statt des chefs den armen pendler mit dem kopf in den wolken genommen hätte?
          die realität sieht anders aus - rosamunde pilcher lässt grüßen....

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          • RE: Wolken


            Was wäre das Leben wert, wenn wir keine Träume mehr hätten? ;-))

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            • RE: Wolken


              ich bin immer für träume zu haben, aber dann doch lieber etwas individuellere und keine gepilcherten ....;-))

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              • Na Hauptsache du träumst weiter.


                400Euro Stromkosten im Monat?? Die Umwelt und meine, sowie die nächste Generation wird es in ein paar Jahren freuen. Wir danken dir schon mal im Voraus :-/.

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                • RE: Wolken


                  Antwort auf Beitrag von gazelle09:
                  Es gibt eine Studie, dass Menschen im Alter zufriedener und ausgeglichener und offener sind, da sie mehr psychische Ressourcen angesammelt haben. Ich meine behaupten zu können, dass die Studienergebnisse auf mich zutreffen. Ich weiss - es trifft nicht auf alle alten Menschen zu.

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                  • RE: Wolken


                    Jeder Mensch träumt von etwas anderem. Allerdings würde ich bei ihrer Stromrechnung sicher eher Alpträume (Albträume - nachdem welche Version man bevorzugt ;-) bekommen.
                    Doch der springende Punkt ist in diesem Fall ja ihre Erinnerung an ein schönes Erlebnis. Egal, in welche Schiene man es einordnet. Gott sei Dank träume ich nicht von meinen bevorzugten Sendungen. Da geht es nämlich nicht so romantisch ab. ;-))
                    Rosamunde Pilcher gucken übrigens meines Wissens viele "ältere" Leute gerne. Man kann es ihnen auch nicht verdenken. Denn es ist doch schön, wenn es wenigstens da immer ein Happy End gibt. ;-))

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                    • RE: Wolken


                      woher willste wissen, dass die reginna nicht rosamunde pilcher ist? bei dem schriftstellerischen talent...

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                      • RE: Wolken


                        Sie lebt vielleicht in einer gewissen Traumwelt. Aber für so "antik" halte ich Reginna nicht.
                        Was das schriftstellerische Talent anlangt, da fallen mir ad hoc mehrere ein, die gerne "Geschichten" erzählen. Der Unterschied, berühmt sind sie deswegen nicht - eher berüchtigt. ;-)

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                        • RE: Wolken


                          die story ist amüsant, liest wohl jeder darin, was seinem wesen entspricht. was ein vogel darüberdenkt? da ist jede fliege an der wand interessanter

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                          • RE: Na Hauptsache du träumst weiter.


                            vielleicht muss die gute nicht mehr arbeiten. brauchst wohl selbst hartzIV

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