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PCB im Frühstücksei

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    Staatlich kontrollierte Giftmischerei

    Von Matthias Gebauer

    Seit den Lebensmittelskandalen müht sich die Politik, für mehr Kontrolle zu sorgen. Ein aktueller Fall aber zeigt, wie chaotisch die Behörden noch immer agieren. Trotz zu hoher PCB-Werte wurden mehr als 1200 Tonnen Hühnernahrung verfüttert. Statt die Giftquelle zu ermitteln, spielen die Kontrolleure den Fall herunter.


    Berlin - Sachsens CDU-Agrarminister Steffen Flath will sich seine gute Laune partout nicht verderben lassen. Auch die Schlagzeilen der letzten Tage in den sächsischen Gazetten ("PCB-Gift im Futtermittel bestätigt", "PCB-Nahrung schon verfüttert") lassen den Minister eher Optimismus verbreiten als Resignation spüren. "Ich sehe die PCB-Sache positiv", kommentierte er die Situation in der "taz", "das ist doch ein Zeichen, dass unsere Kontrollen funktionieren." Zudem sicherte er der sächsischen Bevölkerung pflichtbewusst vollständige Aufklärung zu. Nur so könne man Wiederholungen ausschließen, so das Credo des Ministers.

    Worüber Flath freudig sinnierte, ist bisher in den überregionalen Blättern fast untergegangen - obwohl es sich um einen der größten Lebensmittelskandale der letzten Zeit handelt. Wieder einmal ist trotz verschärfter Kontrollen und vielen Willensbekundungen das Gift PCB in die Nahrungskette gelangt und damit schließlich im knusprigen Goldbroiler oder dem Frühstücksei vieler Menschen. Denn auch wenn der Minister die funktionierenden Kontrollen lobte, konnten sie die Verfütterung der kontaminierten Tiernahrung am Ende lediglich genau protokollieren - aber nicht verhindern. Aus diesem Grunde fordert die Organisation foodwatch, die den Fall in einer intensiven Recherche durchleuchtete, eine bessere und vor allem schnellere Zusammenarbeit der Behörden.

    Begonnen hatte der Fall am 27. Mai 2004. Bei der Routinekontrolle eines Futtermittelherstellers in Sachsen stellten die Mitarbeiter fest, dass ihr Mischfutter mit 1,5 Milligramm PCB pro Kilogramm Futter hochgradig verseucht war. Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind ein Gift, das sich im Fettgewebe des menschlichen Körpers anlagert und Krebs erzeugen kann. Seit vielen Jahren bemühen sich die Behörden, das Gift endgültig aus der Nahrungskette zu verbannen. Mittlerweile haben sich viele Betriebe innerhalb des Systems "QS - Qualität und Sicherheit" zu freiwilligen Kontrollen verpflichtet - so auch der Betrieb in Sachsen.

    Viel gebracht haben die Kontrollen nicht. Als die Werte festgestellt wurden, lagerten lediglich zehn Tonnen aus der Produktion von insgesamt 1270 Tonnen verseuchtem Mischfutter noch in Neumark. Die restlichen 1260 Tonnen waren bereits an 66 Kunden in vier verschiedenen Bundesländern ausgeliefert und zum größten Teil an Hühner verfüttert worden. Seitdem bemühen sich verschiedene Behörden langatmig um Aufklärung. Von Beginn an stand eine hessische Futtermittelfirma aus Hessen im Verdacht, das spätere Mischfutter durch die Lieferung PCB-verseuchten Pflanzenöls kontaminiert zu haben. Diese hatte 25,4 Tonnen Öl an die Sachsen geliefert.

    Prüfen, warten und auf den anderen zeigen

    Eigentlich hätte diese Aufklärung schnell gehen können, denn bei einer Öllieferung verbleibt immer eine so genannte Rückstellprobe bei der Herstellerfirma und eine geht an den Empfänger. Schon kurz darauf stellten die Prüfer in Sachsen auch fest, dass das aus Hessen gelieferte Öl hochgradig mit PCB verseucht war. In Hessen jedoch konnten die Behörden bei der vom Hersteller gelagerten Probe keine solchen Werte diagnostizieren. Mittlerweile - mehr als einen Monat nach der ersten Feststellung von PCB - prüfen die Stellen deshalb, ob die beiden Proben überhaupt identisch sind oder ob die Herstellerfirma vielleicht eine nicht verseuchte Probe in die eigenen Archive gestellt hatte.

    Für die Firma in Hessen hat der Skandal bisher keine weiteren Folgen. Beflissen halten die Behörden bisher den Namen der Gesellschaft geheim, von einer vorübergehenden Schließung der Giftquelle jedoch sahen die Behörden ab. Erst am Dienstag rangen sich die hessischen Kontrolleure zumindest dazu durch, auch andere Ölproben der Firma zu untersuchen. Grundsätzlich sei aber lediglich eine "verstärkte Überwachung" angeordnet worden, so eine Mitteilung des Ministeriums vom Dienstag. Zudem sei der Betrieb aufgefordert worden, "im Rahmen der Eigenkontrolle selbst aktiv zur einwandfreien Beschaffenheit seiner Produkte beizutragen".

    Für die Organisation foodwatch, die sich für Sicherheit und Transparenz bei Lebensmitteln einsetzt, ist der Fall geradezu typisch für die unzureichenden Kontrollen und die chaotische Zusammenarbeit der Behörden. Vor allem kritisiert die unabhängige Organisation die langen Wege bei der Kontrolle. "Es ist doch irrwitzig, dass das Futter schon verfüttert worden war, als die überhöhten Werte festgestellt wurden", sagte foodwatch-Chef Thilo Bode SPIEGEL ONLINE. "Welchen Sinn machen solche freiwilligen Überprüfungen, wenn das Gift trotzdem in Umlauf kommt", fragt sich der foodwatch-Chef, der früher bei Greenpeace Deutschland das Ruder in der Hand hielt.

    Hersteller sollen haften
    Bode forderte nach dem Fall in Sachsen eine bundesweit organisierte Kontrolle, die lange Wege durch die Landesinstanzen verkürzt. "Die Mechanismen müssen auf ihre Effizienz hin überprüft werden", sagte Bode. Zudem forderte der Aktivist, dass auch die fahrlässige Kontaminierung von Futter ein Straftatbestand werden soll und die Haftungsverpflichtungen verschärft werden. "Nur wenn die Hersteller derart haftbar gemacht werden, achten sie präzise darauf, dass in ihrem Betrieb nichts schief geht", erklärte Bode. Bisher aber würden fahrlässige Verunreinigungen oder die Verwendung von Giftstoffen mehr oder minder als Betriebsunfall gehandelt.

    Auch die Geheimnistuerei der Behörden ist für foodwatch nicht akzeptabel. "Dass der Name der Firma geheim gehalten wird, macht doch keinen Sinn", so Bode, "schließlich hat sie vermutlich auch andere Futterhersteller beliefert, die das auch interessieren könnte." Bode forderte deshalb die Politik auf, ihre Überwachungsaufgaben wahrzunehmen und diese nicht der Selbstkontrolle der Futtermittelwirtschaft zu überlassen. Die bisher ergebnislose Suche nach der Giftquelle zeige zudem, so Bode, dass das Anfang 2001 eingeführte privatwirtschaftliche Kontrollsystem "QS", dem die beiden betroffenen Betriebe angehören und das die Rückverfolgbarkeit der Warenströme garantieren soll, wieder einmal krass versagt habe.

    Neben der chaotisch wirkenden Kontrolle aber erscheint auch die Beruhigungstaktik der Behörden etwas merkwürdig. So teilten sowohl die zuständigen Stellen in Sachsen als auch in Hessen mit, für den Verbraucher habe nie eine Gefahr bestanden. Formell haben sie damit recht: Da das kontaminierte Öl nur zu fünf Prozent dem Mischfutter beigemengt wurde, verringerte sich der PCB-Anteil im Futter entsprechend. Später bauten auch die Hühner, an die das Futter verteilt wurde, noch einen Teil des Gifts ab. So wurden in den auf PCB untersuchten Eiern auch nur noch Reste des krebserregenden Stoffs gefunden, die letztlich unter den geltenden Grenzwerten lagen, so die Darstellung der sächsischen Behörden.

    Zufallsfund Dioxin
    Für foodwatch ist diese Lesart geradezu skandalös. "Da sich PCB im menschlichen Körper anlagert und nicht wieder verschwindet, ist die Fokussierung auf Grenzwerte in einzelnen Produkten irreführend", betonte Thilo Bode. Der Chef der Organisation warf den Behörden vor, das Problem "zu verdünnen", obwohl tatsächlich eine Gefahr für die Verbraucher bestehe. "Die Stellen sollten das Problem lieber ehrlich angehen, statt stets zu versuchen, die Verbraucher mit allen Mitteln der Verschleierung zu beruhigen", sagte Bode.

    Am Ende der langen Überprüfungen der Behörden stand jedoch wenigstens ein positives Ergebnis für den Verbraucher. So fanden die Chemiker im staatlichen Auftrag bei erneuten Tests des Öls der hessischen Firma durch Zufall eine überhöhte Konzentration an giftigem Dioxin. Laut einer Pressemitteilung habe die gefundene Dioxinmenge rund dreimal über dem gesetzlichen Grenzwert gelegen. Sofort, so die Mitteilung des Umweltministeriums, sei daraufhin die Futtermittelüberwachung der Bundesländer informiert worden.

    Von ihrer Beruhigungstaktik hingegen sieht das Umweltministerium trotz des neuen Giftfundes nicht ab. Immer noch behaupten die Behörden in der Pressemitteilung, es bestehe keine Gefahr, dass es bei der Herstellung des eigentlichen Futters "zu erheblichen Verdünnungen" um den Faktor 20 komme. Als Beweis verwenden die Ministerialen ausgerechnet den ziemlich schiefgelaufenen PCB-Fall aus Sachsen. Auch hier seien trotz des belasteten Futters in 70 Prozent der Endprodukte wie Eiern keine zu hohen Werte aufgetaucht.

    © SPIEGEL ONLINE 2004
    http://www.spiegel.de/politik/deutsc...306452,00.html

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