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Diebstahl-Verdächtigung

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  • Diebstahl-Verdächtigung

    Guten Tag,

    bin seit wenigen Minuten neu in diesem Formum. Muß mich erst einmal kundig machen, wie das funktioniert.

    Habe eine an Alzh. erkrankte Mutter. Sie hatte vor 2 Jahren Schlaganfall + Diagnose Alzh. Sie lebt noch alleine in ihrer Wohnung (ca. 100 km von mir entfernt).

    Jetzt verdächtigt sie mich des Diebstahls. Ich hätte wichtige, persönl. Dinge entwendet. - Wie kann ich zukünftig mit solchen Vorwürfen umgehen, ohne es zu persönlich zu nehmen? Wie ist es möglich, sie zu beruhigen, ohne zu brüskieren.

    Ich kann mich generell sehr schwer abgrenzen. Erschwerend kommt hinzu, daß meine Mutter bis vor 2 Jahren jahrelang keinen Kontakt zu mir wollte. 2 meiner Geschwister (ihre "Lieblinge") haben sich zu 100 % zurückgenommen (vor 2 Jahren). Meine älteste Schwester lebt in England. Also bin ICH es, die hauptsächlich für unsere Mutter "zuständig" ist. Meine Gedanken kreisen fast permanent um sie und habe ständig schlechtes Gewissen. Sie nimmt viel zu viel Raum in mir ein.

    Hinzu kommt, daß sie so gut wie kein soz. Umfeld mehr hat. Vermutlich können ihre Bekannten sie sprachl. nicht mehr oder kaum verstehen und sind verunsichert (vermute ich mal). Sie verweigerte von Anfang an Logopädie. Von ihrer Persönlichkeit her weiß sie sowieso ALLES, ist der Mittelpunkt der Welt, läßt sich nichts sagen, hört nicht zu. Sehr aggressiv. - Und dies volle Programm verstärkt sich natürlich zusehends.

    Außerdem habe ich selbst eine lebensbedrohlich Krankheit gerade überwunden und müßte dringend nach mir selbst schauen um ggf. auch ein Rezidiv zu vermeiden.

    Ich selbst würde am liebsten "abhauen" bzw. den Kopf in den Sand stecken. Trotz einer berufl. Betreuerin fühle ich mich TOTAL überfordert. Die Betreuerin kümmert sich z. Zt. fast ausschließl. um die Finanzen meiner Mutter. Der Rest hängt an mir.

    Hoffe, daß ich jetzt nicht zuviel geschrieben habe. - Ich freue mich über jede Nachricht bzw. jeden Ratschlag.

    Herzlichsten Dank.
    fischesko


  • Re: Diebstahl-Verdächtigung


    hallo fischesko,

    nein Du schreibst nicht zu viel. Irgendwann muss es mal raus. Das versteht gerade hier wohl jeder. Wir alle suchen einen Weg der für uns gangbar ist. So das auch wir noch krank sein dürfen oder einfach das Leben noch ein wenig leben können.

    Es gibt kein Patentrezept. Vielleicht hilft es schon, wenn Du merkst, dass Du nicht alleine bist. Wir schwanken alle zwischen schlechtem Gewissen und Frust.

    Gerade wenn man keine Vergangenheit mit dem kranken Elternteil hat (mir geht es auch so) ist alles noch schwieriger.

    Habe leider keine Antwort auf Deine Verzweiflung - ich reile sie aber.

    Liebe Grüße

    Lisa

    Kommentar


    • Re: Diebstahl-Verdächtigung


      Hallo Fischesko,

      Diebstahlverdächtigungen sind häufig bei Morbus Alzheimer – fast schon Standard. Sie sollten sich daher keine Vorwürfe machen. Ich weiß, das ist alles viel leichter gesagt, als getan. Mein Vater (siehe Thread „Mein alter Herr Eberhard“ in diesem Forum) klagt schon seit über einem Jahr darüber, dass ihm Werkzeug gestohlen und heimlich mit seinem Auto gefahren wird. Nur in der ersten Zeit war er Vernunftsagrumenten noch zugänglich, danach „wusste er alles besser“. Er hat viel Werkzeug aus der Garage auf den Dachboden seines Hauses verfrachtet, meint aber zuweilen, dass es auch dort nicht sicher sei. Wie seinen Augapfel hütet er seine Brillen und sein Rasierapparat – schleppt das Zeugs in einer Tasche tagsüber oft mit sich herum. Konkrete Verdächtigungen z.B. gegen meine Mutter oder mich hat er allerdings noch nicht ausgesprochen. Es sind „Gestalten“, die er auch schon mal gesehen haben will, aber nicht konkret beschreiben kann. Wohl aber hatte er schon vor längerer Zeit, als er noch Auto fuhr, im Beisein meiner Mutter anlässlich einer Inspektion den Werkmeister ausgeschimpft, dieser würde immer heimlich mit Vaters Auto fahren. Meine Mutter konnte das dann zum Glück aufklären und stieß auch auf Verständnis. Morbus Alzheimer und ähnliche Erkrankungen sind mittlerweile keine Exoten mehr – fast in jeder zweiten Familie findet sich ein solches Schicksal. So darf man auch auf etwas Grundwissen bzw. Verständnis bei anderen rechnen. Vor einigen Monaten lief der Film „Mein Vater“, in dem Götz George einen alzheimerkranken Busfahrer spielte und das Magazin „STERN“ brachte eine Titelstory. Das alles trägt auch zur Herausbildung eines weiter gefächerten Problembewusstseins bei.

      Was kann man konkret als Begleiter oder Pfleger tun? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst ein wenig mit unserem Gehirn beschäftigen. Unser Gehirn kommt nämlich eigenartigerweise selber gar nicht in unserer Wahrnehmung vor. Es schmerzt auch nicht, wenn in ihm etwas nicht in Ordnung ist (Ausnahme: Tumor, der dann aber auf anderes Gewebe drückt, welches den Schmerz verursachen kann). Wenn im Gehirn etwas nicht stimmt, äußert sich das also anders, als wenn bei einem anderen Organ – z.B. dem Herzen – etwas nicht stimmt. Es äußert sich in einer geänderten Wahrnehmung und einer geänderten Denkweise, welche diese Wahrnehmungen in einen Orientierungsrahmen stellt. Früher hat man sich einmal vorgestellt, dass es im Gehirn so etwas wie ein oberstes Wahrnehmungszentrum, einen inneren Beobachter, gibt, der dann auf geheimnisvolle Weise die irgendwie gespiegelte oder projizierte Umwelt wahrnimmt und Entscheidungen fällt. Diese Ansicht hatte sich prinzipiell bis zur Vermutung der Existenz sog. gnostischer Neuronen (HUBEL/WIESEL) in stark modifizierter Form noch lange gehalten. Wie wir heute v.a. durch leistungsfähige bildgebende Verfahren wissen, ist dem aber nicht so. Im Gehirn wird nichts abgebildet wie z.B. auf einer Leinwand. Das, was wir erfahren, was uns bewusst wird, wird im Gehirn (re)konstruiert. Über sehr komplexe Wege gelangen codierte Daten über einen großteils völlig unbewussten Mechanismus, an denen v.a. das sog. limbische System beteiligt ist, in den Stirnhirnbereich und werden dort als synchronisierte Eindrücke bewusst. Diese Eindrücke sind niemals völlig identisch mit der uns umgebenden Welt. Dieses hatte schon der bekannte Wissenschaftsjounalist Hoimar von Ditfurth in seinen Bücher geschrieben; wir leben nicht in der Welt, sondern in dem Bild von Welt, was wir in uns rekonstruieren.

      Bei neurodegenerativen Erkrankungen (und auch anderen Hirnerkrankungen) weicht je nach Schwere der Erkrankung dieses Bild immer mehr von der realen Umwelt ab. Bei Morbus Alzheimer beginnt die Erkrankung in tiefen Hirnbereichen (septale Region, Basalganglien, usw.) und verursacht v.a. Defizite in der Versorgung mit dem Botenstoff (Transmitter) Acetylcholin. Das wirkt sich zunächst auf die Hippocampi aus, der Sitz des sog. Kurzzeitgedächtnisses aber auch der Sitz wesentlicher Organistionsleistungen im Zusammenspiel mit dem Großhirn. Um das noch verfügbare Ach besser nutzen zu können, wird der Abbau durch bestimmte Medikamente (z.B. Reminyl) gehemmt. Die Erkrankung selber beruht auf Defekten innerhalb der Nervenzellen und bewirkt eine Verplackung (Beta-Amyloid) außerhalb der Zellen und eine Verklumpung innerhalb (Tau-Proteine) – möglicherweise sind dafür Defekte in den sehr komplexen Abläufen der kaskadenartigen Signalverarbeitungen in den Zellen verantwortlich. Näheres dazu kann man der Fachliteratur entnehmen. Hier geht es mir nur darum, zu zeigen, dass aus alledem ein inneres Weltbild entsteht, was sich immer weniger mit der realen – d.h. von vielen wahrgenommenen und „passenden“ weil mit der Umwelt funktionierenden – Welt deckt.

      Als Begleiter oder Pfleger muss man nun versuchen, in dieses Weltbild, dieses pathologische Hirnkonstrukt „einzudringen“, d.h. lernen, „in den Schuhen des Kranken zu gehen“.

      Ich mache das so – und mache dabei auch immer noch Fehler - , indem ich meine anfängliche Opposition gegen die bizarren Aussagen meines Vaters aufgegeben habe. „Ja, Vater, da sind üble Spitzbuben am Werk und wir sollten uns überlegen, wie wir uns gegen sie wehren können. Ich habe da eine Idee...“ Und so habe ich zunächst einen kleinen batteriebetriebenen Bewegungsmelder ins Treppenhaus gestellt, der zudem die Treppe zusätzlich beleuchtet, wenn jemand dort vorbeiläuft. „Licht vertreibt lichtscheues Gesindel!“ habe ich meinem Vater gesagt und er hat es dankbar angenommen. Ganz befriedigend ist das leider nicht, da er nun woanders Diebstähle „wittert“. Also werde ich zukünftig noch ein paar Geräte aufstellen müssen.

      Das reicht natürlich nicht. Daher habe ich auch versucht, mittels Gesprächstherapie (Validation) weiter zu helfen. Schauen Sie, liebe Fishesko, bitte mal nach Literatur und Medien von NAOMI FEIL. Da gibt es z.B. eine Audio-CD mit dem Titel „Sie haben meinen Ring gestohlen“ (Mit Validation verwirrten alten Menschen helfen.) Frau FEIL verfügt über eine enorme Erfahrung mit diesen Dingen und hat sogar Menschen im vegetierenden Endstadium wieder etwas zum Reden bringen können. Begleitend ist natürlich auch immer auch die richtige Medikation zu achten. Wir erkennen, dass wir Aggressionen nicht als Angriffe zu deuten haben, sondern als Hilflosigkeiten von Menschen, die in einer eigenen Welt voller Bedrohungen leben. Es ist die Angst vor dem Zusammenbruch der Welt, letztlich die Angst vor dem Tod, der halbbewusst als langsam nahend geahnt wird. Der Kranke definiert sein inneres Set, seine Welt oder Befindlichkeit, immer mehr über ein äußeres Setting von Gegenständen, an denen er sich festhält wie an einem Geländer. Manche dieser Gegenstände haben eine tiefe Bedeutung, symbolisieren unverarbeitete Wünsche oder Konflikte aus der Vergangenheit. Gelingt es, durch geschicktes Fragen (Wie, Wer, Was – aber niemals „Warum“) Erinnerungen zur frühen Vergangenheit herzustellen, können manchmal bizarre Verhalten beendet werden. Dieses sollte aber nicht mit Psychoanalyse verwechselt werden, die in solche Fällen, vmtl. eher kontraproduktiv wäre.

      Wir können mit unseren gegenwärtigen Mitteln diese Krankheit noch nicht heilen, aber wir können mildern und verzögern. Manche Bücher halte ich nicht für gut, weil darin Morbus Alzheimer zu sehr als linearer Degenerationsprozess beschrieben wird nach dem Motto, „Was zuletzt gelernt wurde, geht zuerst verloren.“ Bei meinem Vater habe ich die Widerlegung von derlei allzu plakativen und vereinfachenden Schilderungen erlebt. So erkennt er zeitweise sein Haus nicht obwohl er seit 1960 darin wohnt und kann andererseits noch oft das wiedergeben, was er am Vortage erlebt hat, weiß wer unser Land regiert, usw.

      Was meine Emotionen anbelangt, so kenne ich alles zwischen „Demente aller Länder vereinigt euch“ und Euthanasie. Sie haben recht – es ist zuweilen zum Davonlaufen. „Kein Hund möcht so mehr länger leben – drum hab ich mich der Magie ergeben“ – solche Faustischen Gedanken habe ich auch schon kennen gelernt und mich sogar schon mit eher abenteuerlichen Hypothesen beschäftigt. Natürlich erfolglos und unsinnig wie so mancher Gedanke in schlaflosen Nächten. - Aber ich erlebe auch ein langsames Hineinwachsen in die Krankheit meines Vaters – nehme Kleinigkeiten nicht mehr so wichtig – Vater hat ja mit seinen 80 Jahren auch das Recht, nicht mehr alles können und wissen zu müssen. Er hat sein Lebenswerk vollbracht. Das versuche ich ihm mehr und mehr zu verdeutlichen, dass er stolz auf eine Menge Dinge zurückblicken kann und ausruhen darf. Aber einfach ist das alles nicht. Das alles übersteigt auch unser Denken – also müssen wir alles das – wie am Ende sowieso - Gott überlassen. Es ist ja - gemäß der Theologie Teilhard de Chardins – ohnehin alles ein Kampf Gottes gegen den Zerfall, gegen die allfällige Entropie. Ein Kampf, der auf vielen Ebenen geschlagen am Ende aller Zeiten doch siegreich sein wird – das ist mein Glaube.

      Gruss
      Egon-Martin

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      • Re: Diebstahl-Verdächtigung


        Hallo Egon-Martin,
        ich möchte dir gerne die Hand schütteln und DANKE sagen für deinen ausführlichen und mutmachenden Beitrag, sowie auch deine anderen Beiträge.
        Ich stehe deinen Gedanken sehr nahe und die Anwendung in der Praxis ist ausserordentlich erfolgreich.

        Gruss Jetti

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