Chronische Übersäuerung
Unter dem Begriff chronische Übersäuerung verstehen manche Anhänger alternativer Medizin- und Ernährungslehren einen Zustand, in dem der Körper Säuren nicht mehr neutralisieren kann, sodass sie sich zum Beispiel dauerhaft im Bindegewebe ablagern. Als Hauptübeltäter wird eine falsche Ernährung gesehen. Diese Theorie lässt sich medizinisch und naturwissenschaftlich nicht bestätigen.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Überblick
Im schulmedizinischen Sinn kann eine chronische Übersäuerung entstehen, wenn etwa die Nierenfunktion eingeschränkt ist (chronische Niereninsuffizienz) – hier liegt eine organische Ursache zugrunde. Zudem gibt es eine akute Übersäuerung, Azidose genannt. Sie wird ebenfalls durch ernsthafte Erkrankungen ausgelöst und muss ärztlich behandelt werden. Beide Formen lassen sich im Blut unter anderem anhand eines abweichenden pH-Werts feststellen.
Befürworter der Theorie einer durch die Ernährung und den Lebensstil bedingten chronischen Übersäuerung sehen im hohen Fleischkonsum, im unzureichenden Verzehr von Obst und Gemüse, wenig Bewegung sowie einem übermäßigen Kaffee- und Alkoholkonsum bei insgesamt zu geringer Flüssigkeitsaufnahme den Auslöser der Übersäuerung. Alles zusammen soll den Säure-Basen-Haushalt langfristig aus dem Gleichgewicht bringen.
Video: Übersäuern durch Ernährung – geht das wirklich?
Ob eine chronische Übersäuerung vorliegt, lässt sich nach Meinung der Befürworter des Konzeptes selbstständig über die Urinwerte mithilfe von pH-Teststreifen feststellen. Die Blut-pH-Werte sollen unverändert sein. Eine Ernährungsumstellung und ausreichend Bewegung sollen mit der Zeit einer Übersäuerung entgegenwirken können. Zur akuten Behandlung empfehlen sie beispielsweise Basenpräparate, die eine Übersäuerung neutralisieren können sollen.
Definition
Um zu funktionieren, benötigt der menschliche Körper Energie. Diese wird ihm über die Nahrung zugeführt und über verschiedene Stoffwechselvorgänge für Muskeln und Organe nutzbar gemacht. Im Laufe des Stoffwechsels fallen außerdem Abfallprodukte an, welche über Nieren, Leber, Haut, Lunge und Darm ausgeschieden werden.
Für gewöhnlich sorgen verschiedene Puffersysteme für einen ausgeglichenen Säure-Basen-Haushalt und halten z.B. den pH-Wert im Blut zwischen 7,36 und 7,44 konstant.
Bei dem fragwürdigen Konzept der chronischen Übersäuerung, die nicht durch Erkrankungen bedingt sein soll, ist es "richtig", dass der pH-Wert im Blut unverändert ist. Bei medizinisch anerkannten Formen der Übersäuerung hingegen sinkt der pH-Wert im Blut (sog. Azidose). Mitunter kann eine solche Stoffwechselentgleisung ohne Therapie lebensbedrohliche Folgen haben.
Ursachen
Anhänger der Theorie der chronischen Übersäuerung gehen davon aus, dass es bestimmte säurebildende Lebensmittel gibt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Lebensmittel "schlecht" sind. Säuren sind ebenso wie Basen lebensnotwendig.
Zu den Säurebildern zählen sie:
Neben säurebildenden Lebensmitteln soll es laut Theorie weitere Risikofaktoren für eine chronische Übersäuerung geben:
- Stress
- Rauchen
- Medikamente
- erhöhter Alkoholkonsum
- zu wenig Bewegung
- zu geringe Flüssigkeitsaufnahme
Ursachen einer krankhaften akuten Übersäuerung (Azidose), die sich mit schulmedizinischem Wissen auch begründen lässt, hingegen können Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus, Asthma bronchiale, ein Lungenemphysem und chronische Nierenerkrankungen sein. Bei der Azidose verändert sich auch der pH-Wert im Blut – dieser Befund erfordert meist eine ärztliche Therapie.
Symptome
Eine chronische Übersäuerung führt zu Beginn meist nicht zu Symptomen – davon gehen Anhänger der Übersäuerungstheorie aus. Nach einiger Zeit soll sich die Übersäuerung jedoch durch Muskelschmerzen und -krämpfe äußern, insbesondere nach schweren Anstrengungen und großem Flüssigkeitsverlust (etwa starkes Schwitzen nach sportlicher Betätigung).
Aber auch anhaltende Müdigkeit, Kopfschmerzen, Sodbrennen und Infektionen sollen bei chronischer Übersäuerung als Symptome auftreten.
Diagnose
Befürworter des Konzeptes der chronischen Übersäuerung behaupten, der pH-Wert des Urins könne Aufschluss über eine chronische Übersäuerung geben. Der Wert kann selbstständig mithilfe von pH-Teststreifen aus der Apotheke getestet werden – eine einmalige Messung soll jedoch noch nicht aussagekräftig sein.
Die Messung sollte über fünf Tage fünfmal täglich zu denselben Zeiten erfolgen, um einen sicheren Mittelwert zu ergeben. Als ideal sehen die Fürsprecher dabei an, wenn die pH-Werte im Lauf des Tages zwischen 4,5 (morgens/abends) und 8,5 (mittags) schwanken.
Therapie
Eine akute Übersäuerung (Azidose) muss jedoch in jedem Fall ärztlich betreut werden.
Verlauf
Nach Ansicht der Befürworter des Konzeptes sollen bei chronischer Übersäuerung vermehrt Mineralsalze und Phosphate aus den Knochen gelöst werden, um die Säuren zu neutralisieren. Dies soll auf Dauer zu Osteoporose (Knochenschwund) führen. Tatsächlich kann dies der Fall sein, wenn einer chronischen Übersäuerung eine organische Ursache zugrunde liegt (z.B. eine eingeschränkte Nierenfunktion). Dies muss man aber inhaltlich klar von der anderen Theorie trennen.
In Folge einer (angeblich durch den Lebensstil bedingten) Übersäuerung soll es außerdem zu folgenden Erkrankungen kommen:
Dieser Zusammenhang ist medizinisch nicht belegt.
Vorbeugen
Menschen, die der Theorie der chronischen Übersäuerung folgen, gehen davon aus, dass einer Übersäuerung durch eine ausgeglichene Ernährung und genügend Bewegung vorgebeugt werden kann. Außerdem sollte die Trinkmenge stimmen (ca. zwei Liter täglich). Alkohol sollte nur in Maßen konsumiert und auf Nikotin vollständig verzichtet werden.
Diese sehr allgemeinen Empfehlungen decken sich mit schulmedizinischen Empfehlungen für eine gesunde Lebensweise und lassen sich – völlig unabhängig von dem nicht haltbaren Konzept der chronischen Übersäuerung – wissenschaftlich tatsächlich auch begründen.
In Sachen Ernährung empfehlen Fürsprecher der chronischen Übersäuerung, dass man darauf achten sollte, neben säurebildenden Lebensmitteln auch basenbildende aufzunehmen, wie:
- Blatt- und Wurzelgemüse
- Kartoffeln
- Obst
- Kräuter
- Stilles Wasser