Dioxin
Dioxin machte zuletzt im Zusammenhang mit dem Dioxin-Skandal zur Jahreswende 2010/2011 von sich reden: Große Mengen mit Dioxin verseuchten Futtermittels gelangten in die Futtertröge mehrerer Zuchtbetriebe. Aus Fleisch und Eiern von mit verdächtigem Futtermittel gefütterten Tieren wurden Proben genommen und untersucht. Einige zeigten einen erhöhten Dioxingehalt. In Milch wurden keine erhöhten Werte gefunden.
Allgemeines
Viele Menschen sorgten sich, da sie potentiell belastete Eier und Fleisch zu sich genommen hatten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) teilte mit, dass der kurzfristige Verzehr belasteter Tierprodukte keine unmittelbare Gesundheitsgefahr bedeute. Laut BfR sind gesundheitliche Auswirkungen erst dann zu erwarten, wenn die Dioxin-Konzentrationen im Körper eine kritische Höhe erreichen. Dies sei im aktuellen Fall sehr unwahrscheinlich. Das Besondere an Dioxin: Es reichert sich sehr gut im tierischen und menschlichen Fettgewebe an, da es einerseits sehr langlebig ist und andrerseits kaum abgebaut werden kann. Im Lauf des Lebens steigt daher die Dioxin-Konzentration im Körperfett.
Auch wegen dieser Eigenschaften sollte die Belastung mit Dioxin möglichst gering gehalten werden. Wer sein gesundheitliches Risiko abschätzen möchte, muss stets sowohl die Konzentration an Dioxinen in der Nahrung als auch die gewöhnlich von ihm verzehrte Menge der jeweiligen Lebensmittel beachten.
Hilfreich ist, die Bedeutung des Begriffs Dioxin zu kennen. Im allgemeinen Sprachgebrauch steht Dioxin als Sammelbezeichnung für zwei große Klassen chemisch ähnlicher Substanzen: die Dibenzo-p-dioxine (PCDD) und die Dibenzofurane (PCDF). Insgesamt umfasst die Gruppe der Dioxine über 200 Substanzen, die in sehr unterschiedlichem Maße giftig für den Menschen sind – einige können ab bestimmten Konzentrationen Krebs auslösen. Dioxine liegen stets als Gemische von Einzelverbindungen mit unterschiedlicher Zusammensetzung vor. Das giftigste Dioxin ist auch als "Seveso-Gift" oder "Seveso-Dioxin" bekannt, da es nach einem Chemieunfall im norditalienischen Seveso im Juli 1976 die Umwelt kontaminierte. Das Seveso-Gift heißt fachsprachlich 2,3,7,8 TCDD (TCDD = Tetrachlordibenzodioxin).
Es lässt sich nicht vollständig verhindern, dass Dioxin über Böden und Pflanzen in Lebens- und Futtermittel gelangt und in die Nahrungskette übergeht, der Mensch langfristig also zwangsläufig kleine Mengen an Dioxin über die Nahrung aufnimmt.
Menschen nehmen Dioxin zu 90 bis 95 Prozent über die Nahrung auf, vor allem über tierische Lebensmittel wie Fleisch, Eier oder Milch sowie die daraus hergestellten Produkte. Obwohl Fisch je nach Fettgehalt stärker mit Dioxinen belastet sein kann – unter anderem da Dioxin jahrzehntelang über Abwasser und Flüsse in hohen Konzentrationen in die Meere gelangte –, spielt er als Dioxinquelle eine kleinere Rolle, da die Deutschen eher wenig Fisch essen. Im Gemüse ist Dioxin mit wenigen Ausnahmen (Zucchini) kaum zu finden; Bioprodukte waren vom Dioxin-Skandal 2010/2011 höchstwahrscheinlich nicht betroffen.
Seitens des Gesetzgebers greifen Sicherheitsmechanismen, wenn der Dioxingehalt von Lebensmitteln die geltenden EU-Höchstgehalte überschreitet: Sie dürfen zum einen nicht mehr verkauft werden, zum andern können ausgelieferte Waren zurückgerufen und Betriebe gesperrt werden.
Entstehung
Dioxine entstehen, wenn organischer Kohlenstoff im Beisein von Chlor verbrannt wird und dabei Temperaturen von mindestens 300 Grad erreicht werden. Dies ist vor allem bei industriellen Prozessen und Verbrennungsprozessen der Fall. Dioxine haften an Staubpartikeln und verbreiten sich auf diese Weise in der Umwelt und gelangen in Böden und Pflanzen und schließlich in Futter- und Lebensmittel.
Noch in den 1980er-Jahren gelangten große Mengen Dioxin über belastete Chemikalien und bestimmte Herbizide in die Umwelt. Dank strenger Verbotsordnungen ist das heute nicht mehr der Fall. Auferlegte Grenzwerte und verbesserte Technik führten dazu, dass die Luft nicht mehr so stark durch den Dioxinausstoß aus Abfall-Verbrennungsanlagen verseucht wird.
Derzeit gelangt Dioxin vor allem bei thermischen Prozessen der Metallgewinnung und -verarbeitung sowie durch andere, kleine Quellen in die Umwelt und reichert sich im Boden an.
Weitere Quellen sind:
- Chemikalien und Papier
- feste Rückstände, zum Beispiel Asche, Schlacke und Klärschlamm (auch zur Dünnung verwendet)
- Abwasser, etwa aus Zellstoffmühlen, und Sickerwasser aus Deponien
In Futtermittel und Tierprodukte gelangen geringe Mengen Dioxin regulär auf folgenden Wegen:
- bei der Herstellung,
- durch verunreinigte Roh- oder Hilfsstoffe,
- durch Kontamination bei Transport oder Lagerung.
Grenzwerte
Für Dioxine in Lebens- und Futtermitteln gelten bestimmte Höchstgehalte, die in Picogramm pro Gramm oder Nanogramm pro Kilogramm angegeben werden. Ein Picogramm entspricht einem Billionstel eines Gramms, ein Nanogramm einem Milliardstel eines Gramms. Experten sind der Ansicht, dass sich Dioxine nicht darin unterscheiden, auf welche Art sie giftig wirken, sondern wie stark sie jeweils wirken. Um die Giftigkeit der verschiedenen Dioxine untereinander vergleichen zu können und um Höchstgehalte festlegen zu können, arbeiten Fachleute mit dem sogenannten Toxizitätsequivalent (TEQ). Das TEQ steht für die individuelle Giftigkeit der Dioxine im Vergleich zum hochgiftigen "Seveso-Dioxin" (2,3,7,8 TCDD).
Folgende Höchstgehalte gelten für Fleisch (außer genießbare Nebenprodukte der Schlachtung):
- Schwein: 1,0 Picogramm (pg) / g Fett
- Geflügel: 2,0 pg / g Fett
- Rind und Schaf: 3,0 pg / g Fett
Für Rohmilch und Milcherzeugnisse einschließlich Butterfett sowie für Hühnereier und Eiprodukte gelten Höchstwerte von 3,0 Picogramm pro Gramm Fett.
In pflanzlichen Ölen und Fetten sowie in Mischfuttermitteln (ausgenommen jener für Pelztiere, Heimtiere und Fische) beträgt der Höchstgehalt für Dioxine und Furane jeweils 0,75 Nanogramm pro Kilogramm Futtermittel mit 88 Prozent Trockenmasse. Um es mit den Angaben bei Lebensmitteln vergleichen zu können: Ein Gramm Futtermittel darf maximal 0,75 Picogramm Dioxin enthalten (1 Nanogramm entspricht 1.000 Picogramm).
Wie gefährlich sind die belasteten Lebensmittel wirklich?
Folgendes Beispiel – das sich an den Belastungen des Dioxin-Skandals 2010/2011 orientiert – veranschaulicht, wie es sich auswirkt, wenn man Lebensmittel mit erhöhtem Dioxigehalt zu sich nimmt:
Junge Erwachsene haben derzeit eine Dioxin-Belastung von circa 10 Picogramm Toxizitätsequivalenten (TEQ) pro Gramm Körperfett. Geht man davon aus, dass eine Person 60 Kilogramm wiegt und der Körperfettanteil 25 Prozent beträgt, erhält man 15 Kilogramm Fettgewebe, in dem sich Dioxin anreichern kann. Für eine solche Person ergibt sich eine Dioxin-Gesamtmenge von 150.000 Picogramm (15 Kilogramm = 15.000 Gramm mal 10 Picogramm).
Jeder Mensch nimmt täglich Dioxine auf – dies ist kaum zu vermeiden. Über alle Lebensmittel gesehen, sind das etwa 60 bis 120 Picogramm. Isst man nun zwei mit Dioxin belastete Eier (Gewicht pro Ei etwa 60 g, Fettanteil 10%), die je 10 Picogramm TEQ pro Gramm Eifett enthalten (dies entspricht einer 3,3-fachen Erhöhung gegenüber dem EU-Höchstwert), führt dies zu einer zusätzlichen Aufnahme von 120 Picogramm TEQ pro Tag (2 mal 6 g Eifett = 12 g mal 10 Picogramm). Über einen Monat gerechnet, an dem man jeden Tag zwei belastete Eier essen würde, ergäbe sich eine zusätzliche Aufnahme von 3.600 Picogramm (30 Tage mal 120 Picogramm).
Addiert man diese Menge zum angenommenen Ausgangswert von 150.000 Picogramm Dioxin im gesamten Körper, ergibt sich ein neuer Gesamtwert von 153.600 Picogramm. Aufs Körperfett umgerechnet bedeutet das: Die Konzentration würde von 10 auf circa 10,24 Picogramm pro Gramm Körperfett steigen (ausgehend von 15 Kilogramm oder 15.000 Gramm Körperfett).
Das Beispiel zeigt, dass der Verzehr von belasteten Eiern in diesen Größenordnungen sich nur schwach auf die bereits bestehende Belastung mit Dioxinen auswirken würde. Eine deutlich höhere Belastung ergibt sich nur, wenn die Dioxin-Konzentration in den Eiern oder in anderen tierischen Lebensmitteln wesentlich höher ist und jemand über einen langen Zeitraum regelmäßig diese Lebensmittel verzehrt.
Es besteht also kein Grund zur Sorge, wenn jemand belastete Eier gegessen hat. Zudem: Vor 20 Jahren lag die allgemeine Belastung mit Dioxinen dreimal so hoch wie heute. Bei jungen Menschen betrug sie damals etwa 30 Picogramm TEQ pro Gramm Körperfett (heute 10 Picogramm). Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass sich die damalige Dioxin-Belastung nachteilig auf die Gesundheit ausgewirkt hat.
Dioxin-Skandal 2010/2011
Der sogenannte Dioxin-Skandal verunsicherte Ende Dezember 2010, Anfang 2011 viele Verbraucher. Futterfette mit hohem Gehalt an Dioxin waren an Tiere verfüttert und bei den nachfolgenden Untersuchungen festgestellt worden, dass manche Proben von Eiern und Fleisch den von der Europäischen Union festgelegten Höchstwert für Dioxin überschritten hatten. Ein Hersteller von Mischfutter in Niedersachsen hat die erhöhte Belastung entdeckt: Bei internen Kontrollen fiel auf, dass das Futtermittel erhöhte Dioxinwerte aufweist. Entsprechend der Vorschriften meldete der Betrieb das Vorkommnis umgehend (am 22.12.2010) an die zuständige Behörde: das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.
Nachfolgende Untersuchungen ergaben, dass das verunreinigte Futterfett von einem Hersteller in Schleswig-Holstein stammte, der die Mischfettsäure wiederum von einem niederländischen Händler bezogen hatte. Der schleswig-holsteinische Betrieb stellt neben Fetten für Futtermittel auch solche für technische Zwecke her, etwa die Papierverarbeitung. Die Ermittlungen ergaben, dass dieser Betrieb technische Mischfettsäuren mit hohem Gehalt an Dioxin – die eigentlich für die Papierherstellung bestimmt waren – in pflanzliche Futterfette eingemischt hatte.
Den Ermittlungen zufolge wurden im November und Dezember 2010 aus knapp 180 Tonnen Mischfettsäure dieses Betriebs über 2.250 Tonnen Futterfett hergestellt. Beliefert wurden 25 Mischfuttermittelhersteller in mehreren Bundesländern, unter anderem in Hamburg und Niedersachsen. Diese Betriebe mischten das verunreinigte Futterfett in ihr Mischfutter für Legehennen, Mastgeflügel, Rinder und Schweine.
Testergebnisse
Alle nachfolgenden Werte beziehen sich auf den Stand vom 24. Januar 2011:
Eier und Eiprodukte:
- In Einzelfällen überschritten die Werte den zulässigen Höchstgehalt bis zum Vierfachen.
- Bei 83 Prozent der Proben wurde der Höchstgehalt nicht überschritten.
- Teilweise erfolgten Rückrufe für Eier, die aus mit belastetem Futter belieferten Betrieben stammten.
Tipp: Jedes Ei (außer bei Hof- und Hausverkauf) trägt einen Stempel mit dem sogenannten Erzeugercode. Der Code besteht aus einer Kombination aus Zahlen und Buchstaben, die das Ei eindeutig dem erzeugenden Betrieb zuweist.
Legehennen:
- In amtlichen Untersuchungen wiesen zwei von drei Legehennen aus den betroffenen Betrieben erhöhte Dioxingehalte auf.
- Bei drei betrieblichen Untersuchungen lagen die Werte unterhalb des Höchstgehalts.
- Bei fünf Eigenkontrollen und vier amtlichen Kontrollen von Hähnchenfleisch zeigten sich keine Überschreitungen des Höchstgehalts.
Schweinefleisch:
- 126 Untersuchungen von Schweinefleisch ergaben Werte unterhalb des Höchstgehalts.
- Im Rahmen von Probeschlachtungen von Schweinen aus gesperrten landwirtschaftlichen Betrieben fanden die Behörden eine Probe, die den Höchstgehalt überschritt.
- Drei weitere Proben ergaben Werte im Bereich des Höchstgehalts.
Die amtlichen (20) und betriebsinternen (49) Auswertungen für Proben von Mastputen lagen alle deutlich unterhalb des Höchstgehalts. Auch zwei amtliche Rindfleisch-Proben lagen deutlich unterhalb des Höchstgehalts; ebenso alle Untersuchungsergebnisse für Milch.
Maßnahmen der Politik
Das Bundesminis
terium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrauchers
chutz (BMELV) trägt die Hauptverantwortung dafür, die Verbraucher vor mit Dioxin belasteten Lebensmitteln zu schützen. Als ersten Schritt sperrten die Behörden in mehreren Bundesländern vorsorglich mehr als 4.000 landwirtschaftliche Betriebe. Darunter Mastbetriebe für Schweine, Geflügel, Milchkühe und Rinder sowie Legehennenbetriebe. Am 24. Januar 2011 waren in verschiedenen Bundesländern noch mehr als 580 landwirtschaftliche Betriebe gesperrt.
Sobald Lebensmittel die gesetzlichen Höchstwerte für Dioxin überschreiten, gelten sie als nicht verkehrsfähig und dürfen nicht in den Handel gelangen. So wurden beispielsweise Eier zurückgerufen, die aus mit belastetem Futter belieferten Legehennenbetrieben stammten – vorausgesetzt, dass die Chargen den amtlichen Höchstgehalt an Dioxin nachweislich überschritten hatten.
Es ist recht aufwendig, Proben im Labor zu untersuchen und auszuwerten. Je nachdem, wie gut ein Labor ausgestattet ist, kann es zwischen 10 und 35 Proben pro Woche auf Dioxin prüfen. Die Aufbereitung und Untersuchung der Proben dauert aufgrund des Verfahrens mehrere Tage.
Ausgehend von den Untersuchungsergebnissen hat das BMELV am 14.01.2011 zudem eine längerfristige Maßnahme vorgestellt: den Aktionsplan "Verbraucherschutz in der Futtermittelkette". Er umfasst folgende 10 Punkte:
- Zulassungspflicht für Futtermittelbetriebe
- Trennung der Produktionsströme
- Ausweitung rechtlicher Vorgaben für die Futtermittelkontrolle
- Meldepflicht für private Laboratorien
- Verbindlichkeit der Futtermittel-Positivliste
- Verpflichtung zur Absicherung des Haftungsrisikos
- Überprüfung des Strafrahmens
- Ausbau des Dioxin-Monitorings – Aufbau eines Frühwarnsystems
- Verbesserung der Qualität der Lebensmittel- und Futtermittelüberwachung
- Transparenz für Verbraucher
Symptome einer Dioxinvergiftung
Dioxin kann kurzfristige (akute) und langfristige (chronische) Schäden hervorrufen. Dass sich eine Dioxinvergiftung akut bemerkbar macht, kommt nur vor, wenn der Mensch hohe Dioxin-Dosen aufnimmt. Dies ist bisher nur nach arbeitsplatz- oder unfallbedingter Aufnahme beschrieben. Meist treten als "Chlorakne" bezeichnete, lang anhaltende entzündliche Hautveränderungen auf.
Die Veränderung bestimmter Laborwerte durch eine Dioxinvergiftung (z.B. ansteigende Konzentrationen von Fettsäuren und Cholesterin) lassen zudem auf Leberschädigungen und Veränderungen im Fettstoffwechsel schließen. In Tierversuchen kommt es bei akuten Vergiftungen zum sogenannten Auszehrungssyndrom (engl. wasting syndrome). Es geht mit starkem Gewichtsverlust, massiven Leberschäden und Stoffwechselentgleisungen einher. Nach mehreren Tagen bis Wochen kann dies zum Tod führen.
Da Dioxin im Körperfett gespeichert wird und der Körper es nur äußerst langsam abbauen kann, wirkt es über einen sehr langen Zeitraum. Aus Tierversuchen weiß man, dass Dioxin langfristig die Zeugungsfähigkeit, das Immunsystem, das Nervensystem und den Hormonhaushalt stören kann. Leber und Schilddrüse scheinen besonders empfindlich auf das Gift zu reagieren. Die Weltgesundheitsoerganisation (WHO) hat das "Seveso-Gift" (2,3,7,8 TCDD) im Februar 1997 als krebserzeugend für den Menschen (humankanzerogen) eingestuft. Einige andere Dioxine scheinen ebenfalls eine Rolle bei der Entstehung von Krebs zu spielen, sie gelten als sogenannte Tumorpromotoren.