Mehrere junge Leute stehen zusammen und beschäftigen sich mit ihren Smartphones.
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Digital Detox: Bewusst offline gehen

Von: Brit Weirich (Medizinautorin, M.A. Mehrsprachige Kommunikation)
Letzte Aktualisierung: 06.02.2022

Ein Leben im Offline-Modus ist für viele Menschen unvorstellbar. Zu sehr scheint man auf Smartphone, Laptop und Co. angewiesen zu sein. Mithilfe einer digitalen Auszeit kann es jedoch gelingen, wieder mehr Fokus, Konzentration und Achtsamkeit in den Alltag zu bringen. Lesen Sie, was hinter dem "Digital Detox"-Trend steckt und wie die Offline-Kur gelingt. 

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Digital Detox: Bewusst offline gehen

Das Smartphone ist nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. Morgens auf dem Weg zur Arbeit mal kurz durch Social Media-Kanäle wie Facebook oder Instagram scrollen, beim Mittagessen ein paar Whatsapp-Nachrichten beantworten und abends im Bett noch die Mails checken: Der Blick auf das Handy erfolgt beinahe reflexartig. Oft wollen wir auch nur nachschauen, wie spät es ist – und schon bleiben wir hängen. Sobald man das Handy dann wieder beiseitelegt, ist die Uhrzeit natürlich schon längst wieder vergessen.

Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 schaut jeder deutsche Handynutzer alle 12 Minuten auf sein Gerät. Insgesamt nutzen erstmals mehr als 90 Prozent der über 14-Jährigen das Internet. Drei Viertel der deutschen Bevölkerung sind täglich online.

Digital entschlacken: Die "Online-Diät"

Den Begriff Detox kennt man vor allem im Diät-Kontext: Das sogenannte Entschlacken soll den Körper von angeblichen Giftstoffen befreien. Dazu wird über eine gewisse Zeitspanne ein strikter Ernährungsplan eingehalten.

Die digitale Entgiftungskur funktioniert nach dem gleichen Prinzip: Über einen bestimmten Zeitraum verzichtet man auf sämtliche elektronische Geräte wie das Smartphone, den Laptop oder auch den Fernseher. Somit wird der kaum zu bewältigenden Informationsflut und dem Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen, Einhalt geboten.

Vorreiter des Gegentrends sind die USA, wo außerdem die ersten Digital-Detox-Camps entstanden sind. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland die ersten Urlaubsangebote ohne Smartphone und Co. Ziel dieser Camps ist es, sich der ständigen Vernetzung zu entziehen und wieder bewusster auf die Offline-Welt zu fokussieren.

Offline gehen: Warum fällt uns das so schwer?

Die Beschäftigung mit dem Smartphone lässt sich gut mit dem Glücksspiel vergleichen: Auf jede Handlung, die wir mit dem Handy vornehmen, folgt ein Überraschungsmoment. Wie auch im Casino halten die verschiedenen Apps zwar nicht unbedingt eine positive Überraschung bereit – allein die Möglichkeit, beim Öffnen einer Anwendung wie beispielsweise Whatsapp eine freudige Nachricht zu erhalten, sorgt aber dafür, dass unser Gehirn Dopamin ausschüttet. Das Belohnungszentrum wird also jedes Mal aktiviert, weshalb uns der Verzicht besonders schwerfällt.

Das Gefühl, permanent erreichbar sein zu müssen, erzeugt einen starken sozialen Druck. In diesem Kontext spricht man auch von Fear of Missing Out, also der Angst, etwas zu verpassen. Doppelte Häkchen bei Whatsapp oder Facebook zeigen dem*der Ermpfänger*in, dass die Nachricht gelesen wurde und nötigen uns zusätzlich dazu, schnell zu antworten.

Viele Smartphone-Anwendungen sind praktische Alltagsbegleiter, die wir nicht missen möchten. Das Bahnticket online kaufen, mal eben den Fahrplan checken oder Termine koordinieren: Dadurch, dass wir mittlerweile auch von unterwegs mit bestem High-Speed-Internet versorgt sind, geraten wir permanent in Versuchung.

Übrigens: Forscher der amerikanischen Ohio State University fanden heraus, dass 2008 mehr als 1.000 Amerikaner in die Notaufnahme eingeliefert wurden – ganz einfach, weil sie gestolpert sind, als sie auf ihr Handy geschaut haben.

Fünf Gründe für Digital Detox

Die Digitalisierung hat vieles vereinfacht. Smartphones, Laptops und Co. sind effektive Alltagshelfer und können eine Menge Zeit einsparen. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein maßvoller Umgang – etwas, was nicht nur zahlreichen Kindern und Jugendlichen fehlt. Untersuchungen zufolge soll die tägliche Nutzung von sozialen Plattformen langfristig sogar unglücklich machen. Umso sinnvoller erscheint eine digitale Auszeit. Expert*innen gehen von folgenden positiven Effekten aus:

1. Stress abbauen

24 Stunden am Stück erreichbar zu sein, verursacht Stress. Zum einen fühlen wir uns einem sozialen Druck ausgeliefert, zum anderen spielt auch das Berufsleben eine große Rolle: Die moderne Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Um Ansprüchen wie zunehmender Vernetzung, erhöhter Konkurrenz und immer schneller werdenden Arbeitsprozessen gerecht zu werden, steht Multitasking auf der Tagesordnung. Das kann wiederum zu Überforderung führen und möglicherweise Erkrankungen wie Burn-out nach sich ziehen.

2. Konzentrationsfähigkeit steigern

Dauerunterbrechungen halten uns davon ab, eine Tätigkeit produktiv und effektiv auszuführen. Um in den sogenannten Arbeitsflow zu gelangen und Bestleistungen zu erbringen, braucht es laut Studien mindestens 15 Minuten. Das Problem: Der Durchschnittsdeutsche schaut alle 12 Minuten auf sein Smartphone. Wenn wir uns ständig ablenken lassen, leidet also die Qualität. Eine digitale Auszeit kann dabei helfen, zu einem effektiveren Zeitmanagement zu finden. 

3. Fokus anders setzen

Ein digitaler Entzug ermöglicht es uns, die Offline-Welt wieder intensiver wahrzunehmen. Mit dem Smartphone in der Hand entgeht uns so einiges – sei es die Landschaft, die im Zug an uns vorbeizieht, oder ein gutes Gespräch unter Freund*innen, dem man irgendwie nur mit halbem Ohr zuhört.

4. Schlafproblemen entgegenwirken

Durch das blaue Licht in LED-Displays wird unser Schlaf-Wach-Rhythmus gestört. Dieser hängt nämlich stark vom Hell-Dunkel-Wechsel ab. Unser Organismus ist so gepolt, dass nachts Melatonin freigesetzt wird, ein Hormon, das uns schläfrig macht. Insbesondere das von LED-Displays ausgestrahlte Licht unterdrückt aber eben diese Ausschüttung von Melatonin, wodurch es zu Schlafstörungen kommen kann.

5. Gesundheitlich bedenklich: Der Handynacken

Beim Blick auf das Handy neigt man den Kopf in der Regel weit nach vorn. Dann wirken Kräfte von über 20 Kilogramm auf Nacken und Rücken. Zum Vergleich: In normaler, aufgerichteter Haltung sind es gerade einmal fünf Kilogramm. Für unsere Muskulatur bedeutet das Schwerstarbeit. Hinzu kommt, dass die Halswirbelsäule vieler Menschen schlecht trainiert ist und die "Handyhaltung" somit eine doppelte Belastung darstellt.

Es gibt noch weitere "Handy-Krankheiten": Wenn man fälschlicherweise den Vibrationsalarm seines Handys wahrnimmt, spricht man zum Beispiel vom Phantom-Vibrations-Syndrom, kurz PVS. Man nimmt also körperlich etwas wahr, was überhaupt nicht stattfinden. Laut einer Studie des Georgia Institute of Technology betrifft dieses Syndrom rund 90 Prozent aller Smartphone-Besitzer.

Tipps: So verbringen Sie weniger Zeit am Handy

Eine digitale Auszeit tut zweifellos gut, ist aber auf lange Sicht womöglich keine Lösung. Immerhin sind digitale Medien aus unserem Alltag kaum wegzudenken. Jedes technische Gerät von nun an zu verteufeln, ist wenig zielführend. Wünschenswert ist deshalb vor allem ein maßvoller, bewusster Umgang mit Smartphone, Laptop und Co.

1. Handyfreie Tage

Es muss nicht direkt der extreme Weg sein. Wie wäre es für den Anfang mit einem handyfreien Tag pro Woche, zum Beispiel sonntags? Auch im Urlaub bietet es sich an, eine kleine "Fastenzeit" einzulegen.

2. Digital-Detox-Apps

Eine Handy-App, die uns helfen soll, weniger oft Apps aufzurufen? Was erst einmal paradox klingen mag, erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Diese Anwendungen führen uns vor Augen, wie viel Zeit wir eigentlich am Smartphone verbringen.

Die deutsche App Offtime etwa blockiert für eine gewisse Zeit störende Programme, aber auch Nachrichten und Anrufe. Der*die User*in kann selbst einstellen, auf welche Anwendungen er*sie zugreifen kann und auf welche nicht.

Eine App namens Forest lockt sogar mit einem doppelt guten Gewissen: Wenn man das Smartphone für eine gewisse Zeit nicht betätigt, wächst ein Baum auf dem Display. Sobald man die App verlässt, um beispielsweise Whatsapp zu öffnen, stirbt die Pflanze. Das Prinzip dahinter: Man sammelt virtuelle Münzen, die am Ende gespendet werden – damit ein echter Baum gepflanzt wird.

3. Slow Media

Die Gründer des Slow Media Instituts vergleichen den bewussten Umgang mit digitalen Medien mit der sogenannten Slow-Food-Bewegung. Sich Zeit lassen und die Mahlzeit genießen und achtsam speisen, anstatt das Essen schnell hinunterzuschlingen – ein solches Verhalten wäre auch im Umgang mit digitalen Geräten erstrebenswert.

Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer spricht sich für einen selbstbestimmten, reflektierten Umgang aus, der es uns ermöglicht, das Smartphone möglichst effektiv zu nutzen. Stellen Sie sich dazu etwa folgende Fragen:

  • Welche Apps bereichern mich wirklich?
  • Welche Apps kosten nur Zeit und bieten keinen Mehrwert für mich?
  • Welche Profile auf Social Media-Kanälen lösen in mir ein gutes, welche ein schlechtes Gefühl aus?

4. Zurück zu den Wurzeln

Das Smartphone muss nicht länger Ihr universaler Alltagsbegleiter sein. Eine Armbanduhr ersetzt den Blick auf das Handy-Display, ein Wecker sorgt dafür, dass Sie auch ohne Smartphone in den Tag starten können. Die Einkaufsliste könnte auf einen Zettel geschrieben und das Whatsapp-Gespräch persönlich geführt werden. 

Wenn wir unser Smartphone abschalten, geschieht das meist mit einem unguten Gefühl. Hinterher merken wir aber: Eigentlich passiert doch gar nichts. Wir sollten unser Handy im Griff haben – und nicht das Handy uns.