Wie gefährlich sind die Corona-Mutationen?
Kaum ist ein Impfstoff da, treten immer neue Varianten des Coronavirus auf. Die britische Virus-Variante B.1.1.7 ist bereits in Deutschland angekommen. Sie soll bis zu 70-mal ansteckender sein als das ursprüngliche Virus. Nun breitet sich in Brasilien eine Form des Virus aus, die zu Wiederinfektionen mit SARS-CoV-2 führen soll. Wie gefährlich die neuen Mutationen wirklich sind und ob die Impfungen weiterhin wirken, lesen Sie hier.

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Wenn Viren sich vermehren – und sie vermehren sich oft – kann es ständig zu zufälligen Veränderungen im Erbgut kommen. Denn wenn sie sich reproduzieren, kopieren sie ihr Erbgut, und dabei können immer Ablese-Fehler passieren. Das können punktförmige Veränderungen im Erbgut sein oder ganze Fragmente, die ausgetauscht werden. Es können Teile gelöscht, hinzugefügt oder ausgetauscht werden. Je nachdem können die daraus resultierenden Veränderungen gravierend sein oder unbemerkt bleiben. Im Fall von B.1.1.7 ist es eine Kombination aus vermutlich 23 verschiedenen Mutationen, die zu der neuen Variante geführt hat.
Manche Veränderungen, die sich aus Mutationen ergeben, setzen sich nicht durch und verschwinden gleich wieder. Andere jedoch sind für das Virus von Vorteil. Dann kann sich diese Virusvariante besonders erfolgreich vermehren.
So ist es im Fall der Coronavirus-Variante B.1.1.7 aus Großbritannien. Denn die Mutationen machen es dem Virus leichter, in eine menschliche Zelle zu gelangen. 17 der Mutationen dieser Virus-Variante betreffen das Spike-Protein an der Oberfläche des Virus. Mit ihm dockt das Virus mit einem Schlüssel-Schloss-Prinzip an die menschlichen Zellen an. Vor allem von der N501Y-Mutation glauben einige Wissenschaftler, dass sie der Grund dafür ist, dass der Schlüssel nun noch besser ins Schloss passt – das Virus ist besser in der Lage, in die Zelle einzudringen und sich dort zu vermehren.
Für den Menschen bedeutet das: Wir tragen mehr Viren in uns und können diese auch leichter weitergeben. Die Coronavirus-Variante B.1.1.7 ist also sehr wahrscheinlich ansteckender. Die Zahlen scheinen dies zu bestätigen, denn die neue Variante verbreitet sich rasant. Experten sind deshalb besorgt, dass diese und weitere Mutationen den Kampf gegen das Virus erschweren.
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Wie sind die neuen Varianten entstanden?
Wie gesagt, Mutationen kommen häufig vor. Dennoch ist die Zahl der Mutationen, die die neuen Varianten aufweisen, ungewöhnlich hoch. Experten haben unterschiedliche Theorien dazu, warum das so ist. Unwahrscheinlich ist, dass plötzlich besonders viele Mutationen auf einmal aufgetreten sind. Wahrscheinlicher ist, dass man die Entwicklung des Virus nicht konsequent verfolgt hat und so die vielen kleinen Mutation übersehen hat, die im Laufe der Zeit passiert sind.
Eine andere Theorie lautet, dass immunschwache Personen mit Covid-19 eine Quelle solcher Mutationen sind. Denn ihr Körper kämpft ungewöhnlich lange mit dem Virus, das sich in dieser Zeit vermehrt und mutiert. Mutationen, die dazu führen, dass das Virus dem Immunsystem leichter entgehen kann, können sich in dieser Zeit vermehrt fortpflanzen. Wenn das Virus am Ende auf eine andere Person übergeht, kann es auch für sie schwieriger sein, dagegen anzukämpfen. Selbst dann, wenn ihr Immunsystem eigentlich gut funktioniert.
Fest steht: Je mehr Menschen infiziert sind und je länger die Pandemie dauert, desto mehr Mutationen können auftreten. Bund und Länder haben am 19. Januar beschlossen, verstärkt genetische Tests zu machen, um neue Varianten frühzeitig zu entdecken und darauf reagieren zu können. Dafür müssen regelmäßig Proben von positiv getesteten Menschen analysiert werden.
Welche Coronavirus-Varianten gibt es?
Rund 12.000 Coronavirus-Varianten gibt es mittlerweile Experten zufolge. Nur wenige sind so gravierend, dass sie für uns eine wesentliche Veränderung darstellen. Derzeit sind drei relevante Varianten des Virus bekannt. Sie sind jedoch noch zu neu, um mit Sicherheit abschätzen zu können, wie gefährlich sie sind.
Die Virus-Variante B.1.1.7 trat erstmals im Dezember 2020 in Großbritannien auf und breitet sich seitdem aus. Sie ist mittlerweile in vielen anderen Ländern nachgewiesen, darunter auch Deutschland. Ob die neue Variante tödlicher ist, lässt sich noch nicht mit Sicherheit sagen. Nachdem man erst davon ausgegangen war, dass schwere Verläufe nicht häufiger vorkommen, ist die englische Gesundheitsbehörde Public Health England auf Basis mehrerer Studien nun zu dem Schluss gekommen, dass der neue Stamm doch mit einem Anstieg der Sterblichkeit einhergeht. Außerdem ist die Variante Studien zufolge um 50 bis 70-mal ansteckender, und Kinder scheinen sich häufiger damit zu infizieren.
Die Virus-Variante 501Y.V2 trat zum ersten Mal in Südafrika auf und ist dort vielerorts bereits die vorherrschende Variante. Auch in Deutschland ist sie mittlerweile angekommen. Entstanden ist sie möglicherweise schon im August 2020. Wie die Variante aus Großbritannien hat auch 501Y.V2 mehrere Mutationen des Erbguts durchgemacht. Darunter auch die N501Y-Mutation, die es dem Virus leichter machen soll, in menschliche Zellen zu gelangen. Darüber hinaus gibt es jedoch weitere Mutationen in dem Virus. Eine davon könnte diese Variante in die Lage versetzen, sich bestehenden Antigenen aus vorangegangenen SARS-CoV-2-Infektion zu entziehen.
Die Virus-Variante P.1 ist erst Mitte Januar im brasilianischen Manaus entdeckt worden. Sie weist neben anderen auch die N501Y-Mutation auf, die die Infektiosität erhöhen soll. Außerdem befürchten Experten, dass sich das Antigen-Profil des Virus bei dieser Variante geändert hat. Anhand von Antigenen erkennt unser Immunsystem einen Körper als "fremd“ und bildet Antikörper dagegen. Menschen, die durch eine frühere Infektion mit SARS-CoV-2 einen Immunschutz haben, wären dann nicht oder nicht mehr so gut vor dieser Variante geschützt. Denn obwohl in Manaus bereits ein Großteil der Bevölkerung infiziert war und somit sehr wahrscheinlich Antikörper besitzt, gibt es dort eine erneute Infektionswelle. Bestätigt ist diese Vermutung allerdings noch nicht. Außerhalb Brasiliens konnte die Variante bislang nur in Japan nachgewiesen werden.
Die Virus-Variante CAL.20C aus Südkalifornien ist bereits im Juli 2020 zume rsten Mal aufgetreten, war dann aber bis Oktober 2020 nicht sichtbar. Seit Mitte Dezember war es zu einer starken Zunahme von Covid-19 in Kalifornien gekommen. Verantwortlich für den unerklärlichen Anstieg soll unter anderem die Variante CAL.29C sein, die sich durch fünf Mutationen vom in den USA vorherrschenden Stamm 20G unterscheidet. Eine Mutation an der Rezeptorbindungsstelle könnte Experten zufolge einen "Immun-Escape" möglich machen. Das bedeutet, dass bestehende Antikörper gegen SARS-CoV-2 und somit auch bestehende Impfstoffe keinen ausreichenden Schutz mehr vor einer Infektion bieten. Die Variante ist bislang in sechs Ländern außerhalb der USA nachgewiesen. In Deutschland ist siebislang noch nicht nachgewiesen.
Behalten die Impfstoffe ihre Wirkung?
Das lässt sich leider noch nicht mit Sicherheit beantworten. Nicht jede Veränderung des Virus führt dazu, dass der Impfstoff auf einmal nicht mehr wirkt. Es ist aber möglich, dass er nicht mehr ganz so gute Erfolge erzielt, wenn sich das Virus stark verändert hat. Es wird jedoch nicht so sein, dass der Impfstoff von heute auf morgen überhaupt nicht wirkt.
Bei der Variante B.1.1.7 aus Großbritannien scheint es so zu sein, dass der Impfstoff ausreicht. Die Varianten aus Südafrika und Brasilien haben dagegen höhere Chancen, sich der Wirksamkeit zu entziehen. Es ist nicht auszuschließen, dass irgendwann eine Variante auftritt, gegen die der Impfstoff nicht mehr hilft.
Die gute Nachricht ist jedoch: Das mRNA-Verfahren macht es möglich, rasch auf neue Entwicklungen zu reagieren und den Impfstoff anzupassen. Dennoch ist dies mit Kosten und Aufwand verbunden. Deshalb wird das erst passieren, wenn genug Daten dazu vorliegen, ob dies wirklich nötig ist.
Lesetipp: Impfstoffe im Überblick
Reichen unsere Maßnahmen für die neuen Coronavirus-Mutationen?
In England sind die Fallzahlen trotz des Lockdowns angestiegen. Wenn die neue Variante ansteckender ist, werden sich noch mehr Menschen infizieren und es dauert länger, bis eine Herdenimmunität erreicht ist. Das Virus hat wiederum noch mehr Möglichkeiten, sich zu verändern und neue Varianten hervorzubringen. Auch vor diesem Hintergrund sind die Maßnahmen in Deutschland erneut verschärft worden.
Zhang., W. et al.: Emergence of a Novel SARS-CoV-2 Variant in Southern California. Online-Informationen des Journal of the American Medical Association: www.jamanetwork.com (11.2.2021)
SARS-CoV-2: Variante B.1.1.7 erhöht doch die Sterblichkeit. Online-Informationen des Deutschen Ärzteblatts: www.aerzteblatt.de (Stand: 25.1.2021)
SARS-CoV-2: Neue brasilianische Variante könnte erneuten Anstieg der Erkrankungen in Manaus erklären. Online-Informationen des Deutschen Ärzteblatts: www.aerzteblatt.de (Stand: 18.1.2021)
Emerging SARS-CoV-2 Variants. Online-Informationen des Centers for Disease Control and Prevention: www.cdc.gov (Stand: 15.1.2021)
Coronavirusupdate Folge 70: Die Mutanten im Blick behalten. Online-Information des NDR: www.ndr.de (Stand: 6.1.2021)
Greaney, A.J., et al.: Comprehensive mapping of mutations to the SARS-CoV-2 receptor-binding domain that affect recognition by polyclonal human serum antibodies. Online-Veröffentlichung auf Biorxiv, Preprint service for biology: www.biorxiv.org (4.1.2021)
Tegally, H., et al.: Emergence and rapid spread of a new severe acute respiratory syndrome-related coronavirus 2 (SARS-CoV-2) lineage with multiple spike mutations in South Africa. Online-Veröffentlichung auf Medrxiv, Preprint service for the medicine and health sciences: www.medrxiv.org. (Stand: 22.12.2020)
Letzte inhaltliche Prüfung: 16.02.2021Letzte Änderung: 16.02.2021