Coronavirus: Maskenpflicht in Schulen sinnvoll?
Acht Stunden lang bei großer Hitze konzentriert dem Unterricht zu folgen ist ohnehin schon eine Herausforderung. Dabei die ganze Zeit über auch noch eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, macht die Situation extrem anstrengend für Schüler und Lehrer. Ist die Pflicht zur Maske zumutbar? Oder wäre es besser gewesen, die Schulen nur eingeschränkt zu öffnen und stattdessen vermehrt auf digitalen Unterricht zu setzen? Das sagen Lehrer, Schüler, Ärzte und Politiker.

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Die Sommerferien sind kaum rum, schon haben die ersten Schulen wegen aufgetretener Coronainfektionen wieder geschlossen. Trotz steigender Infektionszahlen geht der Unterricht im ganzen Land regulär weiter. Eine Herausforderung: Nehmen alle Schüler am Unterricht teil, ist es praktisch nicht möglich, die Abstandregeln einzuhalten.
Wie lässt sich unter diesen Umständen das Risiko minimieren, dass sich Schüler und Lehrer gegenseitig mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren und die Schulen zu Brutstätten des Virus werden?
Die Nationalakademie Leopoldina weist in ihrem Gutachten auf die Gefahren hin, die in Bildungseinrichtungen durch das Coronavirus drohen. Kinder und Jugendliche könnten sich genauso infizieren und das Virus weitergeben wie Erwachsene, wenngleich jüngere Kinder davon vermutlich weniger betroffen wären als ältere Kinder und Jugendliche.
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An der Stellungnahme mitgearbeitet haben der Virologe Christian Drosten von der Charité Berlin und Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts. Ihre Empfehlung lautet: Wenn die Abstandsregel nicht eingehalten werden kann, sollten Masken in Schulen getragen werden – in weiterführenden Schulen auch während des Unterrichts.
Obwohl auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek zur Maskenpflicht im Unterricht rät, gilt diese bislang nur in Nordrhein-Westfalen. Denn um das gemeinsame Ziel zu erreichen, Neuinfektionen und Schulschließungen zu vermeiden, gehen die Bundesländer unterschiedliche Wege.
So gehen die Bundesländer vor
Nur Nordrhein-Westfalen fährt also eine besonders strenge Linie und verpflichtet Schüler ab der 5. Klasse und Lehrer zum Tragen einer Maske auch während der gesamten Unterrichtszeit. Doch andere Bundesländer könnten nachziehen.
In Berlin ist derzeit wie in den meisten anderen Bundesländern das Tragen der Maske nur auf Fluren und in Begegnungsräumen Pflicht, nicht jedoch im Unterricht und auf dem Schulhof.
Auch in Bayern und Hamburg gilt die Maskenpflicht an allen Schulen – allerdings muss der Mund-Nasen-Schutz nur bis zum Platz im Klassenzimmer getragen werden.
Im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Hessen gibt es zunächst keine Maskenpflicht und auch in Sachsen überlässt es die Landesregierung den Schulen, ob und wann Schüler und Lehrer eine Maske tragen müssen.
Andere Hygienemaßnahmen an Deutschlands Schulen sind zum Beispiel:
- Die Klassenräume müssen regelmäßig gelüftet werden.
- Es dürfen nicht alle Klassen gleichzeitig den Pausenhof nutzen.
- Die Klassen betreten Schulhof und/oder Schule durch verschiedene Eingänge.
Das sagt ein Lehrer
Mario Leukel ist Lehrer an einer Gesamtschule in Leverkusen. "In meiner Klasse sind 30 Schüler in einem 60 Quadratmeter großen Klassenraum", sagt er. "Da möchte ich schon gerne, dass sie eine Maske tragen", sagt er.
Er selbst dürfte die Maske ablegen, wenn er den Mindestabstand zu den Schülern wahrt. Von diesem Recht möchte er aber keinen Gebrauch machen – schon aus Gründen der Solidarität.
Allerdings werde es schwierig, die Lehrpläne unter diesen Umständen umzusetzen: "Die Schüler sind natürlich nicht so aufnahmefähig, wenn sie bei Hitze die ganze Zeit über eine Maske tragen müssen", sagt Leukel.
Und auch für ihn werde es anstrengender: "Ich muss die ganze Zeit über Fenster und Türen geöffnet lassen, was den Lärmpegel noch einmal erhöht. Und durch die Maske muss ich ja ohnehin schon lauter reden als sonst." Dazu komme, dass er nun mehr Frontalunterricht machen müsse. Dass die Kinder sich wie sonst üblich eng untereinander austauschen, ist derzeit nicht möglich.
In den Klassenräumen bei regulärem Unterricht mit allen Schülern ausreichend Abstand zu wahren, sei praktisch nicht möglich. "Es ist, als wäre Corona nicht mehr da", sagt der Gesamtschullehrer. "Wir ziehen nur eine Maske auf."
Weiter Distanzunterricht zu machen wie vor den Ferien hält er dennoch für keine gute Alternative: "Kinder nur digital zu unterrichten, ist keine Lösung", ist er sicher. Auf diese Weise sei nicht gewährleistet, dass auch alle Schüler wirklich lernen. Es sei wichtig, dass ein Lehrer präsent sei, um sie beim Lernen bestmöglich zu unterstützen. Beim Distanzlernen bestehe die Gefahr, dass nicht privilegierte Kinder weiter benachteiligt würden.
"Uns Lehrern bleibt nur, die Hygieneregeln umzusetzen und die Schüler immer wieder dafür zu sensibilisieren, dass sie damit einen wichtigen Beitrag für unsere Gemeinschaft leisten. Und zu hoffen, dass bald ein Impfstoff gefunden ist."
Die Schüler nähmen die Maßnahmen durchaus ernst – zumindest, solange sie unter Aufsicht sind. "Sobald sie aus der Beaufsichtigung raus sind, hält sich ein Teil nicht mehr an die Regeln", sagt Leukel.
Stimmen gegen eine Maskenpflicht
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sprach sich gegen einen Mund-Nasen-Schutz im Unterricht aus. "Ein längeres Maskentragen beeinträchtigt bei Schülern die Leistungsfähigkeit", stellt BVKJ-Präsident Thomas Fischbach klar.
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Auch die Lehrergewerkschaft GEW lehnt eine durchgängige Maskenpflicht im Unterricht aus pädagogischen und praktischen Gründen ab. Ohnehin hält sie den Regelbetrieb in den Schulen für illusorisch. Stattdessen hätte auf ausreichend Abstand gesetzt werden müssen, wie er auch außerhalb der Schulen gefordert wird, kritisiert Maike Finnern, die GEW-Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen. In den Schulen würden diese Regeln jedoch bundesweit zum Schulstart ausgesetzt.
Sie fordert, dass der Unterricht eingestellt werden müsse, wenn der Abstand nicht eingehalten werden könne. Dafür hätte es jedoch Vorbereitung gebraucht. Finnern kritisiert zum Beispiel, dass zu wenig digitale Medien zur Verfügung stehen, um eine Alternative zum Präsenzunterricht zu haben.
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien nannte eine Maskenpflicht „nicht verhältnismäßig“ und „nicht verfassungskonform“. Das Bundesland empfiehlt die Maske für Schüler ab der 7. Klasse, verzichtet aber auf eine generelle Pflicht.
Auch Hamburgs Schulsenator Ties Rabe ist der Meinung, dass eine Maske im Unterricht mehr störe als nütze, „weil man im Unterricht natürlich miteinander reden muss“. Kommunikation sei aber nur möglich, wenn man auch die Mimik seines Gegenübers wahrnehmen könne.
Stimmen für eine Maskenpflicht
NRWs Ministerpräsident Armin Laschet verteidigt dagegen sein Vorgehen. "Es ist nicht erträglich, wenn Kinder weiter nicht in der Schule sind", sagte er. Vor allem zu Schulbeginn seien die Vorsichtsmaßnahmen wegen der vielen Reiserückkehrer wichtig. Die Maskenpflicht in NRW gilt zunächst bis zum 31. August. Bei Verstößen gegen die Maskenpflicht soll sogar ein Schulverweis drohen.
Die Landesschüler*innenvertretung NRW pflichtet dem Ministerpräsidenten bei: „Die Konzentrationsschwierigkeiten, die Kosten und auch die Kommunikationsprobleme, die mit einer Maskenpflicht im Unterricht einhergehen, sind bekannt. Eine Maskenpflicht, so anstrengend das Tragen einer Maske für alle Beteiligten auch ist, ist aktuell leider dennoch unabdingbar, um nachhaltigen Unterricht zu sichern“, heißt es in einer Stellungnahme.
Die Schüler fordern allerdings, dass die Maskenpflicht auch für Lehrkräfte gilt. Außerdem solle es zum Beispiel mehr Pausen ohne Maske geben und kreative Unterrichtslösungen wie Unterricht im Freien. Da ein Schüler während eines Unterrichtstages mehrere Masken verbrauchen würde, fordern die Schüler, dass das Schulministerium die Alltagsmasken bereitstellt und die Kosten nicht auf die Familien abwälzt.
Fazit
Ob Maskenpflicht oder nicht – alle Regeln bringen nur dann wirklich etwas, wenn die Schüler sich auch nach Schulende an die Regeln halten und sich nicht an der Bushaltestelle um den Hals fallen. Besonders für jüngere Schüler scheint die Gefahr durch Covid-19 nicht greifbar und die Maßnahmen sind damit vermutlich nicht für alle Kinder und Jugendliche nachvollziehbar. Das zu kontrollieren dürfte allerdings sehr schwer werden. Dennoch müssen Schulen natürlich der Pflicht nachkommen, das Infektionsrisiko zu minimieren.
Einen Hoffnungsschimmer für alle Schüler, die den gesamten Schulalltag mit Mund- und Nasenbedeckung verbringen müssen, gibt es: Der Städtetag Nordrhein-Westfalen unterstützt zwar grundsätzlich die Maskenpflicht zum Schuljahresbeginn, fordert aber großzügigere Hitzefrei-Entscheidungen an heißen Sommertagen.
Online-Informationen des Bildungsmagazin News4teachers: www.news4teachers.de (Abrufdatum 10.8.2020)
Stellungnahme zur Maskenpflicht an Schule. Online-Information der Landesschüler*innenvertretung NRW: www.lsvnrw.de. (6.8.2020)
Coronavirus-Pandemie: Für ein krisenresistentes Bildungssystem. Stellungnahme der Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften. (5.8.2020)
Simon, A. et al.: Maßnahmen zur Aufrechterhaltung eines Regelbetriebs und zur Prävention von SARS-CoV-2-Ausbrüchen in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung oder Schulen unter Bedingungen der Pandemie und Kozirkulation weiterer Erreger von Atemwegserkrankungen. Online-Information der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin. (4.8.2020)
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Letzte inhaltliche Prüfung: 10.08.2020Letzte Änderung: 11.08.2020