Kinder & Jugendliche: Fast jeder Fünfte psychisch krank
Depressionen, Angsterkrankungen, aggressives Verhalten: Fast 20 von 100 Kindern und Jugendlichen entwickeln innerhalb eines Jahres eine psychische Erkrankung. Das berichtet die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). Fatal: In vielen Fällen bleibt die nötige Behandlung aus.

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Mit Freunden Spaß haben, (mehr oder weniger) gerne zur Schule gehen, neue Hobbies entdecken: All dies gehört für die meisten von uns zu einer unbeschwerten Kindheit dazu.
Die Realität sieht bei vielen Kindern anders aus, wie die Bundespsychotherapeutenkammer in einem am 2. Oktober 2020 veröffentlichen Faktenblatt schildert. Demnach wird ein Großteil der psychischen Erkrankungen bei jungen Menschen gar nicht erkannt – und somit auch nicht behandelt.
"Obwohl jedes fünfte Kind und jede fünfte Jugendliche innerhalb eines Jahres psychisch erkranken, ist nur jeder 20. unter 18-Jährige in einer psychotherapeutischen Praxis in Behandlung." berichtet Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. "Dieses Missverhältnis ist für ihre Zukunft gravierend, da nicht behandelte Ängste und Depressionen im Kindes- und Jugendalter deutlich das Risiko erhöhen, im Erwachsenenalter erneut psychisch zu erkranken.“
Nicht selten bleibt es nicht bei einer einzelnen psychischen Erkrankung: Meist leiden die Kinder und Jugendlichen unter mehreren Störungen gleichzeitig. Zum Beispiel geht eine Depression häufig mit einer Angsterkrankung einher.
Diese psychischen Erkrankungen sind besonders häufig
Bei Kleinkindern (bis zum 4. Lebensjahr) stehen vor allem Entwicklungsstörungen im Vordergrund. Zum Beispiel ist ihre Sprachentwicklung im Vergleich zu den Altersgenossen deutlich verzögert. Oder sie haben eine motorische Störung: Dann lernen sie zum Beispiel erst spät laufen oder sind in ihren Bewegungen sehr ungeschickt und unsicher.
Zu häufigen psychischen Erkrankungen bei älteren Kindern und Jugendlichen zählen:
- Angsterkrankungen: Dazu gehören die soziale Phobie, die Agoraphobie (Angst vor öffentlichen Situationen, aus denen man vermeintlich nicht flüchten kann, z.B. im Supermarkt), die Panikstörung, generalisierte Ängste und spezifische Phobien (z.B. Angst vor Spinnen).
- Depressionen: Hauptsymptome einer Depression sind Interessenverlust, Freudlosigkeit, Antriebslosigkeit und eine dauerhaft gedrückte Stimmung. Bei Kindern und Jugendlichen zeigt sich eine Depression allerdings oft anders als bei Erwachsenen. So können z. B. körperliche Symptome wie Magenschmerzen oder Übelkeit im Vordergrund stehen, sodass die Depression erst spät erkannt wird.
- hyperkinetische Störungen: Diese zeichnen sich durch Überaktivität, impulsives Verhalten und Aufmerksamkeitsprobleme auf. Ein typisches Beispiel ist die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS).
In der Pubertät sind zudem dissoziale Verhaltensweisen keine Seltenheit, zum Beispiel in Form von besonders aggressivem oder aufsässigem Verhalten – ebenso wie übermäßiger Konsum von Alkohol und anderen Drogen
Pubertät: Jungen eher aggressiv, Mädchen eher depressiv
Ab dem Alter von 15 Jahren leiden viele junge Menschen an Depressionen. Insbesondere Mädchen zeigen typische depressive Symptome wie zum Beispiel Antriebslosigkeit oder eine gedrückte Stimmung. Bei Jungen überwiegen eher aggressive oder ablehnende Verhaltensweisen: Sie schwänzen zum Beispiel die Schule oder laufen weg.
Jungen entwickeln in der Pubertät zudem häufiger eine Suchterkrankung als Mädchen. Weibliche Jugendliche haben dagegen eher mit Essstörungen oder psychosomatischen Erkrankungen zu kämpfen.
Psychische Erkrankungen: Welche Kinder sind besonders gefährdet?
Grundsätzlich kann jedes Kind psychisch krank werden. Es gibt jedoch – neben einer genetischen Veranlagung – einige Risikofaktoren, die die Wahrscheinlichkeit für Depressionen, Ängste & Co. erhöhen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der sozioökonomische Status der Familie. Kinder von Eltern mit niedrigem bis mittlerem Bildungsniveau oder niedrigem Einkommen werden eher psychisch krank als Kinder, die aus einer Akademikerfamilie stammen. Sie sind eher Konflikten innerhalb der Familie ausgesetzt und erfahren weniger emotionale Unterstützung als ihre Altersgenossen.
Weitere Risikofaktoren sind unter anderem:
- eine schwere körperliche oder psychische Erkrankung eines oder beider Elternteile
- eigene chronische körperliche Erkrankungen, z. B. starkes Übergewicht
- traumatische Erlebnisse, z. B. Scheidung der Eltern, Tod eines Elternteils, Alkoholismus in der Familie
"Mein Kind könnte psychisch krank sein: Was tun?"
Plötzliche Stimmungsschwankungen, scheinbar grundlose Traurigkeit, Aufsässigkeit: Solche Phasen gehören in einem gewissen Rahmen zur Pubertät einfach dazu. Entsprechend ist es für Eltern und andere nahestehende Personen oft nicht leicht zu beurteilen, ob ein Kind psychotherapeutische Hilfe braucht. Möglicherweise kann ein offenes Gespräch mit dem Kind (oder ggf. auch mit Lehrern und anderen Bezugspersonen) schon Aufschluss darüber geben, wie groß das Problem wirklich ist.
Fest steht aber: Je früher eine psychische Auffälligkeit behandelt wird, desto besser. Daher sollten sich Eltern im Zweifel nicht scheuen, professionelle Hilfe zu holen. Erster Ansprechpartner kann der Kinder- oder Hausarzt, ein Mitarbeiter einer psychologischen Beratungsstelle, der Schulpsychologe, aber auch direkt ein Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche sein.
Achtung: Äußerungen über Suizidgedanken sind Alarmzeichen und sollten immer Anlass sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen!
Lesetipp: Depressionen bei Kindern und Jugendlichen erkennen
Psychische Symptome wie Hyperaktivität oder Antriebslosigkeit können auch körperliche Ursachen haben. So kann zum Beispiel eine Schilddrüsenüberfunktion mit Symptomen wie innerer Unruhe, Schlafstörungen oder Herzrasen einhergehen. Vor einer eventuellen Therapie ist daher eine gründliche körperliche Untersuchung unerlässlich.
Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen (PDF). Faktenblatt der Bundespsychotherapeutenkammer. Online-Publikation: www.bptk.de (Abrufdatum: 5.10.2020)
Pressemitteilung der Bundespsychotherapeutenkammer: Fast 20 Prozent erkranken an einer psychischen Störung. BPtK-Faktenblatt „Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen“ (2. Oktober 2020)
Depression im Kindes- und Jugendalter. Online-Informationen des Deutschen Bündnisses gegen Depression e.V.: www.buendnis-depression.de (Abrufdatum: 2.10.2020)
Steffen, A., et al.: Diagnoseprävalenz psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland: Eine Analyse bundesweiter vertragsärztlicher Abrechnungsdaten der Jahre 2009 bis 2017. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung Deutschlands, Nr. 18/07 (2019)
Depressionen: Symptome bei Kindern sind anders als bei Erwachsenen. Online-Informationen der Berufsverbände und Fachgesellschaften für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org (Stand: 18.6.2013)