Orale Antidiabetika

Von: Andrea Lubliner (Pharmazeutin und Fachtexterin für medizinische Fachtexte)
Letzte Aktualisierung: 18.06.2019

auch bezeichnet als:
Antidiabetika, orale; Diabetesmittel, orale

Wirkstoffe

Folgende Wirkstoffe sind der Wirkstoffgruppe "orale Antidiabetika" zugeordnet

Anwendungsgebiete dieser Wirkstoffgruppe

Zu den oralen Antidiabetika werden alle Wirkstoffe gegen Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) gerechnet, die nicht wie die Insuline gespritzt, sondern eingenommen werden können.

Zucker ist einer der wichtigen Energielieferanten für den Körper. Er stammt aus der Nahrung, wird aber auch von der Leber selbst hergestellt. Das Blut transportiert den Zucker und verteilt ihn im ganzen Körper. Allerdings steht der Zucker dem Körper als Energiequelle erst durch das Zusammenspiel mit dem Bauchspeicheldrüsen-Hormon Insulin zur Verfügung. Insulin beeinflusst dabei vor allem den Zuckerstoffwechsel von Fettgewebe, Muskulatur und Leber, indem es an spezielle Rezeptoren der entsprechenden Zellen bindet. Diese Bindung veranlasst Fett- und Muskelzellen dazu, Zucker aus der Blutbahn aufzunehmen, ihn zum Fettaufbau zu verwenden beziehungsweise als Energiequelle für die Bewegung zu nutzen. In der Leber, aber auch den Muskeln, fördert Insulin durch den Rezeptor-Kontakt den Aufbau des Speicherzuckers Glykogen. Benötigt der Körper die darin gespeicherte Energie, kann das Glykogen kurzfristig wieder zu Zucker abgebaut werden, der den Zellen dann zur Verfügung steht.

Bei gesunden Menschen produziert die Bauchspeicheldrüse das Hormon Insulin in ausreichender Menge. Hergestellt und gespeichert wird es in den Betazellen der so genannten Langerhans'schen Inseln (daher der Name Insulin). Steigende Blutzuckerspiegel verursachen die Freisetzung der gespeicherten Insulinmoleküle in das Blut. Mit diesem gelangt das Insulin dann an den Ort seiner Wirkung.

Bei Zuckerkranken (Diabetikern) ist dieses Zusammenspiel durcheinander geraten:
  • Bei Diabetes mellitus vom Typ 1 funktioniert die Insulinproduktion in den Langerhans´schen Inselzellen der Bauchspeicheldrüse nicht mehr. Sie wurden allmählich durch einen Angriff des körpereigenen Immunsystems zerstört. So steht nicht mehr genügend Insulin für die Zuckeraufnahme aus dem Blut zur Verfügung.
  • Bei Diabetes mellitus vom Typ 2 haben sich die Langerhans´schen Inseln durch eine jahrelange Fehlernährung erschöpft. Zusätzlich funktioniert allerdings auch das Insulin-Signal an die Körperzellen nicht mehr. Entweder fehlt ein Großteil der entsprechenden Rezeptoren an den Zellen oder sie reagieren weniger empfindlich. Dann spricht der Arzt von einer Insulinresistenz. Auch wenn die Bauchspeicheldrüse etwas Insulin produziert, wird dennoch in einem solchen Fall nicht mehr genügend Zucker in die Zellen aufgenommen.
Der Blutzuckerspiegel bleibt bei Zuckerkranken nach der Nahrungsaufnahme dauerhaft erhöht. Das aber führt zu Schäden an den Nerven, Blutgefäßen und Durchblutungsstörungen. Diese können Erblindung, Amputationen, Herzinfarkt und Schlaganfall zur Folge haben.

Alle Wirkstoffe der oralen Antidiabetika kommen bei Diabetes mellitus vom Typ 2 zum Einsatz, wenn Ernährungsumstellung und vermehrte körperliche Aktivität keine Besserung herbeiführen konnten. Die Wirkung der oralen Antidiabetika beruht größtenteils auf der Förderung einer noch vorhandenen körpereigenen Insulin-Produktion oder der Verbesserung der Wirkung des körpereigenen Insulins. Daher sind sie für eine Anwendung bei Diabetes mellitus vom Typ 1 nicht geeignet.

Zu der Wirkstoffgruppe gehören:
  • die Alpha-Glukosidasehemmer mit den Wirkstoffen Acarbose und Miglitol
  • die Biguanide, von denen heute nur noch das Metformin in breitem Einsatz ist.
  • die so genannten insulinotropen Antidiabetika, zu denen die große Gruppe der Sulfonylharnstoffe und Abkömmlinge und die Gruppe der Glinide mit den Wirkstoffen Repaglinid und Nateglinid zählt.
  • die Insulinsensitizer oder Glitazone wie Pioglitazon und Rosiglitazon
  • die Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren wie beispielsweise Linagliptin, Saxagliptin, Sitagliptin und Vildagliptin
  • die SGLT2-Hemmer wie Empagliflozin, die die Rückgewinnung von Glukose aus dem Urin blockieren und so die Zuckerausscheidung fördern.

Wirkung

Die oralen Antidiabetika greifen an unterschiedlichen Stellen in den Zuckerstoffwechsel ein:
  • Alpha-Glukosidasehemmer:
    Wichtige Bestandteile der Nahrung sind aus Verbindungen vieler Zuckermoleküle aufgebaut. Solche so genannten Mehrfachzucker und Stärkemoleküle werden bei der Verdauung im Dünndarm durch das Enzym Glukosidase in ihre einfachen Zuckermoleküle gespalten. Diese können dann leicht in das Blut aufgenommen und im Körper verteilt werden. Die Blockade des Enzyms durch Arzneistoffe wie die Alpha-Glukosidasehemmer behindert die Aufnahme von Zuckermolekülen in den Körper. Dadurch lassen sich die für den Diabetes mellitus vom Typ 2 charakteristischen und gefährlichen hohen Blutzuckerwerte kurz nach den Mahlzeiten vermeiden. Da die durchschnittlichen Blutzuckerwerte sowie die Menge spezieller Blutfette (Triglyceride) etwas abgesenkt werden, kommt es insgesamt zu einer Verbesserung der Stoffwechsellage. Auch bei Insulin-Verwendern können Alpha-Glukosidasehemmer die Therapie unterstützen.
  • Biguanide:
    Diese Wirkstoffe verringern in der Leber einerseits die Zuckerproduktion selbst, hemmen aber auch die Freisetzung von Zucker aus seiner Speicherform. Im Körpergewebe verbessern sie die Energiegewinnung aus dem Zucker. Dadurch sinken die Blutzuckerwerte und gleichzeitig haben die Körperzellen mehr Energie zur Verfügung. Da diese Wirkungen jedoch von einer noch erhaltenen Restproduktion von Insulin abhängig sind, können Biguanide ausschließlich bei Diabetes mellitus vom Typ 2 verwendet werden.
  • Insulinotrope Antidiabetika:
    Die Wirkung der zu dieser Gruppe gehörigen Sulfonylharnstoffe wie auch von Repaglinid und Nateglinid ist ebenfalls von einer gewissen restlichen Insulinbildung in der Bauchspeicheldrüse abhängig. Sulfonylharnstoffe erregen die Betazellen der Langerhans´schen-Inseln in der Bauchspeicheldrüse und fördern dadurch indirekt die Freisetzung von Insulin. Sie verschließen dazu die Kalium-Kanäle der Betazellen. Dadurch öffnen sich die Kalzium-Kanäle und Kalzium fließt in die Betazellen hinein. Das Kalzium wiederum löst dann die Insulinabgabe in das Blut aus. Übrigens wird bei gesunden Menschen genau über diesen Mechanismus die Insulinausschüttung hervorgerufen. Allerdings öffnet bei Gesunden der Blutzucker selbst die Kalzium-Kanäle.
  • Glitazone:
    Diese Stoffe haben keinen Einfluss auf die Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse. Der Wirkmechanismus sieht anders aus: Nachdem die Glitazone in die Körperzellen gelangt sind, aktivieren sie am Zellkern den so genannten PPAR-Gamma-Rezeptor (peroxisomal proliferator activated gamma receptor). Dieser Rezeptor spielt eine zentrale Rolle in der Steuerung des Zucker-, aber auch des Fettstoffwechsels. Seine Aktivierung bewirkt eine vermehrte Bildung von Eiweißstoffen, die den Zuckertransport in die Zellen fördern. Damit wirken Glitazone der Rezeptor-Unempfindlichkeit (Insulinresistenz) entgegen. In der Leber wird durch die Glitazone zudem der Zuckeraufbau vermindert und der Zuckerabbau gefördert, das Fettgewebe nimmt durch die Einwirkung der Glitazone vermehrt freie Fettsäuren in die Zellen auf. Dadurch sinkt als zusätzlicher Effekt dieser Wirkstoffgruppe auch der Blutfettspiegel, was bei Diabetikern sehr erwünscht ist.
  • Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren:
    Der Blutzuckerspiegel (Blutglukosekonzentration) wird durch einen Regelkreis gesteuert, in welchem so genannte Inkretinhormone eine große Rolle spielen. Inkretinhormone werden vom Darm über den Tag hinweg in die Blutbahn freigesetzt und ihre Konzentrationen steigen als Reaktion auf eine Mahlzeit an. Ist die Blutzuckerkonzentration normal oder erhöht, fördern die Inkretinhormone die Produktion und Freisetzung von Insulin aus den Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Mehr Insulin aber fördert die Glukoseaufnahme in das Gewebe. Gleichzeitig drosseln die Inkretine die Glukose-Produktion der Leber. Alle Effekte zusammengenommen lassen den Blutzuckerspiegel absinken. Diese Wirkungen der Inkretinhormone sind glukoseabhängig, so dass es bei niedrigen Blutzuckerspiegeln weder zu einer Freisetzung von Insulin noch zu einer verminderten Glukoseproduktion der Leber kommt. Deshalb können Inkretinhormone keine Unterzuckerungen auslösen.
    Die Aktivität der Inkretinhormone wird durch das Enzym Dipeptidyl-Peptidase begrenzt. Es baut die Inkretine rasch zu inaktiven Produkten ab. Hemmstoffe für dieses Enzym wie die Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren Linagliptin, Saxagliptin, Sitagliptin oder Vildagliptin verhindern den Abbau der Inkretine. So steigt die Konzentration der aktiven Inkretinhormone, was jeweils glukoseabhängig die Freisetzung von Insulin fördert und den Blutzuckerspiegel senkt.
  • SGLT2-Hemmer:
    Bei Patienten mit Diabetes mellitus vom Typ 2 und einem Blutzuckerüberschuss wird eine größere Menge Glukose mit dem Urin ausgeschieden und durch die Niere wieder aufgenommen. Das Transportsystem dafür ist das SGLT2-Eiweiß. Seine Aktivität kann durch Hemmstoffe wie Empagliflozin blockiert werden. Die Hemmung von SGLT2 fördert die Glucose-Ausscheidung im Urin. Darüber hinaus erhöht der Beginn einer Therapie mit Empagliflozin die Ausscheidung von Natrium und damit von Wasser, was die Blutmenge verringert und den Blutdruck senkt.