Fingolimod

Von: Andrea Lubliner (Pharmazeutin und Fachtexterin für medizinische Fachtexte)
Letzte Aktualisierung: 07.09.2019

Allgemeines

Der Wirkstoff Fingolimod wird bei Multipler Sklerose eingesetzt. Er vermindert bei der schubförmig verlaufenden Form dieser Erkrankung die Häufigkeit der Schübe und verzögert damit das Fortschreiten der Behinderung.

Welchen Zwecken dient dieser Wirkstoff?

  • Entzündungen von Nervenzellen verhindern
  • Ausschüttung von Lymphzellen aus Lymphknoten hemmen
  • Nervenschädigung verhindern

Gegenanzeigen

Im Folgenden erhalten Sie Informationen über Gegenanzeigen bei der Anwendung von Fingolimod im Allgemeinen, bei Schwangerschaft & Stillzeit sowie bei Kindern. Bitte beachten Sie, dass die Gegenanzeigen je nach Arzneiform eines Medikaments (beispielsweise Tablette, Spritze, Salbe) unterschiedlich sein können.

Wann darf Fingolimod nicht verwendet werden?

Fingolimod darf keine Anwendung finden bei
  • Patienten mit schweren Herzrhythmusstörungen, die einer Behandlung mit Antiarrhythmika der Klasse Ia und III bedürfen
  • Herzinfarkt
  • Angina pectoris
  • Schlaganfall
  • Herzmuskelschwäche, die Beschwerden verursacht oder in der Schwere der NYHA-Klasse II/IV zuzurechnen ist
  • Patienten mit einem schweren AV-Block, die keinen Herzschrittmacher tragen
  • Patienten mit einer QT-Verlängerung von über 500 Millisekunden
  • mittlerer und schwerer Leberfunktionsstörung/Leberzirrhose (entsprechend Child Pugh-Klasse B und C)
  • AIDS
  • bestehenden aktiven Krebserkrankungen (einschließlich dem Hautkrebs Basaliom)
  • einer akuten oder chronischen Leberentzündung aufgrund einer Infektion mit Hepatitis-B-Viren
  • schwerer aktiver Infektion; der Behandlungsbeginn muss verschoben werden, bis diese abgeklungen ist
  • Wasseransammlung in der Netzhaut am Punkt des schärfsten Sehens (Makulaödem).
Aufgrund der Auswirkungen von Fingolimod auf die körpereigene Abwehr sowie die Augen- und Herzfunktion muss der Arzt folgende Vorsichtsmaßnahmen beachten:
  • Patienten mit akuten oder chronischen Infektionen sollten möglichst nicht mit dem Wirkstoff behandelt werden. Bei Patienten, die während der Therapie Anzeichen einer Infektion (besonders gefährlich sind Herpes-Viren) zeigen, muss die Fingolimod-Therapie unterbrochen werden. Sie sind vom Arzt unverzüglich zu untersuchen und entsprechend zu behandeln. Weil Fingolimod nach Therapieende noch bis zu zwei Monate im Körper verbleibt, muss die ärztliche Überwachung hinsichtlich einer Infektion während dieses Zeitraums fortgeführt werden.
  • Die Impfung mit abgeschwächten Lebendimpfstoffen kann aufgrund des unterdrückten Immunsystems gefährlich sein
  • Erkrankungen am Herzen oder im Gehirn wie verlangsamter Herzschlag, Erkrankung der Herzkranzgefäße (KHK), Herzmuskelschwäche, Zustand nach einem Herzinfarkt, Herzstillstand oder Schlaganfall, unkontrollierter Bluthochdruck, ausgeprägter Atemstillstand im Schlaf (Schlafapnoe), bestimmte Herzrhythmusstörungen, häufigere Ohnmachten. Bei diesen Patienten sollte ein Herzspezialist zugezogen werden und es sollte eine Überwachung der Herz-Kreislauffunktion mindestens über Nacht erfolgen.
  • Behandlung mit Medikamenten, die den Puls verlangsamen wie Antiarrhythmika der Klasse Ia (zum Beispiel Chinidin, Disopyramid) oder Klasse III (zum Beispiel Amiodaron, Sotalol), Blutdrucksenker wie Betablocker oder Calciumkanalblocker (zum Beispiel Verapamil, Diltiazem) oder andere Wirkstoffe, die die Herzfrequenz verlangsamen können (zum Beispiel die HerzglykosideDigoxin und Digitoxin, Ivabradin (zur Behandlung der Herzkranzgefäße), Cholinesterase-Hemmstoffe (gegen Parkinson-Krankheit) oder Pilocarpin (gegen Grünen Star). Hier sollte ein Herzspezialist möglichst einen Wirkstoff verschreiben, der den Herzschlag nicht verlangsamt und es sollte mindestens über Nacht die Herz-Kreislauffunktion überwacht werden.
  • Bei krankhaft veränderten Leberwerten (Transaminasen-Erhöhung) muss die Leberfunktion regelmäßig vom Arzt kontrolliert werden. Übersteigen die gemessenen Werte die Norm um mehr als das Fünffache, ist die Therapie abzubrechen.
  • Neigen Patienten zur Entwicklung von Hautkrebs, muss vor der Therapie mit Fingolimod und regelmäßig währenddessen eine Untersuchung durch den Hautarzt erfolgen.
Hinweis:
Eine verlängerte Überwachung der Herz-Kreislauffunktion ist dann nötig, falls der niedrigste Pulswert erst am Ende einer sechsstündigen Überwachung erreicht sein sollte. In diesem Fall ist die Überwachung um mindestens zwei Stunden zu verlängern. Eine Verlängerung der Überwachung über Nacht wird empfohlen bei: neu aufgetretenem AV-Block dritten Grades, einem Puls von unter 45 Schläge pro Minute, bestimmten EKG-Werten (korrigiertes QT-Intervall (QTc) von größer gleich 500 Millisekunden), weiterbestehendem, neu aufgetretenem AV-Block zweiten Grades, Typ Mobitz 1 (Wenckebach) oder höhergradigem AV-Block.

Um die Gehirnerkrankung Progressive Leukenzephalopathie gleich erkennen zu können, wird der Arzt vor Beginn der Behandlung ein MRT (Magnetresonanz-Tomografie) des Schädels anfertigen. Gibt es Anzeichen für diese Nebenwirkung, muss sie sofort durch ein zweites MRT untersucht werden.

Was müssen Sie bei Schwangerschaft und Stillzeit beachten?

Fingolimod darf in der Schwangerschaft nicht angewendet werden. In Tierexperimenten zeigten sich dadurch Schäden an den Ungeborenen. Außerdem ist der von Fingolimod beeinflusste Rezeptor (Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor) bekanntermaßen an der Bildung von Blutgefäßen beim Kind beteiligt. Der Arzt wird Frauen im gebärfähigen Alter vor Beginn einer Behandlung mit Fingolimod auf die Möglichkeit eines ernsten Risikos für das ungeborene Kind und die Notwendigkeit wirksamer Empfängnisverhütung während der Behandlung hinweisen. Außerdem muss ein Schwangerschaftstest negativ ausgefallen sein.
Da es nach Abbruch der Behandlung etwa zwei Monate dauert, bis der Wirkstoff aus dem Körper ausgeschieden worden ist, muss auch während dieses Zeitraums eine Empfängnis zuverlässig vermieden werden.

Wird eine Schwangerschaft geplant, muss die Behandlung mit dem Wirkstoff zwei Monate vor dem ungeschützten Verkehr beendet werden.

Fingolimod wird im Tierexperiment in die Milch behandelter Tiere ausgeschieden. Wegen der Möglichkeit schwer wiegender unerwünschter Nebenwirkungen beim gestillten Kind dürfen Frauen, die mit dem Wirkstoff behandelt werden, nicht stillen.

Was ist bei Kindern zu berücksichtigen?

Die Sicherheit und Wirksamkeit von Fingolimod bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ist nicht untersucht worden. Die Anwendung des Wirkstoffs ist daher bei dieser Altersgruppe nicht erlaubt.

Welche Nebenwirkungen kann Fingolimod haben?

Im Folgenden erfahren Sie das Wichtigste zu möglichen, bekannten Nebenwirkungen von Fingolimod. Diese Nebenwirkungen müssen nicht auftreten, können aber. Denn jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf Medikamente. Bitte beachten Sie außerdem, dass die Nebenwirkungen in Art und Häufigkeit je nach Arzneiform eines Medikaments (beispielsweise Tablette, Spritze, Salbe) unterschiedlich sein können.

Sehr häufige Nebenwirkungen:
Kopfschmerzen, Virusinfektionen (Grippe-ähnlich), Durchfall, Rückenschmerzen, Husten, erhöhter Leberwert (ALAT).

Häufige Nebenwirkungen:
Bronchitis, Nasennebenhöhlenentzündung, Magen-Darm-Entzündung, Herpesvirus-Infektionen, Infektionen mit Tinea-Pilzen, Mangel an weißen Blutkörperchen (Leukopenie, Lymphopenie), Depressionen, Augenschmerzen, Verschwommensehen, verlangsamter Herzschlag (AV-Block), Hautausschläge, Haarausfall, Juckreiz, Bluthochdruck, Atemnot, erhöhte Leberenzyme (Gamma-GT), Gewichtsabnahme, erhöhte Blutfettwerte (Triglyzeride), anomaler Leberfunktionstest.

Gelegentliche Nebenwirkungen:
Lungenentzündung, Wasseransammlungen in der Netzhaut (Makulaödem).

Besonderheiten:
Allgemein kommt es durch die Hauptwirkung von Fingolimod zu einer erhöhten Anfälligkeit der Patienten für Infektionen. Sie sind daher vom Arzt auch bis zu drei Monate nach Behandlungsende mittels eines großen Blutbildes regelmäßig auf Krankheitszeichen zu untersuchen. Bei schwerwiegenden Beschwerden ist die Behandlung mit dem Wirkstoff sofort abzubrechen.

Auch die Neigung zu Hautkrebs kann gesteigert werden. Deshalb sollten Fingolimod-Patienten regelmäßig im jährlichen Abstand ihre Haut selbst kontrollieren oder zum Hautarzt gehen.

Besonders zu Behandlungsbeginn kann es zu einer vorübergehenden Verlangsamung der Herzfrequenz und Herzrhythmusstörungen kommen. Diese Gefahr besteht auch, wenn die Behandlung nach einer Unterbrechung wieder aufgenommen wird. Der Arzt wird die Patienten daher regelmäßig hinsichtlich ihrer Herzfunktion untersuchen. Kommt zu einem verlangsamten Puls oder einem Ausfall des AV-Knotens im Herzen, ist die Überwachung dauerhaft fortzuführen.

Bei Sehstörungen liegt der Verdacht einer durch Fingolimod verusachten Wasseransammlung in der Netzhaut nahe. Die Patienten sollten daher bei jeder Beeinträchtigung des Sehens einen Augenarzt aufsuchen.

Die zusätzliche Einnahme von Medikamenten oder Substanzen mit Giftwirkung auf die Leber (einschliesslich alkoholischer Getränke) sollte vermieden werden.

Bisher kam es bei einem mit Fingolimod behandelten Patienten zur Ausbildung einer Progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie. Diese spezielle Erkrankung des Gehirns ist selten und wird durch das JC-Virus (von John Cunningham, ein Patient, aus dem das Virus isoliert wurde) bei immungeschwächten Menschen hervorgerufen. Anzeichen können sein: Lähmungen, Störungen der Bewegung und Wahrnehmung, epileptische Anfälle, Sprachstörungen, Sehstörungen (Gesichtsfeldausfälle), Denkstörungen sowie Persönlichkeitsveränderungen. Eine wirksame Therapie existiert bislang nicht. Zum Ausschluss dieser Nebenwirkung wird der Arzt zu Beginn der Fingolimod-Therapie ein Magnetresonanzbild (MRT) des Schädels anfertigen, um bei Verdacht gleich ein Vergleichsbild zu haben.

Welche Wechselwirkungen zeigt Fingolimod?

Bitte beachten Sie, dass die Wechselwirkungen je nach Arzneiform eines Medikaments (beispielsweise Tablette, Spritze, Salbe) unterschiedlich sein können.

Eine gleichzeitige Gabe von Krebsmedikamenten (Zytostatika) oder anderen Wirkstoffen, die die körpereigene Abwehr beeinflussen (Immunologika), sollte wegen des Risikos zusätzlicher Auswirkungen auf das Immunsystem unterbleiben. Bei der Umstellung von Patienten von lang wirkenden Therapien mit Auswirkungen auf das Immunsystem wie beispielsweise Natalizumab oder Mitoxantron muss der Arzt deshalb auch entsprechende zeitliche Abstände einhalten.

Bei Patienten, die Betablocker erhalten, ist bei Behandlungsbeginn ärztliche Vorsicht geboten, weil sich die Auswirkungen auf die Herzfrequenz mit Fingolimod verstärken können. Überhaupt sollte der Beginn einer Therapie mit Betablockern, Kalziumkanalblockern oder dem HerzglykosidDigoxin kurz vor oder nach Erstgabe von Fingolimod vermieden werden.

Durch die Gabe des AntiepileptikumsCarbamazepin wird die Konzentration von Fingolimod im Blut etwas vermindert. Gegebenfalls muss die Dosis vom Arzt verändert werden.

Fingolimod verringert die Zahl der im Blut schwimmenden freien Lymphzellen. Labortests, für die solche Zellen benötigt werden, erfordern wegen der Verringerung der Anzahl der Lymphozyten im Blutkreislauf größere Blutmengen.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen

  • Während der Behandlung mit dem Medikament sollte kein Alkohol getrunken werden.
  • Lässt die Sehleistung während der Behandlung mit dem Medikament nach, ist ein Augenarzt aufzusuchen.
  • Während der Behandlung mit dem Medikament und bis zu zwei Monate danach ist eine Schwangerschaft zuverlässig zu verhüten.
  • Bei Anzeichen einer Infektion sollte sofort ein Arzt aufgesucht werden.
  • Bei Neigung zu Hautkrebs sollte die Haut regelmäßig während der Behandlung von einem Hautarzt kontrolliert werden.
  • Während der ersten sechs Stunden nach Verabreichung des Wirkstoffs hat eine sorgfältige ärztliche Kontrolle der Herz-Kreislauffunktion zu erfolgen.
  • Zu Therapiebeginn, aber auch nach Unterbrechungen derselben, kann es zu behandlungsbedürftigen Herzrhythmusstörungen kommen.
  • Die Therapie mit dem Medikament darf nur von einem Arzt begonnen und überwacht werden, der Erfahrung in der Behandlung der Multiplen Sklerose besitzt.
  • Für Labortests mit frei im Blut verfügbaren Lymphzellen werden während der Behandlung mit dem Medikament größere Blutmengen benötigt.

Manchmal lösen arzneiliche Wirkstoffe allergische Reaktionen aus. Sollten Sie Anzeichen einer allergischen Reaktion wahrnehmen, so informieren Sie umgehend Ihren Arzt oder Apotheker.

Welche Medikamente beinhalten Fingolimod?

Folgende Tabelle zeigt alle erfassten Medikamente, in welchen Fingolimod enthalten ist.In der letzten Spalte finden Sie die Links zu den verfügbaren Anwendungsgebieten, bei denen das jeweilige Medikamente eingesetzt werden kann.

Medikament
Darreichungsform

So wirkt Fingolimod

Im Folgenden erfahren Sie mehr zu den Anwendungsgebieten und der Wirkungsweise von Fingolimod. Lesen Sie dazu auch die Informationen zur Wirkstoffgruppe Immunstärkende und -schwächende Mittel, zu welcher der Wirkstoff Fingolimod gehört.

Anwendungsgebiet des Wirkstoffs Fingolimod

Der Wirkstoff Fingolimod wird bei Multipler Sklerose eingesetzt. Er vermindert bei der schubförmig verlaufenden Form dieser Erkrankung die Häufigkeit der Schübe und verzögert damit das Fortschreiten der Behinderung.

Zu folgenden Anwendungsgebieten von Fingolimod sind vertiefende Informationen verfügbar:

Wirkungsweise von Fingolimod

Fingolimod ist eine künstliche Abwandlung des Wirkstoffes Myriocin, der aus dem Pilz Isaria sinclairii stammt. Fingolimod wird im Körper von dem Enzym Sphingosinkinase in seine aktive Form Fingolimod-Phosphat verwandelt. Das Produkt dockt in winzigen Konzentrationen an spezielle Bindungsstellen (Sphingosin-1-Phosphat (S1P)-Rezeptoren 1, 3 und 4) auf Lymphzellen an. Fingolimod-Phosphat kann jedoch auch problemlos in das Gehirn gelangen, wo es sich auch auf die S1P-Rezeptoren 1, 3 und 5 der Nervenzellen setzt.

Der Wirkmechanismus von Fingolimod ist noch nicht endgültig aufgeklärt. Man weiß, dass die Bindung an die S1P-Rezeptoren der Lymphzellen diese daran hindert, die Lymphknoten zu verlassen. Dadurch verringert sich die Zahl der im Körper vorhandenen Lymphozyten ganz allgemein, besonders aber die Menge der Lymphzellen, die krankhafterweise in das Gehirn gelangen. Dort sind sie bei Multipler Sklerose an Nervenentzündungen und der Schädigung von Nervengewebe beteiligt. Wird diese schädliche Wirkung vermindert oder ausgeschaltet, scheint der Erkrankung die Grundlage entzogen zu sein.

Experimente an Tieren und im Labor deuten zudem darauf hin, dass die günstigen Auswirkungen von Fingolimod bei Multipler Sklerose auch auf die genannte Wechselwirkung mit S1P-Rezeptoren der Nervenzellen im Gehirn zurückzuführen sein könnten.

Disclaimer:
Bitte beachten: Die Angaben zu Wirkung, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie zu Gegenanzeigen und Warnhinweisen beziehen sich allgemein auf den Wirkstoff des Medikaments und können daher von den Herstellerangaben zu Ihrem Medikament abweichen. Bitte fragen Sie im Zweifel Ihre*n Arzt*Ärztin oder Apotheker*in oder ziehen Sie den Beipackzettel Ihres Medikaments zurate.