Kind mit Progerie spielt an einem Tisch.
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Progerie – wenn Menschen schneller altern

Von: Anna Besson (Medizinautorin und Biologin)
Letzte Aktualisierung: 05.08.2022

Bei der Progerie handelt es sich um eine sehr seltene Erkrankung, die betroffene Menschen frühzeitig altern lässt. Progerie lässt sich nicht heilen und die Lebenserwartung ist deutlich herabgesetzt. Welche Formen es gibt und wie die Erkrankung verläuft, erfahren Sie hier.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Was ist Progerie?

Der Begriff Progerie kommt aus dem Griechischen und bedeutet "vorzeitiges Altern". Es lassen sich

  • Progerie Typ I: (Hutchinson-Guilford-Progerie-Syndrom; HGPS) und
  • Progerie Typ II: (Werner-Syndrom)

unterscheiden. Das Hutchinson-Guilford-Syndrom, auch Progeria infantilis genannt, tritt nur bei Kindern auf. Kinder, die bei Geburt gesund wirkten, fangen bereits im ersten Lebensjahr an zu vergreisen. Der Progerie Typ I ist mit einer Häufigkeit (Prävalenz) von 1: 4.000.000 eine seltene Erkrankung. Das HGPS wurde von den Forschern Jonathan Hutchinson (1886) und Hastings Gilford (1897) unabhängig voneinander erstmals beschrieben.

Bei Betroffenen mit Werner-Syndrom macht sich die Erkrankung erst in der Pubertät mit Wachstumsstörungen bemerkbar. Der vorzeitige Alterungsprozess setzt jedoch erst nach der Pubertät ab dem frühen Erwachsenenalter ein. Auch dieser Progerie-Typ ist mit einer Häufigkeit von 1:1.000.000 selten.

Bei beiden Progerie-Typen handelt es sich um Krankheiten, welche die Lebenserwartung der Betroffenen deutlich herabsetzen und nicht heilbar sind. 

Welche Symptome treten bei Progerie auf?

Je nach Form der Progerie unterscheiden sich die Symptome und der Verlauf der Erkrankung.

Symptome bei Progerie Typ I

Kinder mit Progerie Typ I unterscheiden sich deutlich von gesunden Kindern im gleichen Alter. Zwar sind Betroffene mit HGPS normal intelligent, jedoch verlieren sie bereits im ersten Lebensjahr ihre Haare. Zudem bildet sich das Unterhautfettgewebe zurück – dadurch wird die Haut dünn und trocken, das Gesicht und der Körper schmal, wodurch die Kinder kleiner und zerbrechlicher wirken.

Weitere Symptome des Progerie Typ I sind:

  • Geringes, aber proportionales Körperwachstum
  • Knochenschwund (Osteoporose)
  • Zahnentwicklungsstörungen, wie beispielsweise eine unvollständige Zahnschmelz- oder Dentinbildung, Zahnmissbildungen, Zahnverschmelzungen, verfrühter/verspäteter Zahndurchbruch
  • Gelenkverschleiß (Arthrose)
  • Vergrößerter Schädelumfang und deutlich unter der verdünnten Haut sichtbare Kopfvenen
  • Überdurchschnittlich lange und dünne Nase
  • Hohe dünne Stimme

Kinder mit Progerie Typ I haben eine verkürzte Lebenserwartung. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass bei ihnen die Blutgefäße schneller altern. Es entwickelt sich deshalb bereits früh eine Arteriosklerose oder etwa andere Gefäßkrankheiten. Dies wiederum begünstigt Herzinfarkte und Schlaganfälle. Durch das schnelle Altern beträgt die Lebenserwartung von Kindern mit Progerie zwischen sechs und 20 Jahre.

Symptome bei Progerie Typ II

Menschen mit Progerie Typ II durchlaufen in den Kinderjahren eine normale Entwicklung. In der Regel setzt das erste Symptom dieses Progerie-Typs in der Pubertät ein: der fehlende Wachstumsspurt. Weitere Symptome des vorzeitigen Alterns kommen etwa ab dem 30. Lebensjahr hinzu:

  • Grauer Star (Katarakt) auf beiden Augen, dabei handelt es sich um eine Linsentrübung 
  • Ausgedünntes und vorzeitig ergrautes Haupthaar
  • Verlust des Unterhautfettgewebes
  • Verschiedene Hautveränderungen wie Altersflecken, Geschwürbildung (Ulzerationen), verdickte Hornschicht (Hyperkeratosen)
  • Arteriosklerose
  • Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)
  • Osteoporose
  • Tumoren, wie etwa der schwarze Hautkrebs (Melanom)
  • Veränderte Stimme

Beim Werner-Syndrom führen bösartige Tumoren oder ein durch die starke Atherosklerose verursachter Herzinfarkt zum Tod.

Was verursacht Progerie?

Der Prozess der Alterung ist komplex, daher ist die Entstehung der Progerie noch nicht vollständig geklärt. Dennoch gehen Fachleute davon aus, dass beide Progerie-Typen auf Fehler in der Erbinformation (Mutationen) zurückzuführen sind, die jeweils in verschiedenen Genen entstehen. 

Dem HGPS liegt dabei eine autosomal-dominante Mutation zugrunde. Autosomal bedeutet, dass sich der Defekt auf einem der Autosomen befindet. Bei den Autosomen handelt es sich um die 22 Chromosomenpaare des menschlichen Erbguts, die nicht zu den Geschlechtschromosomen gehören. Ist die Mutation zusätzlich dominant, bedeutet dies, dass die Erkrankung bei dem betroffenen Menschen ausbricht, wenn die Mutation auf nur einer von beiden Genkopien vorliegt.

Die Mutation betrifft bei HGPS das Lamin-A-Gen auf Chromosom 1. Dieses Gen enthält die Information zur Herstellung des Eiweiß (Protein) Lamin, welches eine Gerüststruktur bildet. Diese ist zum einen für die Stabilität der Zellkernhülle und des Zellkerns verantwortlich, übernimmt aber auch wichtige Aufgaben beim Ablesen der Gene und bei der Zellteilung. Durch die Mutation kommt es zu einem Schreibfehler in der Bauanleitung von Lamin-A und der Körper produziert in der Folge eine verkürzte Form des Proteins: das Progerin. In den Zellen kommt es in hohen Konzentrationen vor, wodurch die nun mit diesem Protein gebaute Gerüststruktur weniger stabil und die Zellkernhülle geschwächt sowie der Zellkern verformt wird. 

In der Forschung ist jedoch noch nicht bekannt, auf welche Weise genau Progerin seine Wirkung entfaltet. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass durch seine Anwesenheit die Zellen früher in den zellulären Alterungsprozess eintreten. Weiterhin wird angenommen, dass auch die Telomere, die Endstücke an den Chromosomen, für das Altern verantwortlich sind. Sie bilden eine Art Schutzkappe, die Schäden an den Chromosomen verhindert. Bei gesunden Menschen verkürzen sich diese Abschnitte zwar bei jeder Zellteilung, wodurch sich ihre Schutzfunktion im Laufe des Lebens verringert, bei Menschen mit Progerie sind sie jedoch bereits von Geburt an drastisch verkürzt.

Da Kinder mit HPGS nur selten das reproduktive Alter erreichen, wird diese Erkrankung nur selten direkt vererbt, sondern entsteht in der Regel durch spontane Mutationen. 

Anders als beim HGPS vermuten Fachleute beim Progerie Typ II eine autosomal-rezessive Vererbung: Das bedeutet, dass beide Genkopien defekt sein müssen, damit die Erkrankung ausbrechen kann. Bei der Progerie Typ II liegt der Gendefekt auf dem RecQL1-Gen auf Chromosom 8. Bei diesem Progerie-Typ beeinträchtigt der Gendefekt die Reparaturmechanismen im Körper. Dadurch vermehren sich die Mutationen im Erbgut, was Folgeerkrankungen begünstigt, wie beispielsweise Tumoren. Zudem verkürzen sich die Telomere sehr schnell.

Wie erfolgt bei Progerie die Diagnose?

Die Symptome des HGPS zeigen sich bereits in jungen Lebensjahren, sodass der Verdacht auf eine Progerie früh aufkommt. Um die Diagnose HGPS jedoch zu sichern, müssen andere Erkrankungen, die auch mit einer vorzeitigen Alterung einhergehen, zunächst ausgeschlossen werden. Dazu zählen beispielsweise:

  • Trisomie 21 (Down-Syndrom)
  •  Weidemann-Rautenstrauch-Syndrom (neonatales Progerie-Syndrom, NPS)
  • Ataxia telangiectatica.

Dies geschieht mittels einer Genanalyse. Beim Werner-Syndrom müssen durch diese Untersuchung unter anderem das Rothmund-Thomson-Syndrom oder die Mandibuloakrale Dysplasie (MAD) ausgeschlossen werden.

Wie wird Progerie behandelt?

Progerie Typ I und II sind nicht heilbar. Die Behandlung zielt ausschließlich darauf ab, die Symptome der betroffenen Menschen zu lindern, Folgeerkrankungen zu behandeln und Komplikationen wie Herzinfarkten oder Schlaganfällen vorzubeugen. Zu den Maßnahmen gehören unter anderem Physiotherapie, um die Muskulatur zu stärken und die Gelenke geschmeidig zu halten. Mit Medikamenten wird der Atherosklerose und der Bildung von Blutgerinnseln vorgebeugt. Da die Haut bei beiden Formen der Erkrankung trocken und sensibel ist, ist eine sorgfältige und intensive Hautpflege wichtig. 

Beim Werner-Syndrom kommen möglicherweise Augenoperationen in Betracht, um einen grauen Star zu behandeln. Zudem sind Tumoren häufig, für die Chemotherapien oder Bestrahlungen eingesetzt werden können. Weiterhin ist es wichtig, einen gesunden Lebensstil zu führen – mit einer ausgewogenen Ernährung und dem Verzicht auf Rauchen.

Zur Behandlung des Hutchinson-Guilford-Progerie-Syndroms ist seit dem Jahr 2020 ein Medikament erhältlich. Dabei handelt es sich um einen Farnesyl-Transferase-Inhibitor (FTI), einen Wirkstoff, der die Ansammlung von Progerin im Zellkern und dem Zellgerüst verhindert und so die Zellalterung verlangsamt. Dadurch ist es in manchen Fällen möglich, dass die Lebenserwartung der Kinder zu erhöhen.

Da sich beide Progerie-Typen auf den gesamten Organismus auswirken und Schäden an verschiedenen Organen hervorrufen können, ist an der Behandlung in der Regel ein multidisziplinäres Team beteiligt.

Wie verläuft Progerie?

Beide Progerie-Typen sind nicht heilbar und zeichnen sich durch eine kurze Lebenserwartung aus. Kinder mit HGPS erreichen im Durchschnitt ein Alter von 13 Jahren. Allerdings wird der Verlauf der Erkrankung maßgeblich davon bestimmt, wie beeinträchtigt die Menschen von auftretenden altersbedingter Erkrankungen sind. Durch die Gefäßerkrankung Atherosklerose sind Herzinfarkte und Schlaganfälle die häufigsten Todesursachen.

Lässt sich der Progerie vorbeugen?

Der Progerie lässt sich per se nicht vorbeugen. Beim Progerie Typ I handelt es sich in der Regel um Spontanmutationen – da das betroffene Gen bekannt ist, lässt sich bereits während der Schwangerschaft mittels Pränataldiagnostik feststellen, ob das Kind betroffen ist oder nicht. Auch beim Progerie Typ II lässt sich durch eine genetische Untersuchung feststellen, ob bereits das Merkmal für die Erkrankung vorliegt. Da jedoch beide Eltern eine defekte Genkopie an das Kind weitergeben müssten, damit die Progerie Typ II ausbricht, ist das Erkrankungsrisiko gering. Eine Ausnahme sind Verwandtenehen, da hier eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass beide Eltern den Gendefekt in sich tragen.