Kind mit Autismus schaukelt und lacht.
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Autismus: Symptome der Formen, Ursachen und Therapie

Von: Wiebke Posmyk (Medizinjournalistin, Diplom-Pädagogin, M.A. Media Education), Jessica Rothberg (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 18.11.2022

Autismus hat viele Ausprägungen und Formen. Zu den sogenannten Autismus-Spektrum-Störungen zählen zum Beispiel der frühkindliche Autismus oder das Asperger-Syndrom. Während manche Betroffene in der Lage sind, ein weitgehend normales Leben zu führen, sind andere lebenslang auf Unterstützung angewiesen. Welche Anzeichen sind erste Symptome und wie lässt sich Autismus behandeln?

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Was ist Autismus?

Autismus zählt laut Definition zu den komplexen, neurologischen Entwicklungsstörungen. Das Gehirn entwickelt sich dabei anders als bei neurotypischen Menschen, auch die Wahrnehmung kann unterschiedlich sein. Die Entwicklung von Betroffenen ist dabei in verschiedenen Bereichen stark beeinträchtigt. Das Spektrum autistischer Störungen ist breit gestreut, einzelne Formen voneinander abzugrenzen ist nicht immer einfach. Die unterschiedlichen Ausprägungen und Schweregrade der einzelnen Autismus-Formen fassen Fachleute daher unter dem Oberbegriff Autismus-Spektrum-Störung (ASS) zusammen.

Autismus: Unterschiedliche Formen

Fachleute unterscheiden mehrere Formen von Autismus. Zu den Autismus-Spektrum-Störungen zählen:

  • frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom): Wenn von Autismus die Rede ist, ist meist der frühkindliche Autismus gemeint. Frühkindlich heißt die Störung, da sie sich immer vor dem 3. Lebensjahr bemerkbar macht. Etwa zwei bis fünf von 10.000 Kindern leiden unter frühkindlichem Autismus, wobei die Angaben zur Häufigkeit variieren. Jungen sind drei- bis viermal häufiger betroffen als Mädchen.

  • Asperger-Syndrom: Bei dieser oft erst im Schulalter auffallenden Autismus-Form sind die autistischen Züge milder ausgeprägt als beim frühkindlichen Autismus. Asperger-Autist*innen sind überwiegend männlich. Etwa drei von 10.000 Kindern leiden darunter.

  • atypischer Autismus: Diese Störung ähnelt weitgehend dem frühkindlichen Autismus, setzt aber im Vergleich dazu später ein und/oder es treten nicht alle typischen Hauptmerkmale des frühkindlichen Autismus auf.

Eine weitere Autismus-Spektrum-Störung ist das Rett-Syndrom. Es betrifft fast ausschließlich Mädchen. Erste Symptome treten etwa zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 4. Lebensjahr auf. Die normale Entwicklung des Kindes kommt dabei zunächst zum Stillstand. Anschließend bilden sich viele der bereits erworbenen Fähigkeiten wieder zurück. Etwa ein von 10.000 bis 15.000 Mädchen hat das Rett-Syndrom.

Autismus: Welche Symptome sind kennzeichnend?

Autismus kann sich durch viele Symptome bemerkbar machen. Außerdem können autistische Störungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein – von nur milden autistischen Zügen bis hin zu schweren Behinderungen.

Zwar ist die Bandbreite der möglichen Störungen sehr groß. Dennoch gibt es einige Merkmale, die alle Autist*innen gemeinsam haben. Sie

  • haben Schwierigkeiten, Beziehungen mit anderen Menschen einzugehen,
  • sind in der Sprachentwicklung und Kommunikation beeinträchtigt und
  • zeigen immer wiederholende (stereotype) Verhaltensmuster und eingeschränkte Aktivitäten/Interessen.

Gestörte zwischenmenschliche Beziehungen

Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen sind ein typisches Symptom einer Autismus-Spektrum-Störung. Autist*innen neigen dazu, sich von ihrer Umwelt abzukapseln. Sie sind nur eingeschränkt oder gar nicht in der Lage, dauerhafte und vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Der Kontakt zu anderen und vor allem gleichaltrigen Kindern wird in oft gänzlich abgeblockt. Betroffene Kinder spielen in der Regel lieber allein und meiden Blickkontakt.

Zudem ist das Nachahmungsverhalten bei Kindern mit Autismus nur schwach ausgeprägt, sie erwidern zum Beispiel beim Verabschieden kein Winken. Auch haben sie Schwierigkeiten, eigene Gefühle wahrzunehmen und zu äußern.

Autistische Menschen sind zudem oft wenig empathisch, es fehlt das Verständnis für die Gedanken, Vorstellungen und Gefühle von anderen. Auch das Einhalten von Regeln und Normen fällt autistischen Menschen häufig schwer. Inwiefern die zwischenmenschlichen Beziehungen beeinträchtigt sind, hängt vor allem von der jeweiligen Autismus-Form ab. 

Gestörte Kommunikation und Sprache

Vor allem Kinder mit frühkindlichem Autismus zeigen eine gestörte Sprachentwicklung. Sie haben schon im Kleinkindalter Schwierigkeiten, mit anderen zu kommunizieren – viele erwerben nie eine sinnvolle Sprache. Bei anderen entwickelt sich die Sprache verzögert oder stark eingeschränkt: Sie sprechen mit wenig Gefühlsausdruck und ihre Mimik und Gestik beziehen sie beim Sprechen kaum mit ein.

Ein weiteres Merkmal für den frühkindlichen Autismus ist eine ungewöhnlich betonte und tiefe Stimmmelodie. Viele Autist*innen benutzen bestimmte Wörter sehr gerne und wiederholen diese immer wieder (Echolalie). Manche erfinden neue Wörter (Neologismen). Häufig verdrehen sie die Bedeutung des Wortes "Du" und meinen eigentlich "Ich" (pronominale Umkehr).

Bei Autist*innen mit Asperger-Syndrom hingegen entwickelt sich die Sprache normal. Trotzdem weisen auch sie Symptome einer gestörten Kommunikation auf. 
Menschen mit Autismus neigen oft zu Selbstgesprächen, reden mit einer auffälligen Sprachmelodie und gehen auf ihre Zuhörer nur wenig ein. Viele Betroffene fassen Gesagtes wörtlich auf: So können sie Sprichwörter, Redewendungen oder Ironie nicht deuten. Dies macht es für ihre Mitmenschen manchmal schwierig, ein Gespräch mit ihnen zu führen.

Begrenzte Interessen, stereotype Bewegungen und Verhaltensweisen

Autist*innen neigen zu Stereotypien: Sie verspüren den Drang, bestimmte Tätigkeiten immer nach dem gleichen Muster auszuführen. Manche Kinder bewegen eine Hand ständig hin und her, andere wippen ihren ganzen Körper im Sitzen immer wieder vor und zurück. 
Mit normalen Spielsachen beschäftigen sich autistische Kinder in der Regel nicht gerne. Vor allem frühkindliche Autist*innen interessieren sich meist mehr für Teilaspekte einer Sache oder haben Spezialinteressen: Zum Beispiel fesselt sie das Rad eines Spielautos mehr als das Auto selbst. In vielen Fällen geht ein frühkindlicher Autismus bei den Kindern mit einer geminderten Intelligenz einher.

Autist*innen hängen sehr an Ritualen. Wichtig ist etwa, dass Möbelstücke immer am gleichen Ort stehen. Auf ein plötzliches Umstellen reagieren viele mit emotionalem Stress, was sich unterschiedlich äußern kann. Vor allem bei frühkindlichem Autismus sind Symptome wie große Angst, Wut oder Aggression als Reaktionen auf solche Veränderungen möglich. 
Menschen mit Asperger-Syndrom sind oftmals durchschnittlich intelligent und können in manchen Bereichen sogar eine überdurchschnittliche Intelligenz aufweisen. Trotzdem haben sie oft Lernproblem. In einigen Fällen zeigen sie jedoch bereits im Vorschulalter ungewöhnliche Interessen, etwa bemerkenswerte Rechenkünste.

Beim Rett-Syndrom verlieren die betroffenen Mädchen die Fähigkeit, ihre Hände zielgerichtet zu steuern: Sie bewegen die Hände eigenartig, so als ob sie etwas mit ihnen waschen würden. Diese Bewegung wiederholen sie sehr oft. Ihr Gang wirkt flapsig, grobmotorisch und unkoordiniert – das gleiche gilt auch für die Bewegungen ihres Oberkörpers. Auffälliges Merkmal bei Menschen mit Rett-Syndrom ist das verlangsamte Kopfwachstum.

Autismus: Weitere Einschränkungen und Symptome

Autistische Menschen haben häufig Angststörungen, Schlafstörungen, Phobien und Essstörungen. Besonders bei Betroffenen mit Asperger-Syndrom sind eine gestörte Aufmerksamkeit, eine Bewegungsunruhe (hyperkinetisches Verhalten) und sogenannte Tic-Störungen zu beobachten.

Autismus: Welche Ursachen können dahinter stecken?

Je nach Form der Autismus-Spektrum-Störung konnte die Wissenschaft unterschiedliche Ursachen ausmachen.

Ursachen des frühkindlichen Autismus

Die Ursachen des frühkindlichen Autismus sind nicht eindeutig geklärt. Forschende gehen davon aus, dass verschiedene Risikofaktoren zur Entstehung beitragen. Insbesondere genetische Faktoren scheinen eine besondere Rolle zu spielen. Auch wird vermutet, dass bestimmte Einflüsse während der Schwangerschaft das Autismus-Risiko erhöhen. Dazu zählen zum Beispiel

Ursachen des Asperger-Syndroms

Vermutlich sind es mehrere Faktoren, die im Zusammenspiel ein Asperger-Syndrom begünstigen. Die genauen Ursachen sind bislang nicht abschließend geklärt. Das Asperger-Syndrom kommt in manchen Familien gehäuft vor, sodass eine genetische Komponente wahrscheinlich ist. Aber auch andere Faktoren sind an der Entstehung beteiligt. Hierzu zählen vor allem hirnorganische und biochemische Auffälligkeiten.

Ursachen des Rett-Syndroms

Beim Rett-Syndrom, das ausschließlich Mädchen betrifft, gelang es, die genaue Ursache einzugrenzen. Bei den Kindern ist ein bestimmtes Gen (MeCp2) auf dem X-Chromosom verändert.

Autismus: Wie erfolgt die Diagnose?

Für Fachleute ist es nicht immer leicht, eine Autismus-Spektrum-Störung zu erkennen. Denn nicht jedes Baby, das kein Interesse für die eigene Umwelt zeigt, ist autistisch. Und auch manche Kindergarten- oder Grundschulkinder möchten gerne für sich sein, ohne dass gleich eine Autismus-Spektrum-Störung dahintersteckt.

Besteht der Verdacht, dass ein Kind Autismus hat, erfolgt zunächst eine Befragung der Eltern nach bestimmten auffälligen Verhaltensweisen, die sie an ihrem Kind beobachtet haben könnten. So ist beispielsweise von Interesse, ob das Kind stereotype Verhaltensweisen zeigt.

Zudem wird das Kind sorgfältig beobachtet und die Ergebnisse in entsprechenden Beurteilungsskalen festgehalten. Spezielle Entwicklungs- und Intelligenztests geben weitere Hinweise auf eine mögliche autistische Störung. So ist der Intelligenzquotient bei Kindern mit frühkindlichem Autismus beispielsweise oft niedriger als der Durchschnitt.

Andere Erkrankungen können mit Symptomen einhergehen, die an Autismus erinnern, darunter:

  • ADHS
  • Angststörungen
  • Einschränkungen im Hör- oder Sehvermögen

Oft vergeht viel Zeit, bis es Fachleuten gelingt, eine Autismus-Spektrum-Störung sicher festzustellen. In der Regel stellen Kinder- und Jugendpsychiater*innen die Diagnose.

Autismus: Diagnose bei Erwachsenen

In der Regel erfolgt die Diagnose Autismus bereits im Kindesalter. Bei manchen Erwachsenen mit Autismus kann es jedoch sein, dass die Symptome bis ins höhere Alter unentdeckt bleiben. Möglich ist das etwa, da sie sozial gut integriert sind und so Probleme gut kompensieren können. 

Die Autismus-Diagnose bei Erwachsenen ist dann meist schwierig, da die Symptome vielfältig und mitunter auch für andere psychische Erkrankungen sprechen können. Zudem fehlen oftmals wichtige Informationen zum Verhalten aus der Kindheit. Eine sichere Diagnose kann nur durch Fachleute mit einer hohen Expertise gestellt werden. Mitunter werden auch Angehörige gebeten, bei Untersuchungen und Befragungen teilzunehmen.

Autismus: Maßnahmen zur Therapie

Autismus ist nicht heilbar. Die Störung begleitet Betroffene trotz Therapie ihr Leben lang und schränkt sie mehr oder weniger in ihrem Sozialleben ein.

Dennoch kann eine Therapie bei Autismus viel bewirken. Sie kann:

  • die normale Entwicklung von Betroffenen fördern.
  • Hilfe und Unterstützung im Umgang mit anderen Menschen bieten.
  • eingefahrene (rigide) und sich wiederholende (stereotype) Verhaltensweisen abbauen.
  • die Familien von Betroffenen unterstützen.

Diese Ziele versuchen Psychiater*innen, Psycholog*innen und Pädagog*innen mit unterschiedlichen Methoden zu erreichen. Welche Maßnahmen zur Therapie zum Einsatz kommen, richtet sich danach, um welche Autismus-Spektrum-Störung es sich handelt. Darüber hinaus sollte die Behandlung immer individuell an die Person angepasst sein und die jeweiligen Einschränkungen, aber auch die persönlichen Stärken berücksichtigen.

Verhaltenstraining bei Autismus

Ein Baustein der Autismus-Therapie ist das Verhaltenstraining, eine Methode der Verhaltenstherapie. Ein wichtiges Ziel dieser Behandlung ist, Beziehungen mit anderen Menschen aufzubauen und mit diesen zu kommunizieren. Das Verhaltenstraining funktioniert nach dem sogenannten Belohnungsprinzip. Das bedeutet: Der*die Autist*Autistin erhält für jedes erwünschte Verhalten eine Belohnung (positive Verstärkung). Nimmt das autistische Kind beispielsweise Kontakt mit einem anderen Kind auf, bekommt es als Belohnung ein Spielzeug oder es darf sich eine Aktivität aussuchen.

Die Eltern sind in diese Form der Autismus-Therapie intensiv eingebunden. Dadurch können sie ihr Kind auch in der häuslichen Umgebung bestärken und die Beziehung zu ihm verbessern.

Alternative Therapien bei Autismus

Die Autismus-Therapie kann auch kreative Verfahren einbeziehen: 

  • Ergotherapie
  • Musiktherapie
  • Kunsttherapie
  • Reittherapie (Hippo-Therapie), grundlegende wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit stehen dazu noch aus
  • Krankengymnastik
  • Sprachtraining 

Elternarbeit bei Autismus besonders wichtig

Für den Erfolg der Autismus-Therapie spielt nicht zuletzt die Elternarbeit eine große Rolle. Ein autistisches Kind können Eltern nur dann wirksam fördern, wenn sie die Störung akzeptieren und verstehen. Für viele Eltern bedeutet die Erkrankung ihres Kindes eine psychische Belastung. Sie können lernen, mit der Situation besser umzugehen, indem sie sich umfassend informieren und Unterstützung suchen. Schon allein das Wissen, dass die Erziehung entgegen früheren Annahmen nichts mit der Entwicklung von Autismus zu tun hat, bedeutet für viele eine Entlastung.

Um das Kind optimal zu fördern, ist es wichtig, bei der Elternarbeit das richtige Maß zu finden – also das Kind weder in der Entwicklung zu hemmen, noch es zu überfordern. Je realistischer die gesteckten Behandlungsziele sind, desto eher zeigen sich spürbare Fortschritte. Bei Bedarf sollten sie sich nicht scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, etwa in Form einer stundenweisen Aufsicht oder Kurzpflegeeinrichtung für das Kind.

Medikamente als Therapie bei Autismus

Bisher gibt es keine medikamentöse Behandlung, die zuverlässig gegen die Hauptsymptome wirken. Daher kommen Medikamente bei Autismus nur zum Einsatz, um Begleiterscheinungen der autistischen Störung zu behandeln. So helfen zum Beispiel Neuroleptika und Benzodiazepine, starke Spannungszustände abzubauen und selbstverletzendes Verhalten zu begrenzen. Viele Autist*innen haben epileptische Anfälle, die ebenfalls mit Medikamenten behandelt werden.

Autismus: Verlauf und Prognose

Wie sich ein Kind mit Autismus entwickelt, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Zwar bleiben Autist*innen in der Regel ein Leben lang beeinträchtigt. Der Verlauf einer autistischen Störung hängt jedoch insbesondere davon ab, welche Autismus-Spektrum-Störung vorliegt und wie stark die Entwicklung eingeschränkt ist.

Beim Asperger-Syndrom sind die autistischen Züge eher mild ausgeprägt. Menschen mit Asperger-Syndrom können als Erwachsene ihren Alltag meist selbstständig gestalten und einen Beruf ausüben. Viele leben allerdings isoliert und bauen keine näheren Beziehungen zu anderen Menschen auf, die soziale Interaktion fällt ihnen schwer. Manchmal vollbringen sie durch selektive Fähigkeiten aber auch besondere Leistungen.

Betroffene von anderen Autismus-Formen benötigen überwiegend starke Unterstützung bei ihrer Lebensführung. Vor allem, wenn die geistige Entwicklung zurückgeblieben ist, leben Betroffene häufig in sozialen Einrichtungen. In der Regel können frühkindliche Autist*innen keinem normalen Alltag nachgehen. Besserungen treten nur in Einzelfällen auf. Das Rett-Syndrom schreitet langsam fort, die Betroffenen sind im Lauf ihres Lebens zunehmend pflegebedürftig.