Das Bild zeigt eine Mistel.
© Jupiterimages/iStockphoto

Mistel und Misteltherapie

Von: Onmeda-Redaktion, Astrid Clasen (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 25.07.2019

Die Weißbeerige Mistel (Viscum album) als Heilpflanze zu verwenden hat in Europa eine lange Tradition. In Deutschland kommen Arzneimittel auf Basis von Misteln hauptsächlich gegen leichte Herz-Kreislauf-Beschwerden und als ergänzende Krebsbehandlung zum Einsatz: In deutschsprachigen Ländern ist die Misteltherapie bei Krebs das am häufigsten eingesetzte Verfahren der sogenannten Komplementär- und Alternativmedizin.

Allgemeines

Die Weißbeerige Mistel ist ein kugelförmiger Strauch, der als Halbparasit auf verschiedenen Bäumen wächst, denen er Wasser und Nährstoffe entzieht. Die Pflanze besitzt gabelige Zweige und einfache, gelbgrüne, zungenförmige, lederartige Blätter. Die Früchte der Mistel sind weiß, etwa erbsengroß und erinnern an Beeren. Vögel – vor allem Drosseln – fressen die reifen Früchte und helfen so, die Misteln zu verbreiten: Die unverdaulichen, von einem klebrigen Schleim umgebenen Samen gelangen aus dem Vogeldarm auf die Äste von Wirtsbäumen und keimen dort aus.

Daraus erklärt sich auch der Name der Mistel: Dieser stammt vom Althochdeutschen mistil und steht im Zusammenhang mit dem Wort Mist, da der Samen der Misteln durch Vogelmist auf die Wirtsbäume gelangt.

Im Volksmund ist die Mistel auch unter anderen Namen wie Donnerbesen, Kreuzholz, Hexenbesen, Hexenkraut, Vogelkraut, Immergrün, Wintergrün, Heil aller Schäden oder Alpranke bekannt. Ihre traditionelle Verwendung als Heilpflanze verdankt die Mistel wahrscheinlich ihrem Gehalt an mehreren biologisch aktiven Substanzen. Wie hoch deren Konzentration in einem Mistel-Extrakt ist, hängt ab von der Erntezeit und der Verarbeitungsweise des Mistelextrakts – und vom Wirtsbaum: Darum unterscheidet man bei der Misteltherapie auch zwischen Präparaten von Apfelbaum, Eiche, Kiefer, Tanne, Pappel, Ulme und so weiter.

Daneben unterscheiden sich die Mistel-Präparate in ihrer Darreichungsform: Gegen Herz-Kreislauf-Beschwerden stehen feste und flüssige Einzel- oder Kombinationspräparate zur Verfügung, die über den Mund einzunehmen sind. Zur Misteltherapie bei Krebs kommen hingegen nur flüssige Mistel-Produkte zum Einsatz, die man per Spritze verabreicht.

Inhaltsstoffe und Wirkung

In der Mistel sind verschiedene biologisch aktive Inhaltsstoffe nachweisbar, die in der Misteltherapie eine gesundheitsfördernde Wirkung entfalten sollen: So finden sich in Misteln unter anderem bestimmte Glykoproteine beziehungsweise an Zucker gebundene Eiweiße (sog. Lektine), Polypeptide und Eiweiße (u.a. Viscotoxine), Phenylpropanverbindungen und Lignane, Kaffeesäure-Abkömmlinge, Flavonoide, biogene Amine (z.B. Tyramin) und Polysaccharide.

Allerdings sind die in einem Mistel-Extrakt enthaltenen Inhaltsstoffe und deren Konzentration unterschiedlich: Entscheidend hierfür ist, auf welcher Art Baum die Misteln wachsen, wann man sie erntet und wie man sie verarbeitet. Als medizinisch bedeutsam gelten vor allem die in der Mistel enthaltenen Lektine und Viscotoxine: Die Befürworter der Misteltherapie sprechen ihnen eine zellzerstörende (d.h. zytotoxische) und eine das Immunsystem beeinflussende (d.h. immunmodulierende) Wirkung zu.

So sollen Mistel-Extrakte beispielsweise sowohl in Tumorzellen als auch in normalen Zellen einen gesteuerten Zelltod (sog. Apoptose) auslösen können. Vor allem den Mistel-Lektinen spricht man diese Wirkung zu. Tumorzellen, die sich schneller vermehren als gesunde Körperzellen, reagieren besonders empfindlich auf die Mistel-Lektine. Außerdem sollen in eine Zelle gespritzte Inhaltsstoffe der Mistel bewirken können, dass diese bestimmte Botenstoffe (sog. Zytokine) freisetzt – was normalerweise im Rahmen von Immunreaktionen passiert.

Darüber hinaus soll die Mistel eine blutdrucksenkende Wirkung haben und sich auch positiv auf begleitende Symptome von Bluthochdruck auswirken. Allerdings ist die Wirksamkeit der Misteltherapie wissenschaftlich nicht hinreichend belegt.

Anwendungsgebiete

Die Mistel ist in Europa eine seit langem als Heilmittel genutzte Pflanze. Die Anwendungsgebiete der Misteltherapie haben sich allerdings im Lauf der Zeit gewandelt.

In der Vergangenheit galt die Mistel in einigen europäischen Ländern für die unterschiedlichsten Anwendungsgebiete als geeignet: So kamen Mistel-Präparate unter anderem als Herzmittel zum Einsatz – zum Beispiel zur Behandlung von Herzmuskelhypertrophie (= vergrößertes Herz) bei Klappeninsuffizienz, bei schwachem oder niedrigem Puls, gegen unregelmäßige Herztätigkeit, Herzrasen während des Geschlechtsverkehrs, Beklemmungsgefühle (als würde das Herz zusammengedrückt) oder Kribbelgefühle in der Herzgegend. Auch gegen Hysterie, Bewegungsstörungen (Chorea), Blutungen und Epilepsie sollte die Misteltherapie helfen.

Auch heute kommen Mistel-Extrakte in Deutschland traditionell gegen leichte Herz-Kreislauf-Beschwerden zum Einsatz – zum Beispiel gegen Bluthochdruck und seine Begleitsymptome (wie Kopfschmerzen oder Schwindel). Weitere Anwendungsgebiete der Misteltherapie sind Wechseljahrsbeschwerden sowie degenerative Gelenkentzündungen.

Etwa im Jahr 1920 kam für die Mistel ein weiteres Anwendungsgebiet hinzu: Damals führte Rudolf Steiner Mistel-Extrakte als ergänzende Mittel zur Krebsbehandlung ein. Seitdem spielt die Behandlung von bösartigen Tumoren mit Mistel-Präparaten in der anthroposophischen Medizin eine zentrale Rolle. Die Mistel soll bei Krebs vor allem das Immunsystem stärken und so die Selbstheilungskräfte des Körpers unterstützen.

Heute ist die Misteltherapie bei Krebs das in deutschsprachigen Ländern am häufigsten eingesetzte Verfahren der Komplementär- und Alternativmedizin.

Nach derzeitigem Kenntnisstand ist die Wirksamkeit der Mistel-Präparate bei der Therapie von Krebs jedoch wissenschaftlich nicht erwiesen. Dies gilt auch für die anderen Anwendungsgebiete der Misteltherapie.

Dosierung und Anwendung

Bei Mistel-Präparaten sind Darreichungsform und Dosierung abhängig vom Grund ihrer Anwendung: Gegen Herz-Kreislauf-Beschwerden stehen Arzneimittel auf Basis von Misteln in fester und flüssiger Form zur Verfügung, die über den Mund (oral) einzunehmen sind. Zur Herstellung der Arzneimittel können ausgepresster Saft, Ethanolextrakte, Weinextrakte, wässrige Extrakte, Tinkturen oder Trockenextrakte aus Misteln zum Einsatz kommen. In Deutschland sind zur Misteltherapie bei Herz-Kreislauf-Beschwerden über 70 zugelassene Kombinationspräparate in verschiedenen Verabreichungsformen sowie ein paar Monopräparate erhältlich.

Mistel-Präparate zur unterstützenden Therapie bei Krebs und zur Behandlung degenerativer Gelenkerkrankungen stehen hingegen nur in flüssiger Form zur Verfügung, die man per Spritze (Injektion) verabreicht. Auch hier variieren die Herstellungsverfahren der Arzneimittel: Als Mistel-Präparate bei Krebs kommen sowohl fermentierte als auch unfermentierte wässrige Extrakte aus den Blättern, Stängeln, Blüten, Senkwurzeln und Früchten der Mistel zur Anwendung. Dabei unterscheidet man außerdem, von welchem Wirtsbaum die Misteln stammen – ob von Apfel (Malus), Eiche (Quercus), Kiefer (Pinus), Tanne (Abies), Ulme (Ulmus), Ahorn (Acer), Mandel (Amygdalus), Birke (Betula), Weißdorn (Crataegus) oder Esche (Fraxinus). In Deutschland sind zur Misteltherapie bei Krebs etwa 170 Mittel mit nur einem einzelnen aktiven Inhaltsstoff zugelassen, die man unter die Haut (subkutan) spritzt. Bei allen Mistel-Präparaten zur begleitenden Krebsbehandlung ist eine individuelle Dosierung üblich.

Hinweise

Vor dem Einsatz von Mistel-Präparaten ist es ratsam, folgende Hinweise zu beachten: Zwar kann es besonders nach dem Verzehr der Mistel-Früchte in seltenen Fällen zu Vergiftungserscheinungen in Form von Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Blutdruckanstieg mit nachfolgendem Schock kommen. Bei der Einnahme von Mistel-Präparaten über den Mund (oral) sind jedoch keine derartigen Nebenwirkungen zu erwarten. Auch eine chronische Toxizität (d.h. eine schädigende Wirkung bei wiederholter täglicher Verabreichung) ist von der Misteltherapie nicht bekannt.

Die Verabreichung flüssiger Mistel-Präparate per Spritze kann jedoch starke Nebenwirkungen hervorrufen: Möglich sind Fieber, Schüttelfrost, Herz-Kreislauf-Störungen und allergische Reaktionen. Die Injektion erzeugt außerdem starke Entzündungen, die bis zur Gewebszerstörung (sog. Nekrose) führen können.

Aufgrund bestimmter Inhaltsstoffe der Mistel ist eine Misteltherapie während der Schwangerschaft und Stillzeit grundsätzlich nicht zu empfehlen. Außerdem ist von einer Behandlung mit Präparaten auf der Basis von Misteln abzuraten, wenn eine Überempfindlichkeit gegenüber Misteleiweißen oder chronische Infektionen bestehen. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind allerdings unwahrscheinlich.