Das Bild zeigt eine ältere Person im künstlichen Koma.
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Künstliches Koma

Von: Till von Bracht (Medizinredakteur, M.A. Sportwissenschaften)
Letzte Aktualisierung: 01.03.2018

Der Begriff "künstliches Koma" taucht immer wieder in den Medien auf. Dabei ist der Begriff medizinisch gesehen eigentlich nicht korrekt: Schließlich handelt es sich bei einem künstlichen Koma nicht um ein Koma, sondern um eine kontrollierte Langzeitnarkose.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Künstliches Koma – kontrollierter Tiefschlaf

Das natürlicheKoma ist die schwerste Form der Bewusstlosigkeit – es kann als Folge schwerer Schädelverletzungen, bestimmter Stoffwechselstörungen (z.B. das diabetische Koma), nach einem Schlaganfall sowie nach Vergiftungen („Komasaufen“) auftreten.

Was ist künstliches Koma?

Ein künstliches Koma ist eine lange Vollnarkose, bei der der Patient mithilfe von Medikamenten gezielt in eine Art "Tiefschlaf" versetzt wird. Der Sinn des künstlichen Komas besteht darin, den Patienten vor äußeren Stressfaktoren und Schmerzen zu bewahren, damit er sich nach einem Unfall oder einer Operation besser erholen kann.

Die Langzeitnarkose dient also vor allem der Entlastung des Körpers und fördert so den Heilungsprozess. In manchen Fällen kühlen die Ärzte den Patienten zusätzlich auf etwa 32 bis 34 Grad herunter. Dies verlangsamt den Stoffwechsel und trägt ebenfalls zur Entlastung des Körpers bei.

Wie wird man in ein künstliches Koma versetzt?

Um einen Patienten in ein künstliches Koma zu versetzen, verwenden Ärzte eine Kombination ausNarkose- und Schmerzmitteln. Je nach Zustand des Patienten können die Ärzte die Dosierung der Medikamente anpassen – dadurch fällt das künstliche Koma entsprechend flacher oder tiefer aus. Dabei versuchen Ärzte generell, das künstliche Koma so flach wie möglich zu halten, um das spätere Aufwachen zu erleichtern.

Während des künstlichen Komas befindet sich der Patient auf der Intensivstation, damit ihn die Ärzte rund um die Uhr überwachen können. Die meisten Organe wie das Herz und die Leber arbeiten selbstständig weiter. Die Atmung erfolgt allerdings in der Regel künstlich über ein Beatmungsgerät, ernährt werden die Patienten über eine Magensonde oder intravenös über die Blutbahn.

Wann wird man in ein künstliches Koma versetzt?

Das künstliche Koma ist eine wichtige Maßnahme, um den Körper eines Patienten zu entlasten. Es kann in vielen Fällen zum Einsatz kommen – etwa bei

  • schweren Verletzungen nach einem Unfall,
  • nach schweren Operationen
  • oder bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung.

Stürze beim Skifahren zum Beispiel führen immer wieder zu schweren Kopfverletzungen. Durch die Wucht des Sturzes prallt das Gehirn an den harten Schädelknochen. Dabei reißen auch kleine Gefäße im Gehirn ein – Blut tritt aus und sammelt sich im Gewebe, was dazu führt, dass der Druck im Inneren des Schädels steigt.

Innerhalb des Schädels hat das Gehirn allerdings kaum Platz, sich weiter auszudehnen. Infolgedessen nimmt der Druck im Schädelinneren weiter zu, wodurch Blutgefäße und Nervenzellen abgeklemmt werden können. Das künstliche Koma trägt dazu bei, dass der Sauerstoff- und Nährstoffbedarf im Gehirn sinkt – dadurch schwillt das Gehirn wieder ab und der Hirndruck verringert sich.

Auch nach einem Herzinfarkt (Myokardinfarkt) kann es nötig sein, den Patienten in ein künstliches Koma zu versetzen. Bei einem Herzinfarkt verstopft eines der Herzkranzgefäße, wodurch ein Teil des Herzmuskelgewebes abstirbt. Im künstlichen Koma kann sich das geschwächte Herz des Patienten nach der Operation besser erholen.

Darüber hinaus versetzen Ärzte Patienten häufig in ein künstliches Koma, wenn sie künstlich beatmet werden müssen – zum Beispiel bei

Der Grund: Bei einer künstlichen Beatmung führen Ärzte einen Schlauch (Tubus) in die Luftröhre ein, über den die Luft in die Lungen des Patienten gepumpt und wieder abgezogen wird. Im Wachzustand wäre dieser Beatmungsschlauch sehr unangenehm – der Patient würde husten und sich dagegen wehren.

Wie lange verbleiben Betroffene im künstlichen Koma?

Wie lange ein Patient im künstlichen Koma liegen muss, ist unterschiedlich – die Dauer hängt vor allem von der Grunderkrankung beziehungsweise der Schwere der Verletzungen ab und davon, wie schnell der Körper sich erholt: Das können

  • wenige Tage sein,
  • aber auch mehrere Wochen
  • oder sogar Monate sind möglich.

Rein theoretisch könnten Ärzte das künstliche Koma sogar mehrere Jahre aufrechterhalten. Generell gilt jedoch: Je länger ein Patient im künstlichen Koma liegt, desto höher ist das Risiko für Komplikationen wie zum Beispiel eine Lungenentzündung. Die Langzeitnarkose erfolgt daher so flach und so kurz wie möglich, aber so tief und so lang wie nötig.

Wie läuft die Aufwachphase ab?

Hat sich die Grunderkrankung des Patienten gebessert und der Kreislauf stabilisiert, lassen die Ärzte den Betroffenen aus dem künstlichen Koma aufwachen. Dazu reduzieren sie langsam und sehr vorsichtig die Dosierung der Narkosemittel, um den Körper des Patienten nicht zu überfordern.

Dieses schrittweise Absetzen der Medikamente nennt man auch "Ausschleichen". Dabei kontrollieren die Ärzte stets den Gesundheitszustand des Patienten – insbesondere den Hirndruck – und passen die Dosierung gegebenenfalls an. Bei zu schnellem Ausschleichen der Narkosemittel kann es zu stärkeren Entzugserscheinungen, Delir (akuter Verwirrtheitszustand) oder sogar zu zerebralen Krampfanfällen kommen.

Die Aufwachphase nach einem künstlichen Koma kann einige Tage, aber auch mehrere Wochen andauern – je nachdem,

  • wie lang und wie tief der Patient im künstlichen Koma lag,
  • wie alt der Patient ist,
  • wie sein allgemeiner Gesundheitszustand ist
  • und wie gut der Körper die Medikamente abbaut.

Die künstliche Beatmung bleibt in der Aufwachphase meist noch eine Weile bestehen. Der Grund: Die Atemmuskulatur hat sich in der Zeit, in der der Patient im künstlichen Koma lag, zurückgebildet und kann nun nicht mehr selbständig arbeiten. Betroffene müssen Schritt für Schritt von dem Beatmungsgerät entwöhnt werden und ihre Atemmuskulatur trainieren – Ärzte bezeichnen diese Phase als „Weaning“ (engl. to wean = entwöhnen). Wie lange diese Entwöhnung dauert, ist unterschiedlich – unter Umständen vergehen mehrere Monate, bis der Betroffene wieder selbstständig atmen kann.

Welche Folgeschäden können entstehen?

Vor allem bei älteren Patienten, die längere Zeit im künstlichen Koma lagen, kann die Aufwachphase zu Problemen führen – einige Betroffene leiden zum Beispiel unter

Gelegentlich kommt es vor, dass Patienten ihre Angehörigen nach dem künstlichen Koma zeitweise nicht wiedererkennen. Sie wirken desorientiert und wissen zum Beispiel nicht, ob es morgens ist oder doch schon fünf Uhr nachmittags. Alles wirkt fremd für sie. Diesen Zustand bezeichnen Mediziner auch als Delir.

All das bedeutet für den Körper enormen Stress. Um zu verhindern, dass der Blutdruck des Patienten hochschnellt oder dass sich der Patient durch unkontrolliertes Entfernen von Kathetern und Drainagen selbst gefährdet, können in der Aufwachphase Schmerz- und Beruhigungsmittel zum Einsatz kommen.

Das Delir gehört zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen auf der Intensivstation und stellt eine hohe Belastung für den Patienten und die Angehörigen dar. Daher ist es wichtig, dass die Betroffenen nach einem künstlichen Koma möglichst schnell zur Realität zurückfinden.

Dazu gehört zum Beispiel die Wiederherstellung des Tag-Nacht-Rhythmus durch den Einsatz von

  • Tageslicht,
  • Uhren,
  • Jalousien
  • sowie bei Bedarf Schlafmasken und Ohrstöpseln.

Angehörige können zur Reorientierung des Patienten beitragen, indem sie vertraute Gerüche, Musik, alte Fotos oder bekannte Gegenstände mitbringen. Blumen sind aus hygienischen Gründen auf der Intensivstation nicht erlaubt. Berührungen und vertraute Stimmen wirken sich ebenfalls positiv auf die Aufwachphase aus.

Wie bei einem echten Koma kann es auch bei einem künstlichen Koma passieren, dass der Patient nicht wieder aufwacht. Das liegt dann allerdings nicht an der Medikation, sondern an der Grunderkrankung beziehungsweise den Verletzungen, die dem künstlichen Koma vorausgegangen sind.