Gestagene

Von: Andrea Lubliner (Pharmazeutin und Fachtexterin für medizinische Fachtexte)
Letzte Aktualisierung: 28.10.2007

auch bezeichnet als:
"Minipille"; Corpus-luteum-Hormone; Schwangerschaftshormone

Wirkstoffe

Folgende Wirkstoffe sind der Wirkstoffgruppe "Gestagene" zugeordnet

 

Anwendungsgebiete dieser Wirkstoffgruppe

Gestagene sind chemische Abkömmlinge des körpereigenen weiblichen Hormons Progesteron, das auch Gelbkörperhormon genannt wird. Progesteron reguliert den Eisprung, bereitet die Gebärmutterschleimhaut auf die Einnistung des Eis vor und greift vielfältig in den Stoffwechsel ein. Entsprechend breit gefächert sind auch die Einsatzgebiete der Gestagene:

  • Schwangerschaftsverhütung.
    Gestagene werden meist als Östrogen-Gestagen-Kombinationen zur Verhütung eingesetzt. Ausschließlich in dieser Form kommen die Gestagene Chlormadinonacetat, Cyproteronacetat, Dienogest, Drospirenon, Gestoden, Lynestrenol, Norethisteron und Norgestimat zur Anwendung.

    Gestagene können jedoch zur Empfängnisverhütung auch alleine angewendet werden. Allerdings erlauben die Einzelstoffe nur eine geringe Kontrolle des Monatszyklus und geben weniger Sicherheit bei der Verhütung einer Schwangerschaft als die Kombination mit Östrogenen. Zur Gruppe der allein verwendbaren Gestagene gehören Desogestrel und Levonorgestrel, welche auch in Östrogen-Kombinationen vorkommen, sowie Etonogestrel und Medroxyprogesteronacetat, die ausschließlich als Einzelstoffe verwendet werden. Bei den Einzelpräparaten sind folgende Darreichungsformen zu unterscheiden:

    Desogestrel und Levornogestrel können in Form einer Minipille geschluckt werden. Die hormonelle Belastunge für die Frau ist bei einer solchen Minipille sehr gering. Da die Wirkung jedoch nicht sehr lange anhält, ist es unbedingt notwendig, ein entsprechendes Präparat jeden Tag möglichst zur gleichen Zeit einzunehmen. Als Nachteile der so genannten Minipille, verglichen mit Östrogen-Kombinationen, gelten die nur mangelhafte Kontrolle des Menstruationszyklus und die geringe Sicherheit in der Verhütung einer Schwangerschaft. Daher ist sie nur Frauen zu empfehlen, die keine Östrogene bekommen dürfen.

    Medroxyprogesteron kommt zu Verhütung als Depotspritze zur Anwendung. In die Muskulatur eingespritzt, bildet es ein Depot, aus dem die Wirksubstanz über mehrere Wochen oder Monate in das Blut übergeht. Auch Implantate (kleine Wirkstoffstäbchen, die unter die Haut gepflanzt werden) mit Etonogestrel und Intrauterinpessare mit dem Wirkstoff Levornogestrel verhüten über einen längeren Zeitraum.

    Hochdosiertes Levornogestrel kann auch als so genannte "Pille danach" eine Schwangerschaft verhindern. Allerdings ist dabei eher von einem Notfallmedikament als einem Verhütungsmittel zu sprechen. Die Pille danach besteht aus zwei Tabletten. Diese können gleichzeitig oder in einem Abstand von 12 Stunden eingenommen werden. Die Art der Einnahme hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit oder die Nebenwirkungen. Die gleichzeitige Einnahme hat den Vorteil, dass ein mögliches Vergessen der zweiten Dosis vermieden wird. Die Tabletten müssen aber innerhalb von 72 Stunden, vorzugsweise in den ersten 12 bis 24 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen werden. Je früher nach dem Geschlechtsverkehr mit der Einnahme begonnen wird, umso höher ist die Wirksamkeit (bis zu einer 95-prozentigen Sicherheit).
  • Einsatz als Teil von Östrogen-Gestagen-Kombinationen bei Wechseljahresbeschwerden.
    In den Wechseljahren stellen die Eierstöcke die Östrogen-Produktion ein. So entwickelt sich langsam eine Mangel an diesem Hormon, der unter anderem Hitzewallungen, Herzjagen, Hautveränderungen und seelische Verstimmungen hervorruft. Die Östrogene mildern diese Symptome, doch können sie auch das Wachstum von Unterleibs- und Brustkrebs begünstigen. Kombiniert man Östrogene jedoch mit Gestagenen, so vermindern diese das Risiko, an einem Östrogen-abhängig wachsenden Tumor zu erkranken. Als Östrogen-Kombinationspartner werden folgende Wirkstoffe eingesetzt: Cyproteronacetat, Dienogest, Dydrogesteron, Levonorgestrel, Medrogeston, Medroxyprogesteron, Medroxyprogesteronacetat, Norethisteron, Norethisteronacetat, Norgestrel und Progesteron.
  • Endometriose.
    Die überschießenden Schleimhautwucherungen können durch folgende Gestagene eingedämmt werden: Lynestrenol, Medroxyprogesteronacetat und Norethisteronacetat.
  • Zyklusstörungen und -beschwerden.
    Diese werden meist durch einen Mangel an dem Gestagen Progesteron hervorgerufen. So kommt es zu unregelmäßigen Blutungen, Regelschmerzen, Verstimmungen und Missempfindungen vor der Regel (Prämenstruelles Syndrom) sowie Brustschmerzen mit knotigen Verdickungen. Auch ein Abort kann durch Progesteron-Mangel verursacht werden. Zur Behandlung gibt man die Gestagene Chlormadinonacetat, Dydrogesteron, Hydroxyprogesteroncaproat, Lynestrenol, Medrogeston, Medroxyprogesteronacetat und Norethisteronacetat.
  • Krebserkrankungen wie Unterleibs- und Brustkrebs.
    Bei diesen Östrogen-abhängig wachsenden Tumor-Arten werden Lynestrenol, Medroxyprogesteronacetat, Megestrolacetat und Norethisteron als Gegenspieler des Östrogens eingesetzt.

Wirkung

Gestagene leiten sich von dem natürlichen Gelbkörperhormon Progesteron ab. Um ihre Wirkung zu verstehen, muss man zunächst die Rolle des natürlichen Gestagens, des Progesterons, im Körper kennen:

Progesteron ist neben den Östrogenen das wichtigste weibliche Sexualhormon. In rhythmisch wechselnden Mengen werden Östrogene und Progesteron in den Eierstöcken gebildet. Ihre Wirkungen greifen ineinander. Zunächst lassen die Östrogene die Schleimhaut in der Gebärmutter wachsen, dann wird sie durch Progesteron auf die Einbettung einer befruchteten Eizelle vorbereitet. Ist durch die Östrogenwirkung eine Eizelle von den Eierstöcken gebildet und freigesetzt worden, verhindert Progesteron die Reifung und den Eisprung einer weiteren Eizelle. So werden Zwillingsschwangerschaften verhindert.

Hat die Befruchtung eines Eis stattgefunden, verfestigt Progesteron den Scheidenschleim und das Sekret im Gebärmutterhals (Zervix). So können keine weiteren Spermien in die Gebärmutter vordringen, was ebenfalls eine gleichzeitige zweite Schwangerschaft erschwert. Progesteron sorgt nach Einnistung des befruchteten Eis in die Gebärmutterschleimhaut auch für die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft. Ist allerdings keine Befruchtung oder Schwangerschaft eingetreten, sinkt der Progesteronspiegel natürlicherweise ab. Dadurch kommt es zu einer so genannten Entzugsblutung, in der das aufgebaute Gebärmutterschleimhautgewebe abgestoßen wird.

Je nach Einsatzgebiet stehen bei den Gestagenen etwas andere Aspekte der geschilderten Wirkung im Vordergrund:

  • Die zur Schwangerschaftsverhütung in verhältnismäßig schwacher Dosierung eingesetzten Gestagene ahmen folgende Progesteron-Wirkungen nach: Die Verhindung der Eizellenreifung, die Verfestigung des Schleims am Muttermund und in der Scheide und teilweise (außer Levonorgestrel) auch die Unterdrückung des Eisprungs. Anders als bei den Östrogen-Gestagen-Kombinationen zur Verhütung kommen die als Einzelwirkstoffe eingesetzten Gestagene ununterbrochen zur Anwendung. Es gibt also keine Einnahmepause von einer Woche im Monat mit regelmäßiger Entzungsblutung. Dadurch verändert sich das gewohnte Blutungsmuster und die Blutungen treten oft unregelmäßig auf. Nach einigen Anwendungsmonaten werden die Blutungen bei fast allen Frauen leichter und seltener.

  • Gestagene, die in hoher Dosierung als "Pille danach" eingenommen werden, wirken auf zweierlei Weise:
    • Sie hemmen zuverlässig den Eisprung und damit die Befruchtung einer reifen Eizelle durch Spermien, wenn der Geschlechtsverkehr vor dem Eisprung stattgefunden hat. In dieser Phase ist die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung am höchsten.
    • Sie verhindern die Einnistung einer bereits befruchteten Eizelle in die Gebärmutter, wenn der Geschlechtsverkehr nach dem Eisprung stattgefunden hat.
    Die "Pille danach" kann nicht zur Abstoßung einer bereits in die Gebärmutterschleimhaut eingenisteten befruchteten Eizelle führen. Zum Schwangerschaftsabbruch ist ein solches Präparat daher nicht geeignet.

  • In Östrogen-Gestagen-Kombinationen bei Wechseljahresbeschwerden beruht die krebshemmende Wirkung der Gestagene vor allem auf ihrem Effekt, die Gebärmutterschleimhaut umzuwandeln. Damit wirken sie den Östrogenen entgegen. Östrogene fördern den Aufbau der Schleimhaut und damit die Möglichkeit, dass Zellen derselben zu Krebszellen entarten. Wird ein Gestagen nur während 14 Tagen zu dem Östrogen dazugegeben, erfolgt nach Ende dieser Phase eine Entzugsblutung, in der die neu gebildete Gebärmutterschleimhaut abgestoßen wird. Die Gestagene können jedoch auch durchgehend kombiniert werden. Dann führen sie langfristig zu einer unterentwickelten Schleimhaut mit sehr geringem Krebsrisiko. Regelblutungen treten bei einer solchen Behandlungsmethode nicht mehr auf.
  • Bei Endometriose kann Gebärmutterschleimhaut-Gewebe im ganzen Körper verteilt auftreten. Es wird genauso rhythmisch auf- und abgebaut wie das Schleimhautgewebe in der Gebärmutter selbst. Allerdings verursacht dies zum Teil heftige Beschwerden durch Blutungen und Entzündungen. Die bei Endometriose eingesetzten Gestagene wirken Gebärmutterschleimhaut-abbauend. Das erklärt auch, warum sich Endometriose zum Teil auch durch die Gabe einer Verhütungspille bessern kann.
  • Viele Störungen von Rhythmus und Verlauf der Regelblutung hängen mit einem Mangel an Progesteron im Körper zusammen. Durch diesen Mangel kann es auch zu ungewollten Schwangerschaftsabbrüchen kommen (Abort). Gestagen-Präparate dienen hier dem Ausgleich des Mangels und erfüllen die Aufgaben des natürlichen Progesterons.
  • Die Entstehung und das Wachstum mancher Krebserkrankungen wie Unterleibs- und Brustkrebs werden durch Östrogene gefördert. Wie Gestagene das Wachstum der Krebszellen unterbinden, ist nicht völlig geklärt. Offensichtlich aber haben die Gestagene einen Einfluss auf die Östrogen-Empfindlichkeit der Krebszellen. Man vermutet, dass die Gestagene verhindern, dass die Krebszellen Östrogen-Rezeptoren bilden. Durch die verminderte Zahl von Östrogen-Rezeptoren wird der wachstumsfördernde Effekt der Östrogene auf die Krebszellen mangels Angriffspunkt herabgesetzt.